Frankreich interveniert in Afrika (1)
Zu den jüngsten Interventionen in West-, Zentral- und Ostafrika: ZAR, Somalia, Mali

von Bernard Schmid

01-2013

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Teil I: Zentralafrikanische Republik (ZAR), Dezember 2012 u. Januar 2013

Waiting for a plane that never comes: Ungefähr so müssen sich die Rebellenführer aus der Zentralafrikanischen Republik (ZAR, oder französisch abgekürzt RCA für République Centrafricaine) gefühlt haben, die am Sonntag, den 06. Januar 13 an der Start- und Landebahn der Stadt Bria auf ihren Abflug warteten. Die Maschine, die sie in die Hauptstadt der Republik Gabun, Libreville, mitnehmen sollte, traf nicht ein. Allerdings konnten sie dann 24 Stunden doch noch abheben, in Richtung Äquator – die afrikanische Republik Gabun liegt an demselben, die ZAR einige Breitengrade nördlich davon.

Aus technischen Gründen“ sei die die Maschine am ersten Tag in Bangui, der Hauptstadt der ZAR, aufgehalten worden, hieß es später. Die wartenden Passagiere glaubten nicht vollkommen an diese Version. Auch meinten Beobachter vor Ort, es sei fraglich, wie es ab jetzt überhaupt um ihre Lust auf eine Reise zu den Verhandlungen nach Libreville stehe. Schon zuvor hatten sich zu dieser Frage Differenzen innerhalb des eher zusammengewürfelten Rebellenbündnisses ergeben. Doch konnten die Brüche am darauffolgenden Tag noch gekittet werden.

In Libreville begannen am Dienstag, den 07. Januar 13 die Verhandlungen zwischen der Rebellenkoalition Séléka – ihr Name bedeutet in der Landessprache Songo so viel wie „Allianz“ oder „Bündnis“ – und der Regierung von Präsident François Bozizé.

Rebellen beim Blitz-Vorrücken

Die Séléka hatte am 10. Dezember 2012 eine militärische Offensive vom Nordrand des Staatsgebiets der ZAR aus begonnen und innerhalb weniger Wochen weite Teile des Nordens, Ostens und Zentrums der Republik erobert. Die Städte, die seit Jahrzehnten vom Zentralstaat vernachlässigt wurden, vielen ihr oft wie überreife Früchte in die Hände. Aber ihr Vorrücken war auch von Plünderungen begleitet.

Erst auf der der Höhe von Damara, rund 60 Kilometer vor der Hauptstadt Bangui, die am südlichen Rand des Territoriums der ZAR liegt, kam die Offensive rund um die Weihnachtstage zum Stehen. Ursächlich dafür ist, dass sich die Staaten der Wirtschaftsgemeinschaft zentralafrikanischer Staaten (CEEAC), die seit gut zehn Jahren eine eigene „Stabilisierungstruppe“ für die krisengeschüttelte ZAR unter dem Namen Micopax im Land unterhalten, querstellten. Die Rebellen-Allianz, ein heterogener Zusammenschluss von teils politisch motivierten Personen – ihr Anführer ist Eric Massi, der Sohn des ermordeten zivilen Oppositionellen Christian Massi - und teils eher auf Beutemachen begierigen Gruppen, konnte es sich nicht leisten, wich einer Konfrontation mit dieser Truppe aus dem Weg. Sie konnten es sich nicht leisten, die gegenüber der nur vier Millionen Einwohner zählenden ZAR weitaus mächtigere regionale Staatengruppe zu attackieren.

Zumindest ein Mitgliedsstaat der CEEAC, der nördlich an das Land angrenzende Tschad, wird allerdings verdächtigt, hinter den Rebellen oder einem Teil von ihnen zu stehen. Dies ist durchaus plausibel, zumal die Präsidentengarde des Tschad infolge einer Vereinbarung mit Präsident Bozizé im Norden der ZAR stationiert ist, um die Ordnung dort aufrecht zu erhalten – sie griff jedoch nicht ein, als die Séléka im Laufe des Dezember eine Stadt nach der anderen aufrollte. Für den amtierenden Präsidenten muss dies als Warnsignal erscheinen. Er selbst kam mit 2003 mit Waffengewalt an die Macht, unterstützt durch das tschadische Regime. Damals wurde auch gemutmaßt, die ehemalige Kolonialmacht Frankreich stecke hinter seinem Putsch.

Doch in Wirklichkeit hatte Bozizé zwar Kontakte in die französische Armee. Er hatte von 1979 bis 1981 eine Offiziersschule in Frankreich besucht, nachdem sein ursprünglicher Patron - der größenwahnsinnige „Kaiser“ Zentralafrikas von 1976 bis 1979, der anfänglich von Frankreich protegierte Jean-Bédel Bokassa - abgetreten war. Aus jener Zeit resultieren noch einige Männerfreundschaften. Aber die politische Klasse in Paris ist ihm gegenüber eher reserviert. Der evangelikale Pastor und Prediger Bozizé, der sich mit christlichen Sektengestalten unter anderem aus Benin umgeben hat, gilt bei der französischen politischen Elite großteils als beschränkt, borniert und unzuverlässig. Deshalb versuchte Boizizé ihre Unterstützung in den ersten Jahren nach seiner Machtübernahme teilweise durch jene Chinas zu ersetzen. Allerdings akzeptierte Peking zwar eine ökonomische Zusammenarbeit, greift aber in Afrika grundsätzlich nicht militärisch ein, so dass Bozizé solcherart Hilfe weiterhin bei Frankreich suchte.

Der Verdacht, dass das tschadische Regime unter Präsident Idriss Déby die Rebellen unterstützt, führt unterdessen in der ZAR zu beginnenden Übergriffen auf Bevölkerungsgruppen aus dem Nordteil des Landes. Alle Binnenmigranten aus dem muslimischen Norden, aus den Grenzgebieten zum Tschad und Sudan, aber auch schon lange im Land lebende muslimische Westafrikaner wie Senegalesen und Mauretanier werden zur Zielscheibe.

Pogrom-Risiko

Seitdem es Ende Dezember 12 vorübergehend aussah, als würden die Rebellen schnell auf die Hauptstadt Bangui vorrücken, organisierte das Regime bewaffnete Zivilisten, darunter Straßengangs, die nun als „Junge Patrioten“ Barrikaden in von muslimischen Einwohnern errichteten Vierteln errichten. Sie kontrollieren Autos und Ausweispapiere, bedrohen ihnen verdächtig wirkende Personen und versuchen, „illegale“ Ausländer aus den Nachbarstaaten, vor allem aber Tschader aufzuspüren. Das Modell der „Jungen Patrioten“ ist dabei bei den im vergangenen Jahrzehnt agierenden Anhängern des Präsidenten der Côte d‘Ivoire, Laurent Gbagbo, abgekupfert. Auch sie sorgten für eine nationalistische Mobilmachung in einem überwiegend christlich geprägten Landessüden gegen die Bewohner der eher muslimischen Nordhälfte. Die Anhänger von Präsident Bozizé wählen allerdings einen anderen Vergleich: Sie behaupten, die Rebellen seien mit den Djihadisten zu vergleichen, die seit April letzten Jahres die Nordhälfte von Mali besetzt halten und gegen die sich eine internationale Militärintervention anbahnt. Radikale Islamisten seien sie allemal. Nichts allerdings belegt diese Behauptung. In Wirklichkeit dürften sie kaum eine tiefere ideologische Dimension aufweisen.

Botschaften belagert:
Nicht gegen ein Eingreifen der Großmächte, sondern dafür…

Boizizé bemüht sich nach Kräften danach, um internationale Unterstützung für seinen Verbleib an der Macht und für die Bekämpfung der Rebellen zu werben. Doch die wichtigsten Großmächte wollen nicht ganz so, wie Bozizé gern möchte. An den Weihnachtstagen 2012 ließ er von seinen Anhängern die Botschaften Frankreichs und der USA in Bangui belagern. Die Nordamerikaner schlossen ihre Botschaft daraufhin einfach und zogen das Personal ab. Die französische Vertretung wurde mit Steinen und Wurfgeschossen beworfen, blieb jedoch geöffnet.

Auf den ersten Blick ähnelt die Situation jener vor gut 15 Jahren. Aber nur auf den ersten Blick. Bereits einmal, im Juni 1996, hatten Demonstranten die französische Botschaft in Bangui attackiert. Damals hatte Bozizés Vorgänger an der Macht – Ange-Félix Patassé – Ärger mit meuternden Soldaten, die seit Monaten keinen Sold mehr erhalten hatten. Die französische Armee griff damals ein und bombardierte Stadtteile von Bangui, in denen sich Rebellen verschanzen sollten. Dies führte zu breitem Unmut. Die französische politische Elite hat daraus gelernt: Sie kam in den darauffolgenden zwei Jahren zum Konsens, es liege nicht im französischen nationalen Interesse, für ein zu Hause unpopuläres Regime die „Leibwache“ zu stellen. Am 15. April 1998 wurde die französische Militärbasis in der ZAR geschlossen, wo zuvor noch 2.000 Soldaten der Ex-Kolonialmacht standen. Seit 2002 stehen jetzt 250 französische Militärs im Rahmen der Mission Boali dort, doch Frankreich lehnt es ab, die Aufrechterhaltung eines bestimmten Präsidenten als sein eigenes strategisches Interesse zu betrachten. Ganz gerne delegiert es deswegen die Aufgabe, die Konflikte vor Ort zu regeln, an die Staaten der Region. Bozizé hätte es weitaus lieber gesehen, genösse er eine tatkräftigere Unterstützung…

Und das vorläufige Ende vom Lied

Vorläufig konnten, nach Eröffnung der Verhandlungsrunde in Libreville (Gabun), die innenpolitischen Streitigkeiten in der ZAR beigelegt werden. Regierung, Rebellion und (zivile) Opposition einigten sich am 11. Januar 13 auf ein Abkommen. (Vgl. etwa http://www.lemonde.fr oder http://actu.orange.fr/) Es sieht u.a. die Ernennung eines Übergangs-Premierministers als „Mann des Konsenses“, in Gestalt des Anwalts Nicolas Tiangaye, vor. (Vgl. etwa http://www.lemonde.fr/afrique/ ) Manche Stimmen innerhalb der Rebellenkoalition warfen ihrem Verhandlungsführer, Michel Djotodia, allerdings einen „überstürzten“ Abschluss des Abkommens vor; vgl. http://afrikarabia.blogspirit.com/

Am 23. Januar 13 beschuldigte allerdings das Verteidigungsministerium der ZAR unter Jean Ladawa die Rebellen-Allianz, feindselige Handlungen wiederaufgenommen zu haben und „ihren Eroberungszug vorzuführen“ (vgl. http://www.europe1.fr/ ). Anscheinend haben die Rebellen tatsächlich ihre Offensive wieder aufgenommen, und am Sonntag und Montag – den 20. und 21. Januar 12 – die beiden Städte Kembé und Djimmi im Bezirk Basse Kotto eingenommen. (Vgl. http://www.afrik.com )

Editorische Hinweise

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.