28.Januar 2012: 40 Jahre Berufsverbot
Seit vierzig Jahren: Links blinken - rechts überholen
Erinnerung an die Willy-Willy-Politik der Berufsverbote 1972

von Richard Albrecht

01/12

trend
onlinezeitung

"Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!" (Bertolt Brecht, Leben des Galilei. Schaupiel. 1938/39-1943; Letztfassung 1955)

In diesem Kurztext geht es im Sinne historischer Zeitzeugenschaft um den Extremistenbeschluß, auch „Radikalenerlaß“ oder Berufsverbot/e genannt, vom 28. Januar 1972, als nicht vergehende politische Vergangenheit im "bisher freiesten Staat der Deutschen"[1] ...

Nachdem etwa ein halbes Jahr vorher ähnliches vom SPD-Senat der FuHH Hamburg erprobt wurde, gab es in Bonn ein Treffen aller Ministerpräsidenten der Bundesländer und des damaligen Bundeskanzlers und Friedensnobelpreisträgers (1971) Willy Brandt (1913-1992) und den sogenannten Extremistenbeschluß über „verfassungsfeindliche Kräfte“ im öffentlichen Dienst.

Dieser meiner damaligen wie heutigen Meinung nach selbst verfassungsfeindliche Beschluß, der 1975 auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) teilaufgehoben wurde, schloß formal an einen Erlaß der ersten deutschen Bundesregierung, den sogenannten Adenauer-Erlaß (September 1950), an. Er sollte vor allem verhindern, daß linkspolitisch engagierte, aus der Studentenbewegung kommende Menschen, sogenannte 68er, die sich damals vor allem im Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KWB) oder der 1968 neugegründeten Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) (partei)politisch organisierten, etwa als Lehrer/innen im öffentlichen Dienst beschäftigt werden.

Dr. Peter Glotz (1939-2005), ein als Intellektueller geltender, lange Jahrzehnte lang führender SPD-Partei und Staatsfunktionär, bezeichnete die Berufsverbote-Politik (1979) als höchsterfolgreich[2]: „Der Radikalenerlaß hat erreicht, was er erreichen sollte: Der Zustrom zu kommunistischen Parteien wurde sichtbar verringert.“

Dr. Wolf(gang) Abendroth (1906-1985), an dessen Marburger Widerstandsseminar ich im Winter 1971/72 als Gast aktiv teilnahm, hat diese so repressive wie reaktionäre Politik moralisch, politisch und verfassungsrechtlich angemessen kritisiert.[3]

Ich selbst sollte, damals 26 Jahre alt, zum 1. April 1972, eine Referendarsstelle an den Berufsbildenden Schulen Pirmasens (Rheinland-Pfalz, damaliger Ministerpräsident Dr. Helmut Kohl [*1930]) antreten. Meiner Erinnerung nach erhielt ich etwa eine Woche vorher kommentarlos meine kompletten Personal- und Bewerbungsunterlagen von der damaligen Bezirksregierung aus Neustadt/Weinstraße per Post zurück. Das war faktisch ein später auch vom BVerfG [1975] für rechtlich unzulässig und damit illegal erklärtes Ausbildungsverbot.

Später, 1985, publizierten Brandt, Ralph Giordano und ich gemeinsam mit (von mir) so geschätzten wissenschaftlichen Autorenkollegen wie Joachim S. Hohmann (1953-1999), Manfred Messerschmidt, Detlev J. K. Peukert (1950-1990) und Ger[rit] van Roon das Buch „Widerstand und Exil 1933 – 1945“.[4] Der damalige Bundeskanzler (1982-1998) Helmut Kohl [*1930] wie auch der damals und heute noch amtierende weinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck [*1949] gehörten, noch später, 1996, zu den Autoren des von mir redigierten Sammelbands „Der alte Zuck … Ein Salut zu seinem hundertsten Geburtstag“.[5]

Weil ich kein Zweites Lehrer(staats)examen hatte/habe, sollte ich nicht regulär als Lehrer im öffentlichen Dienst beschäftigt werden können.

Zu Beginn des neuen Schuljahres 2010/11 habe ich „form- und fristgerecht“ einen schriftlichen Antrag auf Entschädigungszahlung in Form eines höchstmoderaten Rentenzuschusses ab August 2010 gestellt. Mein seit 3. August 2010 in Mainz vorliegender ausführlicher Brief wurde von der „STAATSKANZLEI RHEINLAND-PFALZ“ in einem zwölfzeiligen (und an Machtarroganz nur schwerlich zu überbietendem) Abschreiben nach gut einem Jahr mit der „Bitte um Verständnis“ negativ beschieden[6]: der Herr Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) ließ mitteilen, daß das Bundesland Rheinland-Pfalz „mangels rechtlicher Grundlage nicht in der Lage ist“, mich zu entschädigen …

Anmerkungen

[1] Franz [Josef] Strauß, damals Ministerpräsident des Freistaates Bayern, zum Dreißigjährigen des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland: Die Rheinpfalz [Ludwigshafen], Nr.187 vom 14. August 1979, Seite 1

[2] Peter Glotz, Die Innenausstattung der Macht. Politisches Tagebuch 1976-1978. München: Steinhausen, 1979, Seite 299

[3] Richard Albrecht, "… denkt immer an den ´mittleren Funktionär´" … Wolfgang Abendroth (2. Mai 1906 bis 15. September 1985). In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (iwk), 40 (2004) 4, Seiten 465-487; ergänzt auch in: Wolfgang Abendroth für Einsteiger und Fortgeschrittene, ed. Friedrich-Martin Balzer. CD-Rom; durchgesehene und erweiterte Auflage: Bonn: Pahl-Rugenstein, ²2006; kostenlose Netzfassung http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/109653.html

[4] Richard Albrecht u.a., Widerstand und Exil 1933-1945. Frankfurt/Main: Campus, 1986², 301 p.; zuletzt erschienene Ausgabe Bonn: Bundeszentrale für Politische Bildung, ³1989, 302 p.

[5] gedruckt als Jahresband der BLÄTTER der Carl-Zuckmayer-Gesellschaft, 17. Jg. 1996: S. 3 [Kohl]; S. 4 [Beck]

[6] Material im Autorenarchiv PARABELLUM: http://wissenschaftsakademie.net  (Seite 14)
 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor.

Richard Albrecht ist unabhängiger Sozialforscher & freier Autor in Bad Münstereifel und veröffentlicht seit Oktober 2010 regelmäßig unregelmäßig in diesem Blog -> duckhome-Beiträge -> JustizKritik -> "Feminismus" -> Grundkurs Soziologie -> flaschenpost. - Der Autor publizierte in den letzten Jahren vor allem in wissenschaftlichen Zeitschriften wie soziologie heute (sh), Zeitschrift für Politik (ZfP) und Zeitschrift für Weltgeschichte (ZWG). - Letzterschienene Bücher: SUCH LINGE (2008, wiss.); HELDENTOD (2011, lit.); FLASCHEN POST (Editor, 2011, publ.). Netzarchiv des Autors -> eingreifendesdenken; Kontakt zum Autor -> eingreifendes.denken@gmx.net  (c) Richard Albrecht (2012)