Eine Veranstaltungskritik
DDR- die radikale Linke & der realsozialistische Versuch

von Erica Mühsam & Rita Rocker

01/10

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Ein seltsames Bündnis aus ehemaligen Angehörigen der DDR-Staatsorgane (in Person des NVA-Offiziers a.D. Ingo Höhmann), mit Vertretern der damaligen linken DDR-Opposition (Herbert Mißlitz (ehemals Vereinigte Linke), einer vor dem Verfolgungsdruck der bundesdeutschen Repressionsorgane und dem mörderischen BRD-Knast ins DDR-Exil geflüchteten ehemaligen Kämpferin der Metropolenguerilla (Inge Viett ehemals Bewegung 2. Juni & RAF) sowie der ALB & ARAB als Veranstalterinnen, wollte der Frage nachgehen, „was die DDR eigentlich war“

"Die schärfste Waffe der Arbeiterklasse, der dialektische Materialismus„ (so einer der Podiumssprecher), kam am Sonntag dem 17.01.10 ebenso wenig zum Einsatz wie die vom Moderator fürs Ende angekündigte „Schlägertruppe“ der Veranstalterin ALB & ARAB, um die radikale Linke mit den (orthodox-) kommunistischen Überresten der SED, die für eine „Kommunistische Iniative“ (www.kommunistische-iniative.de) warb, einer Vereinigung zu zu führen.

Ein seltsames Bündnis aus ehemaligen Angehörigen der DDR-Staatsorgane (in Person des NVA-Offiziers a.D. Ingo Höhmann), mit Vertretern der damaligen linken DDR-Opposition (Herbert Mißlitz (ehemals Vereinigte Linke), einer vor dem Verfolgungsdruck der bundesdeutschen Repressionsorgane und dem mörderischen BRD-Knast ins DDR-Exil geflüchteten ehemaligen Kämpferin der Metropolenguerilla (Inge Viett ehemals Bewegung 2. Juni & RAF) sowie der ALB & ARAB als Veranstalterinnen, wollte der Frage nachgehen, „was die DDR eigentlich war“(Zitat aus dem Aufruf). Wobei der Hohe Priester des DiaMat seinen Getreuen auferlegte, das „Bekenntnis“ abzulegen (so der ehemalige Berufssoldat wörtlich), dass es sich bei der DDR um einen „sozialistischen Staat“ gehandelt habe, dessen Charakter für die radikale Linke zukunftsweisend sei.

Denn wenn quasi alle bürgerlichen Medien dieses Modell des „ostdeutschen Staatssozialismus“, der sich vor 20 Jahren„widerstandslos an das deutsche Kapital ausgeliefert“ habe (so der Aufruf), noch heute mit „beeindruckendem Haß & Eifer... jagen“, gibt es wohl „sozialistische Potentiale“ zu entdecken und deren „emanzipatorischen Gehalt“ weiter zu entwickeln: Eine quasi soldatische Denkweise nach dem Motto: viel Feind, viel Ehr.

Während die ehemalige Stadtguerillera immerhin versuchte, in ihrer später folgenden „Analyse“, die Widersprüche der DDR aus ihrem historischen Zusammenhang zu entwickeln, verbat sich der kurzfristig einen FDGB-Funktionär ersetzenden NVA-Offizier jegliche Kritik an seinem Glaubensbekenntnis. Schlecht erzogene Westlinke, die glaubten ihren antiautoritären Geist durch Zwischenrufe kund tun zu müssen, zeigten offenbar nicht die von ihm erwartete soldatische Disziplin seiner gewohnten Zuhörerschaft und wurden wegen ihrer Kinderstube gerügt. Ebenso im Stil einer Kindergarten-Erzieherin meinte Frau Viett einige ältere linke DDR-Oppositionelle zurecht weisen zu müssen, als sie es wagten, während der langatmigen Aneinanderreihung von DDR-Geschichtsdaten des NVA-Sprechers, zu lachen. Das sei unwürdig und zu unterlassen! Eine der Gerügten bekam später die Gelegenheit in der Diskussion, klar zu stellen, dass ihr eher zum Heulen zu Mute gewesen sei, angesichts einiger der Ausführungen des Podiums – vor allem einer Legitimierung des staatlichen Repressionsapparates, der auch gegen die Vereinigte Linke zum Einsatz kam, als historisch unbedingt nötig. Sie umschrieb (sinngemäß) die absurde Situation, die DDR-Geschichte von jemand erklärt zu bekommen, den sie vormals als Feind zu spüren bekommen hatte.

Auch hob sie hervor, dass Verstaatlichung nicht gleichbedeutend sei mit einer sozialistischen Vergesellschaftung, die eine größere Mitwirkung aller Arbeitenden und Betroffenen ermögliche und erforderlich mache.

Der auf dem Podium sitzende Teil der Vereinigten Linken beeilte sich, sich vom „Feind-Teil“ ihrer Haltung zu distanzieren und die (heutigen) Gemeinsamkeiten mit dem ehemaligen Staatsrepräsentanten zu betonen. Die Gemeinsamkeiten der DDR und BRDigungsgesellschaft wurde uns vom ehemaligen Staatsträger stolz vorgeführt mit dem Verweis, dass immerhin bis 1960 der gleiche schwarz-rot-goldene Lappen als Staatsflagge verehrt wurde. Da wurde es selbst der „neueren“ DDR-Flage (nur echt mit Hammer – bereits seit 1950!) zu viel und sie rutschte von der Wand. Allerdings hatten sich nicht etwa „konterrevolutionäre Kräfte“ („wie Gorbatschov, der Verräter! – wie ein Alt-Genosse irgendwann dazwischen polterte) an ihr zu schaffen gemacht. Nein, der Klebestreifen wollte sie nicht länger halten. „Konterrevolutionäre Kräfte“ waren in der den Zuhörer_innen zugemuteten Interpretation der DDR-Geschichte verantwortlich für den Aufstand am 17/6 ebenso wie nach 68 in der Tschecheslowakei und in Polen. Die Forderungen der revoltierenden Arbeiter_innen am 17/6 seien „überzogen“ (sinngemäss – ich habe leider meine Aufzeichnungen verschlampt) gewesen und die Akteure vom RIAS aufgehetzt...Ein Sozialismus mit menschlichem Angesicht, das sei nicht machbar. Die historische Situation der revolutionären Kräfte würde dies nicht erlauben....Die zweifellos sozialen Errungenschaften der DDR - die allerdings auch in skandinavischen Ländern zu finden seien – wie ein Maoist einwarf – wurden ebenso aufgezählt wie die Funktion der Mauer zum Erhalt des Weltfriedens u.a. mehr oder weniger bekannte Weisheiten liesen einigen im Saal etwas unruhig werden!

Ansätze einer subjektiven Darstellung der DDR-Geschichte von unten waren in den Ausführungen des Vereinigte Linke-Vertreters heraus zu hören, der nicht so viel Gewicht auf die „objektiven Schwierigkeiten“ beim Aufbau des „Sozialismus legte, sondern seine Erfahrungen aus der rebellischen DDR-Jugendbewegung (vom Blues zur Offenen Arbeit/ KvU) erwähnte, um sich von einem aus der DDR stammenden Zuhörer in der Diskussion vorhalten zu lassen, dass diese Jugendbewegung systematisch vom CIA mit organisiert worden sei. (Das erklärt dann ja wohl auch die Gefährlichkeit der langen Haare oder der Iros für den „Sozialismus“!?!).

Die von ihm selbst eingebrachte spannende Frage, warum der in der VL diskutierte Rätegedanke in der „Wendezeit“ von den Massen in den Betrieben und Stadtteilen nicht aufgenommen wurde, konnte dieser Teil der VL leider nicht beantworten. z.B. Erfahrungen der Berliner und Münchner Räterepublik der 20iger Jahre ignorierend, behauptete er vielmehr, dass es bisher in Deutschland noch nie Räte gegeben habe und die mangelnde Erfahrung und der kurze Zeitraum einer Interventionsmöglichkeit, eine Erweiterung basisdemokratischer Elemente verunmöglicht habe. (Während der Novemberrevolution von 1918/19 waren Revolutionären Obleute prägend beteiligt an einer Rätebewegung, und entsprechend in vielen überall in Deutschland gebildeten Arbeiter- und Soldatenräten an entscheidender Stelle vertreten. Sie spielten als Vertreter der Rätebewegung bei den Maßnahmen und Entscheidungen der provisorischen Reichsregierung nach der Ausrufung der Republik, durch ihr Mandat im „Rat der Volksbeauftragten eine wichtige Rolle ebenso wie im Spartakusaufstand und in der Anfangsphase der KPD.)

Inge Viett erzählte schließlich in wenigen Worten von ihren persönlichen Erfahrungen in Betrieben, in denen sie keine Angst und Kontrolle durch das MfS gespürt habe. Die Überwachungsmethoden seien ihr eher bieder und „hausbacken“ vorgekommen (im Vergleich zum BKA u.a.)

Der Aufbau des Sozialismus sei als „Prozess“ zu verstehen, der „suchend“ voran schreite. Was aber war an der DDR sozialistisch? Das Verhältnis zum Staat? Das Verhältnis der Menschen untereinander?

Sie verwies auf eine grundlegende Bodenreform, die 1946 die Junker enteignete, 1948 eine Planwirtschaft initierte, die 1950 mit LPG’s & PGH’s (fürs Handwerk) „eine sozialistisch-ökonomische Basis... für eine Planung nach gesellschaftlichen Erfordernissen“ begründete. Trotz „Disparitäten“ habe die Planwirtschaft „gut funktioniert“. Die „widrigen objektiven Bedingungen“ (damit meinte sie wohl die Zerschlagung der Arbeiterbewegung durch den Faschismus, die Demoralisierung und Verseuchung auch der deutschen Arbeiterschaft mit NS-Ideologien, die Opfer der SU etc) machten jedoch den Aufbau des Sozialismus zu einem immensen „Kraftakt“, was dazu geführt habe, dass schließlich ein „Hybridgebilde“ entstanden sei. Zwar seien im sozialistischen Staat die „antagonistischen Klassen“ verschwunden, aber durch die „Arbeitsteilung von Hand-und Kopfarbeit“ seien „neue Klassen und Schichten„ mit „neuen Privilegien“ für „...Funktionäre und die Intelligenz“ entstanden. Die Anwendung von Zwangsmitteln sei dabei ein historisch „notwendiges Instrument“ gewesen. Dabei habe der Staatsapparat allerdings auch „die Möglichkeiten der Selbstverwaltung genommen“ und „statt Partizipationsmöglichkeiten „Loyalitätsforderungen“ gestellt. Viele Debatten seien nicht öffentlich geführt worden. Allerdings habe der „sozialistische Staat“ hervorragende soziale Rechte gewährt, u.a. ein beispielhaftes „Arbeitsrecht“ (ohne zu erwähnen, das sich dies dadurch auszeichnet, kein Streikrecht vor zu sehen!)

Die Abhängigkeit der sozialistischen Basis vom Weltmarkt sowie eine „Kollaboration der (Funktionärs-?) Klasse mit dem Westen“, habe schließlich zu einer „Schwächung“ der sozialistischen Elemente und zum Scheitern des Sozialismus geführt.

Eine in der DDR zeitweise am Fließband arbeitende Kollegin, die auf den fordistischen Charakter der Arbeitsorganisation verwies, stellte die Frage, wie denn der Umgang mit nicht arbeitsfähigen und/ oder nicht arbeitswilligen Schichten und Subkulturen wie psychisch Kranken, Punkern, der Boheme u.a. gewesen sei. Sie beantwortete sich selbst die Frage mit dem Hinweis auf das „Asozialengesetz“, das einen staatlichen Arbeitszwang vorsah, der auch entsprechend rigide durchgesetzt wurde.

„Das ist auch gut so!„ kommentierte ein vollbärtiger Fidel ähnlich sehender Mann. Die Autoritätshörigkeit und offensichtliche Verwirrtheit einiger sozialdemokratisch deformierter „Altkommunisten“ im Publikum wurde im Laufe der Diskussion auch deutlich durch ihr Bedauern darüber, dass es in Italien und Spanien nicht einmal Hartz 4 gäbe! (Vermutlich fehlt da eine LINKE, die hilft solche Massnahmen in Zusammenarbeit mit staatstreuen Gewerkschaften „sozial“ mit durch zu setzen !?!)

Sozialistische Errungenschaften, die Inge Viett benannte, seien zum Beispiel die Enteignung der Junker, Monopole und Kriegsverbrecher gewesen. Dabei vergaß sie zu erwähnen, dass das Eigentum nicht vergesellschaftet, sondern verstaatlicht wurde. Das Volk hatte kein Eigentümerbewußtsein und fühlte sich so auch nicht verantwortlich. Gerade die zentralistische Planwirtschaft führte zu katastrophalen Arbeitsbedingungen, die wiederum zu Unzufriedenheit führten. Eine sozialistische Alternative dazu wären selbstverwaltete Betriebe. Auch die kollektiven Strukturen, die sie als sozialistisch bezeichnete, waren häufig nur eine Zwangskollektivierung, in der Funktionäre und Normalbürger alles Abweichende ausgrenzten. Emanzipatorisch wären Kollektive auf freiwilliger Basis und mit „Spielraum“ zur Individualität. Dann lobte Inge Viett die Solidarität in der DDR. Was ist das für eine Solidarität, die mit dem Systemwechsel sofort zerbricht.

Entscheidend ist doch, wie ein Staat mit dem Anderssein, Andersdenkenden und der Unterschicht umgeht. Über Repression wurde auf dieser Veranstaltung nicht geredet, von Tausenden politischen Gefangenen war keine Rede. Die Stasi sei überbewertet, meinte Inge Viett und in der Öffentlichkeit nicht präsent. Ja, wie auch, es war ein Geheimdienst, der ein Angstklima erzeugte. Auch nicht die Rede war davon, dass der Staat DDR autoritär war und dass das kein „Vorbild“ für eine emanzipatorische Linke sein kann. Wer über Alternativen nachdenkt, muß sich mit der DDR in kritischer Weise auseinandersetzen und nach neuen Wegen suchen. Selbst der Sozialstaat in der DDR ist kritikwürdig. Was nützt ein sicherer Arbeitsplatz, wenn mir mein Beruf zugewiesen wird (staatliche Berufs- und Studienlenkung, für Inge Viett waren „die gesellschaftlichen Erfordernisse“ eine „Errungenschaft“) und man dementsprechend unzufrieden ist. Zum Sozialstaat gehörten zum Beispiel auch die Wohnungsnot (Zerfall der Altbausubstanz) und Probleme im Gesundheitswesen. Von der Unzufriedenheit in der DDR-Bevölkerung mit dem „Realsozialismus“ war natürlich auch keine Rede. Augen zu und weiter. Inge Viett schaffte es dann auch, den politischen Zwang als notwendiges Element darzustellen. Was ist das für ein Sozialismus, vor dem die Menschen flüchten. Der Sozialismus sollte so attraktiv sein, dass die Menschen darin gern leben.

Die Frage, warum die RAF bis Mitte der 70iger Jahre die DDR dem „Sowjetimperialismus“ in ihren Veröffentlichungen zugeordnet habe . als nach dem US-Imperialismus zweitem Hauptfeind der um Befreiung kämpfenden Bewegungen, konnte (oder wollte?) Inge Viett (und auch sonst niemand) nicht diskutieren. Ende der 70iger Jahre wird die SU plötzlich in RAF-Papieren zum Verbündeten im weltweiten „antiimperialistischen Kampf“.

Da der selektive Blick des Moderators (Sohn eines ehemaligen DDR-Botschafters in den USA mit einem Standpunkt der ehemaligen privilegierten DDR-Bürger) es mit sich brachte, dass fast nur ihm scheinbar genehme Personen, Redeerlaubnis erhielten und Menschen, die bereits nach wenigen kritischen Worten, moralisierend von anderen unterbrochen wurden, bei weiteren Wortmeldungen penetrant übersehen wurden, konnte nicht nachgefragt werden, welche Rolle (in der Zerschlagung der Rätebewegung) die von der Komintern abhängige Politik der KPD bereits vor dem Faschismus gespielt hat. Diese hat z.B. weder vor (taktischen?) Bündnissen mit der NSDAP zurückgeschreckt noch davor, die kampfbereite Basis aufgrund von Weisungen aus der SU in aussichtslosen militärischen Konfrontationen regelrecht zu verheizen (aufgrund falscher Lageeinschätzungen z.B. im Hamburger Aufstand etc.).

Verschiedene andere kritische Anmerkungen aus dem Publikum wurden oft mit der Stalinismuskeule oder dem Verweis auf bürgerliche Extremismusideologie und den Hinweis auf Verfassungsschutzagenten im Saal abgewürgt, so dass jeglicher Versuch, die Gründung der DDR ebenso wie ihr Scheitern in einem größeren geschichtlichen Zusammenhang zu diskutieren, unter diesen Bedingungen zum Scheitern verurteilt war. Der Moderator zeigte allen, was er (sowie ALB & ARAB ??) unter proletarischer Demokratie & lebendiger Diskussion verstand!

Welche „Lehren„ aus der DDR-Geschichte gezogen werden können, so dass diese für aktuelle soziale Kämpfe & politische Auseinandersetzungen nutzbar gemacht werden können, wurde von dem Podium ebenso wenig angesprochen wie vom Rest des Publikums – wenn Mensch davon absieht, dass am Ende einige Sprecher (aus dem Publikum) ihre Sekte als notwendige Avantgarde des Proletariats halluzinierten. Um dieses im Namen einer Diktatur des Proletariats mit einer neuen Klasse von Bürokraten zu (ver-)führen. Eine authentische Geschichte der Arbeiterbewegung in der DDR ist aus dieser Ecke jedenfalls nicht zu erwarten....genausowenig wie eine Revolution, die emanzipatorische Perspektiven eröffnet!

Der Sozialismus wird frei sein oder er wird nicht sein.!!!
Brecht dem Kapital die Gräten - alle Macht den Räten!
Die Avantgarde und die Parteien sind zum Schlafen da und zum schrecklichen Erwachen!


Es soll noch darauf hingewiesen werden, dass die Veranstaltung von den Organisatoren mitgeschnitten wurde und Mensch sich dieses peinliche Schauspiel bald im Internet anhören kann (vermutlich über die ARAB oder ALB-Homepage)

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir von den AutorInnen.