Werkzeug zur Existenzsicherung
Report zu Hartz IV, Ämterstress und was man dagegen tun kann

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on Antonín Dick

01/10

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So wie Arbeiter und Angestellte darum ringen, ihre Arbeitskraft so teuer wie möglich zu verkaufen, so ringen Erwerbslose um ihr Recht auf Existenz. Im Gegensatz zu den Erwerbstätigen sind diese jedoch nicht kraft Arbeitsprozess organisiert, sondern isoliert. Dies ist das Dilemma der Erwerbslosenbewegung. Der Berliner Journalist Peter Nowak zeigt nun in »Zahltag« Auswege aus diesem Dilemma, in zehn Kapiteln, wovon neun von ihm stammen, eines von dem Berliner Soziologen Holger Marcks.

Eine Vielzahl von Selbstauskünften Betroffener unterstreicht die Notwendigkeit einer Gegenwehr: schamlose Menschenbehandlung durch eine geradezu wilhelminisch-martialisch sich ausagierende Erwerbslosenverwaltung. Gesetze werden über Bord geworfen, Grundsätze der Verfassung ausgehöhlt, die demokratischen Strukturen unserer Gesellschaft empfindlich getroffen. Hat ein Mensch ein Recht auf Existenz ohne Arbeit? Das Hartz-IV-Regime beantwortet diese Frage mit Repressionen.

Verzweiflung, Wut, Trauer, isolierte Notwehr breiten sich aus, und trotzdem, aus allem kann, so die beiden Autoren, erfolgreiche Gegenwehr erwachsen, sobald die Organisiertheit von Arbeiterkämpfen wie ein Funke auf die Erwerbslosen überspringt. Ermutigung zur »Selbstermächtigung« ist das Thema dieses von Peter Nowak vorgestellten Reports. Zwei exemplarische Kampfformen der sich formierenden Erwerbslosen sind es vor allem, die er dabei ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.

»Zahltag«, eine Kölner Initiative mit Aktionscharakter: »Erwerbslose, deren Anträge nicht oder schleppend bearbeitet werden, die ihnen zustehende Gelder nicht überwiesen bekommen, treffen sich gemeinsam mit ihren Freunden und
Bekannten im Jobcenter. Sie wollen ihr Recht sofort umsetzen und nicht Monate warten«, heißt es dazu. In Gruppen wird an die Türen geklopft. Gezwungen, der verzweifelten Lage von Ausgegrenzten endlich in die Augen zu schauen, entsprechen die Jobcenterkräfte nun den unbearbeitet gelassenen Anfragen und Anträgen.

Solidarisches Begleiten, ein bundesweit angewandtes Regulativ bei Jobcenterterminen: Die mit Zermürbungsstrategien unterfütterte Ämterpraxis der Verweigerung von Rechtsansprüchen wird durchkreuzt, indem sich Erwerbslose von einer oder mehreren Personen ihres Vertrauens, in der Regel von Mitbetroffenen, begleiten lassen, wodurch sie aufhören, gedemütigte Bittsteller zu sein. »Diejenigen, die immer vereinzelt vorsprechen mussten und existenziell von den AmtsmitarbeiterInnen abhängig waren«, lesen wir, »spüren, dass sie sehr wohl eine Macht sein können, wenn sie kollektiv handeln.« Es gehört zur Praktikabilität des Buches, dass die rechtlichen Normen der Sozialgesetzgebung ausführlich zitiert und diskutiert werden, um Erwerbslosen ein schlagkräftiges Werkzeug zur Existenzsicherung in die Hand zu geben.


 

Peter Nowak (Hg)
Zahltag
Zwang und Widerstand: Erwerbslose in Hartz IV
Unrastverlag
ISBN: 978-3-89771-103-7
Ausstattung: br., 80 Seiten
Preis: 7.80 Euro