Betrieb und Gewerkschaft 

Bereit für das Gefängnis
In Berlin geht eine Frau freiwillig in Haft, um die unhaltbaren Zustände bei der Pflege demenzkranker anzuprangern. Sie will die Kosten eines verlorenen Rechtsstreits um die angemessene Betreuung Demenzkranker nicht zahlen

von
Peter Nowak

01/12

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Angelika-Maria Konietzko hat schon eine kleine Tasche gepackt, in der einige wichtige Utensilien    verstaut sind. Denn sie muss im kommenden Jahr  ins Gefängnis. Der Haftbefehl ist schon ausgefertigt .Konietzko     soll in Erzwingungshaft, die bis zu 6 Monate andauern kann, weil sie einen Offenbarungseid verweigert aber  auch nicht bereit ist, die Kosten eines Rechtsstreit von über 2200 Euro zu tragen. Sie sind bei einem Rechtsstreit vor dem Berliner Arbeitsgerichts  entstanden., der sich um die Bezahlung ihrer Tätigkeit als Nachtwachenbereitschaft in einer Berliner Wohngemeinschaft für Demenz-Kranke drehte.

Sie habe bei der Nachtschicht nur 10 Stunden vergütet bekommen, obwohl ihr eigentlich  als Nachtwache 11 Stunden zustünden, ist Konietzko überzeugt.  „Die Bewohner der Seniorenwohngemeinschaft waren schwerst pflegebedürftig.  Sie haben eine  Überwachung und Pflege  rund um die Uhr benötigt“, betont die 43jährige Bremerin, die  nach einer sozialpädagogischen Ausbildung nach Berlin kam.    Sie habe laufend Kontrollgänge machen müssen, und hätte daher keine Pausen gehabt. Ein Pausenraum sei  an der Arbeitsstätte auch nicht vorhanden gewesen. Der Pflegedienst Hauskrankenpflege  widerspricht dieser Darstellung. „Die Senioren befanden sich in Wohngemeinschaften und nicht in einem Heim oder einer medizinischen Einrichtung, wo eine Pflege der Senioren rund um die Uhr notwendig ist“.
Das Arbeitsgericht gab dem Pflegedienst  in mehreren Instanzen recht und verwies auf den Arbeitsvertrag, in dem eine pauschale Vergütung des Nachtbereitschaftsdienstes festgelegt ist. Zudem sei in der Stellenausschreibung eine Arbeitsleistung von ca. drei Stunden und ein Bereitschaftsdienst von 8 Stunden pro Nacht festgelegt. Dabei lässt das Gericht offen, ob Konietzko tatsächlich 11 Stunden gearbeitet hat. „Es ist nicht Aufgabe des Arbeitnehmers, Pflegestandards selbst festzulegen“, heißt es in dem Urteil. Dieser Satz empört die Klägerin besonders. „Hätte ich die  Pflegearbeiten nicht gemacht, hätte ich meine Arbeit enorm vernachlässigt und hätte unter Umständen sogar wegen fahrlässiger Tötung angeklagt  werden können“, behauptet sie. So habe zu ihren Tätigkeiten das  Absaugen der Mundhöhle bei den demenzkranken PatientInnen gehört, da sonst die Gefahr bestanden hätte, dass diese im Schlaf ersticken.  hätte die Gefahr ersticken.

Diese Auffassung wird  von verschiedenen Organisationen, die sich mit Pflegearbeit beschäftigten bestätigt. Thomas Birk vom Verein Selbstbestimmtes Wohnen im Alter e.V. schreibt,  dass  in Demenz-Wohngemeinschaft   eine durchgängige 24-Stunden-Betreuung notwendig sei. „Das bedeutet für die Nachtstunden eine Nachtwache und  keine –bereitschaft.“ Auch Gabriele Tammen Parr von der Organisation „Pflege in Not“ bekräftigt, dass ein nächtlicher Bereitschaftsdienst in einer Demenz-WG nicht nur völlig unzureichend ist sondern auch grob fahrlässig sein kann. Auch Kathrin Ruttloff vom Anbieterverband qualitätsorientierter Gesundheitspflegeeinrichtungen betont, dass in  einer Demenz-Wohngemeinschaften „die Anwesenheit einer Nachtwache im Sinne der Sicherheit der Bewohner erforderlich ist.“

Die Stellungnahmen sind vom Arbeitsgericht  allerdings nicht  berücksichtigt worden.

Das hat die Kampfbereitschaf von Konietzko angespornt.  Ihre  Weigerung, den Offenbarungseid zu leisten, sind sie als Akt des Widerstandes. „Dabei geht es mir nicht in erster Linie um Lohnforderungen. Ich will d auf die Zustände im  Pflegebereich aufmerksam machen., meint die    Frau.  Mittlerweile hat sie von einer Kollegin Unterstützung bekommen.    Brigitte  Heinisch, die 2005  vom Pflegekonzern Vivantes gekündigt wurde, weil sie Missstände im Pflegebereich gemeldet hatte, will ihren ehemaligen Solidaritätskreis für sie aktiven. Heinisch hat nicht nur  den Whistleblowerpreis   sondern auch eine hohe Entschädigung erhalten, weil die durch sämtliche Instanzen in Deutschland bestätigte Kündigung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte  aufgehoben wurde. Auch Konietzko hat schon was erreicht. Mittlerweile hat  der Pflegedienst Mitte für  seine Demenz-WG Nachtwachen statt Bereitschaftsdienste eingeführt.

 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.