Eine Wortmeldung
Zum Projekt „Marx-Engels Werke als PDF komplett zum Download“

von Ulrich Leicht

01-2013

trend
onlinezeitung

Unter der Rubrik „Das besondere Dokument“ der neuesten trend online-Ausgabe 01/13 wird das Projekt „Marx-Engels Werke als PDF komplett zum Download“ des Verlages Olga Benario angezeigt und verlinkt. Das in einer Vorbemerkung angepriesene Digital-Werk und manche inhaltlichen Darlegungen sind in verschiedener Hinsicht ausgesprochen ärgerlich. Diese Ankündigung ist nämlich ihrerseits gekennzeichnet von Nicht- bzw. Fehlinformationen, Verfälschungen und Ideologisierungen, vor denen die „kritische Leserschaft“ in Bezug auf Vorworte, Anmerkungen und Kommentierungen in den MEW-Bänden im Sinne der Politik und ideologischen Ausrichtung der nachstalinschen SED- und KPDSU-Oberen ausdrücklich gewarnt wird.

Dazu einige Anmerkungen:

In der Vorbemerkung des Verlages heißt es etwas großspurig aber falsch formuliert:

„Es ist ein großes Anliegen des Verlages Olga Benario und Herbert Baum, die bisher nur gedruckt vorliegenden Werke von Marx und Engels („MEW“) nun digitalisiert vorlegen zu können.“ (Unterstreichungen vom Verf.)

Ich unterstelle durchaus, daß die vermeintlichen „Pioniere“ der Digitalisierung der MEW den Wunsch, wie ich selbst auch, nach einer größeren Verbreitung und leichterem Zugang zu den Werken von Marx und Engels hatten und haben.

Darüberhinaus haben sie sicher auch das „Anliegen“ den Zugang zu ihrem Verlag und seinem Programm zu bahnen, wo es unter anderem heißt:

„Der Verlag Olga Benario und Herbert Baum wurde gegründet, um eine Lücke zu schließen, die in den letzten Jahren immer deutlicher wurde. …Es geht darum, durch die Gestaltung des Verlagsprogramms ganz bewußt und solidarisch an die wirklichen kommunistischen Traditionen anzuknüpfen, an die wirklich revolutionäre internationale kommunistische Bewegung zur Zeit von Marx und Engels, Lenin und Stalin, an die positiven Erfahrungen der antirevisionistischen Kämpfe gegen den Chruschtschow- und Breschnew-Revisionismus.“

Ein weiteres „Anliegen“ könnte auch gewesen sein, dem Herausgeber der gedruckten MEW, heute der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) und dem Dietz-Verlag, sozusagen den Nachlassverwaltern und „Nachfolgern der Revisionisten“ ans Bein zu pinkeln. Ich gehe davon aus, dass das Projekt Digitalisierung der MEW mit eben diesen nicht abgesprochen, geschweige von ihnen lizensiert ist. Mit Verlagsrechten und ähnlichem „bürgerlichen Scheiß“, mit „digitalem Raubscannen“, wird man es beim „Verlag Olga Benario“ vermutlich nicht so eng sehen, wenn man keine Sanktionen befürchtet.

 

Auch ich bin für kommunistische Aneignungen, fände aber Kommunikation mit den gemeinhin Zuständigen der Herausgabe, oder zumindest einen Hinweis auf deren eigene nicht unerheblichen Bemühungen und Anstrengungen bei der Neuauflage von MEW-Bänden und auch Digitalisierungen nicht das Schlechteste, und, will mensch glaubwürdig sein, auch notwendig. Aber in dieser Hinsicht sind die selbst ernannten „Pioniere der Digitalisierung“ sehr wortkarg. Zu den neuen Entwicklungen bei der Herausgabe von MEW und MEGA II weiter unten bzw. bei einer anderen Wortmeldung mehr.

 

Doch in Wirklichkeit sind die verlegerischen „Lückenschließer“ gar nicht die Pioniere, als die sie sich präsentieren. Längst hat mensch auf vielen diversen Webseiten digitalen Zugriff auf Werke von Marx und Engels. Ja es liegt sogar eine vollständige digitale Ausgabe inklusive Such-/Recherche-Funktion der MEW-Ausgaben 1-43 vor, zu finden und frei verfügbar im DEA – Das Elektronische Archiv - http://www.dearchiv.de/php/mew.php

 

Aber schwerwiegender wiegen andere Nicht-, Fehl- oder Falschinformationen wie folgende:

 „Das große Projekt einer quellenkritischen Gesamtausgabe der Marx-Engels-Schriften (MEGA) wurde zunächst während der Weimarer Republik angepackt, blieb dann – auch bedingt durch den Nazi-Faschismus – bei den Frühschriften stecken …“

Da könnte der unbedarfte Leser den Eindruck bekommen: die MEGA ein deutsches Projekt, in der Weimarer Zeit auf den Weg und vornehmlich durch den deutschen Faschismus zu Fall gebracht.

 

Die Wirklichkeit war ein wenig anders und in Bezug auf die kommunistische Bewegung auch sehr viel tragischer.

Das in Moskau angesiedelte und auch durch vielfältige internationale Zuarbeit unterstützte Projekt der ersten MEGA wurde zweifellos durch den Machtantritt der Faschisten schwieriger, zu Fall gebracht wurde es leider in der Sowjetunion Stalins und durch ihn und seine Handlanger selbst.

 

Seit Ende der 20er/Anfang der 30er Jahre war die in der internationalen Arbeiter- und kommunistischen Bewegung hoch geschätzte Arbeit der Pioniere der Marx-Engels-Forschung in Moskau Stalin persönlich und seinen Getreuen in der KPDSU zunehmend ein Dorn im Auge. Sehr viele, darunter die herausragenden Köpfe des Marx-Engels/später Marx-Engels-Lenin-Instituts, wurden durch Verfolgung, Verhaftungen und Verbannungen aus dem Verkehr gezogen und nicht wenige im Zuge der Schauprozesse liquidiert, so auch der langjährige Leiter dieses Projekts David Borisovic (Goldendach) Rjazanov. Sein Schicksal ist beispielhaft:

 

Im Jahre 1870 in einer jüdischen Familie in Odessa geboren. Als junger Revolutionär meist im Gefängnis oder unter Polizeiaufsicht. 1901 Emigration und bis zur russischen Revolution in Westeuropas Hauptstädten lebend und Quellenforschungen zu Marx und Engels betreibend.. Dort vielfältige Kontakte zu den wichtigsten russischen (Lenin, Plechanow usw.) und europäischen Revolutionären und Marxisten. Insbesondere in dem Jahrzehnt zwischen 1907 und 1917 konnte er sich als einer der Begründer und unbestrittene Autorität auf dem Gebiet der Marx-Engels-Forschung und –Edition profilieren.

 

Der Ausbruch der Revolution in Rußland eröffnete dann neue Möglichkeiten hinsichtlich des Projekts einer Gesamtausgabe der Werke von Marx und Engels. Anfang 1921 wurde Rjazanov durch V. I. Lenin mit der Sammlung von Marx-Engels-Dokumenten beauftragt (Lenin an Rjazanov, 2. Februar 1921. In: W. l. Lenin, Briefe, Bd. VII, S. 65.), das bestehende Marx-Engels-Museum im Juli 1922 in ein wissenschaftliches Institut beim Allrussischen Zentralen Exekutivkomitee umgewandelt und Rjazanov zu dessen Direktor berufen, als "der richtige Mann am richtigen Platz". Der XIII. Parteitag der WKP(B) und der V. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale fassten 1924 Beschlüsse über eine wissenschaftliche Ausgabe der Werke von Marx und Engels. In der von Rjazanov auf dem Weltkongreß der KI vorgeschlagenen und einstimmig angenommenen Resolution hieß es u.a., dass nur eine "vollständige Ausgabe der Werke und Briefe von Marx und Engels, mit historisch-kritischen Kommentaren [...] als ein würdiges Denkmal der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus gelten und die Grundlage zu einem allseitigen Studium der Geschichte, der Theorie und Praxis des revolutionären Marxismus bilden" kann. Deshalb wurden alle kommunistischen Parteien ersucht, "bei der Sammlung von auf das Leben und Wirken von Marx und Engels bezüglichen Materialien" behilflich zu sein.1927 konnte endlich der erste Halbband der MEGA erscheinen, dem bis zu ihrem bitteren Ende 13 weitere folgten. Die Bände entsprachen international gehandhabten Editionskriterien, in einigen textdarbietenden und kommentierenden Fragen gingen sie darüber hinaus.

 

Rjazanov begründete damit für die literarische Hinterlassenschaft von Marx und Engels eine neue Tradition historisch-philologischer Edition. Nicht zu Unrecht wurde anlässlich seines 60. Geburtstages davon gesprochen: “Rjazanov ist nicht nur im russischen, sondern im Weltmaßstab der bedeutendste Marxforscher unserer Zeit“

Mit der 1936 erneut und verstärkt einsetzenden "Säuberungs-und Prozeßwelle" wurde der MEGA I endgültig der Riegel vorgeschoben. Die noch verbliebenen ausländischen MitarbeiterInnen wurden als "Spione entlarvt", verhaftet und verurteilt. Auch das noch bestehende Netz wissenschaftlicher Korrespondenten im Ausland wurde abgebaut. Die Reduzierung des Marxismus-Leninismus auf den Stalinismus als Theorie und Methode erübrigte die weitere Edition einer "objektiven Grundlage für jede Marx-Engels-Forschung", wie es im von Rjazanov als Programm formulierten Vorwort zur Gesamtausgabe 1927 hieß. Rjazanov konnte keine Kenntnis mehr davon haben, dass alle Redaktionsunterlagen der MEGA im Oktober 1938 archiviert wurden, sein Lebenswerk abgebrochen und er für Jahrzehnte in der Sowjetunion als "Unperson" galt. Einem der wenigen verbliebenen Gefährten Rjazanovs der ersten Stunde, dem Russen jüdischer Herkunft Pavel (Paul) Weller ist es wohl zu danken, daß 1939/41 zumindest noch die Erstveröffentlichung der "Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie" (1857/58) in zwei Teilen der ersten MEGA ein Denkmal setzte. (Informationen und Zitate stammen aus den unten angezeigten Sonderbänden zur Marx-Engels-Forschung – der Verf.)
 

Wer Profundes über all diese Entwicklungen und Vorgänge wissen will, der sei verwiesen auf diese Publikationen des „Berliner Vereins zur Förderung der MEGA-Edition e.V.“ - marxforschung - der jährlich „Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folgeaber auch gerade zu den oben angesprochenen Themen sehr lesenswerte und informative Sonderbände herausgegeben hat:

Sonderband 1: David Borisovic Rjazanov und die erste MEGA

Sonderband 2: Erfolgreiche Kooperation: Das Frankfurter Institut für Sozialforschung und das Moskauer Marx-Engels-Institut (1924-1928)

Sonderband 3: Stalinismus und das Ende der ersten Marx-Engels-Gesamtausgabe (1931–1941). Dokumente über die politische Säuberung des Marx-Engels-Instituts 1931 und zur Durchsetzung der Stalin’schen Linie am vereinigten Marx-Engels-Lenin-Institut beim ZK der KPdSU aus dem Russischen Staatlichen Archiv für Sozial- und Politikgeschichte Moskau

Sonderband 4: Isaak Il’jic Rubin – Marxforscher-Ökonom-Verbannter (1886-1937)

Sonderband 5: Die Marx-Engels-Werkausgaben in der UdSSR und DDR (1945-1968)

Solche historisch-kritischen Aufarbeitungen sind wichtig, um die MEW und MEGA-Herausgabe richtig einordnen und nutzen zu können und nicht das digitale Abkupfern samt Stalin freundlicher Kommentierungen.

 

Deshalb sei die kritische Leserschaft der trend onlinezeitung mit einem informativen Artikel zu den aktuellen Entwicklungen der Herausgabe von MEW-Bänden von zwei tatsächlichen Pionieren der heutigen Marx-Engels-Forschung bzw. -Herausgabe bekannt gemacht.

 

Im Folgenden der Text (mit Erlaubnis der Autoren) von Professor Rolf Hecker (Wirtschaftswissenschaftler , Vorsitzender des Berliner Vereins zu Förderung der MEGA-Edition e.V.) und Dr. Jörn Schütrumpf (Historiker, Geschäftsführer Karl Dietz Verlag Berlin), der unter dem Titel- „Die MEW-Ausgabe wird erneuert - Zur Neuherausgabe von Band 40 der MEW durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung“ – in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „Z“ (Nr. 92, Dezember 2012) - Z 92 - 12/2012- erschienen ist.


 

Den kompletten Text als PdF-Datei lesen  >>>>>>


 

Editorische Hinweise

 

Die Texte stellte uns der Autor für diese Ausgabe zur Verfügung.

 

Ulrich Leicht ist Rentner, Industriebuchbinder, langjähriger BR-Vorsitzender, gesellschaftskritischer Aktivist in der IG-Druck, IG Medien, zuletzt ver.di und bei der Gewerkschaftslinken, Vorstandsmitglied bei Labournet.de, Mitglied im Berliner Verein zu Förderung der MEGA-Edition e.V.