Côte d’Ivoire
Frieden schaffen, mit französischen Waffen?

von Bernard Schmid

01/12

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Die Lage in der westafrikanischen Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste) entspricht nicht der offiziell verkündeten „Normalisierung“.

Sieger könnten anders aussehen. Am Freitag, den 16.12.2011 wurden die offiziellen Ergebnisse der Parlamentswahlen in der westafrikanischen Côte d’Ivoire bekannt gegeben, die am 11. Dezember 11 dort stattgefunden hatten. Das vielleicht Interessanteste daran war die Wahlbeteiligung. Denn dass das Regierungslager von Präsident Alassane Ouattara und Premierminister Guillaume Soro gewinnen würde, stand von vornherein auer Zweifel. Hatten die Anhänger des im April 2011  militärisch gestürzten und inzwischen an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag ausgelieferten Präsidenten Laurent Gbagbo und seiner Partei, des FPI (Ivorische Volksfront), die Abstimmung doch boykottiert. 

Nach fünftägiger Auszählung der Stimmen wurde am 16. Dezember dann von amtlicher Seite bekannt gegeben, die Beteiligung habe 36,6 Prozent erreicht. Einige Tage zuvor war zunächst von 32 Prozent die Rede gewesen. Kritiker/innen, unter ihnen Gbagbo-Anhänger, aber auch auf Distanz zu den jetzigen Machthabern stehende europäische Beobachter/innen, behaupten, in Wirklichkeit liege sie vielleicht eher bei einem Fünftel. Tatsächlich hatten am Wahltag alle internationalen Zeitungen und Nachrichtenagenturen, die vor Ort waren, von einem „ruhigen Tag“ und einer ausgesprochen schwachen Beteiligung gesprochen. Von den Wahlen hatten die Sieger im zurückliegenden Bürgerkrieg sich eine „Normalisierung“ der innenpolitischen Situation versprochen. 

Die Regierung ihrerseits gibt an, die offiziell 36,6 Prozent seien immer noch höher als die Beteiligung an den bis dato letzten Parlamentswahlen, die am 10. Dezember 2000 stattgefunden hatten und bei denen nach damaligen amtlichen Zahlen 33 Prozent gewählt hatten. Seinerzeit war Laurent Gbagbo soeben, am 22. Oktober desselben Jahres, als Präsident ins Amt gekommen. Und die Anhänger Alassane Ouattaras, den das vorherige Regime „aufgrund fragwürdiger Staatsbürgerschaft“ zuvor von der Teilnahme am Präsidentenwahlgang ausgeschlossen hatte, boykottierten 2000 ihrerseits die damalige Parlamentswahl.  

Auf letztere folgte damals, wenige Monate später, die offene Eskalation des zunächst schleichend begonnenen Bürgerkriegs. Er dauerte formal bis zum Abkommen von Ouagadougou im Jahr 2005, der jedoch in Wirklichkeit nicht zum Friedensschluss führte, sondern zu einem fortdauernden Kalten Krieg in einem faktisch gespaltenen Land. Die Nordhälfte beherrschten damals vormalige Rebellentruppen oder Warlords, die Alassane Ouattara politisch unterstützten, während die Gbagbo-Regierung und loyal zu ihr stehende Streitkräfte den Süden kontrollierten. Der militärischen Spaltung entsprachen auch ethnisierte Frontlinien innerhalb der Bevölkerung. Unter diesen Bedingungen ging die Côte d’Ivoire in die letzte Präsidentschaftswahl Ende Oktober und Ende November 2010, bei der in Wirklichkeit keinerlei Voraussetzungen für eine freie, geheime, pluralistische und transparente Wahl gegeben waren, weil das Land faktisch in zwei militärisch verfeindete Hälften aufgeteilt war. In ihnen organisierte und kontrollierte jeweils eine Kampfpartei den Wahlablauf.

In der Nordhälfte, die dünner besiedelt ist und zugleich eine homogenere Bevölkerung aufweist als der reichere und stärker „durchmischte“ Süden, war dies besonders flagrant. Die Staatsorgane unter Laurent Gbagbo erklärten deswegen die Wahlergebnisse aus drei Nordprovinzen pauschal für ungültig. Die westlichen Führungsmächte, wie Frankreich und die USA, und die Mehrzahl der an den Vermittlungen in der Côte d’Ivoire beteiligten afrikanischen Regierungen entschieden sich für die These, Ouattara sei der Wahlsieger und solle zu Unrecht um seinen Wahlsieg gebracht werden. In Wirklichkeit konnte ohnehin von einer echten Wahl im gesamten Staatsgebiet nicht die Rede sein, im Sinne keiner der beiden Parteien, die jeweils den Sieg für sich beanspruchten. In den ersten Jahresmonaten 2011 flammte zwischen ihnen erneut ein offener Bürgerkrieg auf.

Frankreich greift ein

Am 11. April 11 entschieden französische Helikopter und Sondereinsatztruppen den Machtwechsel, indem sie von unterirdischen Tunnels aus die Präsidentenresidenz stürmten und Laurent Gbagbo festnahmen. Er wurde nach Korhogo im Norden der Côte d’Ivoire verbracht und dort unter Arrest gestellt. Am 30. November 11 wurde er an den Internationalen Gerichtshof im niederländischen Den Haag überstellt und dort inhaftiert. Ihm soll der Prozess wegen Verbrechen gemacht werden, die im Bürgerkrieg begangen wurden, darunter Vergewaltigungen und Morde. Vorbereitet wird eine Anklage wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Unzweifelhaft ist, dass die Gbagbo-Seite im Bürgerkrieg an solchen Verbrechen beteiligt wird, doch mindestens ausgesprochen fragwürdig ist, dass nunmehr allein einer Konfliktpartei - nämlich dem unterlegenen, und zuletzt von den vor Ort einflussreichen Mächten wie Frankreich als Gegner betrachteten Lager - einseitig der Prozess gemacht werden soll. Ouattara unterstützende Milizen hatten auf dem Höhepunkt der letzten Bürgerkriegsphase, Ende März dieses Jahres, Massaker wie das an mutmalich mehreren Hundert Menschen der „falschen“ ethnischen Gruppe in Duékué begangen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sprach damals von 816 Opfern allein in Duékué.

Ex-Präsident vor dem Internationalen Gerichtshof

Am 05. Dezember 11 hatte Ex-Präsident Gbagbo seine erste Anhörung vor dem Internationalen Gerichtshof. Anders als vor nunmehr neun Jahren der ebenfalls dort angeklagte Slobodan Milosevic, stellte er die Autorität des Gerichts nicht offen in Frage. Während seine Anwälte angekündigt hatten, die Legalität - gemessen am internationalen Recht - seiner Überstellung nach Den Haag in Frage zu stellen, verlor Laurent Gbagbo an jenem Montag im Dezember kein Wort darüber. „Nun bin ich hier, jetzt machen wir die Sache bis zum Ende“, erklärte er dazu. Der Ankläger habe seine Beweise, „und ich werde sie mit meiner Wahrheit konfrontieren. Und Sie“, an die drei Richter gewandt, „werden dann zu entscheiden haben“. Anders als der polternd auftretende Milosevic blieb Laurent Gbagbo stets höflich, zuvorkommend und sprach mit leisem Ton - eine andere Taktik im Umgang mit dem internationalen Strafgericht.  

Laurent Ggabgo betonte bei dieser Gelegenheit, er habe internationale Mächte wie Frankreich gegen sich gehabt, die sich offen in die Entscheidung des Bürgerkriegs eingemischt hätten: „Ich wurde unter den französischen Bomben festgenommen. Am 11. April umzingelten rund 50 französische Panzer meine Residenz, während die Hubschrauber bombardierten. Die französische Armee hat die Arbeit verrichtet und mich dann an die Streitkräfte von Alassane Ouattara übergeben, die damals noch keine regulären Truppen waren.“ Denn der von mehreren Seiten zum Wahlsieger erklärte Ouattara hatte damals noch nicht die Staatsmacht übernommen.

Nunmehr hat Gbagbo, der „nur mit meiner Hose und einem Hemd“ nach Den Haag ausgeliefert worden war, bis im Juni 2012 Zeit, um die Akten zur Kenntnis zu nehmen und um seine Verteidigung vorzubereiten.

Kreuz- und Quer-Allianzen unter Machttaktikern

Unterdessen wurde in der ivorischen Hauptstadt Yamoussoukro und der Wirtschaftsmetropole Abidjan bekannt gegeben, dass die Partei des seit April amtierenden Präsidenten Alassane Ouattara, der RDR („Sammlung der Republikaner“), 127 Sitze und damit genau die Hälfte der bislang vergebenen 254 Mandate erzielt habe. Ein weiterer, 255. Sitz muss erst noch vergeben werden: Da ein Kandidat kurz vor dem Wahltermin verstarb, wird der Urnengang im betreffenden Wahlkreis später nachgeholt werden.

Weitere 77 Sitze gingen bislang an den PDCI (Demokratische Partei der Côte d’Ivoire), die Partei des früheren Staatspräsidenten der Jahre 1993 bis 1999, Henri Konan Bédié. Er war es, der damals die ideologische Kampagne im Namen der ivoirité - also für eine Unterscheidung zwischen „echten“ und „zugewanderten“ - Ivorern losgetreten hatte. In deren Namen waren sowohl zahlreiche „einfache“ Ivorern von Ausweispapieren und sozialen Rechten ausgeschlossen, als auch dem vormaligen IWF-Vizedirektor Ouattara die Teilnahme an der 2000er Präsidentschaftswahl verweigert worden. Da es aber in den Bereichen staatlicher Machtpolitik keine Gefühle und keine echten Freundschaften, sondern vor allem Interessen gibt, sind Ouattara und Konan Bédié nunmehr seit dem Jahr 2010 merkwürdigerweise die engsten politischen Verbündeten. Denn beide wollten die Niederlage ihres dritten Mitbewerbers und Rivalen um die politische Macht seit den 1990er Jahren, Laurent Gbagbo. Präsident Gbagbo hatte den völkisch-ethnisch unterlegten Nationalismus in Gestalt der ivoirité keineswegs erfunden, der vielmehr auf die Jahre der Präsidentschaft Konan Bédiés zurückgeht, hatte allerdings die Ergebnisse dieser Politik - und vor allem eine nationalistische Mobilmachung in der Südhälfte des Landes - aus opportunistischen Gründen des Machterhalts übernommen.

Manche Beobachter mutmaßen heute allerdings, längerfristig könne der PDCI, dessen Klientel in Gestalt bestimmter ethnischer Gruppe vor allem in der südlichen Landesmitte angesiedelt ist, das Bündnis mit dem aus der Nordhälfte stammenden Ouattara wieder aufkündigen. Sofern die Gbagbo-Anhänger später aufhören, eine Mitwirkung an der institutionellen Politik des Landes zu verweigern - was sie allerdings weiterhin tun dürften, solange der Prozess gegen den Ex-Präsidenten in Den Haag läuft -, könnte es möglicherweise zu einer Umgruppierung und einem Zusammenschluss der „Kräfte des Südens“ kommen.

Keine völlige Beruhigung an der inneren Front

Beinahe gleichzeitig mit den (amtlichen) Ergebnissen der Parlamentswahlen wurde in dem westafrikanischen Staat ebenfalls bekannt, dass Ouattara-treue Streitkräfte – die FCRI – am 18. Dezember in Vavoua sechs Jugendliche töteten, die „sich geweigert hatten, ihren Anordnungen Folge zu leisten“. Später hieß es von offizieller Seite, die Getöteten hätten angeblich „an einem Angriff auf eine Kaserne teilgenommen“, Zeugen vor Ort dementierten dies jedoch sogleich. Die französische Nachrichtenagentur AFP veröffentlichte dazu eine Meldung (vgl.
http://www.lefigaro.fr ), in welcher es ferner hieß, dass „solche Zwischenfälle häufig“ seien, seit dem Ende des Bürgerkriegs durch militärischen Sieg Alassana Ouattaras im April 2011. Ansonsten ist die Schilderung des Hergangs der Vorfälle durch AFP mutmaßlich falsch, da gefärbt: AFP übernahm nämlich direkt den Wortlaut des Kommuniqués der Ouattara-Streitkräfte. Letzteres behauptet, die Jugendlichen hätten (nachdem sie den Militärs den Gehorsam verweigert hätten) diese attackiert. Ganz „objektiv“ hatte die französische Nachrichtenagentur einfach mal die Version der Ouattara-Armee übernommen. Ihrerseits verkündete die Ouattara-Regierung in Reaktion auf die Ereignisse, man werde dafür sorgen, „die Disziplin unter den Streitkräften wieder herzustellen“ - was darauf hindeutet, dass deren (loyalistische) Soldaten an den tödlichen Zwischenfällen, nun ja, nicht ganz unschuldig oder unbeteiligt waren.

Am 25. und 26. Dezember 11 kam es in Sikensi, rund sechzig Kilometer nordwestlich von (der Metropole) Abidjan, zu neuerlichen gewalttätigen Zusammenstößen. Dieses Mal gerieten Angehörige einer ortsansässigen Bevölkerungsgruppe – der Abidji – mit aus dem Norden des Staatsgebiets stammenden Malinké, Angehörige von Ouattara unterstützenden Truppen, aneinander. Auslöser dafür soll eine Streitigkeit zwischen einem Soldaten der Pro-Ouattara-Streitkräfte und einem ortsansässigen jungen Mann um die Gunst einer weiblichen Person gewesen sein. Dabei kam es zu vier Toten und dreizehn Verletzten; vgl. http://www.lefigaro.fr/  sowie http://berthoalain.wordpress.com

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text vom Autor zur Veröffentlichung in dieser TREND-Ausgabe.