trend spezial: Berichte aus Kosova | redigiert von Max Brym

Nord Kosova - Versuch einer marxistischen Analyse

von Max Brym

01/12

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Der Ruf nach Selbstbestimmung ertönt scheinbar aus Nord Kosovo. Viele „ Linke“ in Deutschland welche das Selbstbestimmungsrecht Kosovas ablehnten und ablehnen, setzen sich jetzt plötzlich für das Selbstbestimmungsrecht der Serben in Nord Kosova ein. Einige dieser Linken sind durchaus ernstzunehmen und nicht mit der stalinistisch, nostalgischen „ Milosevic Linken“ in Deutschland gleichzusetzen. Vernünftige Linke- haben den Gesetzen der formalen  Logik gehorchend- durchaus Recht. Aber die Wahrheit ist nach Hegel immer konkret. Was sagen uns also die brennenden Barrikaden, die Angriffe auf Grenzstationen und auf NATO Soldaten in Nord Kosova ? Sind sie Ausdruck eines berechtigten Anliegens oder gar einer antiimperialistischen Gesinnung von vielen Serben in Nord Kosova ? Der Autor dieser Zeilen behauptet, dass die Organisatoren und Teilnehmer an diesen Protesten keinerlei gerechtfertigte Anliegen haben. Ganz im Gegenteil, dieser Kampf ist ultrareaktionär. Begeben wir uns deshalb in die Niederungen der Analyse.

Gibt es eine serbische Mehrheit in Nord Kosova


In der Tat, diese Mehrheit existiert. Im Norden Kosovas, ab der geteilten Stadt Mitrovica leben ca. 40.000 Serben. Genaue Zahlen hierzu gibt es nicht. Neben den Serben leben in Nord Kosova aber auch noch einige tausend Albaner. Die Albaner sind zweifellos in der Minderheit. Wie kam es zu dieser Situation ? Im Januar 2000 wurde unter den Augen des französischen Militärs 11.200 Albaner aus dem Norden Kosovas vertrieben. Dabei gab es 9 TOTE. Hauptsächlich wurden die Vertreibungen in Nord Mitrovica von serbischen Paramilitärs durchgeführt. Bis zum Jahr 1999 war Mitrovica eine multinationale Arbeiterstadt. Auch im Norden Mitrovicas gab es wie in Gesamt- Mitrovica eine albanische Mehrheit. In Mitrovica lebten Serben, Albaner, Roma, Bosnier usw. in einer ungeteilten Arbeiterstadt. Die Lebensbasis von Mitrovica war das Kombinat Trepca mit seinen enormen Vorkommen an Chrom, Nickel Kupfer, Blei aber auch Gold und Silber. Neben dem Bergbau gab es verarbeitende Kapazitäten in Mitrovica, Kosova und in Serbien. Im Jahr 1999 wurde Mitrovica offiziell ethnisch geteilt. Die Menschen in Kosova sagen: „Die serbische Armee und die Polizei zog ab, aber sie kamen nur bis Mitrovica.“ Dort regieren ungebrochen serbische parallele Staatsstrukturen. Jeder Polizist im Norden ist ein Serbe, er bekommt sein Gehalt aus Serbien. Es gibt keine albanischen Polizisten im Norden Kosovas. Jeder Lehrer, jeder Beamte und jeder Spezialpolizist wird von Belgrad bezahlt. Die Finanzierung der parallelen Strukturen in Kosova kostet den serbischen Staat pro Jahr 500 Millionen Euro. Der Kampf um die Zugehörigkeit von Nord Kosova zu Serbien, akzeptiert die jüngsten Vertreibungen aus Nord Kosova. Offen wird den Albanern die Rückkehr in ihre Häuser verweigert. Ergo die serbischen Barrikaden sind Ausdruck einer reaktionären Politik des serbischen Staates, sowie von nationalistischen Banditen in Nord Kosova. Dieser Kampf ignoriert die einfachsten Menschenrechte. Jegliche Rückkehr von Albanern wird verweigert. Die albanischen Bauern in der Gemeinde Leposavic und in anderen Gemeinden werden von der Außenwelt abgeschnitten. Den albanischen Bauern in Nord Kosova wird die Luft zum Atmen genommen. Sie sollen vertrieben werden, um ein rein serbisches Gebiet zu schaffen. Die wenigen Albaner in Nord Mitrovica gehen nachts nicht aus dem Haus. Dies ist kein Kampf um Selbstbestimmung sondern eine Politik der ethnischen Säuberung. Die serbischen Institutionen in Nord Kosova verweigern aber auch den Roma elementare Rechte. Die größte Roma Siedlung -Kosovas- befindet sich auf einer Giftmüllhalde des ehemaligen Kombinats Trepca. Internationale Organisationen stellten dort eine enorme Krebsrate und Kindersterblichkeit fest. Die serbisch parallelen Institutionen verweigern ihnen jegliche Hilfe. Die Politik des Selbstbestimmungsrechtes ist immer konkret. Die serbische Mehrheit in Nord Kosova hat das Recht ohne jegliche Unterdrückung in Kosova zu leben. Es darf allerdings mit diesem Recht kein Schindluder auf der Basis der ethnischen Säuberung betrieben werden. Die Vertreibungen aus Nord Kosova fanden in jüngster Zeit statt. Völlig abgesehen von den historischen Vertreibungen, welche in der jüngsten Geschichte ein Alexander Rankovic unter dem Stichwirt „ Entwaffnung“ betrieb. In den fünfziger Jahren wurden 300.000 Albaner von Rankovic in die Türkei vertrieben. Die Vertreibungen liefen nicht nur willkürlich ab, sondern gezielt. Es gab eine „ Kolonialpolitik“ von Rankovic bis Milosevic. Besonders aus dem Norden wurden damals viele Albaner vertrieben. Die Gemeinde Svecan wurde so zur rein serbischen Stadt in den fünfziger Jahre mit einigen albanischen Bauern im Umfeld.

Grenzen und die Frage des Presevo Tals

Im Preshevo Tal welches zu Serbien gehört lebten bis vor kurzem 100.000 Albanerinnen. Jetzt leben in diesem Gebiet nur noch 50.000 Albaner. Sie werden strukturell und mit offener Gewaltanwendung diskriminiert. Viele flüchteten aus diesem Gebiet weil sie keinerlei Perspektive mehr sehen. Die Arbeitslosigkeit ist die höchste in Serbien. Alle Behörden werden klar von serbischen Nationalisten dominiert. Für einen Albaner ist es oft unmöglich Arbeit zu finden. Zudem wird ein Albaner im Presevo Tal offen rassistisch diskriminiert. Auf der internationalen Agenda spricht nicht NIEMAND von der Unterdrückung im Presevo Tal. Die Frage von Grenzkorrekturen zwischen Serbien und Kosova kann nicht ohne die staatliche Zugehörigkeit des Presevo Tals diskutiert werden. Dies soll betont werden weil für einen Marxisten, Grenzen nichts heiliges sind.

Keine Grenzkorrektur - Demokratische Rechte

Es ist im Interesse der serbischen und albanischen Arbeiter in Mitrovica den internationalen Charakter der Arbeiterstadt wiederherzustellen. Es geht um gemeinsame soziale Interessen. Das Kombinat Trepca soll in diesem Jahr privatisiert werden. Allerdings wird nicht das Kombinat wiederhergestellt werden, es sollen nur die Minen mit günstigen Arbeitern ausgeraubt werden. Verarbeitende Kapazitäten wie die in Zvecan im Norden Kosovas, aber auch im Süden Kosovas sollen der Verwesung unterstellt werden. Das ist nicht im Interesse aller Arbeiter, egal welcher Nationalität. Im Interesse der Reaktionäre ist die Teilung der Arbeiterklasse anhand ethnischer Linien. Linke Politik hat sich deshalb gegen die Politik der Legitimierung der ethnischen Säuberungen im Norden Kosovas zu richten. Dies ist auch im Interesse der dortigen Menschen. Ein Leben hinter Barrikaden, ein Leben in Abgrenzung zum Anderen ist kein Leben.

Editorische Hinweise

Wir erhielten diesen Text vom Autor zur Veröffentlichung in dieser TREND-Ausgabe.