Persönliche Auswirkungen von erzwungenen Umzügen
Ich bin hier in der Eigenschaft als Betroffene,
aber auch als Aktivistin. Vor einem Jahr hatte ich einen
Zwangsumzug, d.h. ich wurde vom Jobcenter aufgefordert, die
Mietkosten zu senken und bin dann umgezogen. Natürlich sind
nicht nur Hartz IV-BezieherInnen von erzwungenen Umzügen
betroffen, sondern auch prekär Beschäftigte, überhaupt
Einkommensschwächere. Aber mein Thema sind vor allem
Zwangsumzüge von Hartz IV-BezieherInnen.
Es gibt unterschiedliche Zahlen über die Anzahl
der Zwangsumzüge.
Laut Sozialsenatorin Carola Blum von der
Linkspartei waren es 2009 nur 261 Umzüge. (Stand vom
16.12.2009)
(Auf der Veranstaltung nannte ein
Senatsvertreter (Soziales) von der Linkspartei folgende
Zahlen: 2006 waren es 416 Umzüge (das sind 0,12% aller
Bedarfsgemeinschaften); 2007 680 Umzüge (0,20%), 2008 579
Umzüge (0,18%), 2009 428 Umzüge (0,13%). Allerdings räumte er
auch ein, das es Probleme mit der Datenerhebung gibt.) Die
Dunkelziffer wird viel höher sein. Viele zahlen aber auch die
höheren Kosten von ihrem Regelsatz. Und die Zahl der Umzüge
wird steigen. Berlin muß 13,1 Millionen Euro Schadensersatz an
den Bund zahlen, da es von 2005 bis 2008 bis zu zwölf Monate
zu hohe Mietkosten an Hartz IV- Bezieher gezahlt hat. Im
Bundesgesetz beträgt die Übergangsfrist 6 Monate. Auch das
wird Auswirkungen haben. Das Urteil des Bundessozialgerichtes
ist vom 15.12.2009.
Auch mein Zwangsumzug hat eine Vorgeschichte,
den ich unter Gentfizierung fassen würde.
1999 war ich von Friedrichshain nach Neukölln an
die Grenze zu Kreuzberg gezogen. Im Laufe der Jahre bemerkte
ich eine Veränderung im Reuterkiez. Immer mehr Studenten und
sogenannte Kreative zogen jetzt nach Kreuzkölln. In meinem
Haus stellte ich einen ständigen Wechsel der zumeist jungen
MieterInnen fest. Allein in meiner Straße und der benachbarten
Querstraße entstanden zahlreiche Cafes, Modeboutiquen,
Ateliers usw.
Prompt hatte ich einen Vermieterwechsel, der
Vermieter saß jetzt in Frankfurt am Main. Plötzlich machte
meine Betriebskostennachzahlung das Dreifache der bisherigen
Nachzahlung aus. Schon bei den letzten Nachzahlungen mußte ich
vor das Sozialgericht ziehen. Zu allem Unglück wurde meine
Miete jetzt aufgrund dieser Betriebskosten auf 500 Euro für
eine unsanierte 50 m²-Wohnung in Neukölln erhöht. Schon als
meine volljährige Tochter ausgezogen war, lag ich etwas über
den „angemessenen“ Mietkosten. Und um mich weiter zu
zermürben, schickte mit die Wohnungsverwaltung
Schuldeneintreiber vor die Tür. Delpro, so hieß diese Firma,
schickte mir mehrfach Leute, mal hatten sie eher mafiösen, mal
eher sozialarbeiterischen Charakter.
Zunächst wehrte ich mich noch rechtlich, dann
fand ich zum Glück eine neue Wohnung. Ich hoffe, dass dieser
Alptraum nun hinter mir ist. Was bleibt, ist die Angst- vor
Aufwertung des Schillerkiezes in Neukölln (in dem ich jetzt
wohne, der stillgelegte Flughafen Tempelhof ist gleich
nebenan), die Angst vor der Privatisierung der
Wohnungsbaugesellschaft, also die Angst vor einem
Vermieterwechsel, die Angst vor der nächsten
Betriebskostenabrechnung, die Angst vor Mieterhöhung.
Die Angst, das sind die psychosozialen Folgen
eines Zwangsumzuges. Es zerrt an den Nerven. Die Bedrohung des
Daches über dem Kopf ist eine existentielle Bedrohung, die
auch psychische Folgen haben kann. Ich hatte jedenfalls Angst
vor Obdachlosigkeit.
Was sind denn neben den psychosozialen Folgen
weitere Probleme?
1) Die Verknappung billigen Wohnraums
Gerade kleine, billige Wohnungen für Singles
sind knapp. 60% der Hartz IV-Haushalte sind aber
Single-Haushalte. Die Miethöchstgrenze bei Singles beträgt 378
Euro. Inzwischen wurde die Frist für die Wohnungssuche auf ein
halbes Jahr verkürzt. (Der Senatsvertreter nannte es auf der
Veranstaltung: „großer Druck bei Ein-Personen-Haushalten“.)
2) Oftmals bedeutet das eine
Wohnungsverschlechterung.
Schon Heinrich Zille kritisierte die
menschenunwürdigen Wohn- und Lebensbedingungen in Berliner
Mietskasernen. Er prägte folgenden Satz: „Man kann einen
Menschen mit einer Axt erschlagen, man kann ihn aber auch mit
einer Wohnung erschlagen.“
Als ich vor 2 Jahren aufgefordert wurde, die
Kosten meiner Unterkunft zu senken, zunächst mich noch
rechtlich wehren wollte, dann aber auf Wohnungssuche ging, sah
ich menschenunwürdige Wohnungen, nämlich in dem Marktsegment,
das Hartz IV-BezieherInnen noch zugestanden wird. Ich suchte
vor allem in Neukölln, aber Höhepunkt war für mich eine 29 m²-
Sozialwohnung in Kreuzberg, in der noch ein migrantisches
junges Paar mit Baby wohnte.
Gerade Arme leiden unter der Unzufriedenheit mit
unsanierten und maroden Wohnungen.
Einige Mängel, die ich selbst erlebt habe, sind:
kein Bad, Ofenheizung, hellhörig, niedrige Decke,
Verkehrslärm, Streß mit Nachbarn. Diese Mängel habe ich immer
als Wohnungsnot empfunden.
Auch Einkommensschwache müssen ein Recht auf
eine menschenwürdige Wohnung haben.
Zu DDR-Zeiten hatte ich in Ostberlin eine
leerstehende Wohnung besetzt (anders bekam man als
Jugendlicher aus der Republik kaum eine Wohnung, die
bevorzugte Wohnform der staatlichen Wohnraumlenkung war die
Kleinfamilie) und diese dann legalisiert, als ich ein Kind
bekam. Ich bezahlte in Friedrichshain eine Miete von 32
DDR-Mark. Ich hatte eine Ofenheizung, ein Waschbecken mit
kaltem Wasser, sogar ein Innen-WC, die Herdplatte mußte ich
mir selbst besorgen. Im Winter froren die Rohre ein und ich
mußte mir Eimer Wasser aus dem Vorderhaus holen. Nach dieser
verfallenen, maroden Altbausubstanz in Ostberlin sehne ich
mich nicht zurück, aber es kann nicht sein, dass mittels
Sanierung die Bevölkerung der Innenstadt Ostberlins fast
komplett ausgetauscht wurde. Am Kollwitzplatz wohnen noch 4%
Arbeiter, kaum zu glauben, wenn man noch an den proletarischen
Prenzlauer Berg zu DDR-Zeiten zurückdenkt. Die Verdrängten
haben keine Stimme. Auch in Neukölln sollen jetzt
Sanierungsgebiete entstehen, wie in der Karl- Marx-Straße und
am Maybachufer. Es ist zu befürchten, dass es auch dort zu
Verdrängungsprozessen kommt.
3) Aber es kommt noch schlimmer, viele finden
überhaupt keine Wohnung, weil sie verschuldet sind.
Problematisch wird es, wenn Verschuldete, z.B.
mit Mietschulden und Schufa-Eintrag zum Umzug aufgefordert
werden. So ist jeder 4. Neuköllner verschuldet. Wenn die
SchuldnerInnen dann zu einem sozialen Verein gehen, um Hilfe
zu bekommen, müssen sie einen Hilfeplan ausfüllen. Sie werden
durchleuchtet: wie ist die berufliche und wirtschaftliche
Situation, über die soziale Situation, z.B. soziale Kontakte,
Freizeitgestaltung, Konfliktverhalten, Gesundheit z.B.
Erkrankungen, Suchtverhalten, die rechtliche Situation z.B.
anhängige Strafsachen, Bewährungsauflagen, und zum Schluß die
Wohnsituation.
4) Und dann kommt es noch schlimmer, sie
bezahlen die „unangemessenen“ Mietkosten selbst.
Geld fehlt dann an anderer Stelle. Ich brauche
wohl nichts über die Armutssituation von Hartz IV-Beziehern zu
erzählen, die verschärft sich dann noch.
An den Sozialgerichten gibt es besonders viele
Klagen zur Übernahme von Unterkunfts- und Heizkosten.
Gestritten wird darüber, was "angemessen" sei.
Auch Frank Steger vom Beratungsbus des Berliner
Arbeitslosenzentrums an den Jobcentern stellte fest, dass der
Schwerpunkt der Beratung was mit Wohnen, Nebenkosten und
Umzügen zu tun hat. Viele Hartz IV-Bezieher würden den
„unangemessenen“ Mietkostenanteil von ihrem Regelsatz zahlen
und dann bei Essen und Kleidung sparen.
Beim Infotelefon der Kampagne gegen Zwangsumzüge
rufen insbesondere gut deutsch sprechende Migrantenkinder im
Auftrag ihrer Eltern an, die oft nicht wissen, was es
bedeutet, die Kosten der Unterkunft zu senken. Es rufen
Alleinerziehende an. Es rufen aber auch Selbständige an, die
eine überhöhte Miete haben, weil sie auch ein Arbeitszimmer
brauchen. Und es rufen oft Behinderte an. Oftmals besteht
nicht nur ein Problem, sondern die Problematik ist
vielschichtig.
5. Das größte Drohszenario ist dann, in eine
unattraktive Wohnung, z.B. in den Plattenbau am Stadtrand
ausweichen zu müssen. Das bedeutet dann die Verdrängung aus
der Innenstadt. Man ist nicht nur von Arbeit, Kultur, Mobilität
etc ausgegrenzt, sondern auch räumlich. Das bedeutet den
Abschied von sozialen und nachbarschaftlichen Kontakten, den
Verlust der Nachbarschaft.
Meines Erachtens hat das alles mit der
veränderten Ideologie und dem Wertewandel zu tun. Ich habe
schon verschiedene Ideologien erlebt.
Die DDR war eine proletarische Gesellschaft.
Dort hat es die Ideologie geschafft, dass Normalbürger die
Plattenbauten am Stadtrand mit Heizung, Bad und Warmwasser
attraktiv fanden. Die Subkultur in der DDR hat sich darüber
gefreut, denn sie konnten leerstehenden Wohnraum besetzen. Das
Boheme-Leben fand meistens außerhalb der Öffentlichkeit statt,
in der Kirche, illegal in Wohnungen oder in den normalen
Eck-Kneipen. Die Subkultur konnte sich keine eigenständige
Infrastruktur schaffen und verdrängte auch niemanden.
Im Westen hat es die Ideologie lange geschafft,
dass Menschen ein Häuschen im Grünen attraktiv fanden. Ein
Haus ist wie das Auto ein Statussymbol. Die Innenstadt in
Ostberlin wurde zunächst für die Pioniere der Gentrifizierung,
die Studenten und Künstler attraktiv. Das Stadtbild änderte
sich, die Pioniere veränderten die Infrastruktur.
Seit einigen Jahren haben jetzt auch die
bessersituierten postmodernen Milieus die Innenstädte für sich
entdeckt. Es wurde schick, in Prenzlauer Berg und Mitte zu
wohnen. Der Run auf die Innenstadt begann. Dabei bringen sie
ihre Ruhe und Ordnung meistens aus Westdeutschland mit. Eine
soziale Mischung ist unerwünscht, Gegenden z.B. um den
Kollwitzplatz und den Hackeschen Markt werden homogenisiert.
Das was die Milieus anzog, die Kreativität, verschwindet
wieder.
Ergebnis ist, dass die Mietkosten in der
Innenstadt ansteigen. Bei den Mieten sorgen insbesondere die
Nebenkosten für Beunruhigung, denn sie steigen, z.B. die
Heizkosten.
(Der Senatsvertreter von der Linkspartei sprach
auf der Veranstaltung von der 2. Miete (vor allem der
Heizung), die ein großes Thema auch im Zusammenhang mit der AV
Wohnen sei.)
Beim nächsten Mal werde ich mich nicht mehr so
leicht verdrängen lassen. Ich hatte zwar rechtliche Hilfe,
führte den Kampf aber individuell. Auch im Haus gab es keinen
Zusammenhalt. Inzwischen gibt es im Schillerkiez (dort wo ich
jetzt wohne) eine Stadtteilversammlung, die wir monatlich
durchführen, um uns gegen Gentrifizierung zu wehren. Auslöser
der Initiative war ein Task Force- Strategiepapier des
Quartiersmanagement, das gegen Trinkergruppen und
Roma-Familien im Schillerkiez vorgehen wollte. Armut soll
unsichtbar gemacht werden.
Es hat sich in unserer Initiative eine
Arbeitsgruppe gebildet, die eine Stadtteiluntersuchung, d.h.
Befragungen von Anwohnern durchführen möchte. Ebenso soll es
eine Stadtteilzeitung geben.
Mein Fazit ist: Wir müssen uns kollektiv
organisieren, um unsere Verdrängung aus der Innenstadt zu
verhindern.
Die nächste Stadtteilversammlung Neukölln ist am
15.2.2010 um 20 Uhr im Syndikat, Weisestr.56.
Editorische
Anmerkungen
Den Vortrag erhielten wir von
der Autorin
Zum Thema Zwangeumzüge und Erwerbslosenprotest
hat sie zwei Vorträge gehalten.
Sie möchte auch auf die Veranstaltung zur Beschäftigungsindustrie am 2.3. im
Mehringhof, Berlin- Kreuzberg hinweisen.
Den 2. Vortrag veröffentlichen wir in der
2-2010.
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