Metaphysik
[griech]
- 1.
idealistische Lehre vom Wesen des Seienden, das über die
uns in den Sinnen gegebene Erfahrungswelt hinausgehen soll,
2. die der dialektischen entgegengesetzte Denkweise.
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Ursprünglich war
«Metaphysik» nur die Bezeichnung für diejenigen Schriften
des Aristoteles, die
Andronikos von Rhodos nach den
naturwissenschaftlichen angeordnet hatte. Sie hatten die
«erste Philosophie» zum Inhalt, die «Wissenschaft, deren
Betrachtung gerichtet ist auf das Seiende» und «die höher
reicht als die Naturwissenschaft», denn sie hat es nicht mit
einem bestimmten Seienden zu tun, sondern mit dem Seienden
schlechthin, und auch nur, sofern es ist. «Jene erste
Wissenschaft aber handelt von Dingen, die abgesondert und
unbeweglich sind.» Die erste Philosophie untersucht nicht
die Natur, sondern das ihr angeblich zugrunde liegende
Wesen, sie ist daher «die Wissenschaft vom Göttlichen». |
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In der Folgezeit wurde die
Bezeichnung «Metaphysik» zum Begriff für «erste Philosophie».
Unter Metaphysik wurde die philosophische Lehre vom
Übersinnlichen, von dem, was jenseits der materiellen Welt
existieren soll, vom wahren Sein, das allem Seienden zugrunde
liege, verstanden. In diesem Sinne wird Metaphysik auch heute
noch von verschiedenen idealistischen Strömungen, insbesondere
vom Neuthomismus, als philosophische Grundwissenschaft
betrieben. Sie ist rein spekulativ und errichtet in
dogmatischer Weise ihr Begriffsgebäude, das keine echte
Beziehung zur objektiven Realität besitzt. kant stellte sich
in der Kritik der reinen Vernunft die Aufgabe, diese
spekulative dogmatische Metaphysik zu zerstören, indem er die
Möglichkeiten der menschlichen Erkenntnis untersuchte und
nachwies, daß diese die Grenzen der Erfahrung nicht
überschreiten könne. Er hielt jedoch eine kritisch geläuterte
Metaphysik im Sinne von philosophischer Theorie für notwendig
und betrachtete die Kritik der reinen Vernunft als
«notwendige vorläufige Veranstaltung zur Beförderung einer
gründlichen Metaphysik» (B XXXVI).
Eine völlige Umgestaltung erfuhr
die spekulative Metaphysik durch Hegel,
der an ihre Stelle die objektive Logik setzte, in welcher der
Geist sich in Form von Begriffen dialektisch entwickelt.
Zugleich bahnte sich bei Hegel ein Bedeutungswandel des
Begriffs «metaphysisch» an, indem er darunter das Verfahren
des Verstandes faßte, mit einseitigen und abstrakten
Bestimmungen zu operieren, im Gegensatz zur dialektischen
Vernunft, welche die Einseitigkeiten überwindet und zu
konkreten Begriffen gelangt. Im dialektischen Materialismus
erhält der Begriff «Metaphysik» vor allem die Bedeutung von
metaphysischer Denkweise, die im Gegensatz zur Dialektik
steht. Charakteristische Züge der metaphysischen Denkweise
sind das Ignorieren oder die mangelnde Beachtung des
universellen Zusammenhangs der Gegenstände und
Erscheinungen.
«Für den Metaphysiker sind die
Dinge und ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, vereinzelte,
eins nach dem anderen und ohne das andre zu betrachtende,
feste, starre, ein für allemal gegebne Gegenstände der
Untersuchung. Er denkt in lauter unvermittelten Gegensätzen:
seine Rede ist ja, ja, nein, nein, was darüber ist, ist vom
Übel. Für ihn existiert ein Ding entweder, oder es existiert
nicht: ein Ding kann ebensowenig zugleich es selbst und ein
andres sein. Positiv und negativ schließen einander absolut
aus; Ursache und Wirkung stehn ebenso in starrem Gegensatz
zueinander. Diese Denkweise erscheint uns auf den ersten Blick
deswegen äußerst plausibel, weil sie diejenige des sog.
gesunden Menschenverstandes ist. Allein der gesunde
Menschenverstand, ein so respektabler Geselle er auch in dem
hausbackenen Gebiet seiner vier Wände ist, erlebt ganz
wunderbare Abenteuer, sobald er sich in die weite Welt der
Forschung wagt; und die metaphysische Anschauungsweise, auf so
weiten, je nach der Natur des Gegenstandes ausgedehnten
Gebieten sie auch berechtigt und sogar notwendig ist, stößt
doch jedesmal früher oder später auf eine Schran-ke, jenseits
welcher sie einseitig, borniert, abstrakt wird und sich in
unlösliche Widersprüche verirrt, weil sie über den einzelnen
Dingen deren Zusammenhang, über ihrem Sein ihr Werden und
Vergehn, über ihrer Ruhe ihre Bewegung vergißt, weil sie vor
lauter Bäumen den Wald nicht sieht.» (Marx/Engels
20, 20f).
Die metaphysische Denkweise
unterliegt mit der Entwicklung der Wissenschaften auch einer
gewissen Veränderung. Überall dort, wo sie in offenen
Gegensatz zu allgemein anerkannten Ergebnissen der
Wissenschaft gerät, paßt sie sich den neuen Gegebenheiten an,
ohne indes ihren undialektischen Charakter aufzugeben. Heute
ist es beispielsweise schlechterdings unmöglich, jede
Entwicklung zu bestreiten. Daher äußert sich die metaphysische
Denkweise in einer evolutionistischen
Verflachung des Entwicklungsprinzips oder auch in der
Behauptung, die Entwicklung könne nicht zu neuen Qualitäten
führen, wenn nicht zugleich eine geistige Kraft wirksam werde.
Die metaphysische Denkweise ist wesentlich ein Ergebnis der
sammelnden und analysierenden Periode der modernen
Naturwissenschaft. Die beginnende einzelwissenschaftliche
Forschung mußte zunächst zur systematischen Sammlung der
einzelnen Tatsachen und zu ihrer Analyse schreiten, ohne die
inneren Zusammenhänge zu kennen.
«Die Zerlegung der
Natur in ihre einzelnen Teile, die Sonderung1 der
verschiedenen Naturvorgänge und Naturgegenstände in bestimmte
Klassen, die Untersuchung des Innern der organischen Körper
nach ihren mannigfachen anatomischen Gestaltungen war die
Grundbedingung der Riesenfortschritte, die die letzten 400
Jahre uns in der Erkenntnis der Natur gebracht. Aber sie hat
uns ebenfalls die Gewohnheit hinterlassen, die Naturdinge und
Naturvorgänge in ihrer Vereinzelung, außerhalb des großen
Gesamtzusammenhangs aufzufassen; daher nicht in ihrer
Bewegung, sondern in ihrem Stillstand, nicht als wesentlich
veränderliche, sondern als feste Bestände, nicht in ihrem
Leben, sondern in ihrem Tod. Und indem, wie dies durch Bacon
und Locke geschah, diese Anschauungsweise aus der
Naturwissenschaft sich in die Philosophie übertrug, schuf sie
die spezifische Borniertheit der letzten Jahrhunderte, die
metaphysische Denkweise» (Marx/Engels
20, 20).
Die Entwicklung der
Wissenschaften schuf aber auch die Voraussetzungen dafür, diese
undialektische Denkweise wieder zu überwinden, nachdem sie
ihre historisch begrenzte Aufgabe erfüllt hatte. Die
naturwissenschaftliche Forschung wies immer umfassender nach,
daß in der materiellen Welt ein universeller Zusammenhang
existiert und eine Entwicklung vom Niederen zum Höheren
stattfindet. Die Entwicklung des Kapitalismus und der
Arbeiterbewegung schuf die sozialen Voraussetzungen für die
Ausarbeitung der materialistischen Dialektik, der
wissenschaftlichen Denkweise, welche die metaphysische
theoretisch endgültig überwand.
Die Tatsache, daß die
metaphysische Denkweise trotzdem auch in der Gegenwart noch
wirksam ist, hat erkenntnistheoretische und vor allem soziale
Ursachen. Eine wichtige erkenntnistheoretische Quelle
des metaphysischen Denkens
besteht in der Eigenart der menschlichen Erkenntnis, daß sie
den Gegenstand nicht sogleich als Ganzes, vollständig, in allen
seinen Zusammenhängen abbilden kann, sondern sich diesem Ziel
nur schrittweise, durch immer tiefer gehende Analyse und
Synthese, durch die Bildung von Abstraktionen, Begriffen und
Gesetzen, nähern kann. Hierbei werden als Durchgangsetappe
notwendige Zusammenhänge zerstückelt, Kontinuierliches
unterbrochen und das lebendige Ganze in einem gewissen Sinne
«getötet». Das kann dazu führen, daß einzelne Momente des
Erkenntnisprozesses verabsolutiert werden und der dialektische
Charakter des Gegenstandes nicht erfaßt wird.
Die soziale Ursache
für den Fortbestand der
metaphysischen Denkweise sind die Klasseninteressen der
reaktionären Kreise der Bourgeoisie, die sich mit allen Mitteln
dem gesellschaftlichen Fortschritt entgegenstemmen. Schon marx
(23, 27f) bemerkte, daß die dialektische Denkweise dem Bürgertum
und seinen doktrinären Wortführern ein «Ärgernis und ein Greuel»
sei, weil sie die Vergänglichkeit alles Bestehenden nachweise.
In der metaphysischen Denkweise sieht sie eine Methode, die
bestehenden sozialen Verhältnisse zu verteidigen. Daher
durchdringt die metaphysische Denkweise weitgehend noch alle
Strömungen der bürgerlichen Ideologie der Gegenwart.
Editorische
Anmerkungen
Der Text wurde entnommen aus:
Buhr,
Manfred, Klaus, Georg
Philosophisches Wörterbuch Band 2, Berlin 1970, S.715f
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