Texte
zur antikapitalistischen
Organisations- und Programmdebatte

01/12

trend
onlinezeitung

Es gibt einen Überblick über alle bei TREND 2011 veröffentlichten Texte zur Debatte über Organisation und Programm, angeregt durch die "Sozialistische Initiative Berlin" (vormals Berlin-Schöneberg)

Für eine Organisation, die politische und kulturelle Unterschiede aushält!
Bericht von der Trend-Veranstaltung zum „Bochumer Programm“
von
systemcrash

zunächst einmal möchte ich vorausschicken, dass ich sehr froh bin, dass ich paar leute, die man sonst nur per internet „kennt“, auch mal persönlich getroffen habe. tatsächlich hatte ich den eindruck, dass man sich persönlich sogar sympathisch sein kann, trotz politischer differenzen. ich denke, es ist ein wesentlicher bestandteil im NAO prozess, neben den programmatischen debatten, auch eine „menschliche atmosphäre“ zu schaffen, die überhaupt die voraussetzung dafür schafft, dass man sich miteinander ins benehmen setzen kann. der begriff „organisationskultur“ ist zwar sehr anspruchsvoll, aber in keinform sollte es genau darum gehen.

verständnisebenen und unterschiedliche lebenserfahrungen

eine wichtige erkenntnis war für mich, dass inhalte, die ich schon als selbstverständlich vorausgesetzt hatte, SO bei anderen noch gar nicht angekommen sind. so war einem genossen der „bochumer“ gar nicht klar, dass die SIB/NAO initiative auf die gründung einer organisation zielt. oder dass gewisse forderungen wie z b das „recht auf arbeit“ bei der genossin Wat die assoziation auslöst, es könne sehr schnell zu einer „pflicht zur arbeit“ werden.
solche inhaltlichen verständnisprobleme und unterschiedlichen politisch-kulturellen sozialisationen zu erfassen, wird ebenfalls eine wichtige aufgabe der NAO werden. das kann aber erst angegangen werden, wenn der schritt von der virtuellen diskussion zur realen „face to face“ situation gelingt. darum sind die veranstaltungen von Trend und der SIB so wichtig, weil sie erste möglichkeiten sind, auch auf „persönlicher“ ebene sich kennenzulernen.

gemeinsamkeiten im NAO prozess herausarbeiten

neben dieser wichtigen „atmosphärischen“ arbeit muss aber auch klar werden, wo die schnittstellen und gemeinsamkeiten der unterschiedlichen gruppen und einzelpersonen liegen. die bochumer haben zwar ihren „programm“entwurf vorgelegt, aber in welches verhältnis sie sich zur bildung einer möglichen NAO setzen, darüber hört man nichts. und auch die beiden vertreten der bochumer auf der trend veranstaltung (Wat und Peter) haben sich dazu nicht geäussert. Peter hat sogar diese fragestellung verneint bzw als „schwierig“ bezeichnet. mit so einer haltung können wir hier natürlich keinen blumentopf gewinnen.

der charakter des bochumer programms

ich will hier nicht alle kritikpunkte, die bereits am bochumer programm verübt wurden, wiederholen. ich möchte hier nur die wesentlichen probleme kurz zusammenfassen.

es gibt viele richtige reformforderungen, die aber allesamt nicht die systemfrage stellen. die forderung nach „zugang zu allen betrieblichen daten für unternehmensangehörige“ hat sogar fast „übergangsqualität“ („aufhebung des geschäftgeheimnisses“).
bei der forderung nach der 30 stunden woche „fehlt“ der volle lohnausgleich und — ganz wichtig — der volle personalausgleich. denn es geht ja auch darum, arbeitsplätze zu erkämpfen und/oder zu verteidigen.

die forderung nach „demokratisierung und kommunalisierung“ (das „herzstück“ des bochumer programms) umgeht die staatsfrage und es gibt keinen verweis auf das subjekt der veränderung bzw den klassenkampf.

was allerdings aus der diskussion an diesem abend auch deutlich wurde, dass wir auch eine genauere erarbeitung des verhältnisses von zentralisierung und dezentralisierung benötigen. denn einfach nur auf den klassencharakter des staates hinzuweisen und die notwendigkeit „sozialistischer massnahmen“ zu postulieren, ist zu wenig.

zwei wege – eine organisation?

was auf alle fälle auch klar wurde, dass die bochumer und die SIB/NAO zwei UNTERSCHIEDLICHE politische wege gehen wollen.
die bochumer wollen auf der grundlagen eines „minimalkonsenses“ die bedingungen „sozialer emanzipation“ verbessern.
die SIB/NAOler wollen die bewusstesten elemenente („avantgarde“sektoren) auf der grundlage eines revolutionären programms (oder programmrumpfes) organisatorisch vereinigen. wobei unklar ist, welche form diese organisation haben soll. wichtig ist aber die programmtische basierung, während bei den bochumern der „bewegungscharakter“ im vordergrung steht.
es ist unklar, ob beide wege innerhalb der NAO platz haben. meines erachtens müssen sie sich aber nicht zwangsläufig widersprechen. aus meiner sicht handelt sich eigentlich nur um zwei unterschiedliche phasen oder momente EIN-UND DESSELBEN prozesses. organisationsaufbau und intervention(en) in soziale bewegungen sind keine zwei schematisch getrennten prozesse, die quasi durch eine chinesische mauer auseinandergehalten werden. ab einer gewissen organisatorischen grösse werden sie sich eher (hoffentlich) gegenseitig befruchten.

schlussfolgerungen

es wäre jetzt wichtig, die organisierung einer ersten NAO vorkonferenz in angriff zu nehmen, um den status der einzelnen beteiligten am NAO prozess zu bestimmen (gast, beobachter, sympathisant, kern NAO). vielleicht könnten sich dann die bochumer vorstellen, als strömung oder plattform sich am organisationsaufbau zu beteiligen, allerdings müssen eben auch genügend schnittstellen vorhanden sein. und da habe ich zweifel. aber vielleicht können bis dahin auch noch mal die SIB essentials deutlich konkretisiert werden.

jedenfalls bin ich froh, dass die diskutanten jetzt ein „gesicht“ für mich haben, vielleicht hilft das, einige überdrehungen in der polemik zukünftig zu vermeiden und damit den ganzen NAO prozess in ein angemesseneres fahrwasser zu geleiten.

Editorische Hinweise

Den Text spiegelten wir vom SIB-Blog, wo er mehrfach kommentiert und ergänzt wurde.

Großschreibung wie im Original.