Die Turbulenzen des imperialistischen Weltsystems bereiten den Boden einer revolutionären Weltkrise!

"Rote-Fahne"-Interview mit Stefan Engel, Vorsitzender der MLPD, vom 4.1.2012

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Mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 brach eine weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise aus. Im Vergleich zu den anderen Weltwirtschaftskrisen nach dem II. Weltkrieg unterscheidet sich ihr Verlauf deutlich. Woran liegt das?

Ende 2008 hatten wir bereits die Prognose aufgestellt, dass wir es mit der an Umfang, Tiefe und Wirkung tiefsten Weltwirtschafts- und Finanzkrise zu tun haben, die der Kapitalismus bisher erlebte. Zunächst schien es anders zu kommen. Durch ein einmaliges gemeinsames internationales imperialistisches Krisenmanagement gelang es, einen unkontrollierten Zusammenbruch des Weltfinanzsystems zu verhindern und den Kriseneinbruch der Weltwirtschaft abzubremsen. Vor allem konnten die Herrschenden die politischen Erschütterungen, mit denen solche Wirtschaftskrisen üblicherweise einhergehen, vorerst abdämpfen.
Dreieinhalb Jahre nach Ausbruch dieser Weltwirtschafts- und Finanzkrise bahnt sich nun ein neuer wirtschaftlicher Einbruch an, der die anhaltende Weltwirtschafts- und Finanzkrise noch weiter vertiefen und verschärfen würde. Die Regierungen der imperialistischen Länder stehen vor einem riesigen Scherbenhaufen. Keiner weiß, wie man ihn wegräumen soll. Das internationale Krisenmanagement ist gescheitert.
Das Hauptproblem der Herrschenden besteht mittlerweile darin, dass sie die politischen Auswirkungen der Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrise nicht mehr im Griff haben. Damit schränkt sich der Spielraum staatlicher Maßnahmen für die Fortführung des Krisenmanagements drastisch ein. Ökonomische und politische Massenkämpfe beherrschen inzwischen das Bild in den meisten Ländern der Welt. Die demokratische Aufstandsbewegung, die in Nordafrika ihren Ausgangspunkt hatte, hat immer mehr Länder erfasst. Die Massen sind weltweit gegen das allein herrschende internationale Finanzkapital, seine ausbeuterischen und unterdrückerischen Methoden sensibilisiert. Der länderübergreifende Kampf für Freiheit und Demokratie ist zur hervorstechendsten Erscheinung der Zeit geworden.
Die allgemeine Krisenhaftigkeit des imperialistischen Weltsystems kann nicht überwunden werden, die Weltwirtschafts- und Finanzkrise ist auf absehbare Zeit nicht in den Griff zu bekommen. Politische Gewitter werden heraufziehen, die die Tendenz zur revolutionären Weltkrise beschleunigen.

Anfang Dezember fand bereits der 13. EU-Krisengipfel seit Anfang 2010 statt. Die teilnehmenden Regierungen feierten ihn als Durchbruch in der "Stabilisierung des europäischen Finanzsystems"! Das will inzwischen niemand mehr so recht glauben.

Diese Skepsis ist angebracht! Auf dem EU-Gipfel wurde eigentlich nichts anderes getan, als den Vorsatz zu verkünden, künftig die Staatsverschuldung abzubremsen. Das ist erstens nicht mehr als eine Absichtserklärung, und zweitens könnte auch dies die Probleme nicht lösen.
Ein wesentliches Symptom ist im Moment das Stocken des Zahlungsverkehrs. Die Banken leihen sich untereinander kaum noch Geld aus und Kredite an die Wirtschaft werden nur zögerlich gewährt. Insbesondere von den Ländern, in denen die Weltwirtschafts- und Finanzkrise am wenigsten bewältigt wurde – Italien, Griechenland, Spanien und Portugal – werden auf den Finanzmärkten überdurchschnittliche Zinsen für neue Staatsanleihen verlangt. Das beeinträchtigt nicht nur die Zahlungsfähigkeit dieser Staaten empfindlich, sondern treibt sie auch noch tiefer in die Verschuldung und bremst ihre Wirtschaftsentwicklung weiter ab. Die Behauptung, die jetzige Situation wäre durch die zu hohe Staatsverschuldung ausgelöst, ist unsinnig. Die wirkliche Ursache der Weltwirtschafts- und Finanzkrise liegt in der chronischen Überakkumulation des Kapitals, in die die kapitalistische Produktionsweise mit der Neuorganisation der internationalen Produktion geraten ist.

Wird denn der Überakkumulation des Kapitals nicht durch die Maßnahmen der Regierung begegnet?

Chronische Überakkumulation des Kapitals bedeutet: Die ungeheure Anhäufung von Kapital kann anhaltend nicht mehr maximalprofitbringend verwertet werden. Die so ständig wachsenden spekulativ getätigten Investitionen finden keine ausreichenden Märkte, um maximalprofitbringend umgesetzt zu werden. Ein Beispiel ist China. Dort wurde über staatliche Subventionen spekulativ weiter in Immobilien investiert. Das hat im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Ankurbelung des Massenkonsums zeitweilig zu einem starken wirtschaftlichen Aufschwung geführt, der die ganze Weltwirtschaft belebte und den Eindruck erweckte, die Weltwirtschafts- und Finanzkrise sei vorüber. Jetzt platzt die Spekulationsblase mit nicht abschätzbaren Folgen für die chinesische und die Weltwirtschaft.
Die von Merkel vielfach beschworenen "Selbstheilungskräfte" der kapitalistischen Wirtschaft funktionieren nicht mehr. Der Kreislauf von Produktion und Reproduktion funktioniert nur noch, indem immer mehr staatliche Gelder in diesen Kreislauf hinein gepumpt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) schoss im Dezember 2011 in einem historisch bisher einmaligen Vorgang fast eine Billion Euro zu Niedrigzinsen den Banken zu, um das Finanzsystem überhaupt am Laufen zu halten und das Risiko für einen Crash der Monopolbanken abzuwenden. Die staatliche Einbringung und damit Verbilligung des Kapitals soll den Kreislauf von Produktion und Reproduktion wenigstens künstlich aufrecht erhalten. Diese Maßnahmen sind jedoch ein Tanz auf dem Vulkan. Der Preis ist eine weiter steigende Staatsverschuldung, die immer mehr Länder an den Rand des Staatsbankrotts heranführt und zudem die Inflation befeuert. Das grundlegende Problem der Überakkumulation des Kapitals wird dadurch nicht gelöst, sondern auf die Spitze getrieben.
Als die Wirkung der staatlichen Rettungsschirme nachließ, begann die Weltwirtschaft wieder zu schwächeln. Konkret war das Ausbleiben des Wirtschaftswachstums, auf das die gesamte kapitalistische Welt mit ihrem Krisenmanagement spekuliert hatte, der Ausgangspunkt für die Liquiditätskrise in Europa. Da die Kredite von den geschmälerten Staatshaushalten nicht mehr bedient werden konnten, brach die Finanzkrise erneut offen auf. Diesmal ging sie aber nicht von einzelnen Monopolbanken aus wie noch 2008, sondern von den Instrumenten des Krisenmanagements selbst – den Staatshaushalten. Die Annahme von Kanzlerin Merkel, man müsse die erlahmenden "Selbstheilungskräfte der Wirtschaft" nur wieder durch staatliche Maßnahmen anschieben, dann würden sie wieder funktionieren und ein lang anhaltendes Wirtschaftswachstum auslösen, erwies sich als pure Illusion.
Die Börsen, deren gehandelte Werte Anfang 2011 einen Höchststand von 59 Billionen US-Dollar erreicht hatten, brachen bis September auf 45 Billionen ein. An den Devisenmärkten gab es eine Flucht aus dem Euro in den japanischen Yen, den Schweizer Franken und den Dollar. Das verschärfte wiederum die Probleme mit der Rückzahlung von Krediten aus diesen Währungsräumen. Die Banken gerieten erneut in Zahlungsschwierigkeiten und eine allgemeine Bankenkrise bildete sich heraus. Die IWF-Chefin Lagarde bezeichnet die allgemeine Situation an den Finanzmärkten heute berechtigt als gefährlicher als vor der Lehman-Pleite im September 2008.

Auf welche wirtschaftliche Situation muss sich die Bevölkerung 2012 einstellen?

Man muss davon ausgehen, dass die Industrieproduktion wieder einbricht. Eine einfache Wiederholung des gemeinsamen internationalen Krisenmanagements ist dann aufgrund der angespannten Lage der Staatsfinanzen nicht zu erwarten. Eine Kettenreaktion von Staatsbankrotten, Bankenzusammenbrüchen oder sogar des gesamten Weltfinanzsystems kann dann kaum verhindert werden. Man kann sich ausmalen, dass das weltweit Massenentlassungen, Abbau von Löhnen und von sozialen Errungenschaften bedeutet, was die Wut der breiten Massen auf die Regierungen weiter steigern wird. Die Marxisten-Leninisten müssen sich darauf einstellen, dass es zu in der Nachkriegsgeschichte nicht dagewesenen Maßnahmen kommt. Sie werden die Lebenslage der Massen empfindlich treffen. Eine dramatische Verschärfung des internationalen Klassenkampfs wird die Antwort sein.

Aber steht Deutschland in seiner Wirtschaftsentwicklung im Vergleich zu anderen nicht relativ solide da?

Die Entwicklung in Deutschland wird systematisch schön geredet. Immerhin hat auch die deutsche Industrie volle drei Jahre gebraucht, um nach dem dramatischen Absturz der Industrieproduktion von über 15 Prozent Ende 2008 überhaupt im Sommer 2011 wieder an ihr damaliges Niveau anzuknüpfen. Die Ursache dafür liegt in der vom Export geprägten Wirtschaft. Fast jeder zweite Euro Umsatz wird heute im Export erwirtschaftet. Der Export ist aber auch die Achillesferse der deutschen Wirtschaft. Kommt es zu einem weltweiten Wirtschaftseinbruch, wird es in Deutschland zu einem überproportionalen Einbruch im Vergleich zu anderen Ländern kommen.
Das ist bereits absehbar: Die Mehrzahl der großen imperialistischen Länder wie die USA, Frankreich, Großbritannien oder Japan haben entgegen der zeitweiligen Propaganda vom weltwirtschaftlichen Aufschwung 2009/2010 den Vorkrisenstand ihrer Wirtschaft bis heute noch nicht erreicht. Andere Länder wie Italien oder Spanien stecken weiter in einer tiefen wirtschaftlichen Depression. China hat eine Stagnation seiner Wirtschaft für 2012 prognostiziert und in diesem Zusammenhang angekündigt, keine Auslandsinvestitionen in der chinesischen Autoproduktion mehr zuzulassen, außer beim Elektroauto. Die OECD warnt in ihrem jüngsten Wirtschaftsausblick, Politiker auf der ganzen Welt müssten sich "auf das Schlimmste vorbereiten", weil sich die Turbulenzen an den Finanzmärkten massiv ausweiten und "in absolut katastrophalen Resultaten enden" könnten. Für die Eurozone rechnen die OECD und die EZB schon in diesem Winter mit einer schrumpfenden Wirtschaft.

Die Schwächung des Euro kommt aber doch der Exportwirtschaft zugute, weil dadurch ihre Waren auf dem Weltmarkt billiger werden?

Für die imperialistische Wirtschaft ist der Kapitalexport entscheidend. Nur damit kann sie ihre internationalen Positionen, die angestrebte Weltmarktführerschaft ausbauen und auch ihren politischen Einfluss steigern. Natürlich zieht der Kapitalexport auch den Warenexport nach sich. So werden in den ausländischen Produktionsstätten Investitionen in Maschinen, Hochtechnologie usw. getätigt, die vielfach aus Deutschland bezogen werden. Die Schwächung des Euro aber schränkt die imperialistischen Möglichkeiten zum Kapitalexport ein und schwächt damit die Position der EU auf dem Weltmarkt. Je besser jedoch die Position auf dem Weltmarkt, desto mehr sind die Imperialisten in der Lage, die Folgen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise auf ihre Konkurrenten abzuwälzen und sich selbst möglichst schadlos zu halten. Mit dem Scheitern des internationalen Krisenmanagements, das mit der Eurokrise zusammenfiel, steht diese Konkurrenz zwischen den Imperialisten wieder im Vordergrund.

Was macht dich so sicher, dass die Weltwirtschafts- und Finanzkrise nicht doch auf absehbare Zeit bewältigt wird?

Der Widerspruch zwischen dem überschüssigen Kapital und den sich verengenden Märkten konnte bisher nicht gelöst werden. Das hätte eine viel größere Kapitalvernichtung erfordert, als es von den Regierungen der imperialistischen Länder in ihrer Panik vor der Verschärfung der Klassenwidersprüche zugelassen wurde. So hat das staatliche Krisenmanagement letztlich nur bewirkt, dass die Überakkumulation des Kapitals viel schneller wieder zu erneuten krisenhaften Einbrüchen im Prozess der Produktion und Reproduktion führt.
Ich will natürlich nicht ausschließen, dass vor allem die mächtigsten imperialistischen Regierungen alles versuchen werden, einen Ausweg aus der Krise zu finden, z. B. durch noch stärkere Abwälzung der Krisenlasten auf die vom Imperialismus abhängigen und unterdrückten Länder, durch verschärfte Ausbeutung der Massen, wachsende Inflation oder auch durch die Auslösung von Kriegen. Trotzdem wird dadurch die Tendenz der chronischen Überakkumulation des Kapitals nicht außer Kraft gesetzt und die Krise könnte nur zeitweilig durch kleine Wachstumsschübe unterbrochen werden.

Am 10. Dezember endete die Weltklimakonferenz der UNO in Durban, Südafrika. Nach Medienberichten konnte man den Eindruck gewinnen, dass der deutsche Bundesumweltminister Röttgen letztlich für einen Erfolg der Konferenz verantwortlich zeichnet. Was ist davon zu halten?

Der "Erfolg" der Konferenz besteht in der fragwürdigen Einigung, dass man bis 2015 die Grundlinie eines möglichen Vertrages zwischen allen Beteiligten erarbeiten will, der dann eventuell in neun Jahren in Kraft tritt. Die Allianz der kleinen Inselstaaten lehnte diesen Deal berechtigt ab und erklärte: "Warum sollten wir einem Abkommen zustimmen, welches langfristig und unvermeidlich unser eigenes Verschwinden zur Folge hätte?"
Durban steht für einen Offenbarungseid der imperialistischen Umweltpolitik und fördert sehenden Auges eine menschheitsgefährdende Verschärfung der Weltklimakatastrophe. Der regierungsamtliche Klimaschutz erweist sich als völlig untauglich. Ein wichtiger Hintergrund für das Scheitern dieses Klimagipfels war, dass immer mehr Regierungen die bereits getroffenen, völlig unzureichenden Umweltschutzmaßnahmen vor dem Hintergrund der Weltwirtschafts- und Finanzkrise wieder zurückgefahren haben. Ein drastisches Beispiel ist die Regierung von Kanada, die offenbar die selbst gesteckten Klimaziele zur Einsparung von CO2 dramatisch verfehlt hatte. Die jetzt eigentlich fälligen Strafzahlungen umging die Regierung so, dass sie einfach wieder aus den Vereinbarungen von Kyoto ausstieg. Das zeigt, wie wenig das Papier wert ist, auf dem diese Vereinbarungen geschrieben sind. Ohne den aktiven Widerstand der breiten Massen, ohne die Überlegenheit des Klassenkampfes gegenüber den imperialistischen Umweltverbrechern, wird das Weltklima eine katastrophale Entwicklung nehmen.

Welche Schlüsse müssen daraus gezogen werden?

Die Ursache für das Scheitern der imperialistischen Klimapolitik besteht darin, dass ein wirksamer Umweltschutz mit dem Profitinteresse des internationalen Finanzkapitals unvereinbar ist. Die bürgerliche Leitlinie von der Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie im Kapitalismus ist eine verhängnisvolle Sackgasse. Das Potsdamer Institut für Klimaforschung hat kürzlich eine neue Studie über verschiedene Szenarien der Klimaentwicklung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts herausgegeben. Darin kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass es auf allen Kontinenten zu verheerenden Veränderungen der Lebensgrundlagen kommen wird. Mit dem Buch "Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution" haben wir nachgewiesen, dass die Umweltkrise heute zu einer gesetzmäßigen Erscheinung der kapitalistischen Produktionsweise geworden ist. Der Kapitalismus ist an einem Punkt angelangt, an dem er unvereinbar geworden ist mit dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit.
Die Umweltfrage kann nicht mehr unabhängig von der sozialen Frage gelöst werden. Wir brauchen gesellschaftliche Verhältnisse, in denen nicht nach dem Profit einer winzigen Schicht Kapitaleigner produziert und verteilt wird, sondern in der das menschliche Dasein und der Schutz der natürlichen Umwelt grundlegend ist. Nur eine sozialistische/kommunistische Gesellschaft, die konsequent an den allgemeinen Interessen der gesamten Menschheit ausgerichtet ist, wird eine solche Leitlinie der Einheit von Mensch und Natur verwirklichen können.

In der Umweltbewegung wird kritisiert, dass in den ehemaligen sozialistischen Ländern der Umweltschutz stiefmütterlich behandelt worden sei.

Das ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. In vielen sozialistischen Ländern wurden auf vielfältige Weise auch Umweltschutzmaßnahmen, Einsparmaßnahmen von Energie und Rohstoffen, Wiederverwertung, Ansätze zur Kreislaufwirtschaft usw. verwirklicht. Das China Mao Zedongs hat die Losung ausgegeben, dass es keinen Abfall gibt, sondern nur Rohstoffe, die man wiederverwerten muss. Eine solche Losung ist vom Standpunkt des kapitalistischen Wertgesetzes aus natürlich nicht begreiflich. Dort ist es so, dass der Raubbau an der natürlichen Umwelt die Profite steigert. Erst die Restauration des Kapitalismus in den ehemals sozialistischen Ländern hat den guten Ansätzen im Umweltschutz einen Todesstoß versetzt.
Gleichwohl muss man feststellen, dass die Umweltfrage in der Arbeiterbewegung – und auch in den sozialistischen Ländern – tendenziell unterschätzt worden ist. Von der Möglichkeit der Herausbildung einer globalen Umweltkrise, die sich auf eine menschheitsbedrohende Umweltkatastrophe hin entwickelt, konnte man damals allerdings auch noch nicht ausgehen.
Auch die Marxisten-Leninisten mussten in dieser Frage umdenken. In den 1950er Jahren war die friedliche Nutzung der Atomenergie in den sozialistischen Staaten als ein sauberer und effektiver Weg zur Energiegewinnung betrachtet worden. Inzwischen wissen wir, dass die Atomtechnologie bei allen technischen Fortschritten nicht beherrschbar ist. Ein dogmatisches Festhalten der Marxisten-Leninisten an den Auffassungen der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung der 1950er Jahre wäre verheerend. Es ist deshalb von größter Bedeutung, dass sich die ICOR (1) und die ILPS (2) entschlossen haben, bis ins Jahr 2012 hinein eine weltweite Kampagne zur Stilllegung aller Atomkraftwerke, Abschaffung der Atomwaffen und Beendigung der sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie durchzuführen.

Hat nicht die Umweltbewegung in Deutschland mit den Beschlüssen der Merkel-Regierung zur Abschaltung der Atomkraftwerke einen wichtigen Erfolg erringen können?

Die Regierung war nach Fukushima völlig isoliert. Nur bei Strafe ihres Untergangs hätte sie ihre bereits beschlossene Verlängerung der Laufzeiten weiter verfolgen können. Gleichzeitig hat sie aber mit ihren langen Laufzeiten bis 2021 am Weiterbetrieb einer Reihe von Atommeilern festgehalten, vor allem freie Bahn für den weiteren Export gegeben und so die weltweite Gefährdung von Mensch und Natur aufrecht erhalten. Die sofortige Abschaltung aller Atomkraftwerke wäre in Deutschland weder ökonomisch noch technisch ein Problem.
Die Anti-AKW-Bewegung in Deutschland spielte im letzten Jahr eine bestimmte Vorreiterrolle in der Welt, was ihre Breite und ihr Aufklärungspotenzial betrifft. Inzwischen sind selbst in Japan, wo die übergroße Mehrheit der Bevölkerung lange Zeit für die sogenannte friedliche Nutzung der Atomenergie war, die Mehrheitsverhältnisse gekippt. Regierung und Monopole sind in die Defensive geraten. In Japan musste das Programm zum Aufbau weiterer schneller Brüter abgesetzt und in Frankreich der geplante Bau von Atomanlagen eingeschränkt werden.
Wir können uns jedoch keinesfalls mit dem Erreichten zufrieden geben. Wir brauchen einen weltweiten Schutz vor der Atomenergie und ihrer für Millionen Jahre tödlichen Strahlung. Dazu gehört auch, die Exporte von Atomenergieanlagen aus Deutschland bzw. die finanzielle Unterstützung dafür zu stoppen und für die Stilllegung dieser Produktionen einzutreten. Das darf aber nicht auf Kosten der Belegschaften getan werden. Für diese müssen selbstverständlich gleichwertige Ersatzarbeitsplätze geschaffen werden. Denn der Umweltschutz darf nicht auf Kosten der Arbeiterklasse, sondern muss in Einklang mit ihren Interessen durchgeführt werden.

Im Oktober hat ein internationaler Umweltratschlag in Gelsenkirchen stattgefunden. Dort hast du die These vertreten, dass eine qualitative Höherentwicklung der Umweltbewegung notwendig ist.

Um die globale Umweltkatastrophe zu stoppen, muss dem alleinherrschenden Finanzkapital eine überlegene Kraft gegenübergestellt werden. Eine solche überlegene Kraft stellt die bisherige Umweltbewegung noch nicht dar. Sie hat bisher viel Aufklärung betrieben und das allgemeine Umweltbewusstsein in der Bevölkerung erheblich gestärkt. Kaum eine bürgerliche Partei kann es sich heute leisten, in den Wahlkampf zu ziehen ohne entsprechende Umweltforderungen. Zugleich ist diese Umweltbewegung äußerst zersplittert, lokal und national begrenzt, hat einen geringen Organisationsgrad und damit auch nur eine beschränkte Kampf- und Durchsetzungsfähigkeit. Die Verantwortlichen der bisherigen Umweltbewegung setzen zunehmend vor allem darauf, auf die Verantwortlichen in den Chefetagen und den bürgerlichen Parteien argumentativ einzuwirken und sich dadurch Veränderungen zu erhoffen. Dem liegt die Illusion zugrunde, dass die Umweltkrise im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft und in Einheit mit den Profitinteressen der Monopole überwunden werden könne.
Wir brauchen aber eine höhere Kampfkraft und einen klaren Konfrontationskurs gegenüber der Profitwirtschaft von Monopolen und Regierungen, in der der Raubbau an der natürlichen Umwelt zu einem Faktor der Kostensenkung und des Konkurrenzkampfs geworden ist.
Wir können es nicht weiter zulassen, wie rücksichtslos auf Kosten der natürlichen Ressourcen produziert wird. Das erfordert mehr als Erfolge bei diesem oder jenem Projekt zum Schutz der Umwelt. Dazu ist eine internationale Widerstandsfront und eine Umwälzung der ganzen gesellschaftlichen Produktions- und Lebensverhältnisse notwendig, die nachhaltig der imperialistischen Profitwirtschaft entgegen wirkt.
Eine solche gigantische Aufgabe ist notwendigerweise gesellschaftsverändernd. Wir werden aber keine Gesellschaftsveränderung erreichen ohne Überwindung der Diktatur der Monopole. Deshalb ist der Kampf gegen die drohende Umweltkatastrophe auch ein Kampf gegen den Imperialismus und für die Durchsetzung sozialistischer Verhältnisse.

Kann das die bisherige Umweltbewegung leisten?

Mir ist natürlich klar, dass ein Teil der heutigen Umweltbewegung sich entschieden gegen eine solche Perspektive verwahren wird, was oft mit einem starken antikommunistischen Vorbehalt verbunden ist. Aber der übergroße Teil der Umweltbewegung steht inzwischen auf dem Standpunkt, dass nachhaltiger Umweltschutz und Profitinteressen unvereinbar sind. Seit Kopenhagen und Cochabamba diskutiert die weltweite Umweltbewegung intensiv über die notwendigen Systemalternativen. Wer konsequent Umweltschutz betreiben will, der muss letztlich auch einen revolutionären Geist entwickeln. Dazu ist viel Überzeugungsarbeit und eigene Lernbereitschaft notwendig, denn wir wollen die bisherigen Umweltschützer ja auch nicht vor den Kopf stoßen. Sie haben viel geleistet und die weltweite Umweltbewegung braucht ihr Know-how, ihre Erfahrungen, ihre Lösungsvorschläge und ihren praktischen Idealismus. Am allerwichtigsten ist aber, dass die Arbeiterklasse ihre historische Rolle im Kampf um den Erhalt der Lebensgrundlagen in Einheit mit ihrer sozialen Befreiung begreift und strategisch die Umweltfrage in ihren Kampf für die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung aufnimmt.
Diese neue Qualität der Umweltbewegung kann nicht lokal oder national begrenzt sein, sondern muss international koordiniert arbeiten. Die Umweltkatastrophe macht vor Ländergrenzen nicht Halt. Die Ursachen für die katastrophalen Auswirkungen der globalen Umweltkrise liegen oft nicht einmal im eigenen Land. Meist müssen die Ärmsten der Armen die Folgen von Überschwemmungen, Dürre und anderen Katastrophen ertragen, die sie gar nicht zu verantworten haben.
Die notwendige neue Qualität der Umweltbewegung speist sich aus den drei Elementen der Organisiertheit, der systemverändernden Perspektive und des Internationalismus.
Eine höhere Stufe der Umweltbewegung braucht auch eine höhere Organisationsform. Der auf dem Umweltratschlag diskutierte Gedanke des Aufbaus einer kämpferischen Umweltgewerkschaft ist sehr gut. Er steht für eine Organisationsform, die den breiten Massen der Arbeiter und abhängigen Beschäftigten als wirkungsvolles Instrument ihres ökonomischen und sozialen Kampfes vertraut ist. Eine solche Umweltgewerkschaft hat natürlich nichts mit einer Industriegewerkschaft zu tun und steht auch nicht in Konkurrenz zu den bisherigen Gewerkschaften. Sie hätte vor allem die Aufgabe, der breiten Masse der Bevölkerung eine Organisationsform des Kampfs gegen die verschiedenartigsten Formen des Raubbaus und für Maßnahmen für den Schutz der natürlichen Umwelt zu geben und eine überlegene Kraft gegenüber den Hauptverursachern der Umweltkatastrophe herauszubilden. Bevor aber eine solche Organisationsform entstehen kann, muss die dazu notwendige Strategiediskussion in der Umweltbewegung geführt werden. Denn alles, was der Mensch tut, muss vorher durch seinen Kopf.

Haben diese neuen Erkenntnisse schon praktische Konsequenzen gezeigt?

Zum 3. Dezember 2011 ergriffen wir in und mit der Weltorganisation ICOR nach 2010 zum zweiten Mal erfolgreich die praktische Verantwortung für die Durchführung des von ihr bei der Gründung beschlossenen internationalen Umweltkampftags. In über 45 Städten Deutschlands förderten wir Protestaktivitäten und Initiativen, Kundgebungen und Demonstrationen – teils auch gestützt auf breite örtliche bzw. regionale Aktionseinheiten. Ein Riesenfortschritt gegenüber dem ersten Kampftag 2010! Hier kam auch an der Basis der bisherigen Umweltbewegung eine wachsende Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit revolutionären Kräften zum Ausdruck. Es ist dagegen als unverantwortlich zu kritisieren, dass seit zirka zwei Jahren die Spitzen verschiedener größerer Umweltorganisationen wie BUND, Greenpeace oder Attac den bisherigen gemeinsamen Weltklimatag zu Gunsten intensivierter Lobby-Tätigkeit ad acta gelegt haben. Das hat eine Tendenz zur Kapitulation entsprechend der von den Herrschenden propagierten Leitlinie, dass es allenfalls noch um eine "Anpassung an den Klimawandel" gehen kann. Die Umweltbewegung muss ihren Hauptstoß gegen die herrschenden Monopole und ihre Regierungen richten. Dazu sind die heutigen Spitzen von BUND, Greenpeace oder Attac offensichtlich nicht bereit.

Muss die Umweltthematik nicht auch theoretisch weiter geklärt werden?

Zweifellos. Die theoretischen Kenntnisse der bisherigen Umweltbewegung reduzieren sich im wesentlichen auf Enthüllungen über schädliche Auswirkungen von Produktions- und Konsumtionsweisen, Technologien, Produkten usw. In den gesellschaftlichen und weltanschaulichen Fragen allerdings ist sie stark in Idealismus und Metaphysik befangen. So ist es bereits in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen, von der "Umweltzerstörung" zu sprechen. Die Natur kann man aber nicht zerstören, man kann sie nur verändern. Entweder so, dass die Lebensgrundlagen der Menschheit erhalten bleiben und sich entwickeln, oder sie so deformieren, dass die Menschheit nicht mehr weiter leben kann. Die in der Umweltbewegung verbreitete Metaphysik ist zweifellos ein wichtiges Hindernis, die tiefen gesellschaftlichen Ursachen und neuen Perspektiven im Kampf zur Verhinderung der globalen Umweltkatastrophe allseitig und schöpferisch zu begreifen.
Auch die Marxisten-Leninisten müssen ihre Auffassungen theoretisch weiter vertiefen. Das ZK der MLPD arbeitet deshalb bereits konzentriert am REVOLUTIONÄREN WEG 35 "Der Klassenkampf und der Kampf um die Einheit von Mensch und Natur". Dabei gehen wir von den Grundlagen des Marxismus aus und stellen beeindruckt fest, wie allseitig und perspektivisch Marx und Engels dieses Thema behandelt haben. In der Artikelsammlung "Dialektik der Natur" von Friedrich Engels erbringt er den Nachweis, dass die Einheit von Mensch und Natur auf dialektischen Bewegungsgesetzen beruht und sie nur mit der Anwendung der dialektischen Methode bewusst hergestellt und höherentwickelt werden kann. Die MLPD steht nun vor der Aufgabe, diese Dialektik auf dem Niveau des heutigen hochkomplexen Erkenntnisstandes zu analysieren und Schlussfolgerungen zu ziehen.
Dazu wollen wir uns nicht allzuviel Zeit lassen, weil die Notwendigkeit der Strategiediskussion in der internationalen Umweltbewegung auch nach theoretischer Klarheit schreit und wir unseren fundierten Beitrag dazu leisten müssen.

Du hast am Anfang unseres Gesprächs gesagt, dass die wesentliche Erscheinung der Umschlag der ökonomischen in politische Krisen ist. Was ist darunter zu verstehen?

Wirtschaftliche Krisen stehen in einer untrennbaren Wechselwirkung mit politischen Krisen. Politische Krisen wiederum haben zwei wesentliche Seiten, die sich in einer Zuspitzung im Klassenkampf und einer Destabilisierung der politischen Verhältnisse sowie in einer wachsenden Kriegsgefahr und dem Ausbruch von Kriegen äußern können.
Es gibt zwar keinen unmittelbaren Zusammenhang von Wirtschaftskrise und Kriegen, aber es ist schon auffällig, dass bereits kurz nach dem gescheiterten Abenteuer der USA und der NATO im Irak und Afghanistan neue kriegerische Töne angeschlagen werden. Seit Monaten hören die Provokationen gegenüber dem Iran nicht auf, um einen Vorwand für eine kriegerische Aggression zu schaffen. Die provokative Reaktion von Ahmadinedschad, dem Regierungschef des faschistischen iranischen Regimes, die Straße von Hormus notfalls dicht zu machen, steigert seinerseits die Kriegsgefahr. Immerhin müssen 40 Prozent des gesamten Weltölbedarfs diese Straße durchqueren.
In Deutschland und in der EU befasst man sich gerade mit einem stärkeren kriegerischen Engagement unter dem Vorwand der Bekämpfung der Piraterie am Golf von Afrika. Auf Drängen des Bundesverteidigungsministers soll das militärische Mandat der EU-Truppen nun auch auf Angriffe aus der Luft und auf Bodeneinsätze in Somalia ausgeweitet werden. Damit erhöht sich allerdings die Gefahr eines langanhaltenden Kriegs in Somalia. Die allgemeine Kriegsgefahr ist sicherlich eines der größten Probleme der nächsten Zeit. Der Kampf für den Erhalt des Weltfriedens muss aufs engste mit dem Kampf gegen die Folgen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise auf die breiten Massen verbunden werden.
Der hauptsächliche Zweck des internationalen Krisenmanagements war, eine offene politische Krise in Europa oder gar eine revolutionäre Krise im Weltmaßstab zu verhindern. Das ist inzwischen – wenn auch mit einiger Zeitverzögerung – deutlich misslungen: In etwa 50 Prozent der Länder der Welt werden seit 2010 die gesellschaftlichen Verhältnisse durch Massendemonstrationen, Massenstreiks oder gar Aufstände in Frage gestellt: 35 von 177 untersuchten Staaten galten 2011 als "akut" instabil, bei weiteren 130 ist die politische Stabilität "bedroht". In Nordafrika sowie im Mittleren und Nahen Osten erschüttert seit Anfang 2011 eine demokratische Aufstandsbewegung in mindestens 23 Ländern die Jahrzehnte lang währende, auf die Interessen des Imperialismus ausgerichtete Machtstruktur.
In Europa bewirkte die Abwälzung der Krisenlasten auf die breiten Massen ab Frühjahr 2010 einen Stimmungsumschwung in der Arbeiter- und Volksbewegung. In Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien, Ungarn, Belgien, Slowenien usw. entfalteten sich Massenproteste auf der Grundlage der Verarbeitung des Krisenmanagements und des Protests gegen seine verheerenden Wirkungen. Meist steht die Jugend an der Spitze. Sieben Regierungen mussten in den letzten Monaten aufgrund offener politischer Krisen ausgewechselt werden. In Griechenland entwickelte sich eine revolutionäre Gärung. Am 19. und 20. Oktober 2011 kam es dort zu den bislang größten Kampfaktionen seit dem Sturz der Militärdiktatur 1974. Sie richteten sich gegen die Troika von EU, Europäischer Zentralbank und IWF als Hauptwerkzeuge der Ausplünderung durch die Übermonopole.
Mit dem Aufschwung des demokratischen- und Freiheitskampfs der breiten Massen im internationalen Maßstab hat sich auch die Tendenz zur politischen Reaktion verstärkt. Wir erleben heute, wie rücksichtslos in Ägypten auf die Massen eingeprügelt und geschossen wird. In Kasachstan wurden kürzlich mindestens 70 Ölarbeiter bei Auseinandersetzungen mit dem Staatsapparat erschossen und über 500 zum Teil schwer verletzt. In Russland versucht die Putin-Regierung ihre Wahlfälschung gegen den Massenprotest mit einem gesteigerten Terror zu verteidigen. Überall sehen wir auch die Tendenzen zur Faschisierung des Staatsapparats, die als eine Vorbereitung des Staatsterrors gegenüber den rebellierenden Massen betrachtet werden müssen. Diese beiden Tendenzen, auf der einen Seite das kämpferische Streben der breiten Massen nach Demokratie und Freiheit, aber auch der verstärkten reaktionären Gewalt der imperialistischen Machthaber und ihrer Statthalter, sind der Boden, auf dem es zu einer Revolutionierung der breiten Massen kommen wird.
Bereits Lenin wies auf die fundamentale Bedeutung des Kampfes um Freiheit und Demokratie für den Klassenkampf um den Sozialismus hin: "Der Kapitalismus überhaupt und der Imperialismus insbesondere" - so sagte er - "verwandelt die Demokratie in eine Illusion – und zugleich erzeugt der Kapitalismus demokratische Bestrebungen in den Massen. ... das Erwachen und das Anwachsen der sozialistischen Erhebung gegen den Imperialismus sind untrennbar verbunden mit dem Anwachsen der demokratischen Abwehr und Empörung." (Lenin Werke Bd. 23, Seite 14/15)
Der Kampf um Freiheit und Demokratie ist, wie wir aus der Geschichte der Arbeiterbewegung wissen, eine notwendige Vorstufe des Kampfs zum revolutionären Sturz des Imperialismus und der Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Deshalb müssen wir diesen demokratischen Bestrebungen der Massen größte Aufmerksamkeit schenken. Unsere erweiterte internationalistische Losung fasst unsere Aufgaben so zusammen:
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!
Proletarier aller Länder und Unterdrückte, vereinigt euch!

Herrscht aber nicht in Deutschland anhaltende Ruhe im Klassenkampf?

Seit diesem Herbst ist der Stimmungsumschwung im Kern des Industrieproletariats in Deutschland endgültig angekommen, auch wenn sich diese bedeutende Entwicklung oft noch unspektakulär vollzieht. Der Hass der Arbeiter auf die unerträglich verschärfte Ausbeutung, ihr Offensivgeist, ihr Zusammenhalt und der Schulterschluss mit der MLPD sind spürbar gewachsen. Den Auftakt bildeten selbständige Aktionen bei Daimler in Sindelfingen. Die Opelaner in Bochum gewannen die Kraftprobe gegen die geplanten und bereits ausgesprochenen Kündigungsdrohungen und damit verbundenen Spaltungsmanöver sowie gegen übles Mobbing. Bei Ford in Köln wird anhaltend Widerstand gegen die Einführung des Lohnraubprogrammes ERA geleistet – und das, obwohl die jetzt dort arbeitenden Kollegen gar nicht unmittelbar davon betroffen sind.
Besonders bemerkenswert ist die gewachsene Einheit von Jung und Alt für die unbefristete Übernahme nach der Lehre. Dafür setzten die größte gewerkschaftliche Jugenddemonstration der letzten Jahre mit 20.000 Teilnehmern in Köln am 2.10.2011 sowie der Stahltarifabschluss mit der erstmals tariflich vereinbarten unbefristeten Übernahme ein bedeutendes Signal. Beeindruckend waren auch die kämpferischen Initiativen der Basis vor den Gewerkschaftstagen von Ver.di und IG Metall, die sich auf beiden Gewerkschaftstagen in der Stärkung der kämpferischen Richtung manifestierten.
Die Umweltbewegung in Deutschland ist zur größten Bewegung des aktiven Volkswiderstands herangewachsen. Sie hat mit dem Kampf gegen die Atomkraftwerke ab dem Frühjahr 2011 ein internationales Signal gesetzt. Von 111.170 im Jahr 2009 wuchs die Teilnehmerzahl auf 466.550 im Jahr 2010 – und allein bis zum November 2011 auf 1.184.130 Teilnehmer! Die Massen wollen nicht in der globalen Umweltkatastrophe untergehen.
Mit der Bewegung gegen "Stuttgart 21" hat Deutschland im letzten Jahr eine der bedeutendsten Massenbewegungen der Nachkriegsgeschichte hervorgebracht. Die kämpferische Frauenbewegung in Deutschland hat Großes für die 1. Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen im März in Caracas (Venezuela) geleistet und sich ein nachhaltiges internationalistisches Profil erarbeitet.
In diesen Aktivitäten der Arbeiter- ebenso wie der Umwelt- oder der Jugend- und Frauenbewegung entfaltet sich eine Systemdebatte: Der Kapitalismus steht seit der Weltwirtschafts- und Finanzkrise in einer Massenkritik wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wir merken, wie immer selbstverständlicher über revolutionäre Veränderungen nachgedacht und diskutiert wird. Die Aufgabe der Marxisten-Leninisten besteht darin, durch Erhöhung des Bewusstseins und der Organisiertheit der Massen beharrlich an der Übereinstimmung zwischen objektivem und subjektivem Faktor zu arbeiten. Erst aus dieser Übereinstimmung entsteht die revolutionäre Situation, in der die Herrschenden nicht mehr in der alten Weise regieren können und die Massen nicht mehr in der alten Weise leben wollen.

Wie reagieren die Herrschenden auf die Entwicklung des Linkstrends?

Ihre Hauptmethode ist immer noch das inzwischen internationalisierte System der kleinbürgerlichen Denkweise. Doch ihre Träger verschleißen sich immer schneller. Nach dem parlamentarischen Höhenflug der Linkspartei und später der Grünen flogen zeitweilig der "Piratenpartei", als einer sich basisdemokratisch und unverbraucht gebenden Kraft, die Sympathien zu. Inzwischen hat sich ihr erster Parteitag ein banales bürgerlich-liberales Programm gegeben.
In der "Occupy"-Bewegung werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, die Empörung gegen das Finanzkapital auf die Mühlen illusionärer Hoffnungen, auf Zähmung des "Raubtierkapitalismus" zu leiten. Auch die Linkspartei erweckt die Illusion, dass durch eine Beschneidung der Rechte der Banken der Kapitalismus gezähmt werden könne. Aber die Banken sind nur ein Instrumentarium zur Organisierung des Prozesses von Produktion und Reproduktion, das man nicht einfach "wegoperieren" kann. Dazu muss man den Kapitalismus selbst überwinden! Alles andere bleibt Illusion.

Der Europarat führt seit 2006 eine antikommunistische Kampagne durch. Wie wirkt sich das auf das Bewusstsein der Massen aus?

Diese Antikommunismuskampagne reagierte auf das anhaltend hohe Ansehen des Sozialismus unter den Massen. Sie ist in vorgeblicher Wissenschaftlichkeit in Wirklichkeit argumentativ äußerst dubios. Über die Inhalte der antikommunistischen Artikel und Veröffentlichungen darf nach Lesart dieser Kampagnen öffentlich gar nicht diskutiert werden. Widersprechende Auffassungen und Analysen werden in der medialen Öffentlichkeit rigoros unterdrückt. Das ist natürlich ein zweischneidiges Schwert, weil man mit undemokratischen Methoden die Leute letztlich auch nicht überzeugen kann. Damit der Gegenpol zum Antikommunismus öffentlich nicht in Erscheinung tritt, wird die Politik der Isolierung der MLPD zur Zeit noch verstärkt. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Deshalb hat die MLPD beschlossen, 2012 eine kämpferische Aufklärungs- und Informationskampagne gegen den modernen Antikommunismus durchzuführen.

Der moderne Antikommunismus ist ja nicht neu. Er wird bereits im Programm der MLPD als Kern des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise ausgewiesen. Trotzdem hat sich in der öffentlichen Präsentation des Antikommunismus einiges verändert.

In dem Maße, wie sich die kleinbürgerlich-reformistische und kleinbürgerlich-revisionistische Denkweise abgenutzt haben, haben die Herrschenden in ihrer Massenbeeinflussung die Förderung der kleinbürgerlich-antikommunistischen Denkweise ins Zentrum des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise gestellt. Die Verbreitung antikommunistischer Vorbehalte und handfester Geschichtsfälschungen über tausende mediale Kanäle wurde zur tagtäglichen Erscheinung. Geheimagenten des sogenannten "Verfassungsschutzes" dürfen heute über Schulbuchverlage ihre antikommunistische Hetze in den Unterricht tragen. Ihre "Beweise" bestehen in der Regel darin, dass ein Antikommunist den anderen zitiert und das dann als wissenschaftliche Darlegung ausgibt. Moderner Antikommunismus bedeutet aber keineswegs nur Propaganda, sondern ein ganzes System der politischen Manipulation und Unterdrückung. Er besteht aus ideologischen, politischen und organisatorischen Maßnahmen. Dazu gehört das ganze reaktionäre Arsenal von Bankenboykotten gegen die MLPD bis hin zu Unvereinbarkeitsbeschlüssen, wie sie der IG-Metall-Vorstand beschlossen hat und verschiedene andere Formen der Beschneidung elementarer demokratischer Rechte und Freiheiten.
So gelingt es dem modernen Antikommunismus noch, mit seinem ganzen medialen, politischen und finanziellen Aufgebot einen Damm gegen die MLPD und eine Revolutionierung der Massen aufzubauen. Seine Wirkung unter den Massen in Form einer kleinbürgerlich-antikommunistischen Denkweise hält noch viele ab, sich in und mit MLPD und REBELL für den Sozialismus einzusetzen.
Die kleinbürgerlich-antikommunistische Denkweise unter den Massen äußert sich weniger in politischen Widersprüchen zu unseren Ansichten, sondern vor allem in Vorbehalten, Ängsten, diffusen Befürchtungen und Abgrenzungsbedürfnissen. Die diffuse Verunsicherung gegenüber dem Sozialismus und den Marxisten-Leninisten ist zum gravierendsten Problem in der Entwicklung des Klassenbewusstseins und damit des Klassenkampfs geworden. Wir werden deshalb in den kommenden Monaten eine Offensive gegen den modernen Antikommunismus durchführen, die schmutzigen und intriganten Methoden der berufsmäßigen Antikommunisten entlarven und dem Sozialismus und seinen Repräsentanten von Marx bis Mao Zedong neues Ansehen verschaffen.

Wie ordnest du die zu Tage gekommenen Verbindungen zwischen NPD, faschistischen Terror-Netzwerken und dem "Verfassungsschutz" ein?

Die bekannt gewordenen Informationen belegen eindeutig, dass es ein umfassendes System der Duldung, Förderung und Deckung des neofaschistischen Killerkommandos mit dem Namen "NSU" durch staatliche Institutionen, sowie eine strukturelle Verbindung des staatlichen Unterdrückungsapparates mit den faschistischen Kräften gibt. Die Herrschenden geben dem faschistischen Terror unübersehbar verstärkt Spielraum und fördern ihn teilweise gezielt, seitdem dieser sich verstärkt gegen die Arbeiterbewegung, Linke und die Revolutionäre richtet. Ein erster Höhepunkt war 2009 der brutale Angriff von 300 Faschistenschlägern auf die 1. Mai-Demonstration in Dortmund. Faschistische Bedrohungen und Angriffe gegen Antifaschisten, Linke, Gewerkschafter und Kollegen, die unserer Partei zugerechnet werden, nehmen zu. Das hat breite Empörung und Solidarität herausgefordert.
Als Tribut an das antifaschistische Massenbewusstsein wird nun eine neue Initiative zum Verbot der NPD in die Diskussion gebracht. Doch das ist nicht ausreichend. Es gibt inzwischen ein entwickeltes Netzwerk und eine Struktur der "Aufgabenteilung" sowie ein System von nationalen und internationalen Vernetzungen unter den ultrareaktionären bis faschistischen Organisationen, Parteien und Terror-Trupps. Die NPD ist über ihre Wahlteilnahmen Geldbeschafferin und verbreitet das ultrarechte, faschistoide Gedankengut scheinbar seriös in Sakko und Anzug, während die Terrorbanden und Killerkommandos ihre Drecksarbeit verrichten. Das einzig taugliche Mittel ist der entschiedene antifaschistische Kampf für die unmissverständliche Ächtung und das Verbot und die Auflösung aller faschistischen Organisationen und ihrer Propaganda. Er steht in enger Verbindung mit dem Kampf gegen die Faschisierung des Staatsapparats und für die Verteidigung und Erweiterung demokratischer Rechte und Freiheiten.

Der stärkste Gegenpol zum Faschismus ist der Internationalismus. Vor gut einem Jahr wurde die ICOR als neue Weltorganisation der Revolutionäre gegründet. Wie hat sich ihr weltweiter Aufbau inzwischen entwickelt?

Bis zur Gründung der ICOR verfügte die internationale revolutionäre, marxistisch-leninistische und Arbeiterbewegung über kein geeignetes Instrument der praktischen Zusammenarbeit in all den vielen Fragen, in denen sie sich einig ist. Dabei wurden seit der ICOR-Gründung schon große Fortschritte erreicht, z.B. in der gemeinsamen Durchführung internationaler Kampftage am 1. Mai, den Antikriegs- oder Umweltkampftagen. Aber allen am ICOR-Prozess beteiligten Kräften ist auch klar, dass die revolutionären Parteien und Organisationen nicht von heute auf morgen zusammenwachsen, sondern Schritt für Schritt zusammenfinden und ein tiefes gegenseitiges Vertrauensverhältnis entwickeln müssen. Die von allen ICOR-Mitgliedern gemeinsam beschlossene Jahreskampagne der ICOR vom 1. September 2011 bis zum 1. September 2012 ist so vor allem auch eine Schule der praktischen Zusammenarbeit, der länderübergreifenden Koordination und Kooperation und des organisatorischen Aufbaus. Die Mitgliedsorganisationen verbinden dazu ihre revolutionäre Praxis in ihren Ländern mit der gemeinsamen Praxis auf internationalem Niveau.
In der MLPD wird bereits eine rege Aktivität zur Bekanntmachung der ICOR unter den Massen entwickelt. In der Spendensammlung sind oft die Genossinnen und Genossen mit dem niedrigsten Einkommen die ersten, die selbstlos ihre Beiträge geben. Das zeigt die moralische Kraft des proletarischen Internationalismus! Ihm eine neue Qualität zu verleihen, ist die entscheidende Kraft, damit die internationale revolutionäre und Arbeiterbewegung und ihre Verbündeten tatsächlich Schritt für Schritt das Trennende überwinden und die strategische Überlegenheit über das imperialistische Weltsystem erreichen.

Wie vollzieht sich denn der weitere Aufbau der ICOR und welche praktischen Projekte sind in Planung?

Für den weiteren Aufbau der ICOR kommt nun der Arbeitsaufnahme der inzwischen in Europa, Asien und Amerika gewählten kontinentalen Koordinierungskomitees (CCC) eine besondere Bedeutung zu. Sie sind in der Sprache, der konkreten Kenntnis der Länder und der Parteien und Organisationen näher dran.
Alle Kontinentalkoordinierungen haben sich bedeutende Projekte vorgenommen, von denen wichtige Impulse für die Koordinierung und Revolutionierung des Klassenkampfes ausgehen werden. In Asien wird eine Bauernkonferenz in Delhi im April 2012 vorbereitet, in Afrika eine Konferenz für Anfang 2013 zum Thema "Die Verantwortung der Jugend Afrikas angesichts der Krise und die Frage der Migration". Gemeinsam mit der MLPD wird die ICOR Europa am 1./2. November 2012 ein "Europa-Seminar" organisieren über die Entwicklung der EU und ihrer Krise sowie zur Koordinierung des Klassenkampfes und des revolutionären Parteiaufbaus in Europa. Die ICOR unterstützt weitere internationale Projekte: den überparteilich organisierten Internationalen Automobilarbeiterratschlag vom 17. bis 20. Mai 2012 in München, den 4. internationalen Hafenarbeitererfahrungsaustausch im September 2012 und die Internationale Bergarbeiterkonferenz im März 2013 in Peru.
Die MLPD wird sich als verlässliche Aktivistin der ICOR erweisen, von den anderen lernen und ihre eigenen Erfahrungen selbstbewusst einbringen.

Du hast die Jugend verschiedentlich als notwendige praktische Avantgarde der Vorbereitung der internationalen Revolution bezeichnet. Wie entwickelt sich die Jugendarbeit der MLPD?

Der Jugendverband REBELL ist auf einem guten Weg, den proletarischen Internationalismus zum Leitmotiv seiner ganzen Arbeit zu machen. Das steht in enger Verbindung mit einer verstärkten ideologisch-politischen Arbeit, dem Studium der "Morgenröte" und einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen MLPD und REBELL. In der Zusammenarbeit mit anderen Jugendverbänden von ICOR-Parteien zeigt der REBELL Flagge unter dem Motto "Gib Antikommunismus keine Chance!".

Welche Bedeutung misst du der Herausgabe des Buchs "Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution" bei und wie wird es aufgenommen?

Seit der Veröffentlichung des Buches "Götterdämmerung über der 'neuen Weltordnung'" im Jahr 2003 verfügten wir über eine ausgereifte Analyse der Neuorganisation der internationalen Produktion. Mit der "Morgenröte..." haben wir nun allseitige Schlussfolgerungen für die Strategie und Taktik der internationalen sozialistischen Revolution gezogen. Damit sind auch Änderungen in der konkreten Strategie und Taktik der MLPD verbunden.
Unsere Mitglieder haben das Studium und den Vertrieb des Buches erwartungsvoll, begeistert und ernsthaft aufgenommen. Wir erleben erstaunliche Offenheit und wachsendes Bedürfnis vieler Menschen, über das Thema der internationalen sozialistischen Revolution zu diskutieren. Mehr als 2.000 Teilnehmer besuchten bisher 36 öffentliche Veranstaltungen zur "Morgenröte ...". Auch die Studienbewegung entwickelt sich gut. Über 50 Studiengruppen haben sich bisher gebildet sowie zahlreiche kleinere Lesegruppen. Bisher wurden über 4.300 Bücher verkauft.
Die Strategie und Taktik der internationalen sozialistischen Revolution hat zwei Seiten, die in dialektischer Wechselwirkung zueinander stehen: Sie bezieht sich auf die internationale Revolution als gemeinsame historische Aufgabe ebenso wie auf die objektiven und subjektiven Voraussetzungen in den einzelnen Ländern. Daraus folgt: Jeder Revolutionär muss Verantwortung für die Entwicklung in anderen Ländern übernehmen und mit diesem Bezugspunkt aktiv daran arbeiten, den Klassenkampf im eigenen Land voran zu bringen. Das ist etwas Neues, das wir uns alle zusammen erst einmal erkämpfen müssen. So fordert die Lektüre des Buches jeden auch zu einer intensiven Selbstveränderung heraus.
Auch in der internationalen marxistisch-leninistischen, revolutionären und Arbeiterbewegung hat eine Strategiedebatte über die Zukunft der gesellschaftlichen Entwicklung und den Beitrag der Marxisten-Leninisten begonnen. Der wichtigste Beitrag der MLPD für diese Debatte ist dieses Buch. Deshalb arbeiten wir mit Hochdruck an der internationalen Verbreitung: Bereits kurz nach dem Erscheinen auf Deutsch ist die "Morgenröte..." auf Englisch erschienen, herausgegeben von einem indischen Verlag. Die spanische Ausgabe ist bereits fertig übersetzt und wird demnächst gedruckt. Die französische Übersetzung ist fortgeschritten, an der Übersetzung auf Türkisch, Russisch, Arabisch und Farsi wird gearbeitet. Die weltweite Verbreitung des Buches wird von vielen Parteien und Organisationen mit Spannung erwartet und zweifellos eine Hilfe sein, dass der Prozess des Zusammenschlusses der revolutionären Kräfte auf der Welt vorankommt.

Welche theoretischen Aufgaben stehen vor der MLPD in nächster Zeit?

Ich habe bereits oben dargelegt, dass aktuell im Mittelpunkt die Nummer des theoretischen Organs zum Klassenkampf und dem Kampf um die Einheit von Mensch und Natur steht. Parallel dazu arbeiten wir aber bereits an einer weiteren Ausgabe unseres theoretischen Organs mit dem Arbeitstitel "Die Krise der bürgerlichen Ideologie und die Lehre von der Denkweise".
Die Krise der bürgerlichen Ideologie führt zur weiteren Destabilisierung des imperialistischen Weltsystems. Wer vermag angesichts der schändlichen Rolle der Banken in der überschäumenden Spekulation noch von einer "sozialen Marktwirtschaft" zu sprechen? Wer meint allen Ernstes noch, dass der Staat, der in dieser Situation in immer mehr Ländern die Krisenlasten radikal auf die breiten Massen abwälzt, ein "Sozialstaat" sei? Auch die Religion, die eine wichtige Aufgabe darin hat, die Massen in Demut und Zurückhaltung zu halten, verliert tendenziell ihre Wirkung. In der Wissenschaft gerät die Verengung auf die unmittelbar profitorientierte wissenschaftliche Tätigkeit immer mehr in Kritik. Aber auch der Idealismus und die Metaphysik erleben gerade ein Desaster. Mit alldem muss man sich prinzipiell auseinandersetzen und die Überlegenheit der proletarischen, dialektisch-materialistischen Weltanschauung und Denkweise propagieren.
Mit dem System der kleinbürgerlichen Denkweise konnte die bürgerliche Ideologie auf eine bestimmte Art und Weise tief in die Massen, die Arbeiterbewegung, den Parteiaufbau und den Sozialismus eindringen. Aber sie gibt eine einseitig negative Ausrichtung, die keine positive Bindungskraft zum imperialistischen Weltsystem entwickeln kann. Das kennzeichnet den zeitweiligen Charakter der Wirkung des Systems der kleinbürgerlichen Denkweise.
Es ist sehr wichtig, dass die Marxisten-Leninisten sich auch weltanschaulich rüsten, denn eine neue sozialistische Gesellschaft ist nicht nur ein politisches und ökonomisch alternatives System zum Kapitalismus, sondern sie muss vor allem auf einer klaren proletarischen Weltanschauung fußen. Es war eine der verheerendsten Erfahrungen der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung, dass das Eindringen der kleinbürgerlichen Denkweise in die Führungsschicht der Partei, des Staats und der Wirtschaft bis zur revisionistischen Entartung und zur Restauration des Kapitalismus führen konnte. Eine entscheidende Bedingung dafür war die Geringschätzung der weltanschaulichen Seite im Aufbau des Sozialismus. Diese bittere Erfahrung muss uns eine Lehre sein.

Die MLPD beginnt, ihren IX. Parteitag vorzubereiten. Was hat man sich darunter vorzustellen?

Bei den bürgerlichen Parteien spielt die Basis bestenfalls eine Statisten-Rolle. Beim Parteitag der Linkspartei im Oktober in Erfurt bekamen die Mitglieder stapelweise Parteitagsmaterialien am Eingang ausgehändigt, über die dann unverzüglich diskutiert und abgestimmt wurde. Bei uns erhält jedes Mitglied den Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees Monate vor dem Parteitag persönlich als Entwurf ausgehändigt - zum Studium, zur Überprüfung anhand seiner eigenen Erfahrungen, als Hilfe zu deren Verarbeitung und verbunden mit dem Recht, Anträge zur Kritik und Verbesserung auszuarbeiten. Jede Parteigruppe diskutiert den im Oktober vom Zentralkomitee verabschiedeten Entwurf des Rechenschaftsberichts über einige Monate ausgiebig und kann Anträge vorschlagen, die die Delegiertentage der Ortsgruppen und Kreisverbände dann an den Parteitag richten. Was wir seit Jahrzehnten mit Erfolg praktizieren, ist in der deutschen Parteienlandschaft einmalig. Kandidaten für die zentralen Gremien werden von der Basis vorgeschlagen und können ohne Zustimmung ihres Kreis- bzw. Ortsdelegiertentages nicht kandidieren.
Solch umfassende Rechte der Mitgliedschaft, ein solch intensiver Prozess der Parteitagsvorbereitung sind für uns eine wesentliche Schlussfolgerung aus der revisionistischen Entartung früherer kommunistischer Parteien und ein wichtiger Garant, dass die Mitglieder tatsächlich die Herren in der Partei sind. Elementarer Bestandteil der Parteitagsvorbereitung ist die Selbstveränderung der Partei in der ICOR-Kampagne, die jederzeitige Verwirklichung der Jugendarbeit als Massentaktik des Parteiaufbaus und ein Prozess der Reorganisierung der Partei entsprechend den neuen Aufgaben im Umweltkampf.
Dieser Parteitag wird auch im internationalen Interesse stehen wie keiner zuvor.

Wie steht die Partei gegenwärtig da? Wie will sie sich weiterentwickeln?

Der Rechenschaftsberichts-Entwurf des Zentralkomitees der MLPD an den IX. Parteitag zieht eine positive Bilanz der Entwicklung unserer Partei. Angesichts der komplizierten Umstände ist die stabile Entwicklung der MLPD ein großer Erfolg, auch wenn sie sich mitgliedermäßig im vergangenen Zeitraum nicht wesentlich stärken konnte. Im gleichen Zeitraum hat die MLPD Enormes geleistet und sich neue Felder erobert. Wir haben einen wichtigen Anteil an einer sich neu formierenden kämpferischen Umweltbewegung. Wir haben unsere Landesverbände mitsamt Leitungen und Geschäftsstellen aufgebaut und dadurch unserer Partei in den Regionen ein "Gesicht" gegeben.
Um uns noch mehr zu konzentrieren und jeder immer wieder auftauchenden Gefahr der Verzettelung entschieden entgegenzuwirken, haben wir einen Prozess der Reorganisierung der Partei in Gang gesetzt. Das heißt: mehr Kräfte für die Kleinarbeit im Allgemeinen und vor allem für die Umweltarbeit im Besonderen! Es gibt durchaus auch "hausgemachte" Probleme, um deren Überwindung wir in den letzten Jahren nachhaltig gekämpft haben. Dazu gehörten vor allem nicht überwundene Tendenzen der Anbetung der Spontaneität. Ihre Leitlinie ist das hektische Auf und Ab der täglichen Ereignisse, anstatt einer strategischen Sicht- und Handlungsweise. Wenn dagegen die ideologisch-politische Seite der führende Faktor ist und das System der Kleinarbeit auf der Grundlage der proletarischen Denkweise entwickelt wird, greift unsere Arbeit nachhaltig und wird in der jeweiligen Situation und punktuell eine Überlegenheit gegen das gesellschaftlich organisierte System der kleinbürgerlichen Denkweise hergestellt. Der entscheidende innere Faktor für die Erfolge war, dass die MLPD in den letzten Jahren alle Funktionäre und immer mehr Mitglieder in der Beherrschung der dialektischen Methode auf dem Niveau der Lehre von der Denkweise und des systemischen Denkens geschult und ausgebildet hat. Die Herausforderungen werden komplizierter und erfordern ein hohes Maß an selbständiger Orientierungsfähigkeit. Die weltanschauliche Auseinandersetzung als Vorgefecht kommender Klassenschlachten bekommt zentrale Bedeutung.

Wie ist dein Ausblick für das anbrechende Jahr 2012?

Die Turbulenzen des imperialistischen Weltsystems münden früher oder später unweigerlich in eine revolutionäre Weltkrise! Vielleicht war das Jahr 2011 dafür bereits ein historischer Wendepunkt. Die Herrschenden werden alles tun, dem entgegenzuwirken, sich mit Betrug und Gewalt der Revolutionierung der Massen entgegenzustemmen. In welchem Zeitraum qualitative Sprünge im Prozess der Revolutionierung der Massen erfolgen, kann natürlich nicht exakt bestimmt werden. Die Tatsache einer weltumspannenden Massenbewegung für Freiheit und Demokratie ist ein qualitativer Sprung in der Entwicklung des Klassenbewusstseins gegenüber der relativen Ruhe im Klassenkampf. Die zentrale Frage ist, ob bzw. wie lange die Imperialisten durch ihre bürgerliche Propaganda und Betrugsmanöver den Haupteinfluss auf diese Bewegung bekommen bzw. inwieweit sie durch den tendenziell auch stärker werdenden Staatsterror zur Unterdrückung dieser Massenbewegung den Prozess der Revolutionierung der Massen voran treiben.
In dieser Auseinandersetzung kommt es vor allem darauf an, dass die Marxisten-Leninisten und die Revolutionäre der ganzen Welt zur Höherentwicklung des Klassenbewusstseins und des Klassenkampfs beitragen. Das funktioniert über einen länderübergreifenden Prozess der Koordinierung und Revolutionierung der Massenbewegungen. Die ICOR wird in diesem Prozess ihre praktische Feuertaufe erleben. Wird sie bereits ein neues Niveau des proletarischen Internationalismus in Theorie und Praxis verwirklichen können? Wird sie schnell genug in ihre internationalistische Verantwortung hineinwachsen und entschlossen zur Vorbereitung der internationalen Revolution beitragen? Und wird dabei der Prozess der ideologisch-politischen Vereinheitlichung der internationalen marxistisch-leninistischen und Arbeiterbewegung voranschreiten? Das sind alles wichtige Fragen, vor die uns die Geschichte stellt und die auch in der Vorbereitung des IX. Parteitags einen wichtigen Platz in der Diskussion einnehmen werden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir auf dem richtigen Wege sind und bin stolz auf unsere Partei, dass sie sich in diesen komplizierten Jahren als stabiler Faktor und Orientierungspunkt für immer mehr kritische Menschen in diesem Land, und auch zum Teil international, erwiesen hat.
Ich danke allen unseren Genossinnen und Genossen für ihr großes Engagement, den hohen Grad praktischer Solidarität und den selbstlosen Einsatz im vergangenen Jahr! Ich hoffe, dass alle nach ein paar erholsamen Tagen sowie schwungvollen Silvesterfeiern gestärkt an die großen Aufgaben des Jahres 2012 gehen können! Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und wünsche allen Leserinnen und Lesern der "Roten Fahne" ein gesundes, kämpferisches und erfolgreiches neues Jahr 2012.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Anmerkungen

1) International Coordination of Revolutionary Parties and Organizations (Internationale Koordinierung Revolutionärer Parteien und Organisationen)
2) International League of Peoples Struggle (Internationale Liga der Volkskämpfe)

 

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Text bei RF-News, wo er am 4.1.2012 erschien.