Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Steuerpolitik 2
Den Bock zum Gärtner ernannt?

01-2013

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Haben Frankreichs Sozialdemokraten im vergangenen Jahr einen kapitalen Bock zum Gärtner ernannt? Seit Mai 2012 amtiert Jérôme Cahuzac in Paris als Haushaltsminister. Der Titel bezeichnet eine Art Vize-Wirtschaftsminister, der dem jeweiligen Wirtschafts- und Finanzminister untergeordnet ist. Er hat die jährlichen Budgetgesetze vorzubereiten und ist für die Steuerpolitik zuständig.

Am Dienstag, den 08. Januar 13 leitete die französische Justiz ein Ermittlungsverfahren gegen Cahuzac ein, wegen Verdeckung illegaler Steuerflucht. Das untersuchte Delikt, „Verdunkelung von Steuerflucht“, wurde mit Bedacht ausgewählt. Handelte es sich nämlich um das Delikt der Steuerflucht selbst, müsste das Finanzministerium selbst einen Antrag auf Strafverfolgung stellen. Diese Notwendigkeit hat die Justiz, durch ihre strafrechtliche Qualifikation des untersuchten Delikts, umgangen. Nunmehr ermittelt sie also gegen Jérôme Cahuzac.

Ihm wird vorgeworfen, von Anfang des Jahrtausends bis im Jahr 2010 ein bei den Finanzbehörden nicht angegebenes Konto in der Schweiz besessen zu haben. Zwischenzeitlich soll das Konto geschlossen worden sein, doch die Guthaben seien nach Singapur transferiert worden. Dokumente dazu hatte die – vom früheren Le Monde-Cherfredakteur Edwy Plenel herausgegebene - Internetzeitung Médiapart erstmals am 04. Dezember 12 und seitdem mehrfach veröffentlicht. Darunter einen am 05. Dezember 12 Audio-Mitschnitt, von der die Redaktion angibt, er sei ihr zugespielt worden. Sie behauptet, Cahuzac erkenne darin die illegale Steuerflucht an. Es handele sich um die Aufnahme einer Nachricht auf einem telefonischen Anrufbeantworter, die Jérôme Cahuzac Ende des Jahres 2000 aus Versehen bei der falschen Person hinterlassen habe. Darin taucht u.a. die Formulierung auf: „Es kotzt mich an, dort ein Konto zu haben.“

Der Minister selbst bestreitet bislang alle Vorwürfe. Er behauptet jedenfalls, „nie ein Konto in der Schweiz“ besessen zu haben; was die Aufnahme betrifft, so eiert er etwas stärker herum. („Es sind vier bis fünf Sekunden dabei, wo ich es sein könnte“, der aufgenommen worden ist, „aber ich bin es letztendlich nicht.“) Im Dezember 12 hatte er seinen Anwalt beauftragt, bei der eidgenössischen Bankgesellschaft UBS offizielle Auskunft über die Existenz oder Nichtexistenz eines solches Kontos zu fordern. In dem Schreiben solle die UBS vom Bankgeheimnis entbunden werden. Vielleicht hoffte der Minister aber auch darauf, dass eine ehrliche Antwort ausbleibe.

Am Dienstag Abend (08. Januar 13) erklärte er sich in einer Reaktion „erleichtert“, da im Ermittlungsverfahren nunmehr die Wahrheit ans Licht kommen werde. Präsident François Hollande unterstützt seinen Minister bislang noch, wenngleich in schwammigen Worten. Sollte Cahuzac über die Affäre stolpern, so wäre es eine politische Katastrophe für ihn. Allerdings fordert der Oppositionsführer der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP, Jean-François Copé, ausdrücklich – wie er am 09. Januar 13 erklärte - nicht den Rücktritt Cahuzac; vgl. http://www.lefigaro.fr s. (Wo kämen wir denn da hin, aus rechter Sicht, wenn man jemandem ausgerechnet Steuerflucht und Bereicherung vorwerfen würde? Gibt es nicht bessere Anlässe zum Opponieren?)

Spitzensteuersatz futsch

Cahuzac ist, zusammen mit Wirtschafts- und Finanzminister Pierre Moscovici, derzeit für die Baustelle der Überarbeitung der Steuervorschriften zuständig. Diese ist umso erforderlicher geworden, als das französische Verfassungsgericht am Samstag, den 29. Dezember 12 den im vergangenen Jahr frisch eingeführten Spitzensteuersatz kassierte.

Das Gericht erklärte ihn in der bislang geplanten Form für verfassungswidrig. Und zwar, weil der Anstieg – von 45 Prozent für die zweithöchste auf 75 Prozent für die oberste Tranche, ab einer Million Euro Jahreseinkünfte aufwärts – zu abrupt erfolge. Deswegen sei der Grundsatz der Gleichbehandlung vor dem Gesetz verletzt, weil die Bezieher von Jahreseinkünften in Höhe von 0,9 Millionen einerseits und 1,1 Million andererseits zu unterschiedlich behandelt würden. Das Regierungslager will nun im Laufe des Jahres 2013 nachbessern. Bislang allerdings erscheinen seine Planungen eher chaotisch und unkoordiniert. (Vgl. http://www.lemonde.fr oder http://www.lemonde.fr/idees/ )

Cahuzac und Moscovici etwa widersprechen sich beim Thema gegenseitig: Der eine erwägt nun, im zweiten Anlauf den Spitzensteuersatz für die Dauer der Legislaturperiode (bis 2017) einzuführen; vgl. http://www.lemonde.fr . Der andere bleibt hingegen bei der bisherigen Regierungsposition, wonach es sich um eine Ausnahmebesteuerung für maximal zwei Jahre handele, um die Staatsverschuldung kurzfristig schneller abzubauen.

Dafür allerdings ist die „Reichensteuer“ so, wie sie bislang geplant war, ohnehin ungeeignet. In der programmierten Form hätte sie ohnehin nur 1.500 Personen betroffen, da die Regierung sich darauf festgelegt hatte, nur Lohneinkommen und nicht auch Kapitaleinkünfte – wie etwa Aktiendividenden und Mieteinnahmen – dabei unter das zu versteuernde Einkommen fallen zu lassen. Bislang stellt auch niemand von Regierungsseite diese Weichenstellung in Frage, um etwa Kapitaleinkünfte mit einzuberechnen. Dadurch bleibt die „Reichensteuer“ im Reich der Symbolpolitik, wird aber haushaltspolitisch in jedem Falle relativ wirkungslos bleiben.

Millionäre in Heidi-Land

Um ein bisschen mehr Geld in die Staatskassen zu spülen, möchte die französische Regierung jetzt auch ihre in der Schweiz lebenden reichen Staatsbürger etwas stärker zur Kasse bitten. Rund 5.500 Millionäre profitieren auf eidgenössischem Boden von einer – für sie günstigen – Pauschalbesteuerung, unter ihnen rund 2.000 Franzosen. Das 1966 zwischen beiden Länder geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen schließt zwar ausdrücklich aus, dass Franzosen mit Wohnsitz in der Schweiz „zu Hause“ von allen Steuern befreit sein können, wenn sie nur Pauschalabgaben bezahlen. Doch von 1972 bis 2012 war genau dies gängige Praxis, und Frankreichs Steuerbehörden schlossen beide Augen. Damit soll nun ab diesem Jahr Schluss sein, nachdem am 26. Dezember 12 ein neuer Text dazu im Steuergesetzblatt erschien. (Vgl. http://www.tagesanzeiger.ch und http://www.nzz.ch/aktuell/)

Steueroase Belgien

Nicht nur die Schweiz zieht wohlhabende Franzosen an. Auch Belgien oder die als klassisches Fiskalparadies geltenden britischen Kanalinseln locken mit niedrigeren Steuersätzen, wie auch Québec im französischsprachigen Teil Kanadas (vgl. dazu http://actu.orange.fr/ ). In Belgien ist der Spitzensteuersatz zwar im EU-Vergleich nicht unbedingt niedrig; ab 3.000 Euro monatlichem Verdienst (36.000 Euro jährlich) beträgt er 53,5 % für die oberste Tranche des Einkommens. Dies ist sogar mittlerweile – nach Spitzensteuersatz-Senkungen in vielen Staaten - der dritthöchste Spitzensatz in einem EU-Land, wobei das belgische Steuerrecht mit anderen Vorzügen für Kapitalinhaber lockt (siehe unten). Doch seit François Hollandes Plänen für die „Reichensteuer“ drohen manche Schwerreichen mit einem Umzug hinter die nahe gelegene französisch-belgische Grenze.

Den Anfang machte im September 2012 der Multimilliardär Bernard Arnault. Bei ihm handelte es sich allerdings eher um eine öffentlich vorgeführte Drohung, die politischen Druck entfalten sollte: Anfang September 12 kündigte er an, Belgier werden zu wollen, „aber nicht, um Steuern zu sparen“ – er wolle sogar in Frankreich steuerpflichtig bleiben. Arnault wollte sich wohl im günstigsten Licht präsentieren, um Verhandlungen und Diskussionen auslösen.

Die linksliberale Tageszeitung Libération antwortete damals auf relativ spektakuläre Weise auf ihn. Am 10. September 12 erschien sie mit einem Titelbild, auf dem Bernard Arnault mit einem Koffer (aus eigener Produktion in seiner Luxuswarenfirma) in der Hand zu sehen war. Die Überschrift dazu lautete: Casse-toi, riche ton! Also: „Hau ab, reicher Depp!“ Die Formulierung drehte Nicolas Sarkozys berühmt-berüchtigten Ausspruch von 2008 gegenüber einem Mann, der ihm nicht die Hand drücken mochte, um. Der damalige Präsident hatte gepoltert: Casse-toi, pauvre con! (Hau ab, Du armer Depp!) Am folgenden Tag legte die Zeitung nach mit der Ankündigung: Bernard, si tu reviens, on annulle tout! („Bernard, wenn Du zurückkommst, pfeifen wir alles ab!“) Auch dies war eine Persiflage – eine Anspielung auf das einige Zeit später bekannt gewordene SMS des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy an Ex-Gattin Cécilia Sarkozy im Winter 2007/08. Kurz vor seinem Eheschluss mit Carla Bruni hatte Sarkozy an seine Exfrau die Nachricht gesandt: „Cécilia, wenn Du zurückkommst, pfeife ich alles ab!“

Bernard Arnault tobte und drohte mit Strafanzeigen. Vor allem aber verlor Libération in den darauffolgenden Tagen und Wochen stark an Einnahmen aus Werbeanzeigen; vgl. http://www.lemonde.fr/ - Die Ausgabe vom 10. September 12 wurde allerdings zum Verkaufserfolg.

Unterdessen haben sich die Dinge für Bernard Arnault jedoch kompliziert. Wie die Pariser Abendzeitung ,Le Monde’ in ihrer Ausgabe vom Samstag, den 12. Januar 13 berichtet, schicken sich die belgischen Behörden einerseits an, den Antrag Arnaults auf den Erwerb der Staatsbürgerschaft abzuschmettern. Tatsächlich fehlt es bei ihm an der Erfüllung des gesetzlichen Kriteriums, seit mindestens drei Jahren dauerhaft in Belgien zu leben. Die Ausländerbehörde hat sein Ansinnen (das er offiziell im Juli 2012) abschlägig beschieden. Nun muss eine Kommission, in welcher auch Parlamentarier vertreten sein, die definitive Entscheidung treffen. Arnault baut jedoch noch darauf, sich auf eine Sonderregelung der belgischen Gesetzgebung berufen zu können; diese erlaubt es, ausnahmsweise auch ohne die Voraussetzung des mindestens dreijährigen Hauptwohnsitzes eingebürgert zu werden, wenn jemand sich „besondere Verdienste um Belgien“ erworben hat.

Allerdings droht ihm andererseits auch noch weiteres Ungemach in Belgien. Denn Bernard Arnault hatte in den letzten Jahren dorthin insgesamt rund sieben Milliarden Euro (3,3 Milliarden + 3,75 Milliarden Euro) in zweien seiner Filialen verschoben. Er wollte – wie andere Kapitalisten – dabei Regelungen der belgischen Gesetzgebung ausnutzen, die es erlauben, Eigenkapital von Firmen von der Steuer abzusetzen. Diese Regel dient dazu, Unternehmen, die sich über Eigenkapital „riskant“ finanzieren statt auf Kredite zurückzugreifen, zu ermutigen. Diese dürfen diese Finanzierung (in derselben Weise wie die Zinsraten für entsprechende Kredite) von der Steuer absetzen. Unternehmen und Schwervermögende nutzen diese Abschreibungsregelung nun, um dicke Summen in ihre belgischen Filialen zu verschieben, diese als „Hauptfinanzierungsquelle“ ihrer Firmen zu erklären und dadurch gigantische Abschreibungsmöglichkeiten zu nutzen.

Bernard Arnault (dessen Luxusproduktfirma LVMH dadurch in den Jahren von 2009 bis 2011 nur 03,84 % Steuern auf ihre Profite bezahlt haben soll) hat es jedoch in den Augen der belgischen Behörden zu dick getrieben. Diese untersuchen nun, ob er nicht geltende Steuergesetze illegal umgangen hat – und kündigten sogar an, Arnaults Steuer-Akte den französischen Behörden zur Einsicht zu übermitteln. (Vgl. http://www.lemonde.fr/economie/) Ay ay ay, das hat erst einmal gesessen! Und immer druff, bitte!

Ein anderer französischer Großverdiener, der Brillen–Fabrikant Alain Afflelou, hat nun seinerseits seine Übersiedlung nach London angekündigt. Natürlich auch nicht aus steuerlichen Gründen, nein, nicht doch. Im Vorübergehen kritisiert er allerdings den zu starken Egalitarismus in Frankreich, mit den Worten, man solle nicht ständig „1789 nachspielen“; vgl. http://www.lemonde.fr. In Wirklichkeit dürfte er 1793 gemeint haben, als die bürgerlich-liberale Revolution in eine Mischung aus sozialer Revolution und nationaler Mobilmachung (im Krieg mit den europäischen Monarchien) hinüber glitt. Seine historische Referenz, also der Wunsch, quasi 1789 beenden zu wollen, ist dennoch bemerkenswert.

Unterdessen geht die Debatte um das Steuer-Exil für eine weitere Gruppe los, die Spitzen-Tennisspieler (vgl. http://actu.orange.fr/) Bis dann demnächst eine weitere Gruppe von armen geknechteten Reichen & Steuerzahlern aufwacht…

Und das Publikum?

Die Französinnen und Franzosen sind mehrheitlich dafür, dass Schwerreiche in Krisenzeiten stärker besteuert werden. Vor einem knappen Jahr wurde der Vorschlag des damaligen Wahlkämpfers Hollande für die Einführung des Spitzensteuersatzes von 75 Prozent durch drei Viertel der Befragten begrüßt. Ende Dezember 12 erklärten bei einer Umfrage für die konservative und wirtschaftsnahe Tageszeitung Le Figaro 81 Prozent, dass es legitim sei, Reiche stärker zur Kasse zu bitten. Vgl. http://www.lepoint.fr)

Die Zustimmung dafür war in allen politischen Lagern mehrheitsfähig, von 57 Prozent bei der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechten über 67 Prozent bei den Wählern der Rechtsextremen bis zu 97 Prozent bei denen der Linksparteien. Gespalten zeigte sich das Publikum dagegen bei der anders formulierten Gegenfrage, ob es Verständnis dafür habe, dass Vermögende dem Fiskaldruck durch Umsiedlung ins Ausland zu entgehen versuchten. Hier polarisierten sich die Antworten zwischen politischen Lagern. 79 Prozent der Wähler der bürgerlichen Rechten, 66 Prozent der Rechtspopulisten, aber nur 49 Prozent jener der Linksparteien zeigten dafür individuelles Verständnis.

Zu jener Zeit diskutierte Frankreich über das überwiegend steuerpolitisch motivierte „Exil“ des Schauspielers Gérard Depardieu. Im Dezember 12 hatte er ebenfalls seine Umsiedlung nach Belgien bekannt gegeben. (Vgl. nebenstehenden Artikel) Die Satiresendung des französischen Fernsehsenders Canal+, Les Guignols de l’info, kommentierte Depardieuds Anbändeln mit Putin am vergangenen Montag, den 07. Januar 13: „François Hollande hat es geschafft, 200 Liter Wein nach Russland zu exportieren.“ Damit war Depardieus Luxuskörper gemeint.

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.