In einer Studie der Freien
Universität Berlin sollen Erfahrungen von Teilnehmern der
diesjährigen 1. Mai-Demonstrationen gesammelt werden. Die Rote
Hilfe ruft zum Boykott auf.
»Wenn Du über Deine Erlebnisse am
1. Mai 2009 berichten willst, kannst Du zu uns Kontakt
aufnehmen.« Solche Aufforderungen eines »Forschungsteam 1. Mai
2009« waren in den letzten Wochen nicht nur an Berliner
Hochschulen zu finden. Auch Organisationen wie die Linksjugend
[solid] oder die Gefangenenhilfsorganisation Rote Hilfe wurden
angeschrieben. Absender ist der Lehrstuhl für Kriminologie und
Strafrecht an der Freien Universität Berlin (FU), der auf
diese Weise politisch interessierte Menschen sucht, die über
ihre Erfahrungen rund um den 1. Mai 2009 in Berlin berichten.
Die Ergebnisse sollen in eine vom Berliner Innensenat
in Auftrag gegebene Studie einfließen, deren Fertigstellung
für Frühjahr 2010 angekündigt ist. »Sie soll die Qualität und
Quantität der gewaltsamen Auseinandersetzungen zum 1. Mai 2009
analysieren. Die Untersuchung bezieht sich dabei auf Akteure,
Motivationen, Aktionen und Interaktionen«, erklärt der
Kriminologe Klaus Hoffmann-Holland, unter dessen Leitung die
Studie erstellt wird, gegenüber ND.
Neben den Interviews sollen auch Akten von laufenden
Ermittlungsverfahren ausgewertet werden, die im Zusammenhang
mit dem 1. Mai eingeleitet wurden. Da aber die
Ermittlungsakten »nur die selektive Wahrnehmung der
Strafverfolgungsbehörden widerspiegeln«, komme den Interviews
eine zentrale Rolle zu, betont der Kriminologe. Die Studie sei
mit dem Berliner Datenschutzbeauftragen abgestimmt und werde
nach wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt, betont der
Wissenschaftler der FU. Es handele sich keinesfalls um eine
politische Auftragsarbeit.
Dennoch ist die Studie mittlerweile in die Kritik
geraten. Die Rote Hilfe (RH) hat in einer Presseerklärung gar
zum Boykott der Studie aufgerufen. »Wir geben keine Interviews
und lehnen eine Zusammenarbeit mit dem Projekt ab«, betont
Anton Neher von der Berliner RH-Ortsgruppe. Denn mit der
Arbeit werde seiner Meinung nach »Zuarbeit für den Berliner
Verfassungsschutz« geleistet. Gerade weil mit der
universitären Arbeit ein größerer Personenkreis erreicht
werden und ausdrücklich Personen in die Befragung einbezogen
werden sollen, gegen die keine juristischen Ermittlungen
vorliegen, wären die Ergebnisse einer solchen Arbeit
wesentlich aussagekräftiger, als wenn sich der
Verfassungsschutz selber an die Arbeit mache. Deswegen sei das
Projekt der FU-Kriminologen auch schon mit Vorschusslorbeeren
bedacht worden. Gelobt wurde sie in der Studie »Im Fokus:
Linke Gewalt in Berlin«, die Ende November vom
Verfassungsschutz selbst herausgegeben wurde.
Über die bisherige Zahl der Interviewparnter wollte
Hoffmann-Holland ebensowenig Angaben machen, wie über mögliche
Folgen des Boykottaufrufs der Roten Hilfe. Dazu könnten erst
nach Ende der Auswertung Stellung genommen werden. Auf der
Homepage des Forschungsprojekts wird allerdings eingeräumt,
dass es zu Verunsicherungen gekommen sei. Das ist für die
Wissenschaftler ein wunder Punkt. Finden sich zu wenig
Interviewpartner, würden die Ziele der Studie wegen zu
niedriger Datenbasis nicht erreicht.
Editorische
Anmerkungen
Der Artikel
wurde uns vom Autor für diese Ausgabe nach der
Erstveröffentlichung im ND zur Verfügung gestellt.
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