Länderübergreifende Spitzeldienste
Die Aufdeckung eines verdeckten Polizeispitzels in Großbritannien sorgt in linken Kreisen vieler europäischer Länder für Aufregung

von Peter Nowak

01/11

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In globalisierungskritischen Kreisen war Mark Stone bekannt. Der 41 jährige Londoner organisierte in vielen europäischen Ländern Veranstaltungen und bereitete seit 2003 Protestaktionen gegen Treffen von EU, G8, oder Nato vor.

Deshalb war der Schock bei vielen Aktivisten groß, als sie das Bild dieses Mannes jetzt in den britischen Medien fanden und lesen mussten, dass der Vollzeitaktivist Mark Stone eigentlich Mark Kennedy hieß und seit 2003 europaweit linke Zusammenhänge infiltrierte. Nach Recherchen des britischen Guardian war er im letzten Jahrzehnt in antirassistischen, klimapolitischen und globalisierungskritischen Protestbewegungen in 22 Ländern involviert. Kennedy arbeitete unter dem Alias-Namen Stone seit mindestens 2003 für die National Public Order Intelligence Unit (NCDE) bei Scotland Yard. „Die Einheit wurde Ende der 90er Jahre gegründet, um anarchistische und globalisierungskritische Gruppen oder die wachsende Tierrechtsbewegung auszuforschen. Die NCDE hat angeblich ein jährliches Budget von fast 10 Millionen Euro“, so der auf europäische Repression spezialisierte Journalist Matthias Monroy.

Aktionen initiiert und verraten

Mittlerweile wurde auch bekannt, dass der Undercover-Polizist nicht nur gespitzelt hat. Nach Berichten britischer Medien war er 2009 Mitorganisator einer Blockade des Kohle-Kraftwerks Ratcliffe-On-Soar. Er habe die Aktivisten über das Kraftwerk und mögliche Zugänge informiert, erklärte der Rechtsanwalt Mike Schwarz der Presse. Der Jurist vertritt 113 Umweltaktivisten, die vor der geplanten Aktion bei einer Polizeirazzia festgenommen wurden. Dass ihm die ausspionierten Zusammenhänge seine Undercoverarbeit leicht gemacht haben, wird nach verschiedenen Aussagen von Betroffenen deutlich. So habe sich Stone/Kennedy nie auf politische Diskussionen eingelassen, dafür viel Wert auf persönliche Kontaktpflege gelegt. So können sich noch viele Aktivisten an die gemeinsame Feier seines 40 Geburtstags im letzten Jahr erinnern. Mit seiner Vorgehensweise ist der Agent in libertären Kreisen gut angekommen. Wie der israelische Uri Gordon in einer im Nautilus Verlag unter dem Titel „Hier und Jetzt“ erschienenen Binnensicht auf die libertäre Bewegung schrieb, ist dort die persönliche Bekanntschaft und Freundschaft eine wichtige Grundlage für die gemeinsame politische Arbeit. Vertrauen ist dabei die Grundlage der Zusammenarbeit. Ideologische Debatten sind eher verpönt. Dass macht die oft sehr emotionalen Reaktionen nach Kennedys Enttarnung verständlich. „Wir haben ihm vertraut und er hat uns betrogen“, erklärte ein Aktivist den britischen Medien.

Bis zu den Karlsbader Beschlüssen

Die länderübergreifende Arbeit verdeckter Polizeiermittler ist keineswegs neu. So können die Karlsbader Beschlüsse aus dem Jahr 1819, mit dem das damalige Metternich-Regime die Ideen der Französischen Revolution bekämpfen wollte, als erste länderübergreifend koordinierte Radikalenverfolgung gelten. Die Enttarnung von verdeckten Agenten machten in regelmäßigen Abständen Schlagzeilen. Im Jahr 2000 sorgte die Enttarnung des VS-Mitarbeiters Manfred Schlickenrieder in der linken Szene für Aufmerksamkeit. Er hatte Kontakte in das antiimperialistische Milieu Deutschlands, der Schweiz, Italiens und Belgiens. Seine Legende als Mitarbeiter einer linken Filmgruppe hatte Schlickenrieder über Jahrzehnte aufgebaut. Mit der Zunahme der länderübergreifenden Protestaktionen im Zuge der globalisierungskritischen Bewegung nahm auch die grenzübergreifende Spitzeltätigkeit zu. In einer Entschließung des EU-Rats vom 12. Juni 2007 heißt es: „Bestehende rechtliche und praktische Hindernisse in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Bezug auf verdeckte Ermittler sollten im Interesse eines wirksamen Vorgehens gegen die grenzüberschreitende Kriminalität und im Interesse der beteiligten Polizeibeamten identifiziert und beseitigt werden“. Bisher nahm das Thema sowohl in der parlamentarischen wie in der außerparlamentarischen Linke einen geringen Stellenwert ein. Das beginnt sich zu ändern. So fordert der Bundestagsabgeordnete der Linken Andrej Hunko die lückenlose Aufklärung des Agierens von Kennedy/Stone in Deutschland. Nach Erkenntnissen des Bundestagsabgeordneten der Linken Andrej Hunko interessierte sich Kennedy in Deutschland auch für antifaschistische Zusammenhänge. „Wir wissen jetzt von mindestens einem Vorfall, in dem Kennedy seine ‚Hilfe‘ gegen Nazi-Strukturen anbot“, erklärt Hunko. Er hatte einem in Deutschland lebenden Aktivisten angeboten, wenn es „Nazi-Probleme“ gebe, diese „mit Freunden“ zu lösen. Er solle hierfür lediglich Hinweise geben. Hunko stellt auch die Frage, ob neben Scotland Yard auch deutsche Polizeibehörden in Kennedys Spitzelaktivitäten verwickelt waren. Die Bundesregierung schweigt dazu. Auf einen umfangreichen Fragenkatalog von Hunko lautete die Antwort der Bundesregierung entweder „Hierzu werden aus einsatztaktischen Gründen weder Negativ- noch Positivauskünfte erteilt“ oder „Hierzu haben wir keine Informationen“.
„Out of Control – Europa entsichern“

Auch die außerparlamentarische Linke entdeckt das Thema. Unter dem Motto „Out of Control – Europa entsichern“ bereiten verschiedene Initiativen am letzten Januarwochenende einen Kongress im Berliner Mehringhof vor, der sich der Analyse, Kritik und Demontage der europäischen Sicherheitspolitik widmen soll. Darum wollen sich die Aktivisten auch auf den Europäischen Polizeikongress vorbereiten, die Mitte Februar in Berlin stattfindet.

 

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel vom Autor.

Veranstaltungshinweis

Zu dem Thema wird es am Mittwoch den 2. Februar 2011 um 20 Uhr im Rahmen des Roten Abends der Internationalen Kommunist_Innen im Stadtteilladen Zielona Gora in Berlin-Friedrichshain eine Informationsveranstaltung geben:

Europa entsichern!
Veranstaltung zu Enttarnung von verdeckten Ermittlern und der europäischen Sicherheitsarchitektur
In den letzten Monaten wurden mit Simon Bromma in Heidelberg und Mark Kennedy in Großbritannien zwei verdeckte Ermittler enttarnt, die die linke Szene infiltriert hat und dabei auch länderübergreifend tätig waren. Wir wollen diese aktuellen Fälle von Repression gegen Linke zum Anlass für eine Diskussionsveranstaltung nehmen, um die „Sicherheitsarchitektur“ in Europa und den USA in den Blick zu nehmen. Zuvor wird Birgit Westermann auf den im Jahr 2000 enttarnten Manfred Schlickenrieder eingehen, der ebenfalls linke Strukturen in verschiedenen europäischen Ländern infiltriert hatte. Der auf europäische Repression spezialisierte Journalist Matthias Monroy wird die aktuelle Entwicklung in der europäischen Polizeiarbeit analysieren. Schon im Jahr 2007 forderte der EU-Rat „bestehende rechtliche und praktische Hindernisse in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in Bezug auf verdeckte Ermittler sollten … beseitigt werden“. Der politische Aktivist Jason Kirkpatrick wird auf Polizeistrategien in den USA eingehen.
In der anschließenden Debatte wollen wir neben der Frage des Schutzes linker Strukturen vor verdeckten Ermittlern auch über Gegenstrategien zur europäische Sicherheitsarchitektur diskutieren, wozu auch der Widerstand gegen den in diesem Jahr am 15. und 16. Februar 2011 im Berliner Congress Center tagenden europäischen Polizeikongress gehört.