Betrieb & Gewerkschaft

Betriebsratswahlen 2010 - Zoff bei Daimler

von Rainer Perschewski

01/10

trend
onlinezeitung

Bei dem Autokonzern Daimler in Berlin Marienfelde schlagen derzeitig die Wellen hoch.
Seit einigen Jahren formiert sich innerbetrieblich eine kämpferische gewerkschaftliche
Opposition um den Betriebsrat und IG Metaller, Mustafa Efe, die sich um die Auseinandersetzung
mit dem Entgeltrahmenabkommen (ERA) – im betrieblichen Sprachgebrauch auch
„Erpresswerk“ oder „Entgeltreduzierungsabkommen“ genannt – deutlich gehör verschafft hatte.
Bei Daimler in Berlin gab es massiven, wenn gleichwohl erfolglosen, Widerstand,
um dieses von der IG Metall vereinbarte Tarifwerk, mit dem über eine neue
Eingruppierungsstruktur mittelfristig Entgeltabsenkungen vorgenommen wurden.

Zwar sicherte das Tarifwerk der damaligen Belegschaft über ein Zuschlagssystem ihren Bestand zu.
Probleme für die Zukunft sind dabei aber vorprogrammiert, da derlei Vereinbarungen
jeden Neueinsteiger benachteiligen, damit der Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“
durchbrochen wird und über teilweiser Anrechnung von künftigen Lohnerhöhungen auf Lohn verzichtet wird.
Doch nicht nur das. ERA gab nur den Anstoß zum Widerspruch in der Belegschaft. Der Betriebsrat
gab aufgrund seines sozialpartnerschaftlichen Agierens schon länger Anlass zur Kritik,
wenn auch immer nur vereinzelt und nicht koordiniert. Dies änderte sich mit der Einführung von ERA,
da ein Teil der Belegschaft nicht bereit war die Zustände einfach zu akzeptieren. Mit der Herausgabe
der Zeitschrift „Alternative“ verschaffte sich die gewerkschaftlich orientierte Opposition gehör
im Betrieb und prangert seit nunmehr über drei Jahren Monat für Monat die Zustände öffentlich an.

Die Auseinandersetzung mit der Betriebsratsmehrheit verschärfte sich mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise,
welche besonders die Autoindustrie und damit auch Daimler in Marienfelde traf. Gipfel ist eine
betriebliche Vereinbarung für die „Wettbewerbsfähigkeit des Werkes Berlin“ mit der der Betriebsrat
für den Aufbau einer neuen Produktion eintrat. Mit der Aussage Beschäftigung zu sichern wurde
eine Vereinbarung geschaffen, „um eine positive Vorstandsentscheidung für die neuen
zukunftsweisenden Produkte zu erhalten“. Deutlicher kann eine Anbiederung an das Kapital nicht formuliert werden.
Faktisch ist dies die vom Kabinett und Kapital via Medien transportierte und forcierte und von fortschrittlichen
Kräften genauso kritisierte so genannte Standortsicherungspolitik, mit der von den Werktätigen seit
Jahrzehnten Zugeständnisse erpresst werden. Für die Werktätigen bei Daimler bedeutet es bspw. konkret,
für den Fall das diese Produktion im Werk Berlin startet, dass sie zusätzliche Schichten leisten,
bisher bezahlte Pausen in nichtbezahlte umgewandelt werden, der Samstag als Regelarbeitszeit eingeführt wird.
Letzteres ist ein weiterer Tabubruch gegen erkämpfte Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung.
Der Betriebsrat feiert diese Vereinbarung als Erfolg, da über die Verhandlungen der
„Standort und die Kolleginnen und Kollegen“ abgesichert und eine Ausgliederung verhindert werden konnte.

Die Empörung der Betriebsrats- bzw. Vertrauensleuteminderheit ist daher groß. Sie kritisieren vor allem,
dass kampflos Zugeständnisse für leere Versprechungen gemacht wurden. Obwohl inzwischen Studien nachweisen,
dass die Lohnstückkosten in Deutschland geringer sind als das Kapital behauptet und dass mit Lohnverzicht
keine Arbeitsplätze geschaffen werden: „Verzicht ohne Ende: Der Verzicht war für die Profite der Aktionäre
nie hoch genug. Jedes Zugeständnis macht sie nur noch hungriger.“, heißt es daher folgerichtig in der Zeitschrift „Alternative“.

In Vorbereitung der Betriebsratswahlen hat diese Gruppe angekündigt mit einer eigenen Liste anzutreten.
Damit hat sie den Zorn der Betriebsratsmehrheit endgültig auf sich gezogen. Mit dem Vorwurf der Spaltung
der Belegschaft wird ihnen die Wahrnehmung betriebsverfassungrechtlich garantierter Rechte abgesprochen.
Die Vertrauensleute- bzw. die Betriebsratsmehrheit tritt für eine Fortführung der Persönlichkeitswahl ein.
Mit dem Auftreten einer zweiten Liste ist jedoch „nur“ Listenwahl möglich. Damit hätten die Werktätigen
Daimlers statt 23 nur 2 Stimmen bei der Wahl (siehe Infokasten). Dem Anschein nach also undemokratischer.
Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Probleme im Betrieb sind aber die Meinungsverschiedenheiten soweit vorgeschritten, dass eine Listenwahl nur folgerichtig ist, da die derzeitigen Verhältnisse sonst nur zementiert werden.
Beispiele in anderen Großbetrieben – so bspw. vor längeren Jahren im BMW Werk Berlin, aber auch in
anderen Daimlerbetrieben – machen dies deutlich. Die jeweiligen Mehrheiten sind aufgrund von Freistellungen etc.
eindeutig im Vorteil und werden – so zeigen die Erfahrungen der Vergangenheit – dies auch entsprechend einsetzen.
Minderheiten sind häufig gerade in Großbetrieben auch in einem Werk immer begrenzt und haben es daher schwer
ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Ungünstige Ausgangsbedingungen also und so kann nur mit der Listenwahl wieder
ein gemeinsamer Diskussionsrahmen gefunden werden. Der Spaltungsvorwurf geht daher ins Lehre, da ein Spaltung mit
der bisherigen Politik der Betriebsratsmehrheit vollzogen wurde. Die Werksleitung von Daimler hat ebenfalls erkannt,
dass eine Richtungsentscheidung im Betrieb ansteht. Zur Beruhigung sagte sie – trotz der „angespannten“
Lage des Unternehmens eine bisher ausgesetzte Sonderzahlung zu. Mit einer kämpferischen Opposition
im Betrieb lassen sich Unternehmensentscheidungen nicht mehr so leicht durchsetzen. Für die Unternehmensleitung also eine Investition in die Zukunft. Für die Werktätigen eine Beruhigungspille. Ob sie Wirkung erzielt, werden die BR-Wahlen im nächsten Jahr zeigen.

Entgeltrahmenabkommen (ERA) in der Metallindustrie

Das Entgeltrahmenabkommen „ERA“ steht für ein in den Grundzügen vereinbartes neues Entgeltsystem in der Metall- und Elektroindustrie, welches von den Tarifparteien in Berlin Brandenburg 2005 vereinbart wurde. Der Entgeltrahmen hob die bis dato Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten in dieser Branche auf und vereinbarte 13 gemeinsame Entgeltgruppen. Die Umstellung auf das neue Entgeltsystem lief unter Beteiligung der Betriebsräte zwischen 2006 und Mitte 2009 und lief unter Beteiligung der Betriebsräte. Seiten der Unternehmen werden derartige Prozesse genutzt um das Entgeltniveau zu senken, so auch in der Metallindustrie. Soweit die betroffenen Betriebsräte gut aufgestellt sind, ist die die Einführung eines neuen Entgeltsystems für eine Belegschaft mit keinen oder nur mit wenigen relativ geringen Verlusten verbunden. Über ein Ausgleichssystem werden die zum Zeitpunkt der Einstellung beschäftigten Mitarbeiter abgesichert. Am meisten Probleme bekommen neu eingestellte Mitarbeiter, deren Entgelte sind dann deutlich geringer,
so dass sich das neue System mittel- bis langfristig für das Unternehmen bezahlt macht.

Betriebsrat, Betriebsratswahlen

Als betriebliche Interessensvertretung der Werktätigen wird der Betriebsrat nach den Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes i.d.R. alle vier Jahre neu gewählt. Das Jahr 2010 ist hier das Superwahljahr, da in vielen Branchen gewählt wird. Die Anzahl der Mitglieder des Betriebsrates richtet sich nach der Anzahl der im Betrieb beschäftigten Werktätigen. Die Wahl erfolgt in geheimer und unmittelbarer Wahl, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl bzw. soweit nur ein Wahlvorschlag eingereicht wird nach der Mehrheitswahl. Werden mehrere Wahlvorschläge eingereicht, handelt es sich um eine Verhältniswahl bei der dann über die eingereichten Listen abgestimmt wird. In diesem Fall hat der Werktätige eine Stimme für die Wahl einer Liste. Der Betriebsrat setzt sich dann in der für die Listen im Verhältnis abgegebenen Stimmen zusammen. Die über die Listen gewählten Mitglieder
des Betriebsrates bilden dann quasi die jeweiligen Fraktionen ihrer Listen im Betriebsrat. Grundsätzlich besteht in vielen Betrieben das Bestreben mit nur einem Wahlvorschlag damit über eine Persönlichkeitswahl den Betriebsrat zu wählen. Dann hätte der Werktätige eine Stimmenzahl entsprechend der Größe des Betriebsrates.

Editorische Anmerkungen

Wir spiegelten den Artikel von der Homepage der Daimler-KollegInnen: http://www.alternative-berlin.de/