Widersprüchliches und auch Erfreuliches aus Florenz
Eine Notiz vom Europäischen Sozialforum Florenz 10+10

von A&O

01-2013

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Das sozialforumsgeleitete Treffen in der Fortezza del Basso in Florenz war insofern interessant, als Begegnungen mit radikalen Gruppen aus etlichen Ländern möglich waren.  Etwa Basisinitiativen aus Griechenland, die mit der Errichtung von gesellschaftsverändernden Armenküchen (die aber auch als organisatorische Keimzellen für ein anderes Gesellschaftssystem verstanden werden!) befaßt sind, es waren die neuen kräftigen Massenbewegungen Italiens zur Hand: darunter No-TAV.

Aber auch (Bewegungsinternationalismus!) deren neue internationale Partner, die „französische Version von No-TAV“, nämlich die AktivistInnen von Notre-Dame-des-Landes, die gegen den Bau eines Riesenflughafens nordwestlich von Nantes kämpfen (der Name Notre-Dame-des-Landes ist der einer der vier unmittelbar betroffenen Gemeinden).
Man traf die italienischen AktivistInnen der Mobilisierungen gegen die Privatisierung der Wasserwirtschaft und zahlreiche andere Gruppen. Man sucht nach einem neuen politischen Subjekt, das sind die neuen Bewegungs-Subjekte.

Die Veranstalter wählen aus.

Mit heuchlerischer Objektivität hat man jedoch alle Parteien, auch wenn es antagonistische (bzw. neue antikapitalistische) Parteien sind, ausgeladen. Vielleicht gerade deswegen, weil man die antagonistischen Parteien nicht dabei haben will. Sie konnten nicht reden, auch wenn sie etwas zu sagen gehabt hätten.

Nahorganisationen von Parteien jedoch, etwa die CGIL, haben sehr wohl das Geschehen geprägt - und man kann wahrlich nicht sagen, daß die CGIL kein Naheverhältnis zur PD („Demokratischen Partei“, Partito Democratico) hätte. Die CGIL kann man als sozialdemokratische Gewerkschaft bezeichnen, und die PD, die ja auch die Regierung Monti unterstützt und ermöglicht hat, als sozialdemokratische Partei – derlei Dominanzen haben wesentlich zur Sozialdemokratisierung dieser Sozialforums-Bewegung beigetragen.

Das Tandem.

Wenn man nun die die postkommunistische Europa-Linke als in der Substanz sozialdemokratisch bezeichnen will (1), wäre dann dieses Post-Sozialforum nicht bloß ein Rekrutierungsversuch, ein Regenerierungsversuch eines Amalgams von sozialdemokratisierten Postkommunisten und camouflierten Sozialdemokraten? Sollte man da am besten nicht hingehen? Das haben denn auch viele getan – nämlich nicht hinzugehen.

Aber das war falsch! Denn man mußte unterscheiden zwischen dem Postsozialforum als ideologisches Terrain, das einen politischen Rahmen schon vorab abgesteckt hatte, und dem Event als Forum, das Begegnungen, Erfahrungen, Ausblicke in die Zukunft bot. Vielleicht nolens volens, vielleicht um sich damit zu schmücken.

Proletariat und Prekariat.

In Italien zeichnet sich eine immer deutliche Trennungslinie zwischen unabhängigen und abhängigen Gewerkschaften ab.

Was den Sektor der Lohnarbeit betrifft, so war von den unabhängigen Gewerkschaften in erster Linie die Cobas präsent, sowohl auf dem Kongreß wie beim europäischen Streik am 17. 11.  Auf der Demo in Florenz fanden sich immerhin ein paar tausend „Unabhängige“ zusammen , in Rom ein Vielfaches davon.

Und die Kapitalabhängigen? Die in das Korsett des offiziellen gewerkschaftlichen Dreierbündnisses CGIL-CISL-UIL gepferchte, ehemals kommunistische CGIL – die ständig Rücksicht nehmen muß auf die beiden anderen Richtungsgewerkschaften?

Sie zehrt immer noch ein wenig vom Ruhm ihrer Vergangenheit und hat auf Grund ihres immer noch enormen Apparats, des Zugehörigkeitsmoments, des Gewohnheitsmoments zwar immer noch viel mehr Leute auf die Straße gebracht als die Cobas, aber sie wurde von allen Seiten scharf kritisiert, auch von ihren eigenen oppositionellen Kräften, die in einer Oppositionsplattform (Rete 28 Aprile) zusammengefaßt sind.

Auch die nach wie vor der CGIL-angehörige Metallarbeitergewerkschaft FIOM steht kritisch zur Gesamtpolitik der CGIL, kann, wenn man so will, zur CGIL-Linken gerechnet werden, bzw. kann , über die CGIL hinaus, zur gesamtgesellschaftlichen Gewerkschaftslinken gezählt werden.

Hauptkritikpunkte der innerinstitutionellen Gewerkschafts-Linken: die breite Mobilisierung bestehe nur in einem mechanischen Nachvollziehen der ohnehin widerwillig erteilten Mobilisierungs-Order des EGB (Europäischen Gewerkschaftsbundes), außerdem sei die CGIL doch reichlich diskreditiert wegen ihres mangelnden Einsatzes gegen die Zerschlagung des Kündigungsschutzes (2). Diese Zurückhaltung hat die Arbeiterbewegung ziemlich gelähmt.

Von den linken Gewerkschaftlern in der CGIL und ganz besonders den Basisgewerkschaften wird der EGB abgelehnt, während die CGIL sich ganz „organisch“ an ihn anlehnt, und auch dieser Mitvollzug hat ihr viel Mühe gekostet, denn sie mußte ihn gegen den Widerwillen und das Desinteresse der anderen beiden Richtungsgewerkschaften durchziehen, die eindeutig als reaktionär zu bezeichnen sind.

Die unverbindlichen Losungen des EGB werden vom aktiven, dem unabhängigen, dem sich immer stärker gegen die Gelben richtenden Teil der breiten Gewerkschaftsbewegung angegriffen.

Die CGIL hat früher Halt bei Moskau gesucht, jetzt sucht sie Halt bei Brüssel.

Aber auch innerhalb der unabhängigen, der Basisgewerkschaften finden sich unterschiedliche Positionen.
Die neue radikale Koalition von Basisgewerkschaften USB (3) lehnte die Teilnahme am „europäischen Streiktag“ vollkommen ab (eben wegen des EGB; sie vertritt auch eine sehr starke, für Italien neue Anti-EU-Linie) und nahm auch am Post-Sozialforum nicht teil (in erster Linie wegen der CGIL).

Die Kritik geht somit von den linken Oppositionen im Apparat bis zur „Neuen Linken“ der Gewerkschaftsbewegung außerhalb des Apparates – welch letztere zum Teil ein Ersatz für eine nicht existierende (Bewegungs-)Partei ist (oder eine Partei gänzlich Neuen Typs) - und gerade deswegen umso mehr Zuständigkeit für allgemeinpolitische Fragen beansprucht. Nicht nur auf Grund dieser Ersatzfunktion, auch auf Grund eines etwa von der deutschen Realität radikal differierenden politischen Konzepts.

Aber hier handelt es sich nicht um unterschiedliche politische Kulturen, die halt nebeneinanderstehen, hier handelt es sich um den fundamentalen Unterschied zwischen Fortschritt und Rückschritt.

Sind Gewerkschaften – in ihrer unmittelbaren Nähe zur Lohnarbeit - vielleicht die künftigen zentralen Organisationsformen des vielköpfigen Subjekts?

Während die USB sich verweigerte, nahm hingegen die 1992 entstandene, sich gleichfalls als konsequent partei-, regierungs- wie unternehmerunabhängig verstehende Basisgewerkschaft CUB (Confederazione Unitaria di Base) an dem Treffen in der Festung teil, auch mit einem umfangreichen Bücherstand. Wie die Cobas, so war auch sie am 17. 11. auf den Straßen.

Immer stärker überlappt sich die Aufmüpfigkeit des Ausbildungssektors und die des Proletariats/Prekariats sowie der Arbeitslosen.

Das mobilisierte und mobilisierende Element des Ausbildungssektors, StudentInnen und ganz besonders SchülerInnen (!) gewinnt in letzter Zeit immer mehr an Bedeutung in der Gesamtbewegung, wie an den Massenkundgebungen der letzten Monate abzulesen ist. Als Scharnier der prekarisierten Intellektuellen („Wissensarbeiter“) und andererseits der proletarischen Lohnabhängigen bieten sich da eher die Cobas an (mit deren Proletariern ziehen auch immer viele bunt aufgeputzte Alternative herum) – wohingegen die USB eng mit der neuen Schulden-audit-Bewegung No dèbito kooperiert – aber auch mit radikalen centri sociali und den Bewegungen. Die USB hat kräftige Betriebsstandorte, etwa Taranto.

Neben No debito gibt es eine softere Version (Rivolta il debito, „Weisen wir die Schuld zurück!“), die, ganz besonders in kleinen Städten, mit der CGIL zusammenarbeitet, wenn letztere dort Mobilisierungskapazitäten hat.

Es waren immerhin 100 Städte, in denen die CGIL am 17. 11. mobilisiert hat. Die Cobas waren, oft zusammen mit CUB, in 20 Städten. Rivolta il „Debito hatte eine eigene mit etwa 40 Leuten bestückte Gesprächsrunde auf dem Forum in Florenz.

Die CGIL ist mitverantwortlich für die partielle Zerschlagung des Kündigungsschutzes (Art. 18), weil sie sich weitergehenden und stärkeren Mobilisierungen, die die Basisgewerkschaften lange gefordert haben, etwa einem Generalstreik, verweigert haben.

Der Aufruf zum 17. 11. seitens der CGIL hatte ein bißchen etwas von einer Pflichtübung an sich, die CGIL engte ihren Generalstreik auf knappe 4 Stunden ein, im Gegensatz zu den 8 Stunden der Cobas, aber im Schlepptau der CGIL waren das Proletariat und die Pensionisten doch massenweise auf die Straße gekommen.

Der antagonistische Pol.


Eines der interessantesten Phänomene der derzeitigen gesellschaftlichen Kämpfe ist die gemeinsame Mobilisierung von Verweigerern der Schuldenzahlung (No Debito), USB und kommunistischen und linken Parteien (Alba, Rifondazione, PCL, PdCI, vielleicht kann man noch die SEL dazu rechnen) zusammen mit den „territorialen“, also regionalen projektbezogenen Massenbewegungen wie No dal Molin (der Bewegung gegen die Erweiterung des US-Stützpunktes in Vicenza). Nichts von Alba, Rifondazione, PCL, PdCI konnte sich auf dem Revisionistenforum präsentieren.

Alba ist eine neue Bewegungs-Partei, deren zentrales Konzept das des öffentlichen Eigentums, des öffentlichen Gutes ist und die sich auch radikal für das Arbeitsrecht (Arbeit gilt in dieser Konzeption gleichfalls als öffentliches Gut), bzw. für die Rücknahme der Zerschlagung wesentlicher Teile des Arbeitsrechtes einsetzt. Die (der) Partito Comunista dei Lavoratori ist, glaube ich, die ehrlichste aller kommunistischen Parteien in Italien, man braucht kein Trotzkist zu sein, um ihren klaren, unbestechlichen Diskurs zu schätzen. Daneben kann man auch dem Partito dei Comunisti Italiani eine gewisse politische Substanz nicht absprechen. SEL hat sich durch die Teilnahme an dem Primarie (primaries) genannten Selbstbestätigungsspektakel der Demokratischen Partei in der Linken weitgehend diskreditiert.

Die Ausschließerei steht im Widerspruch zur realen Bedeutung solcher Parteien und zu ihrer Verbindung mit den Bewegungen. Die genannten Kräfte sind alle immerhin gemeinsam Promotoren und Träger einer neuen Volksabstimmung, die die Zerschlagung des Arbeitnehmerschutzes rückgängig machen will, und solche Volksabstimmungen mit bindendem Charakter haben in Italien immer eine große mobilisierende Funktion gehabt, waren immer Ausdruck von Massenbewegungen und stärkten vorhandene Massenbewegungen.
Diesem Referendum hat sich die PD verwehrt, dazu sagt sie Njet. Hat damit offen Ja gesagt zur Zerschlagung des in den Siebzigerjahren erkämpften, sehr strengen Kündigungssschutzes und zur partiellen Zerschlagung des Statuto dei Lavoratori (Arbeitsgesetzes).

Daher (und nicht nur deswegen) werden in Italien solche Parteien wie die PD grundsätzlich von vergleichbaren Mobilisierungen der Basis und der Bewegungen ferngehalten, aber auch Rifondazione , die immerhin für die Fortsetzung des Afghanistankrieges verantwortlich zeichnete und dadurch politisch beinahe unterging, war lange Zeit in der Basis-Linken persona non grata.

Jetzt schließen die PD-affinen Revisionisten, die Zivilisten die antikapitalistischen Parteien aus (4)
Und schon gar nicht hat man marxistische Parteien aus der Türkei (die in der Türkei alle verboten sind und die um ihr Leben kämpfen) auf dieser Veranstaltung gesehen – dagegen erfreuerlicherweise AktivistInnen der kurdischen nationalen Befreiungsbewegung (5).

Aufmerksamkeit für Griechenland

„Griechenland“ ist im italienischen Bewußtsein präsent, zumindest partiell. Tsipras kam nicht, hätte aber, wie es heißt, kommen sollen. Syriza-Leute waren anwesend, von ihnen kann man lernen, wie man der europäischen Diktatur widersteht. Hauptthemen: Verarmung und Faschismus. Das hat Europa seinen Völkern zu bieten.

Kurz nach Abschluß des Kongresses fand in Florenz vor dem griechischen Konsulat eine spezifische, gegen die Goldene Morgenröte gerichtete Kundgebung statt, war allerdings zum großen Teil bestritten von einer gewissen Subkultur, die unglückliche Hunde an der Leine mit sich in der Gegend herumschleift und dumpf brüllende Musik anhört. Das Phänomen gibt´s auch dort. Man sagt auch dort „post-autonom“ und immer noch: „alternativ“.

Spezialisierung in Faschismus kann zu Eindimensionalität verkommen, ist andererseits derzeit ungemein wichtig, da überlebenswichtig. Die Antifaschisten sind die unentbehrlichen Idioten einer Gesamtbewegung.
Und schon zeichnet sich eine Stärkung der internationalen Strukturen des Faschismus ab. In Pordenone und anderen Städten waren kurz zuvor auf Veranstaltungen der faschistischen Schlägerbande Forza Nuova tatsächlich auch Kameraden der Goldenen Morgenröte eingeladen – Verbindungen und Kontakte wie zur Zeit der Junta!

Während des Kongresses überfielen Faschisten eine antirassistische Veranstaltung in einer etwa eine Stunde von Florenz entfernten Stadt, sie wurden aber aus dem Saal gejagt.

Faschismus und Sozialdemokratie.

Die Aufmerksamkeit gegenüber der Goldenen Morgenröte wurde besonders dadurch gestärkt, als in den letzten Tagen und Wochen vor dem Kongreß zahlreiche Überfälle der faschistischen Jugendorganisation Blocco Studentesco auf römische Gymnasien stattfanden. Es geht uns wie den Griechen, dachten da viele zurecht.

Die dadurch hervorgerufene Mobilisierung verstärkt aber auch das Fachidiotentum in Antifaschismus, das über Antifaschismus nicht hinauszugehen vermag, besonders in dem versumpft antiautoritär-alternativen Milieu; das nicht zu verwechseln ist mit der sehr klaren und bewußten FAI-Linie rund um die Umanità Nuova, die eine energische, junge Redaktion hat.

Andererseits zeigt das römische Beispiel, dem bald andere folgen werden, daß mit dem Faschismus nicht zu spaßen ist, daß man ihn nicht unterschätzen soll, daß man sich mit ihm beschäftigen muß. Aber in einem weiten wirtschaftspolitischen, antiimperialistischen und antikapitalistischen Rahmen!
Also muß die bürgerliche Gesamtpolitik angegriffen werden. Und nicht nur deren faschistische Formationen.

Gleichermaßen ist denn auch die „Sozialdemokratie“ eine reelle Gefahr, auch eine reelle physische Gefahr.

Die PD führt sich nämlich auf wie die brutalste Ordnungspartei.

Ein Beispiel: Studenten, die in Neapel von der Polizei zusammengeschlagen worden waren (einem wurden dabei zwei Zähne ausgeschlagen!), protestierten vor kurzem bei einer Veranstaltung mit dem PD-Chef Bersani und baten die Versammelten um Unterstützung gegen die Polizeihetze.

Baten um Hilfe.

Was war die Reaktion der PD? Die Studenten wurden von deren Ordnern ebenfalls niedergeschlagen und aus dem Saal gejagt!

Das ist das Erbe der PC.

Einer der übelsten Koordinatoren der Schlägerbrigaden der PCI, die in den Siebzigerjahren gegen die außerparlamentarische kommunistische Massenbewegung eingesetzt wurden, hatte in der vergangenen, abgetretenen PD-Kommunalregierung von Florenz eine Spitzenposition, einen Schlüsselposten, hat sich aber in Korruptionsfälle verstrickt, kam vor Gericht, und die Anarchisten , die einiges zur Aufklärung beigetragen haben, bzw. diese Figur angegriffen haben, bekommen es jetzt zu spüren – von der Polizei, die ein besonderes Auge auf sie geworfen hat.

Nicht nur die Mafia übt Rache!

Wie geht´s im sozialdemokratisch verwalteten Florenz zu?

Das PD-Florenz ist eine politische Tabula rasa. Der PD-Bürgermeister (dessen Aufgabe seit neuestem darin besteht, auch noch die PD zu spalten) hat die Nachtautobusse abgeschafft, will den Jugendlichen, nach dem Vorbild der Lega und der römischen Faschisten (der römische Bürgermeister Alemanno ist ein Faschist!), das Sitzen auf den Stufen der Gebäude dieser überkommerzialisierten Stadt verbieten (Sitzbänke gibt es fast nirgends mehr), baut sozial ab und räumt wo er kann, besonders die centri sociali sind ihm ein Dorn im Auge – ein Law und Order Mann der Rechten (der rechten PD). Mit einem Wort: ein Sozialdemokrat!

Man muß übrigens daran erinnern, daß bereits die „Sozialistische“ Partei unter Craxi in den Achtzigerjahren eine solche Politik der klinischen Hygiene, etwa des versuchten Verbots, in der Öffentlichkeit Proviant zu essen, initiiert hat.

Die Verarmung schreitet voran, arme Leute aus der Bevölkerung besetzen Häuser (auch hier in Florenz, ein sehr großes Gebäude ist von vielen armen“Einheimischen“ und ImmigrantInnen besetzt) , außerdem gibt es ein großes centro sociale mit sehr vielen Aktivitäten, das von Räumung bedroht ist. Betriebe schließen, das Sozialsystem klappt hinten und vorn nicht, es ist eine große Wut in der Luft, die Jugendarbeitslosigkeit schnellt in die Höhe, und alle reden davon, daß es so werden wird wie in Griechenland, man hört immer, daß „wir Griechenland schon sehr nahe sind.“

Das eröffnet die Aussicht, daß die Mobilisierungen zunehmen werden, der Organisationsgrad ebenfalls.

Übernationale Bedeutung der italienischen Proteste und politischen Innovationen.

Das aber ist geostrategisch von großer Bedeutung. Denn wenn ein „kleines“ Land wie Griechenland rebelliert, mag das nicht so sehr in die Waagschale fallen, bei Italien ist es schon anders – einem Kernland der NATO und EU, mit wesentlich mehr Einwohnern als Spanien, Portugal und Griechenland. Die Kumulierung/Potenzierung starker antagonistischer Proteste sowohl in Griechenland als auch in Italien, zusammen mit denen in den etwas „weiter weg“ gelegenen Ländern Spanien und Portugal, könnte das europäische Imperium und die europäische Finanzpolitik destabilisieren und in die Defensive drängen.

Die EU tritt auf die Bühne.

Zurück zum Post-Sozialforum. Die Leitung, die Moderation war in sensiblen Fällen autoritär und brutal.
Einem älteren Genossen aus Wales, der sich kritisch gegenüber der EU äußerte und kritisch gegenüber der Politik des Sozialforums hinsichtlich EU, wurde von der Österreich-Attac-Frau Stricker, die die Moderation der entsprechenden Teilversammlung über hatte, einfach die Rede abgeschnitten.

Hingegen traten auf demselben Meeting geschniegelte, glatte, eiskalte Aktivisten der Europäischen Föderalisten auf und erhoben die Forderung nach den Vereinigten Staaten von Europa! Deren lang andauerndes Gequatsche wurde nicht unterbrochen.

Und das verächtliche Publikum in diesem gathering – das übrigens die Bezeichnung „Demokratie“ trug - fand das offensichtlich ganz vernünftig, denn es rührte sich kein Protest gegen die in der derzeitigen Situation wahrlich alles andere als notwendigen „Vereinigten Staaten von Europa“ – kurz zuvor waren die Leute noch mit einem schreckenserregenden Bericht über die Auswirkungen der EU-Diktatur und der EU-Dekrete auf die verarmten Massen Griechenlands konfrontiert worden (6).

Der Bericht kam von Syriza-AktivistInnen. Die Mörderin jener Bevölkerung, für die Syriza kämpft, wird hier propagiert und hochgejubelt

Der Vorschlag der Föderalisten, die Verarmungsdiktatur zu einem organisatorischen Absolutum zu machen, war diesem Theaterpublikum keine kritische Überlegung, keinen Protest wert.

Aber was sind das für Veranstalter, die solche Leute einladen?

Ein Sozialforum, auf dem, mit der Assistenz von Counter-Kräften aus Österreich, eine europäische Diktatur propagiert wird, ist nur ein ungut riechender Leichnam!

Die Führung boykottiert die Basis

Ein (die Arbeit aller Gruppen zusammenfassendes) Schlußdokument wurde mit allen Tricks verhindert. Man hätte sich doch erwartet, daß das Selbstverständnis des politischen Ereignisses vielleicht in Worte gefaßt werden könnte. Mit unglaublicher Hinterhältigkeit wurde das verhindert.
Die themenbezogenen Arbeitsgruppen wurden von der Leitung zerschlagen und es wurde dekretiert, daß man sich – für die endgültige Beschlußfassung .- nach Ländern, bzw. Sprachen zusammenzusetzen habe. Damit wurden die bisherigen Diskussionszusammenhänge zerschnitten.

Der Hinweis auf die knappe Zeit war natürlich sehr nüzlich für das Manöver.

Attac Deutschland und Attac Frankreich

Es wurde mit den infamsten Mitteln operiert. Ein Attac-Aktivist aus Deutschland etwa schlich sich in die englischsprachige Arbeitsgruppe, in der er gar nichts zu suchen hatte, wie ein Parteiemissär ein und versuchte die Diskussion abzuwürgen, bzw. vom Thema abzulenken, ganz offensichtlich um kritischere Resultate zu verhindern.

Das Neutralisieren von Diskussionen, Bewegungen können sie. Das haben sie schon in Heiligendamm geübt.

Attac Frankreich war da ein bißchen anders. Susan George von Attac Frankreich (von dort kommt übrigens Attac) kritisierte auf einer Vollversammlung mit beißender Ironie die simplifizierende und gleichmacherische Forderung der Organisatoren nach einem – in deren Sinn! - für alle verbindlichen Schlußdokument, (das war zuerst die Intention der Veranstalter, nämlich eine geglättete Schlußfassung ohne allzuviel Diskussion; dann schwenkten sie erst um auf eine Nullfassung und torpedierten die Diskussion) und meinte angesichts dieser Bemühung, von oben Einheit schaffen zu wollen, das Allerbeste wäre, die Konferenz würde, sinngemäß zusammengefaßt, in viele kleine, einander wie üblich bekämpfende Initiativen und Vorschläge zerfallen - wie es doch für Linke charakteristisch ist! Sollte man nicht bei dieser alten, bewährten Praxis bleiben? Das wäre das Ehrlichste, meinte Susan George mit feinem Sarkasmus.

Sowas wird nicht goutiert. Darauf beleidigte ein belgischer Gewerkschaftler die französische Attac-Aktivistin, schrie sie an und nannte sie „Madame Lagarde“!

Stellte sie also dem Oberhaupt einer genozidären Organisation gleich!

Sie, nicht faul, konterte, mußte aber erst ein wenig Luft schnappen nach dem aggressiven Wortschwall des Funktionärs: „Wären Sie aber bei mir, beim Internationalen Währungsfonds, angestellt, wäre ich jetzt genötigt zu sagen: Vous êtes licencié!“ (Sie sind entlassen)

Und hatte die Hälfte des Publikums auf ihrer Seite.

So weit unter die Gürtellinie ging dieses Kollateraltreffen des Europäischen Gewerkschaftsbundes – auf dem, mangels weiterer eigener Perspektiven, der 17. 11. im Sinne des EGB eifrig propagiert wurde.

Unterschiede in Niveau und gutem Willen

Eine kurze Abschlußcharakterisierung des events. Die Berichte der einzelnen Themenarbeitsgruppen (die im Gegensatz zum verhinderten Generalbericht vorgetragen werden konnten) differierten in Qualität und Inhalt von einander enorm. So hat die schon erwähnte Gruppierung „Demokratie“ einen Bericht vorgelegt, der absolut inhaltsarm war und nichts aussagte, extrem kurz und blaß. Berichterstatter war ein Aktivist der Pariser Ligue des Droits de l´Homme, von der ich eine bessere Meinung hatte. Mit der Frau Stricker bildete er ein eingeübtes Gespann.

Diese schlechte Arbeit stand in krassem Gegensatz zum ausgefeilten Bericht derjenigen Gruppe, die sich mit den Mobilisierungen im Mittelmeerraum beschäftigte und auch mit dem kommenden Weltsozialforum in Tunis, das wahrscheinlich als euro-mediterranes, euro-afrikanisches eine sehr große Bedeutung haben wird und zurecht den Leuten ans Herz gelegt wurde.

Der Abschlußbericht dieser Gruppe war fein formuliert und inhaltsreich, klar und gegliedert. Bezüglich der wichtigen Termine, die auf dem Treffen propagiert bzw. beschlossen wurden, darunter eines in Athen –das für Europa doch sehr bedeutend sein wird, mit Syriza als Hauptakteur - sei auf die Mainstreamberichte verwiesen, die alle Termine, die auf dem Treffen propagiert wurden, aufgelistet haben.

Summa summarum: Weitere Großforen, die der Kenntnis von Bewegungen dienen, wären erwünscht, wenn auch nicht mit so vielen parallel laufenden Veranstaltungen. Diese länder- und bewegungsübergreifenden Großforen müssen öfters stattfinden, auch zeitlich gedehnt, etwa in den ohnehin meist politisch toten Ferien, sie sollten aber nicht unter der Zwangsbeglückung einer Tendenz stattfinden, nicht unter der Kontrolle der Europäischen Linkspartei, nicht unter der Kontrolle von Attac.

Eine Bewegung bewegt sich nur weiter, wenn sie sich selbst den Spiegel vorhält.

Anmerkungen

(1)
Diese scharfe Kennzeichnung wandte allerdings bereits die große außerparlamentarische Massenbewegung Italiens der Siebzigerjahre, allen voran Lotta Continua, auf die PCI an – und hatten sie nicht recht? Ging es nicht schon damals, für die meisten unerkennbar – dabei in Richtung Sozialdemokratie? Also in Richtung hündischer Kapitaltreue, in Richtung Entpolitisierung, in Richtung Spekulation und Organisierte Kriminalität?

Also in Richtung derjenigen kriminellen Energie, die sich sowohl in den postkommunistischen, sich nunmehr sozialistisch nennenden Parteien, wie der Ungarischen Sozialistischen Partei, den sich noch kommunistisch nennenden Parteien wie der Kommunistischen Partei Österreichs (mit der berüchtigten Roten Fini) und den seit jeher unverändert sich sozialdemokratisch nennenden Parteien, die in vielen Ländern noch existieren, voll entfaltet hat?

Finden wir auf der Fortezza del Basso ein sozialdemokratisch-postkommunistisches Tandem vor, so ist dieses Tandem in zahlreichen Ländern ja einer der Hauptakteure der Organisierten Kriminalität.


(2)
FIOM ist links von der Gesamt-CGIL, in der aber der Pensionistenverband, die stärkste Organisation in der CGIL, recht linke Positionen einnimmt. Die FIOM hingegen hat kürzlich durch die Eliminierung linker Kräfte aus ihrer Führung wieder eine kleine Rechtswende eingeschlagen, ist aber nach wie vor zusammen mit den „neuen politischen Subjekten“ auf der Straße präsent – was man von der CGIL nicht sagenkann.


(3) Die USB (Unione Sindacale di Base, Gewerkschaftlicher Basisverband) ist ein Zusammenschluß aus SdL (Sindacato dei Lavoratori) Intercategoriale, von Teilen der CUB (s. o.) und anderer Kräfte, sie entstand 2010. Sie hat sich zu einem zentralen politischen Akteur entwickelt.

Vgl. dazu: AuO: Italien solidarisch mit Griechenland, Indymedia Deutschland, 20. 2. 2012, http://de.indymedia.org/2012/02/325186.shtml  

und: AuO: Wein und Widerstand! Die radikale Linke stürmt die Mailänder Börse, Linke Zeitung, 9. 9. 2011
http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=11751&Itemid=1  


(4) Wenn sich die indignados gegen die Parteien, insbesondere die staatserhaltenden CCOO und UGT gewehrt haben und sie von der Mobilisierung auf der Puerta del Sol und den anderen acampadas ausgeschlossen haben, so hat das dort eine ganz andere Bedeutung. Die gelben Gewerkschaften, deren Basis auch bei den Generalstreiks doch ein gewisses Gewicht hat, hatten kurz vor dem Beginn der indignados-Bewegung dem Aufstocken des Pensionsalters zugestimmt, im Einklang mit der neoliberalen Politik von PSOE und PP - die natürlich auch nicht im entferntesten erwünscht waren. Da zeigte sich die angepaßte Fratze dieser Gewerkschaften. Aber die baskische LAB unterstützte die indignados und hatte deren Sympathie, und natürlich haben CNT (aber auch die moderatere linkslibertäre CGT!) bei den Basismobilisierungen besonders der Generalstreiks eine zentrale und für die Bewegung willkommene Rolle. Man kann also nicht generell sagen: Weg mit den Gewerkschaften! Auch in Spanien nicht. Man muß unterscheiden zwischen radikalen Gewerkschaften und Regime-Gewerkschaften.

In Österreich propagierte das nunmehr beinahe dahingegangene Sozialforum zu Beginn seiner Existenz die totale Parteienunabhängigkeit .- sehr radikal! Und was ergab sich dann? Der rechteste, monolithischste Gewerkschaftsbund Europas, der mit der konsequentesten Abwiegelungsstrategie, der ÖGB nämlich, der mehr als eng mit der österreichischen Sozialdemokratie verzahnt ist und in einen der größten Korruptionsfälle der letzten Jahrzehnte involviert ist, ja desen hauotakteur war (ist), trat auf den Foren dieses Sozial-Forums auf und bewirkte, daß Viele sich grundsätzlich vom Austrian Social Forum fernhielten.

Dort, ebenso wie in Deutschland, ist keine Diskussion über den grundlegenden Unterschied zwischen gelben Gewerkschaften und neuen Basisgewerkschaften zu finden, zwischen Subjekt und Nachäffung. Diese Tendenz, die radikal unabhängiger (das ist ein Ausdruck, der eher in Lateinamerika gebraucht wird, aber warum sollte man ihn nicht adoptieren?) und auch horizontal organisierter Gewerkschaften, ist aber die politische Zukunft Europas, und man muß von Italien und dem Widerstand der dortigen Basisgewerkschaften gegen die gelb gewordene CGIL und ihre reaktionären, mit ihr in einem Zwangsbündnis zusammengeschlossenen beiden Partner jeweils christlicher und sozialdemokratischer Provenienz lernen, man muß von der Herausbildung eines unabhängigen Blocks lernen – wenn es denn keine Basisgewerkschaftsbewegung allgemeinpolitischen Kalibers im eigenen Land gibt. Da muß man eben von Anderen lernen. Wer heute nur von „Gewerkschaft“ an sich spricht, hat nichts verstanden.

Das Beispiel der italienischen USB, aber auch der CUB und natürlich seit langem der Cobas – die alle seit jeher ein allgemeinpolitisches Mandat vertreten haben und, neben der Vorantreibung der Arbeits- und Lohnkämpfe, immer gegen die imperialistischen Kriege mobilisiert haben - zeigt, daß die Deutschen zuerst ihre wichtigste Hauptaufgabe machen müssen, nämlich das Recht der Gewerkschaften, auch in allgemeinpolitischen Fragen ihre Stimme erheben zu dürfen, erst einmal zu erkämpfen, endlich zu erkämpfen Der vordemokratische Mißstand muß beseitigt werden.

In Europa ist es übrigens kaum bekannt, außer in Fachkreisen (und natürlich der CGIL), daß in Deutschland den Gewerkschaften per Gesetz ein solcher Maulkorb aufgezwungen wird.


(5) 5Stelle wird von den genannten Kräften der gauche de la gauche abgelehnt, sie sind auch nicht fähig zu mobilisieren, außer wenn ihr Guru auftritt. Die Forconi sind derzeit tot. Alles was nicht durch und durch internationalistisch ist, entpuppt sich später immer als wertlos.

Mit einer leicht hämischen Freude erfüllt mich die Tatsache, daß das Movimento Popolare di Liberazione, dem der langjährige Partner der Antiimperialistischen Koordination, die ehemalige Direzione 17, angehört, die mit der AIK gemeinsam immer das Campo Antiimperialista organisiert hat, auch mit einer Veranstaltung auf dem Kongreß vertreten war.

Was sagt man dazu? Die schärfsten Gegner der zivilistischen Law- und-Order-Leute der Linken haben sich in deren Großversammlung eingeschlichen! Zeichen für deren Großmut?

(6) Ein Bericht über eine bemerkenswerte Initiative aus Griechenland, deren Auftreten man der guten Organisierung des Großtreffens zu verdanken hat, folgt demnächst.

(7) Es ist unmöglich, die Fülle der internationalen Treffen und Präsenzen auch nur zusammenzufassen. Es muß etwa darauf hingewiesen werden, daß die stark bestückte Delegation der dänischen Socialistisk UngdomsFront (Sozialistischen Jugendfront), der mit der Enhedslisten (Einheitsliste, auch die Rot-Grünen genannt) eng kooperierenden Jugendorganisation, die sich aber nicht als die Jugendorganisation der Partei versteht und sich von ihr nicht bestimmen lassen will, eine große Bereicherung darstellte: insofern als sie, wie die Enhedslisten selbst, radikal gegen das Projekt EU ist (wie die DKP, die Dänische Kommunistische Partei und alle Basis- und radikalen Organisationen des Landes), und darüber hinaus plädieren sie, wie auch die Enhedslisten (EL), für die Abschaffung des Privateigentums!
Das ist noch nicht alles. EL ist für den Austritt aus der NATO, für den Austritt Dänemarks aus der EU und für die Auflösung der EU, und als solche ist sie wohl eines der radikalsten Mitglieder der Europäischen Linkspartei.

Nun, daß es sowas in der EU-Linkspartei gibt, darauf fällt nicht so schnell der Fokus der im allgemeinen die Großversammlung rühmenden und das Kleine nicht wahrnehmenden Mainstream-BerichterstatterInnen. Das Seltene, Wertvolle wird selten berichtet, das schon Bekannte wurde ein wenig ausgeweidet. Dadurch daß das Großereignis nicht in seiner ganzen Diversität gezeigt wird, wird ein verfälschtes Bild vermittelt.

Der Slogan „Ein anderes Europa!“ wird in der proeuropäischen Reformistenlinken praktisch als Synonym für „Für eine andere EU!“ verwendet. Damit sollen die Leute indoktriniert werden. Man will uns mit der EU niederlügen! Die propagierte EU-Akzeptanz trifft aber nicht die Wirklichkeit der politischen Landschaft, wie sie auf dem Kongreß vorhanden war.

Logisch ist in diesem Zusammenhang auch, daß von selbsternannten routinierten Moderatoren der genannten englischsprachigen Gruppierung, die über das Abschlußdokument zu befinden hatte, einem Kader der Socialistisk UngdomsFront die Rede verweigert wurde.

Esx gilt: Wenn man (sich) politisch orientieren will, muß man die Widersprüche ins Auge fassen.

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Bericht von Indymedia, wo er am 27.12.2012 erschien. Das Forum fand vom 8-11. Novemver 2012 statt.