Linkspartei: Bürokraten im Clinch

von Hannes Hohn

01/10

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Seit Wochen schwelt in der Linkspartei ein Konflikt, der auch von den bürgerlichen Medien genüsslich verbreitet, ja angefacht wird. Auslöser des Streits waren Äußerungen von Bundesgeschäftsführer Bartsch, der die krankheitsbedingte Auszeit seines Vorsitzenden Lafontaine dafür nutzte, an dessen Stuhl zu sägen. Das wiederum erboste die linkeren Teile der Linkspartei, darunter die Landesverbände aus Nordrhein-Westfahlen und aus Baden-Württemberg, die Lafontaine stützten und die Absetzung von Bartsch forderten. Daraufhin versicherten die Spitzen der ostdeutschen Landesverbände Bartsch ihre Unterstützung. Inzwischen jagt ein Statement das andere, fast täglich gibt es „Richtigstellungen“ und Dementis von allen Seiten.

Und wie immer erwarten alle ein Machtwort von Gysi. Der nutzte nun eine Klausurtagung, um sich einerseits auf die Seite Lafontaines zu stellen, der nach Gysi möglichst weiter auf Bundesebene arbeiten soll. Andererseits stütze er aber auch Bartsch; es ginge es in "Anbetracht unserer Erfolge (...) zweifellos nicht um Rücktritte". Ins gleiche Horn blies auch Linken-Parteivize Klaus Ernst, der forderte, schnell wieder "Ruhe in den Laden" zu bringen. Er sieht er in der Diskussion um Bartsch auch keinen politischen Machtkampf. Es sei nur ein „Loyalitätskonflikt.“

Der aktuelle Stand der Dinge ist nun, dass Bartsch seine Kandidatur für den Parteivorsitz zurückgezogen hat.

Manöver statt politischer Diskussion

Schon die Art der Querelen in der Linkspartei ist bemerkenswert. Es gibt keine sachliche und offene politische Diskussion in der Partei, d.h. in allen Gliederungen und unter der gesamten Mitgliedschaft. Stattdessen wird die ganze Sache über die Medien verbreitet. Statt Argumente vorzulegen und Positionen klar zu machen, wird Meinungsmache betrieben. Es wird dabei bewusst akzeptiert, dass bürgerliche Medien ihre „Sicht“ der Dinge verbreiten und somit durchaus die Debatte prägen. Die eigene Mitgliedschaft erfährt von den Problemen in der eigenen Organisation so oft zuerst über die Medien. Das ist allerdings von der Bürokratie an der Spitze der Linkspartei durchaus beabsichtigt. Wie in jeder reformistischen Partei will sich die Spitze von der Basis nicht gern in die Karten gucken und schon gar nicht in die Suppe spucken lassen.

Die Art und Weise der derzeitigen Auseinandersetzung in der Linkspartei verweist wieder einmal sehr deutlich darauf, dass eine offene und demokratische Debatte in der Linkspartei - in der gesamten Organisation und nicht nur im Apparat - kaum stattfindet und durch Statements, Manöver und Intrigen der Spitzen ersetzt wird. Anstatt die substanziellen politischen Fragen klarzumachen und zu diskutieren, geht es um (scheinbar) Persönliches.

Diese faktische politische Degradation der Mitglieder zu „Statisten“ fällt der LINKEN-Führung allerdings auch leicht. Das gesamte Konzept der Linkspartei, ihre Orientierung auf Wahlen und die Mitarbeit in Gremien der bürgerlichen Gesellschaft bedeutet von vornherein, dass die Mitgliedschaft insgesamt keine aktive Rolle spielt und spielen soll. So sind die Mitglieder der Linkspartei auch insgesamt - gemessen an der Größe der Partei v.a. im Osten - sehr passiv. Beredter Ausdruck dieser Situation ist z.B., dass selbst in Berlin - der Hochburg der Linkspartei - die Wahlplakate von Firmen geklebt werden, statt von den Mitgliedern.

Diese Inaktivität ist nicht nur dem sehr hohen Altersdurchschnitt der Partei (v.a. im Osten) geschuldet. Sie rührt auch daher, dass die Mitgliedschaft kaum eine Vorstellung - aber auch keine Erfahrung - mit innerparteilichen Diskussionen und Auseinandersetzungen hat. Da mischt sich einerseits die alte stalinistische Phobie vor Fraktionskämpfen und eine falsch verstandene Einheit der Organisation auf Kosten politischer Klarheit mit der jüngeren Erfahrung mit diversen Plattformen und „Oppositionen“, die allesamt keinen konsequenten politischen Kampf geführt haben bzw. führen.

Die Linkspartei - v.a. im Osten, weniger im Westen - ist im Grunde eine „gespaltene“ Partei: hier ein inzwischen recht großer, tausende FunktionärInnen umfassender Apparatteil (Hauptamtliche, Abgeordnete, kommunale Funktionsträger, deren MitarbeiterInnen), dort die inaktive Masse der (meist älteren) Mitglieder.

Politischer Hintergrund

Obzwar die Gallions- und Integrationsfiguren der Partei wie Gysi und Bisky so tun, als handele es sich bei den Differenzen eher um persönliche Fragen, um mangelnde Loyalität, Missverständnisse und Übertreibungen, verbergen sich dahinter handfeste politische Kontroversen - die zudem nicht neu sind.

Im Grunde kann man zwei Lager ausmachen: den Flügel um Lafontaine, hinter dem die westdeutschen Landesverbände, die linkeren und die gewerkschaftlichen Teile stehen, und den rechten Flügel, der v.a. die ostdeutschen Landesverbände und das Gros des Apparats repräsentiert und dem Bartsch angehört.

Lafontaine will der Linkspartei ein etwas linkeres Image verpassen. Deshalb kritisiert er auch bisweilen die Mitregierungspraxis der Partei - wohlgemerkt nicht das Mitregieren an sich, sondern nur die Art und Weise. So übte er auch Kritik am Koalitionsvertrag in Brandenburg. Er weiß, dass eine zu angepasste Politik viele AnhängerInnen dun WählerInnen wieder vergraulen wird. V.a. geht es ihm darum, sich als Koalitionspartner nicht zu billig zu verkaufen. Auch in der Außenpolitik steht Lafontaine (derzeit) etwas links von dem, was die PDS/ Linkspartei in den letzten Jahren offiziell verkündet hat.

Lafontaines Trumpf ist natürlich, dass er maßgeblich die Fusion mit der WASG vorangetrieben hat. Erst dadurch wurde DIE LINKE zu einer wirklich gesamtdeutschen Partei und zu einer Organisation, die auch eine gewisse Verankerung in den Gewerkschaften, d.h. im Apparat und unter Betriebsräten und Vertrauensleuten hat. Eine Demontage Lafontaines würde diesen Entwicklungssprung derzeit massiv gefährden.

Bartsch steht für den rechteren, den „Mitregierer-Flügel“. Doch die Differenz zwischen den Lagern ist nicht nur eine ideologische. Die Phalanx der - v.a. ostdeutschen - FunktionsträgerInnen hat ein handfestes materielles Interesse daran, dass DIE LINKE in Parlamenten, in Landes-Regierungen, in Kommunen präsent ist - sonst sind die Posten weg.

Die Linkspartei hat nicht nur eine soziale Verankerung in der Arbeiterklasse oder bei Arbeitslosen; gerade im Osten ist sie auch in der lohnabhängigen Mittelschicht (Beamte, staatliche Angestellte) und auch bei ostdeutschen Unternehmern vertreten. Von daher wundert es nicht, wenn die FunktionärInnen der Linkspartei eine Politik betreiben, die deren Interessen entspricht - z.B. wenn man tarifliche Ausnahmeregelungen für ostdeutsche Unternehmen fordert.

Wie Berlin oder Brandenburg zeigen, ist die Politik der Linkspartei von jener der SPD kaum zu unterscheiden. In kleineren Kommunen sind die Unterschiede zu allen anderen Parteien ohnehin noch geringer.

Der Bartsch-Flügel sieht in Lafontaine eine Gefährdung oder wenigstens Einschränkung ihres offenen Anpassungs-Kurses. Sie wollen durch noch mehr Anpassung beweisen, dass sie auch auf Bundesebene regierungsfähig sind.

Lafontaine als Protagonist des gewerkschaftlich-keynesianischen Flügels weiß hingegen, dass die allzu offene und schnelle Anpassung die Linkspartei unterminiert. Er weiß, dass eine weitere Stärkung der Linkspartei nur gelingen kann, wenn sie noch direkter in den Gewerkschaften und in der betrieblichen Basis Fuß fasst. Dazu bedarf es auch eines Kurses, der etwas linker ist als jener der SPD und besser den Interessen des reformistischen Apparates in den Gewerkschaften entspricht.

Ungleiche Zwillinge

Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die derzeitige Debatte in der Linkspartei, dass diese grundsätzlichen Fragen nicht offen aufgeworfen werden. Sicher gibt es aktuell keine Gefahr der Spaltung der Linkspartei. Aber eine Zuspitzung des Klassenkampfes und die zunehmende Enttäuschung vieler über die realpolitische Praxis der Linkspartei v.a. in den Landesregierungen könnten die inneren Spannungen bald verschärfen - zumal schon jetzt von den westdeutschen Landesverbänden offen und mit Recht beklagt wird, dass die Politik in Berlin und Brandenburg zu einer Stagnation der Mitgliederentwicklung der Partei führt.

Auch wenn Gysi/Bisky den rechten Flügel brüskiert haben, indem sie Bartsch Illoyalität vorwarfen und seinen Rücktritt vom Amt des Bundesgeschäftsführers nahe legten, so darf das nicht mit einem „Linksschwenk“ der beiden verwechselt werden.

In ihren Reden haben sie schließlich nicht nur Bartsch angegriffen, der daraufhin auch alsbald „freiwillig“ erklärte, am nächsten Parteitag nicht mehr für sein Amt zur Verfügung zu stehen. Gysi/Bisky haben das vielmehr geschickt mit dem Appell verbunden, „das Streiten“ doch bleiben zu lassen, und gebetsmühlenartig die „Einheit der Partei“ beschworen. Das kommt nicht nur im Osten gut an (selbst wenn der Rücktritt Bartschs für Verstimmung sorgt). Damit ist auch schon die Linie für die nächsten Parteitage, für die kommenden Wahlkämpfe und die „Programmdebatte“ vorgegeben.

Damit kann sich Oskar Lafontaine auch einverstanden erklären, zumal er dafür sorgt, dass die Parteispitze linke Kritik nicht ernsthaft zu fürchten braucht. Die linken Landesverbände NRW und Baden-Württemberg haben sich mit ihrem Offenen Brief und mit ihrer ganzen Praxis nämlich auch politisch voll und ganz hinter den Links-Keynesianer gestellt.

Programmatisch und konzeptionell vertritt der linke Flügel wie die „Anti-kapitalistische Linke“ (AKL) oder die „Kommunistische Plattform“ (KPF) nämlich überhaupt keine Alternative mehr zum links-sozialdemokratischen Reformismus des Herrn Lafontaine.

Natürlich streiten wir nicht ab, dass AKL und KPF etwas anderes „wollen“ als Lafontaine, doch so lange sie nicht den Kampf um eine eigenes, von beiden reformistischen Flügeln der Partei unterschiedenes Programm aufnehmen, so lange die Hauptaktivität nur darin besteht, Lafontaine gegen die Berliner und Brandenburger Mitregierer zu verteidigen, macht sich die „Linke“ in der Linkspartei zu einem Anhängels Lafontaines.

Die Affaire Lafontaine/Bartsch zeigt also nicht nur die Differenzen in der Partei auf. Sie hat nicht nur einen Teilerfolg der Rechten gebracht, sondern auch die politische Schwäche und Angepasstheit von AKL/KPF deutlich gemacht.

Die bizarren Scharmützel auf dem reformistischen Olymp der Linkspartei zeigen aber auch ganz klar: Wir brauchen eine gänzlich andere, eine wirklich antikapitalistische, revolutionäre Arbeiterpartei - nicht einen Neuaufguss der alten Sozialdemokratie!

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel über

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 465
20. Januar 2010


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