Zur Kritik des Marktsozialismus

von Meinhard Creydt

 

01/10

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In der Linken hat sich weitgehend eine Affirmation des Marktes durchgesetzt.1 Die v.a. für die Ökologieproblematik relevanten, weil desaströsen Folgen der Bepreisung2 werden ebenso wenig als Grenze des Marktes wahrgenommen wie die gesellschaftlichen Verhältnisse, die mit der verallgemeinerten Warenproduktion und -zirkulation impliziert sind. Auf diese zweite Problemdimension konzentriere ich mich in Auseinandersetzung mit einigen Argumenten, die im Plädoyer für ›Marktsozialismus‹ eine Rolle spielen. Gezeigt werden Schwierigkeiten von Konzepten, die den Markt sozial ›einbetten‹ wollen.3

Marx' Warenanalyse hält einige grundlegende Abstraktionen der Vergesellschaftungsweise fest (vgl. eingehender Creydt 2000/123ff.). Zusammenfassend kann von einer Dekomponierung und Desaggregation gesellschaftlicher Zusammenhänge zugunsten verkaufbarer Waren gesprochen werden.4 Individuell zu konsumierende (im Unterschied zu gesellschaftlichen) ›Lösungen‹ von Problemen4 werden zum willkommenen Anlaß, Waren abzusetzen. Die bereits in der Warenanalyse enthaltenen Ausblicke auf ein Zivilisationsmodell der bürgerlichen Gesellschaft zeigen ebenso einen ›Reichtum‹, der aus einer Vielfalt partikularisierter Güter besteht, wie eine Indifferenz nicht nur zwischen den verschiedenen Gütern und Bedürfnissen, sondern auch eine »Gleichgültigkeit der Konsumierenden und Produzierenen zueinander« (GR 78f.). Einbegriffen ist die Rücksichtslosigkeit gegenüber Voraussetzungen, die Verkehrung des Mangels des einen zur positiven Anlagefläche für den anderen und das Verschenken symbiotischer und synergetischer Möglichkeiten.

Nehmen ist der Zweck, Geben das Mittel. Geben macht vielleicht selig, Nehmen aber reich. In ihrem unmittelbaren, exklusiven, d.h. andere ausschließenden Privat-Interesse liegt die Wechselseitigkeit nicht.5 Ungesellschaftliche Gesellschaftlichkeit heißt: Gesellschaftliche Kooperation findet in partikularen, privaten und exklusiven Perspektiven vereinzelter Einzelner, die autonom disponieren, ihr individuelles Motiv. Umgekehrt vermag sich jedes private Interesse nur über gesellschaftliche Kooperation zu realisieren.6 Da Kooperation in der Warensphäre »im Rahmen wechselseitiger Versuche statt(findet), jenes verbindende Zusammenwirken im Sinnhorizont partikularer Ambitionen zu definieren und zu überformen« (Prodoehl 1983/75), provoziert die Rede von gesellschaftlicher Allgemeinheit und Gemeinsamkeit nicht nur dort, wo es geboten erscheint, den Verdacht des Übervorteiltwerdens. Und nicht zu selten radikalisiert sich das Mißtrauen bis zum Misanthropismus. Die Dominanz eines Interessentypus des Verkaufens und Kaufens ausgehend von partikularen Interessen hat gravierende Folgen für die soziale Synthesis. Es erscheint als vollkommen selbstverständlich, daß »die wechselseitige und allseitige Abhängigkeit der gegeneinander gleichgültigen Individuen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang« bildet (GR 74). In rational-choice-Theorien7 wird die Maxime, die Vorteile von Kollektivgütern auszunutzen, ohne einen eigenen Beitrag zu ihrer Erstellung (Trittbrettfahrerverhalten) oder Erhaltung (›Almendeproblem‹) zu leisten, ebenso

beeindruckend und ohne moralisierende Pseudoalternative in ihren Folgen vergegenwärtigt wie die Probleme dabei, sich ohne soziale Koordination und Kooperation zu das egoistische Nutzenkalkül überschreitenden Handlungen zu entschließen (›Gefangenendilemma‹). Die rational-choice-Theoreme artikulieren auf ihre Weise die Schranke des Interessenkonzepts, das im Rahmen der Warenzirkulation und -produktion herrscht. Im rational-choice-Konzept mit seiner Universalisierung d i e s e s Interessentypus erscheint eine einem sozialistischen Gesellschaftstypus eigene gesellschaftliche Assoziation als nicht vorstellbar. Für sie müßten, wie Marx es in der Kritik des Gothaer Programms formuliert, die engen Grenzen des bürgerlichen Rechtshorizonts überstiegen werden.

Der Rechtsstandpunkt einer Symmetrie zwischen Leistungen wird nicht allein aus der Voraussetzung gegeneinander isolierter und gleich-gültiger Rechtsgüter und Rechtssubjekte problematisch, sondern auch dort, wo der Leistungsanteil des einzelnen immer weniger herauspräpariert werden kann, da seine Arbeit in zunehmendem Maße auf die Kooperation mit anderen angewiesen ist, seien sie nun als Mitarbeitende unmittelbar, als Erbringer von Vorleistungen und Infrastrukturvoraussetzungen mittelbar präsent oder handele es sich um die »Benutzung der Arbeit Früherer« (MEW 25/114). Die Grenze des Werts wird dort erreicht, wo die unmittelbare Arbeit in keinem Verhältnis mehr steht zu den Agentien, die sie in Bewegung setzt. Die Bemessung dieses in Bewegung gesetzten Potentials nach der sozusagen (idealiter nur mehr katalytischen) Arbeitstätigkeit wird obsolet. Zu diesen Agentien der »allgemeinen Arbeit« (Marx) gehört ebenso die »Einverleibung ungeheurer Naturkräfte und der Naturwissenschaft in den Produktionsprozeß« (MEW 23/408), deren Anwendungskosten in keinem Verhältnis steht zu deren Entdeckungs- und Erfindungskosten, sowie die allgemeinen gesellschaftlichen Vermögen der Kooperation. Der Anteil der gesellschaftlichen Voraussetzungen der jeweiligen Arbeit wächst geschichtlich. Im gleichen Maße wird der enge utilitaristische Standpunkt einer Wertäquivalenz der getauschten Güter zunehmend unverhältnismäßig.

Die Folgen, die schon die Warenproduktion und -zirkulation für die Subjektivität der Individuen aufweisen, klammere ich aus.8 Auch spieltheoretische Überlegungen zur Etablierung einer über die Sanktions-, Kontroll- und Transaktionskosten reduzieren ließen, erreichen noch nicht das Niveau, wie es mit der ›allgemeinen Arbeit‹ sich etabliert. Die gesellschaftlich herrschende kapitalistische Form erlaubt es nicht, die in ihr gegebenen Möglichkeiten wirklich werden zu lassen. Es handelt sich um Maßnahmen, »die Möglichkeit der Teilnahme an dem allgemeinen Vermögen für die Individuen« zu sichern – »durch die öffentliche Macht« (Hegel, Rechtsphilosophie § 237). Schon Hegel scheint sich in der Begründung dieses Rechts darauf zu stützen, »daß ein Teil des gesellschaftlichen Reichtums weder der Arbeit oder der Erfindung von Individuen oder Gruppen entspringt noch dem Wert von Naturgütern, sondern daraus, daß viele Individuen zusammenarbeiten, und daß dieser Wert jedem Bedürftigen zusteht. Ein solcher rein gesellschaftlicher Wert ist der Überschuß des Werts arbeitsteilig entstandener Produkte über den Wert der Güter, den die Produzenten isoliert hätten hervorbringen können« (Steinvorth 1998/74).

Hier gilt es weiterzudenken und eine Alternative zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Synthesis zu konturieren, die diesem Superadditum und dieser Emergenz adäquat ist, statt auf der Grundlage der dekomponierenden und Indifferenz zwischen den verschiedenen Akteuren beinhaltenden Warensphäre politisch gegensteuern zu wollen. Dies scheint mir kurz gesagt ein zentraler Mangel der im folgenden problematisierten Version9 des Marktsozialismus zu sein.

Theoretisch haben deren Vertreter zunächst Recht gegen Lukács10 und Adorno, insofern ihnen die Warensphäre zum Zentrum der bürgerlichen Welt gerät. So läßt sich die kompliziertere Aufbauordnung der verschiedenen Ebenen des Kapitalismus (Ware, Geld, Kapital, Produktionsprozeß, Akkumulation u.a.) nicht als in sich differenzierte Einheit denken. Wer die »Tauschform als die maßgebende Struktur der Gesellschaft« auffaßt (Adorno 1969/155) und »die Attribute des Kapitalismus … aus einer Grundkategorie … entwickeln« möchte (Adorno 1973/93, vgl. a. Adorno 1979/209, 307), der bezieht in seine Analyse nicht ein, daß der entwickelten und verallgemeinerten Warenproduktion eine ganze Struktur von »verwickelteren Produktionsbeziehungen, ökonomische Verhältnisse derselben vorausgesetzt sind« (GR 907): Trennung der Produzenten von Produktionsmitteln, Entfaltung kapitalistischer Produktion usw.11 Die Zirkulation ist »das Phänomen eines hinter ihr vorgehenden Prozesses« (GR 166). »Vom Standpunkt der einfachen Zirkulation aber sind diese Verhältnisse ausgelöscht« (GR 907). Erst aus deren Analyse ergibt sich, warum der Tausch als Schein erscheint, also als selbständig und dann ursprünglich erscheinendes Phänomen, das seine Konstituentien und seine Konstitution nicht mehr aufscheinen läßt.

Allerdings wird dieses Argument auf eine unmittelbare Weise geltend gemacht, die sich politisch eher utopistisch auswirkt. Gegen den »Kurzschluß, die Welt der Warenzirkulation repräsentativ für den ganzen Kosmos kapitalistischer Entfremdung zu nehmen« (Bischoff, Menard 1990/109), wird niveaugleich die komplementäre Abstraktion gesetzt mit der Zurückführung der Warenwelt in die Bedingung ihres Allgemeinwerdens: das Kapital. Konsequent reduktionistisch heißt es dann auch: »Mit dem Kapitalfetisch ist aber der allgemeine Grund aller (!) Unterordnungsverhältnisse herausgearbeitet und es ist historisch die Möglichkeit einer ganz neuen Konstellation von Subjektivität gegeben« (ebd./111). Mit dem richtigen Rekurs auf die Bedingung des Allgemeinwerdens der Ware werden der allgemein gewordenen Ware ihre eigenen Wirkungen abgesprochen. Allein die ohne Not angenommene Notwendigkeit, die bürgerliche Welt um e i n Zentrum herum aufzubauen, führt dazu, ihre verschiedenen Sphären gegeneinander auszuspielen, statt die eigenen Wirkungen der Sphären in einer Analyse zu verbinden, die die Unterschiede der gesellschaftlichen Sphären im Zusammenhang ihrer Einheit zu zeigen vermag. Dafür kann ›Einheit‹ weder wesenslogisch- essentialistisch noch im Sinn eines gemeinsamen Nenners der Sphären begriffen werden. Die hier kritisierten Festlegungen12

sorgen dafür, daß von den mit der Warensphäre gegebenen Trennungen, Indifferenzen und Abstraktionen keine Rede mehr sein muß, als ob sie kein eigenes Problem der Überwindung der bestehenden Gesellschaft beinhalteten. ›Marktsozialismus‹ lautet dann die politische Perspektive.

Dabei hätten Freunde des ›Marktsozialismus‹ dem Beispiel Jugoslawiens13 einige deutliche Hinweise auf die Wirkungen des Marktes ablesen können, die dann besonders ›rein‹ hervortreten, wenn der Markt nicht einer funktionierenden kapitalistischen Ökonomie eingegliedert ist. Am Markt begegnen sich die verschiedenen (nun: genossenschaftlichen) Betriebe in Konkurrenz zueinander und beziehen sich gleichermaßen extrinsisch auf die durch sie produzierten Güter als auch auf die Nachfrager.14 In Jugoslawien hat die Abstraktion vom Zusammenhang als Regionenegoismus schließlich seine eigenen tödlichen Wirkungen entfaltet. Schon vorher verwiesen die am betrieblichen Erfolg ausgerichteten Einkommensinteressen15 die Beschäftigten auf eine (Ab-)Schließung der Betriebe im Sinne einer möglichst geringen Zahl der Beschäftigten.16

Gegenüber der These, »die Überwindung des Kapitalcharakters der Produktionsmittel … geht bei umfassender Existenz von Ware-Geld-Beziehungen« (Krüger 1990/63), ist auf die Argumente dafür hinzuweisen, daß bereits die Ware- und Geldverhältnisse gravierende Schwierigkeiten der Gesellschaftsgestaltung enthalten.17 Politisch ist immer wieder, ob in der Stamokaptheorie oder bei den ›Marktsozialisten‹, angenommen worden, die Warensphäre und die ihr eigene Partikularisierung der Reichtumsentwicklung einhegen zu können durch – von der Reihenfolge der Darstellung im ›Kapital‹ her gesprochen – ›spätere‹ Strukturen, vornehmlich das Aktienkapital und das Kreditwesen.18 Aktiengesellschaften stellen einen Fortschritt an Vergesellschaftung gegenüber dem Einzelkapital dar  qua Größe des Kapitals, qua Emanzipation vom Einzelkapitalisten und qua Trennung zwischen Eigentümer und Verwalter des Kapitals (vgl. MEW 25/452). Nur insofern das »Privateigentum vereinzelter Produzenten« (ebd./453), die Macht der Unternehmerpersönlichkeit und die Unabhängigkeit des an sie gebundenen einzelnen Kapitals für das Wesen des Kapitalismus erachtet werden, stellt die Aktiengesellschaft die »Aufhebung des Kapitals als Privateigentum innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise selbst« (ebd./452) dar.19 Der Übergang von den durch ihr Profitinteresse geeinten Aktionären zum »unmittelbaren Gesellschaftseigentum« (ebd./453) unterschlägt die Probleme der gesellschaftlichen Synthese. Wer damit etwas anderes meint als die Fortsetzung der Gegenwart mit anderen Mitteln, der kann nicht positiv daran anknüpfen, daß die Komplexität der verschiedenen in einer Gesellschaft relevanten Belange so wegreduziert und vorselektiert worden ist wie mit dem Profitkriterium – wobei auch mit ihm immer noch genügend Zielkonflikte existieren.

Auch das Kreditwesen hat Funktionen, die die Schranken des Einzelkapitals übersteigen. Es kann aber deshalb noch nicht als »Übergangsform zu einer neuen Produktionsweise« gelten (MEW 25/457), leistet es doch der alten Produktionsweise gute und keineswegs subversive Dienste.20 »Dieser gesellschaftliche Charakter des Kapitals (anteilsmäßige Verteilung des Gesamtmehrwerts durch die Durchschnittsprofitrate – Verf.) wird erst vermittelt und vollauf verwirklicht durch volle Entwicklung des Kredit- und Banksystems. Es hebt damit den Privatcharakter des Kapitals auf, und erhält so an sich, aber nur an sich, die Aufhebung des Kapitals selbst« (MEW 25/620). Dieses ›an sich‹ behauptet wiederum zu viel. Sinn macht das Argument der Aufhebung des »Privatcharakters des Kapitals«, insofern mit der Durchschnittsprofitrate »das Wirken der Kapitalien als einzelner aufeinander ihr Setzen als allgemeines und Aufhebung der scheinbaren Unabhängigkeit und selbständigen Bestehens der Einzelnen« erfolgt. »Noch mehr findet diese Aufhebung statt im Kredit« und im Aktienkapital (GR 550). Damit ist aber nicht die Autonomie – nun eben großer – Kapitale verschwunden, sondern »die Illusion über die Konkurrenz als die angeblich absolute Form der freien Individualität« (GR 545). Mit dem ›an sich‹ wird ein äußerer Vergleich21 angestellt, mit dem vieles ›an sich‹ schon Existierende als Antizipation (oder als ›Vorschein‹) von Gewünschtem gewertet wird, das von den Subjekten (›für sich‹) noch aus den alten Verpuppungen zu befreien ist. Der gleichen Logik entspringt auch das Lob des Banksystems, es sei »das künstlichste und ausgebildetste Produkt, wozu es die kapitalistische Produktionsweise überhaupt bringt. … Es ist damit allerdings die Form einer allgemeinen Buchführung und Verteilung der Produktionsmittel auf gesellschaftlicher Stufenleiter gegeben, aber auch nur die Form« (MEW 25/620). Die Äquivokation sitzt hier im Begriff der »gesellschaftlichen Stufenleiter«. Die benannte Emanzipation des Kapitals vom Einzelkapital und seinen Schranken mag als »Buchführung und Verteilung der Produktionsmittel auf gesellschaftlicher Stufenleiter« beschrieben werden. Bei dieser schwachen Version will es Marx aber augenscheinlich nicht belassen. Daraus jedoch, daß größere gesellschaftliche Reichweiten des Handelns durch das Banksystem ermöglicht werden, gewinnt man nicht die Möglichkeit, Postkapitalistisches im Kapitalismus bereits angelegt zu sehen. Und nur diese Unterschieben eigener Zielvorstellungen trägt die stärkere Version, in der der Ausdruck »auf gesellschaftlicher Stufenleiter« zugleich emphatisch aufgeladen wird und dann wiederum als Aussage über existierende Verhältnisse relativiert zu werden hat (›Form‹). Die Buchführung und Verteilung jedenfalls, die eine Bank im Kapitalismus durchführt im Dienst der allein an ihrer jeweiligen Verwertung interessierten Einzelkapitale, die dementsprechend im Gegensatz der Konkurrenz zueinander stehen, unterscheidet sich ums Ganze von jener postkapitalistischen Buchführung und Verteilung, mit der sie hier ›der Form‹ nach gleichgesetzt wird, indem Marx (im Gegensatz zu seiner sonstigen Analyse von politischer Hoffnung geleitet) vom Inhalt und den Aufgaben der Buchführung und Verteilung absieht.

Die Partikularität der Reichtumsentwicklung, die durch ihre Form als Warenproduktion gegeben ist mit ihrer Umwertung gesellschaftlicher Probleme und Bedürfnisse zum A n l a ß der an i h n e n uninteressierten Produzenten, i r g e n d e i n verkaufbares Gut zu lancieren, kehrt auf der Analyseebene des Kapitals als Autonomie der Einzelkapitale wieder. Gegen die Autonomie der Einzelkapitale und die eigenen Auswirkungen des Marktes wird auf das Handeln des Staates hingewiesen. Verwechselt wird die ansteigende Staatsquote mit einer Einschränkung der Imperative der Kapitalverwertung in der Gestaltung des ökonomischen Gesamt(re)produktionsprozesses.22 Verwechselt wird die Tatsache staatlicher Eingriffe zur Optimierung oder subsidiären Stützung der Verwertungsbedingungen von Kapitalien mit der Möglichkeit einer politischen Gestaltung. Dethematisiert wird so die »formale Politisierung« der Produktion, in der »wirtschaftliche Aufgaben zwar politisch- administrativ behandelt werden, ohne jedoch die Rationalitätskriterien privaten Marktverhaltens anzutasten« (Kitschelt 1985/191). Die der gesellschaftlichen Gestaltung abträglichen Folgewirkungen und Implikationen der mit der Ware implizierten Abstraktionen werden unterbestimmt, wenn allein von einer »überlieferten Macht- und Einkommensstruktur« (Bischoff 1990/19 – vgl. die letzte Anmerkung) die Rede ist. Damit korrespondiert eine politizistische Übertreibung der Reichweite von Politik.23

»Freie kapitalistische Marktwirtschaft« als »eine rein ideologische Schimäre« (Bischoff, vgl. vorletzte Fußnote) zu bezeichnen – darauf kommt man nur durch das starke Ergebnisinteresse, die Einschränkung der Autonomie von Einzelkapitalien als ihre Aufhebung umzudeuten, um dann der solcherart schon heute politisierten Ökonomie die Leitung durch eine andere Politik angedeihen zu lassen. Bank- und Kreditkapital, Aktiengesellschaften und Staatseingriffe stehen im Dienst einer Überwindung der Schranken der besonderen Kapitale, ohne die Grenzen ihrer Besonderheit anzugreifen. Nur wenn man die Warensphäre konnotiert mit vollkommener Strukturlosigkeit, lassen sich alle höherstufigen Regelungen als Zurücknahme der Grundabstraktionen ansehen.24 Daß um des Profits willen die Unabhängigkeit von kleinen Kapitalen eingeschränkt wird und Kapitale sich um ihrer eigenen Geschäftserfolge willen dem Kreditkapital unterwerfen, wird als Schritt in die Richtung gesellschaftlicher Regelung und Planung wahrgenommen und diese wiederum als Gegensatz zur Unabhängigkeit der Kapitale und der Entwicklungsperspektive dieser Unabhängigkeit, dem Profit, gedacht. Die ›Marktsozialisten‹ fragen: »Lassen sich also Betriebs- und Unternehmensformen befördern, in denen die Profitsteuerung nicht die ausschlaggebende Rolle spielt und verfügt die Gesellschaft nach wie vor über politische und ökonomische Parameter, um an die Stelle der Aggregatkräfte der Konkurrenz eine soziale Steuerung zu etablieren? Nach Marx stellt der Kredit einen solchen ökonomischen Parameter dar, in denen ›die Formen einer allgemeinen Compatibilität und Vertheilung der Productionsmittel auf gesellschaftlicher Stufenleiter gegeben ist‹ (MEGA 4,2/661)«

(Sozialistische Studiengruppen 1993/67- Fehler im Zitat, Verf.). Die Verschiebung ist hier deutlich: Der Kredit wird erstens gegen den Profit gestellt, als wäre er nicht lediglich eine speziell auf ihn bezogene Gestalt der Plusmacherei. Aus dem solcherart von seinem konstitutiven Bezug auf den Profit emanzipierten Kredit wird dann in einem zweiten Schritt ein probates Mittel zur gesellschaftlichen Gestaltung. Wenn auch hier wieder von den Gründen und der Entwicklungsrichtung der Gestaltung abstrahiert wird, so deshalb, um Gestaltung pur übrig zu behalten und sie derart als Vor-Schein der neuen Gesellschaftsform inmitten der alten sich entwickeln zu sehen. Aus dem (hegelisch die Seite des entgegengesetzten Moments auf der jeweils anderen Seite festhaltenden) W i d e r s p r u c h, daß die Autonomie der Kapitale als Gegensatz Formen der Vereinigung benötigt, wird ein G e g e n s a t z. In ihm erscheint die eine Seite – die der Vereinigung25 – als Überwindung der anderen Seite. Abstrahiert wird damit hoffnungsselig vom bestimmten Charakter der Vereinigung, mit dem sie faktischauf das Gegenteil der Vereinigung, die Konkurrenz und die selbstreferentielle Verwertung des Kapitals, positiv bezogen bleibt.

Beim Projekt, den Markt sozial wieder »einzubetten«, ergeben sich gravierende Probleme. Versuche, das ›Gute‹ des Marktes und die ›Vorteile‹ gesellschaftlicher Steuerung miteinander verbinden zu wollen, stoßen auf das Problem der (Un-) Verträglichkeit differenter Logiken. Kombinationsversuche müssen sich dem Problem ihrer gegenseitigen Hemmung bzw. Verkehrung stellen und können nicht naiv nach der Devise verfahren ›Ungarisches Gulasch ist gut, Schokolade ist gut, also ist ungarisches Gulasch mit Schokolade das Beste.‹

Gegenüber einer ›idealen‹ Kombination von Märkten und Planelementen, die beiden jeweils ihre genau begrenzte Rolle in einer Arbeits- und Gewaltenteilung zuweist und auch dafür sorgt, daß sie ihre vorgegebenen Bahnen und Arenen nicht verlassen, nichtsdestotrotz aber ihre (der jeweiligen Eigentümlichkeit geschuldeten) Vorzüge einbringen, gegenüber dieser ›marktsozialistischen‹ Harmonie hat das ungarische Beispiel (›Neuer ökonomischer Mechanismus‹ ab 1968) die Tendenzen illustriert, die in einer Unterordnung des Marktes unter zentrale Gestaltungsvorgaben das Gewicht zugunsten letzterer verschieben.26 Umgekehrt lassen sich am jugoslawischen Beispiel Probleme einer gesamtgesellschaftlichen Einwirkung bei großer Autonomie der Einzelbetriebe feststellen. Im Unterschied zur in den anderen Ostblockstaaten – wie modifiziert auch immer – üblichen Durchführung zentraler Entscheidungen sind die jugoslawischen Unternehmen stärker am Markt orientiert. »Ende der sechziger Jahre und Anfang der siebziger (war) die staatliche Investitionspolitik zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken und durch die der Banken ersetzt worden« (Burger 1977/181) – ganz nach dem Geschmack jener ›Marktsozialisten‹, die ›nicht- etatistisch‹ durch Kreditvergabe gegenüber partikularen Interessen die Belange der Allgemeinheit sichern wollen. Allerdings umgehen sie dabei das Problem – die Gestaltung allgemeiner sozialer Belange – durch deren Verschiebung auf die Banken. Unklar bleibt, wie diese die soziale Synthesis bewerkstelligen sollen. Vor lauter Konzentration auf das vermeintliche Mittel – die Kreditvergabe – sinkt die Aufmerksamkeit für die Aushandlungsprozesse, die die Synthesis zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Belangen überhaupt erst herausbilden. 27

Mit einer stärkeren Relevanz qualitativer Imperative stellt sich ungleich stärker als bei Profitkriterien das Problem der Integration heterogener Belange. Daß die Banken im Kapitalismus effizient regulieren können, da sie den bei Strafe des eigenen Untergangs in der Konkurrenz erfolgenden Bezug der verschiedenen Kapitalakteure auf eine Ressource (Profit) voraussetzen, davon wird allein das Resultat festgehalten: Banken können dann eben überhaupt, sozusagen aus sich heraus, lenken und regulieren. Man spart sich so die Denkmühe, wie denn in der postkapitalistischen Gesellschaft das an Jugoslawien überdeutlich sich zeigende Partikularismusproblem bewältigt werden soll. Es kam zu einem als ›polyzentrischem Etatismus‹ bezeichneten Vertragssystem zwischen verschiedenen Betrieben, staatlichen Behörden, Regionen usw. Das Resultat bestand in einem »wahren Labyrinth der bürokratischen Willkür, in welchem die örtlichen Organe der allein herrschenden Partei … die größte Macht ausübten. Nicht nur, daß der sich daraus ergebende wirtschaftliche Mechanismus nicht in der Lage war, irgendeine Art von effektiver Koordination durchzuführen (›weder Markt noch Plan‹), er trug darüber zur weiteren Aufsplitterung der Volkswirtschaft« bei (Brus, Laski 1990/116).28 Die Folgen für den späteren Zerfall Jugoslawiens liegen auf der Hand: »Die Verlagerung der wirtschaftlichen Macht weg vom Bundesstaat und hin zu den Regierungen und Regionen und verbunden damit die zunehmende Bedeutung der Marktkräfte, hat allem Anschein nach die höher entwickelten Landesteile begünstigt und damit die nationalen Konflikte verschärft« (ebd./115).29

Literatur :

Adorno, Theodor W. 1969: Stichworte. Kritische Modelle 2. Frankf.M.

Adorno, Theodor W. 1973: Vorlesung zur Einleitung in die Soziologie (im Sommersemester 1968),

Raubdruck Frankf.M.

Adorno, Theoror W. 1979: Soziologische Schriften Bd. 1

Bischoff, Joachim 1991: Moderner Kapitalismus und Reformpolitik. In: Eckpunkte moderner

Kapitalismuskritik . Hamburg

Bischoff, Joachim; Menard, Michael 1990: Marktwirtschaft und Sozialismus. Hamburg

Braun, Dietmar 1999: Theorien rationalen Handelns in der Politikwissenschaft. Opladen

Brus, Wlodzimierz; Laski, Kazimierz 1990: Von Marx zum Markt. Marburg

Burger, W. u.a. 1977: Self Management and Investment Control in Yugoslavia. The Hague

Creydt, Meinhard 2000: Theorie gesellschaftlicher Müdigkeit. Frankf. M.

Creydt, Meinhard 2001: Partizipatorische Planung und Sozialisierung des Marktes. Aktuelle Modelle in der angelsächsischen Diskussion. In: Widerspruch (Zürich), Bd. 40, 2001. Andere Varianten in: Marxistische Blätter 3/2001, Volksstimme (Wien) Nr. 45/2000 , Berliner Debatte Initial Nr.3/ 2001

Elson, Diane 1990: Markt-Sozialismus oder Sozialisierung des Markts. In: Prokla H. 78

Gorz, André 1984: Wege ins Paradies. Berlin

Gorz, André 1991: Und jetzt wohin? Berlin

Hirsch, Joachim 1990: Kapitalismus ohne Alternative? Hamburg

Hof, Wagner 1974: Probleme der Beschäftigungspolitik bei Arbeiterselbstverwaltung. In: Hamel, H.

(Hg. ): Arbeiterselbstverwaltung in Jugoslawien. München

Honneth, Axel 1993: Posttraditionale Gemeinschaften. In: M. Brumlik, H. Brunkhorst (Hg.)

Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Frankf.M.

Kitschelt, Herbert 1985: Materiale Politisierung der Produktion. In: Zeitschrift für Soziologie. Jg. 14

Klink, Dieter 1965: Vom Antikapitalismus zur sozialistischen Marktwirtschaft. Die Entwicklung der ordnungspolitischen Konzeption der SPD von Erfurt (1891) bis Bad Godesberg (1959). Hannover

Kornai, Janos 1986: The Ungarian Reformprocess. In: Journal of Economic Literature. December

Kraemer, Klaus 1997: Der Markt der Gesellschaft. Zu einer soziologischen Theorie der

Marktvergesellschaftung. Opladen

Leipold, Helmut. 1974: Betriebsdemokratie – ökonomische Systemrationalität. Stuttgart

Lemân, Gudrun 1976: Das jugoslawische Modell. Frankf.M.

Lukács, Georg 1970: Geschichte und Klassenbewußtsein. Neuwied und Berlin

Marmora, Leopoldo 1983: Nation und Internationalismus. Bremen

Prodoehl, Hans Gerd 1983: Theorie des Alltags. Berlin

Sozialistische Studiengruppe 1993: Gemeineigentum und Markt. Die Sozialismus-Konzeption von Marx

und Engels. In: Sozialismus H. 7/8

Steinvorth, Ulrich 1998: Kann Solidarität erzwingbar sein? In: Bayertz, Kurt (Hg.): Solidarität: Begriff und Problem. Frankf. M.

Stojanovic, Svetozar 1970: Kritik und Zukunft des Sozialismus. München

ANMERKUNGEN

1 Schon 1965 hieß es in einem Band über die Entwicklung der SPD: „Vom Antikapitalismus zur sozialistischen Marktwirtschaft“ (Klink 1965). Nachteile des Marktes seien aufgrund seiner Vorzüge inkaufzunehmen: »Der Mangel marktförmiger Allokation der gesellschaftlichen Ressourcen liegt darin, daß sich erst nach der Produktion entscheidet, ob das Produkt einen Gebrauchswert hat und gesellschaftlich durchschnittlichen Produktivitätsbedingungen entspricht. Mithin können sich die Arbeitsresultate ganzer Produktionszweige bei der Veränderung von Arbeitsprozessen und Bedürfnisstrukturen als unnütz erweisen. Dieser Mangel muß bewußt in Kauf genommen werden, will man nicht in autoritäre Formen der Diktatur über die Bedürfnisse verfallen«(Bischoff 1991/44).

2 Vgl. dazu überzeugend Kraemer 1997, Kapitel IV. Das Buch stellt auch über die ökologische

Dimension hinaus ein ›Muss‹ in der Debatte um den Markt dar.

3 »Denkbar ist ein Gesellschaftsmodell, das zwar Kapitalverwertung und Profit zuläßt, aber in einer politisch kontrollierten … Form« (Hirsch 1990/181). »Sozialismus muß aufgefaßt werden als die Einbindung der (kapitalistischen) ökonomischen Rationalität … in demokratisch ausgearbeitete Rahmenbedingungen zur Erreichung demokratisch festgesetzter Ziele« (Gorz 1991/114).

4 Ein Beispiel: »Die auf dem Wuchern von Einfamilienhäusern gründende Urbanisierung nährt die Illusion, daß das Problem des Raums und des Wohnens in der Stadt eine individuelle Lösung erlaubt. Die Reihenhausvororte sind Negationen der Stadt, sie bieten jeder Familie den Schein einer nichtkollektiven, fast ländlichen Lösung des Wohnungsproblems« (Gorz 1984/31). Die ökologischen Folgen sind beträchtlich: Die jeweils privat aneigenbaren Waren stellen eine ungeheure Verschwendung von Energie und Rohstoffen sowie ein Übermaß an Abfall im Vergleich zu kollektiv nutzbaren Gütern dar. Die ›Lösung‹ der Wohnungsfrage qua Eigenheim führt zur Zersiedelung, zu einem übermäßigen Flächenverbrauch, zur Vernutzung von Ressourcen für Transporte. Private Angebote werden verkaufbar, wo gesellschaftliche Problembearbeitung strukturell versperrt bleibt. Die Förderung der Bahn entspricht der Waren- und Profitproduktion weniger als die des Autoverkehrs. Auch die private Aneignung von Haushaltsgeräten zollt einen hohen Tribut an Energie und Rohstoffen dem Besitzindividualismus sowohl für die Herstellung unterausgelasteter Geräte als auch für den Verbrauch in kleinen Haushalten, deren Zahl durch die Individualisierung und die Verkleinerung von Familien steigt.

5 »Die Universalität der Arbeit und des Arbeitsprodukts realisieren sich also durch ihre Negation, denn auf dem Markt beziehen sich Käufer und Verkäufer nicht als gesellschaftliche Subjekte aufeinander, sondern als miteinander konkurrierende Privatindividuen« (Marmora 1983/78). Die Tendenzen zur »Universalisierung und Homogenisierung des gesellschaftlichen Lebens« und »zur Zergliederung und Individualisierung desselben« koexistieren (Ebenda).

6 »Subjektive Fähigkeiten und Bedürfnisse sind nur privat verwertbar, insofern sie den Horizont privater Verwertungsberechnungen transzendieren und können gleichzeitig diesen Horizont nur dadurch transzendieren, daß sie beständig auf eben dieses Schnittmuster privaten Wertkalküls reduzierbar sind« (Prodoehl 1983/98).

7 Vgl. für einen instruktiven Überblick Braun 1999.

8 Nur eine der hier einschlägigen Argumentationen sei kurz vorgeführt: Bei über Arbeit(en) im kurzfristige Interessen hinausgehenden gemeinsamen vertrauensvollen Handlungsfähigkeit, in der sich weitesten Sinne verbundenen Subjekten weiß ich »meine Lebensziele als etwas, das von seinen (des Mitmenschen – Verf.) Fähigkeiten ermöglicht oder bereichert wird. … Sich in diesem Sinne symmetrisch wertzuschätzen heißt, sich reziprok im Lichte von Werten zu betrachten, die die Fähigkeiten und Eigenschaften des jeweils anderen als bedeutsam für die gemeinsame Praxis erscheinen lassen. Beziehungen solcher Art sind ›solidarisch‹ zu nennen, weil sie nicht nur passive Toleranz gegenüber, sondern affektive Anteilnahme an dem individuellen Besonderen der anderen Person wecken: Denn nur in dem Maße, in dem ich aktiv dafür Sorge trage, daß sich ihre mir fremden Eigenschaften zu entfalten vermögen, sind die uns gemeinsamen Ziele zu verwirklichen« (Honneth 1993/263 und 169). Solidarität in diesem Sinne wäre notwendig, um ein wesentliches Hindernis der Selbstgestaltung von Gesellschaft zu mindern: die psychische Selbstabsorption der Individuen. Für die Individuen meint ›Ungezwungenheit‹ nicht einfach »Abwesenheit von externem Zwang oder Einfluß, sondern muß zugleich auch das Fehlen von inneren Blockierungen und Hemmungen bedeuten; diese zweite Form der Freiheit aber ist nur als das durch die Wertschätzung anderer erworbene Vertrauen zu verstehen, das den eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften entgegengebracht wird. Insofern hängt die Freiheit der Selbstverwirklichung von der Voraussetzung von Gemeinschaften ab, in denen die Subjekte sich im Lichte gemeinsam geteilter Ziele wechselseitig wertschätzen« (Honneth 1993/264).

9 Eine die genannten Probleme der Vergesellschaftung bearbeitende und nicht auf zentralplanerische Fiktionen zurückfallende ‘Sozialisierung des Marktes’ begründet überzeugend Elson 1990. Vgl. dazu auch Creydt 2001.

10 Lukács faßt »die Verdinglichung als allgemeines struktives Grundproblem der bürgerlichen

Gesellschaft« auf und bindet sie an die Warenform (1970/192).

11 Erst mit dem freien Verkauf der Ware Arbeitskraft »verallgemeinert sich die Warenproduktion und wird sie typische Produktionsform; erst von da an wird jedes Produkt von vornherein für den Verkauf produziert und geht aller produzierte Reichtum durch die Zirkulation hindurch« (MEW 23/613).

12 Der Kapitalfetisch wird zur »gesamtgesellschaftlich komplizierteren und mächtigeren Form von Fetischismus« (ebd./116) erhoben. Hier wird weniger erklärt als dekretiert. Apodiktisch ist von der »Priorität der Kapitalmystifikationen gegenüber dem Waren- und Geldfetisch« die Rede (ebd./137). »Nichts als bloß abstrakte Sphäre des kapitalistischen Gesamtreproduktionsprozeß« seien die »Verhältnisse der Warenzirkulation«, »bloße Formen der Vermittlung« usw. (Ebd./108). »Die Subalternität der Subjekte und der Kapitalcharakter ihrer Verhältnisse sind ein und dasselbe« (Ebd./115).

13 Der Hinweis ist nicht nur sachlich naheliegend. Die Sympathie für Jugoslawien unter Linken war ebenso verbreitet wie naiv: Ein späterer Mitherausgeber der sich auf den ›Marktsozialismus‹ festlegenden Zeitschrift ›Sozialismus‹, Theodor Bergmann, schrieb in ›Kritik‹ H. 26/1980: »Wenige konnten sich vorstellen, daß man außerhalb des ›Lagers‹ Kommunist bleiben, daß eine Regierung von Kommunisten ohne und gegen die SU kommunistisch bleiben und das neue Gesellschaftssystem aufrechterhalten könne. Die Jugoslawen haben es bewiesen.«

14 ›Selbstverwaltung der Betriebe‹ stellt einen Versuch dar, die Situation im Betrieb zu bearbeiten, nicht aber den Bezug der verschiedenen Arbeiten der verschiedenen Betriebe zueinander. Vgl. auch die innerjugoslawische Debatte um den »Anarcholiberalismus selbstverwalteter Gruppen« (Stojanovic 1970/130, vgl. ebd. 117ff.).

15 »Seit 1961 ist der auf dem Markt erzielte Betriebserfolg das wichtigste Kriterium für die Höhe der persönlichen Einkommen. Zielgröße ist für die jugoslawischen ›Kollektivunternehmer‹ das höchstmögliche Einkommen je Arbeiter« (Leman 1976/161).

16 Vgl. Leipold 1974/30. Die »Monopolisierung der Arbeitsplätze« (Hof, Wagner 1974/117) steht in der Logik der im ›Marktsozialismus‹ auftretenden Arbeitskollektive, die eine Intensivierung der Arbeit eher vorziehen, als ihre Erträge mit zusätzlichen Arbeitskräften zu teilen.

17 »Es kann also nichts falscher und abgeschmackter sein, als auf der Grundlage des Tauschwerts, des Geldes, die Kontrolle der vereinigten Individuen über ihre Gesamtproduktion vorauszusetzen.« (GR 76) gerade weil der Tauschwert und das Geld Gesellschaftsgestaltung ›ersetzen‹ und ihre grundlegende Abwesenheit aufrechterhalten und befördern (vgl. auch GR 137 und 160). »Es ist ein frommer wie dummer Wunsch, daß der Tauschwert sich nicht zum Kapital entwickle, oder die den Tauschwert produzierende Arbeit zur Lohnarbeit« (GR 160).

18 Hingewiesen wird immer wieder auf Marx' der Analyse nichts hinzufügende politische Bewertung, die Aktiengesellschaften seien zu bewerten als »ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum der Produzenten, aber nicht mehr als das Privateigentum vereinzelter Produzenten, sondern als das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares Gesellschaftseigentum.« Das Aktienkapital sei »Durchgangspunkt zur Verwandlung aller mit dem Kapitaleigentum bisher noch verknüpfter Funktionen im Reproduktionsprozeß in bloße Funktionen der assoziierten Produzenten, in gesellschaftliche Funktionen« (MEW 25/453).

19 Zum Unterschied zwischen Schranke und Grenze: Bestimmte Eigenschaften sind einer Sache notwendig, andere nicht. Für Eigenschaften, die den notwendigen Eigenschaften der bestimmten Sache widersprechen, brauche ich eine a n d e r e Sache, die thematisierte Sache hat hier ihre Grenze. Schranke heißt: Eigenschaften werden der Sache verwehrt. Daß sie sie empirisch nicht aufweist, findet sich nicht wesentlich in ihr begründet, aus ihrer Grenze. Vielmehr wird sie durch äußerliche Einschränkung o.ä. von diesen Eigenschaften abgehalten, beschränkt. Die beschränkte Sache lässt sich erweitern, die begrenzte nicht.

20 Der Kredit »vermittelt, daß das akkumulierte Kapital nicht gerade in der Sphäre angewandt wird, wo es erzeugt ist, sondern da, wo es am meisten Chance hat, verwertet zu werden« (MEW 26.3/483, s.a. 508). Kredite verkürzen die Umschlagszeiten des Kapitals, indem sie Kapitalbedarf und Geldbesitz vermitteln, so daß das Einzelkapital nicht aus eigenen Mitteln einen Akkumulationsfonds bilden muß und brachliegendes Geld eine Verwendung findet und nicht zum Schatz erstarrt.

21 Diese Zerlegung eines Phänomens in eine schlechte (also abzustoßende) und eine gute (also auszudehnende) Seite hatte Marx bspw. an Proudhon überzeugend kritisiert (MEW 4/131f., 140).

22 Bischoff bemüht »Unternehmenssubventionen, Steuererleichterungen und Exportförderungen« und »Regelungen des Arbeits- und Sozialrechts sowie die Auswirkungen der diversen sozialstaatlichen Transfers«, um zu behaupten: »Schon jetzt wird die Gewinnsteuerung gesellschaftlich in eine entsprechende Richtung gesteuert und gelenkt. Es ist daher möglich, die Effizienz, Kreativität und Innovationskraft des wirtschaftlichen Wettbewerbs über eine gesellschaftliche Steuerung auch für andere Zielsetzungen als für die Verfestigung einer überlieferten Macht- und Einkommensstruktur einzusetzen« (Bischoff 1990/19).

23 Schon die »gesellschaftliche Regulierung der Arbeitszeit« wird als wesentlicher Beleg dafür genommen, daß »die Kritik der politischen Ökonomie durch praktische Eingriffe in die reale geschichtliche Entwicklung längst aus dem Status einer rein theoretischen Erkenntnis herausgehoben« worden sei (Sozialistische Studiengruppen 1993/64), als seien die Veränderungen in der Lage der Arbeiter seit 150 Jahren alleiniges Resultat des Kampfes gegen kapitalistische Notwendigkeiten und vertrügen sich nicht mit ihnen dort, wo diese Veränderungen positive Resultate abwerfen.

24 Ebenso utopistisch wird von Marx den Bemühungen, sich über die Aktionen anderer Kapitalisten zu informieren, ein wenigstens der Möglichkeit nach systemtranszendierendes Moment unterstellt (vgl. GR 78f.).

25 Die utopistische Uminterpretation auch der russischen Dorfgemeinde zur Gestalt einer möglichen postkapitalistischen Vergesellschaftung (MEW 19/405) zeigt den Einbruch des Hoffens ins Denken. Dies tritt umso deutlicher hervor, als dieselbe Argumentationsfigur an vollkommen verschiedenem Material (Aktiengesellschaft, Dorfgemeinde) Anwendung findet.

26 Vgl. Brus, Laski 1990/85f., 99, 101, vgl. Kornai 1986/1699f., vgl. Tardos 1986/93.

27 Gerade das jugoslawische Beispiel zeigt die Schwierigkeiten der Aushandlungsprozesse in den Bankgremien aufgrund der großen Macht von Unternehmen und Kommunen gegenüber der Bank. Vgl. Brus, Laski 1990/118.

28 In Jugoslawien kam es schon deshalb nicht zu einem ›richtigen‹ Kapitalismus, da die einheitliche Orientierung auf den Profit nicht stattfand, vielmehr die Betriebsangehörigen sich weniger an einer Reinvestition der Überschüsse als an ihrer persönlichen Konsumtion orientierten (Brus, Laski 1990/121). »Die Basis für den Kapitalmarkt wird geschwächt, weil das Selbstverwaltungssystem die Gewißheit untergräbt, daß die zukünftigen Gewinne denen, die in der Gegenwart die Investitionsentscheidung treffen, zugutekommen und anstatt dessen die Möglichkeit offen läßt, daß irgend jemand anderer die Früchte des akkumulierten Vermögens erntet« (ebd./122).

29 »Aufgrund der extremen Dezentralisierung, wie sie in der jugoslawischen Verfassung festgelegt war, kam es immer wieder zu Situationen, die für einen souveränen Staat äußerst befremdlich anmuten. Ungewöhnlich ist z.B. die Tatsache, daß die Verbindungsstraße zwischen den beiden zentralen Städten Belgrad und Zagreb nie fertiggestellt wurde, während die Straßen zwischen den zwei wichtigsten serbischen, zwei kroatischen und zwei slowenischen Städten gebaut werden konnten« (Vejvoda 1993/23f.).

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde uns vom Autor für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt. Erstveröffentlicht in: Z - Zeitschrift Marxistische Erneuerung, H. 46 2001. Der Autor schrieb uns dazu: "Der Artikel von Girschner über Bude und den VSA-Verlag in der Dezemberausgabe hat mich angeregt, den beiliegenden Text 'Zur Kritik des Marktsozialismus' anzubieten. Er widmet sich den Marktsozialismuskonzepten im Umkreis der Zeitschrift 'Sozialismus'. Meines Wissens sind die dort bis 2001 entwickelten Konzepte nicht verändert oder durch neue Konzepte ersetzt worden."

Weitere Texte von Meinhard Creydt gibt es auf seiner Homepage: