Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Sozialer Rückschritt sozialpartnerschaftlich ausgehandelt
„Kompromiss“, sagten Sie?

01-2013

trend
onlinezeitung

Drei von fünf Gewerkschaftsverbänden (darunter zwei gelbe) stimmen einem Abkommen zu Arbeitsrecht & Beschäftigungspolitik zu. Dessen Hauptinhalte bestehen aus der Verkürzung von (arbeits)gerichtlichen Anfechtungsfristen, der Erlaubnis von betrieblichen Vereinbarungen über „Opfer“ der Lohnabhängigen in Krisenzeiten sowie der Erleichterung von Entlassungen solcher Lohnabhängiger, die Letztere verweigern. Die Regierung und Präsident François Hollande gratulieren den „Sozialpartnern“ und sich selbst zu einem „Erfolg“.

Das Timing dabei war schlau: Ein Wochenende plus einen Werktag nach dem Abkommen zur „Beschäftigungsförderung“ gibt der Automobilkonzern Renault Pläne zum Abbau von 7.500 Arbeitsplätzen bekannt. Die Ankündigung war bis dahin zurückgehalten worden, damit das „Abkommen“ vorher noch unter Dach & Fach gebracht werden konnte. Alles in allem ein Triumph der Arbeitgeber.

Aber nun ist doch Protest vernehmbar. Auch von Links. Ausgerechnet die Neofaschistin Marine Le Pen versucht unterdessen, sich durch das Lancieren einer „Petition“ gegen das Abkommen ins Gespräch zu bringen. Das hat gerade noch gefehlt…

Am Freitag, den 11. Januar 13 trat nicht nur Frankreich im westafrikanischen Mali in den Krieg ein. (Vgl. dazu Frankreich interveniert in Afrika) Dasselbe Datum markiert auch einen quasi-militärischen Erfolg in einer anderen Offensive: jener des organisierten Kapitals im Vorrücken gegen die „Bastionen“ bisheriger sozialer Errungenschaften.

Nach einem zähen Stellungskrieg konnten die letzten Festungen der Verteidiger an vielen Stellen überrannt werden, und zumindest einige bisher sicher geglaubte Positionen wurden geschleift. Ein taktisches Rückzugsgefecht an einer Nebenfront – jener der Erhöhung von Sozialabgaben für befristete Arbeitsverträge – machte den Durchbruch an den am härtesten umkämpften Frontabschnitten möglich. Aufgrund ihres Teilerfolgs an der sekundären Front (s.o.) glauben die gewerkschaftlichen Strategen, die am Ende die Kapitulationsurkunde unterzeichneten, (vielleicht) noch immer an einen Erfolg. In Wirklichkeit kann festgestellt werden, dass ein Durchmarsch der Kapitalverbände in ihrem Eroberungsfeldzug an den entscheidenden Stellen gelungen ist.

Pardon, erst einmal, für die quasi-militärische Sprache. Aber man muss realistischerweise ja durchaus davon ausgehen, dass Verhandlungen wie jene, um welche es hier geht, von Kapitalseite strategisch durchgeplant werden. Viel weniger, in diesem Falle, von gewerkschaftlicher Seite: Dort war man sich, wie aus gewöhnlich unterrichteten Kreisen zu erfahren ist, in vielerlei Hinsicht nicht darüber im Bewusstsein, was in Wirklichkeit auf dem Spiel stand (und vor allem in Sachen Verkürzung von Klagefristen von ausgesprochener Leichtfertigkeit).

Hinzu kommt die Zersplitterung im gewerkschaftlichen Lager, mit bislang fünf als „repräsentativ“ (im Sinne des französischen Gesetzes, d.h. „tariffähig“, rechtlich zum Abschluss eines Kollektivvertrags befugt) anerkannten Dachverbänden. Ab diesem Jahr wird sich dies zwar ändern, weil gerade im laufenden Jahr eine wichtige Änderung im Hinblick auf die „Repräsentativität“ von Gewerkschaften in Kraft treten wird – siehe unten. Im Augenblick sieht es jedenfalls noch so aus.

Regierung dringt auf Durchbruch

Seit Oktober 2012 waren Verhandlungen zwischen den drei Arbeitgeberverbänden (der MEDEF als Haupt-Arbeitgebervereinigung, die CGPME für die mittelständischen Betriebe und die UPA für die Handwerksunternehmen) und den bislang fünf als „tariffähig“ anerkannten Gewerkschaftsdachverbänden eröffnet worden. Es ging um das Thema Beschäftigungspolitik, also die Erleichterung von Beschäftigung respektive die „Rettung von Arbeitsplätzen“ durch günstigere Verwertungsbedingungen für das Kapital, das „in Krisenzeiten und in der internationalen Konkurrenz bestehen muss“. Zunächst glaubten nur wenige Beobachter/innen an einen erfolgreichen Abschluss in naher Zukunft. Die Verhandlungen schienen sich festzufressen. Noch in jüngster Zeit sah es nicht nach einem Abschluss aus.

Die aus Sozialdemokraten und Grünen bestehende, inhaltlich weitgehend sozial(wirtschafts)liberale Regierung hatte ihrerseits – vor allem in der letzten Phase - starken Druck auf die „Sozialpartner“ ausgeübt. Anfang Januar 13 kündigte das Arbeitsministerium unter Michel Sapin an, falls es zu keiner Vereinbarung in den allernächsten Wochen komme, werde die Regierung selbst bis spätestens „Ende Februar“ dieses Jahres einen Gesetzentwurf zum Thema vorlegen. In diesem Falle wäre die Möglichkeit einer Einflussnahme auf den Text den Verhandlungspartnern entzogen worden.

Allerdings glauben viele Linke in den Parteien der Regierungskoalition inzwischen, dies wäre im Endeffekt das kleinere Übel gewesen. Hätte doch in dem Falle ein Text während der Parlamentsdebatte zerpflückt, und der politische Streit darum in den Medien und unter den Augen der öffentlichen Meinung ausgetragen werden können. Nun jedoch erscheint dasselbe Ergebnis als Frucht eines „zäh errungen Kompromisses der kompetenten Experten beider Seiten“ und „unter Einschluss der Gewerkschaften“. Auch wenn viele Experten offen von einem „Abkommen, das eher die Arbeitgeberseite begünstigt“, sprechen (vgl. http://www.lemonde.fr/idees/article/2013/01/16/un-accord-plutot-favorable-aux-employeurs_1817666_3232.html ) und manche Beobachter sich angesichts der sehr einseitigen Begünstigung sogar fragen: „Kann man wirklich von einem Abkommen sprechen?“ (Vgl. http://blogs.rue89.com/chez-pierre-polard/2013/01/16/accord-historique-sur-le-travail-peut-meme-parler-dun-accord-229420 )

Zudem wird die Regierung nunmehr das Ergebnis der Verhandlungen in einen Gesetzestext übersetzen, ohne dass an dessen Inhalt noch viel herumdiskutiert werden könnte, da man sich von Seiten der Exekutive auf den „notwendigen Respekt des Willens der Sozialpartner“ berufen wird.

Der linke Parteiflügel der „Sozialistischen“ Partei (vgl. http://social.blog.lemonde.fr ) und die französische KP (vgl. http://gauche.blog.lemonde.fr/2/ ) wollen es dabei dennoch nicht bewenden lassen, und kritisieren z.T. auf das Heftigste den Inhalt der Vereinbarungen. Selbst innerhalb der (etablierten) Linken ist anscheinend noch lange kein „Burgfrieden“ zum Thema eingetreten (vgl. auch http://fressoz.blog.lemonde.fr/ ). Selbst der frühere Mitarbeiter von Präsident François Mitterrand im Elysée-Palast und spätere Berater der rechtssozialdemokratischen Tante Ségolène Royal während ihres Präsidentschaftswahlkampfs 2006/07, Jean-Louis Bianco, meldete Kritik an. Sogar er erklärte öffentlich: „Ich hätte mir ein Abkommen, das günstiger für die Beschäftigten ausfällt, gewünscht.“ (Vgl. http://www.lemonde.fr/id )

Unterdessen wurde vermeldet, dass die Ratingagenturen – die seit Herbst 2011 Frankreichs Ländernote mehrfach „herabzustufen“ drohten, was ein Risiko der verschlechterten Rückzahlungsaussichten für Schulden widerspiegeln soll – infolge des neuen Abkommens „vorläufig zufrieden“ seien. (Vgl. http://www.latribune.fr/) Das ideelle Gesamtkapital reibt sich also die Hände, und wartet auf die Gelegenheit für den nächsten Angriff.

Kurz vor knapp für die Unterschrift der quasi-gelben Gewerkschaften

Die Unterzeichner des Abkommens auf gewerkschaftlicher Seite sind die üblichen Verdächtigen. Zu ihnen zählen die beiden kleineren Gewerkschaftsdachverbände CFTC (Christenheinis) und CFE-CGC (Vertretung der höheren & leitenden Angestellte, französisch cadres). Es handelt sich um zwei relativ schwache und tendenziell „gelbe“ Gewerkschaftsorganisationen, von Einzelpunkten abgesehen, bspw. kämpft der christliche Gewerkschaftsbund – aus z.T. konfessionellen Gründen – relativ energisch für den arbeitsfreien Sonntag.

Hinzu kommt (na, wer hätte es nicht erraten?) die an ihrer Spitze rechts-sozialdemokratische CFDT, welche immerhin den zweitstärksten französischen Gewerkschaftsbund hinter der CGT darstellt. Die CFDT und ihr Apparat sind heute einerseits eng mit der Regierung verwoben; ihr am 28. November 12 ausgeschiedener (und durch Laurent Berger ersetzter) Ex-Generalsekretär François Chérèque hat gerade diese Woche neue Positionen im Regierungslager übernommen. So wurde diese Woche bekannt, dass Chérèque künftig den der „Sozialistischen“ Partei nahe stehenden Think Thank namens ,Terra Nova’ leiten wird. Und er wird, wie kurz darauf bekannt wurde, den Armutsbericht der Regierung betreuen; vgl. http://www.lemonde.fr/

Hinzu kommt, dass die CFDT seit ihrer neoliberalen Wende in den 1990er Jahre – im Namen einer „Priorität für Verträge über das Gesetz“ - noch jede Vereinbarung als „per se positiv“, eben weil sie vereinbart wurde und es nicht zum Eingreifen des Gesetzgebers kam, verkauft. Dabei kann zumindest in Zeiten, in denen das Kräfteverhältnis ungünstig für die Lohnabhängigen ausfällt, so manche von Gewerkschaften unterzeichnete Vereinbarung inhaltlich noch schlimmer sein als manche (unter politischem Druck und Debatten zustande gekommene) gesetzliche Bestimmung. Schon am 16. Juli 2001 hatten etwa die CFDT und ihre beiden jetzigen „gelben“ Partner – CFTC und CFE-CGC – ein Abkommen unterzeichnet, das der Betriebsvereinbarung in jedem Falle den Vorrang vor einer Branchenvereinbarung gibt, auch wenn Erstere für die Beschäftigten ungünstiger ausfällt als Letztere. (Und dies ist häufig der Fall, weil aufgrund des Arbeitsplatz-Arguments die gewerkschaftlichen Unterhändler im Betrieb oft stärker in der Defensive stecken als auf Branchen-Ebene.) Nach einigem Zögern hat der Gesetzgeber genau diese Regelung dann, per Gesetz vom 04. Mai 2004, übernommen.

Die CGT („postkommunistisch“) und FO (vordergründig „unpolitisch“, ideologisch schillernd), also der stärkste und der drittstärkste Gewerkschaftsdachverband, lehnen auch dieses Mal – im Januar 2013, wie damals im Juli 2001 – die „Vereinbarungen“ ab und opponieren dagegen.

Die Unterzeichner nutzten die historische Periode, die gerade NOCH günstig war für den Abschluss einer Vereinbarung in genau dieser Konstellation. Denn ab Juli 2013 wird es nicht mehr genügen, die Unterschrift einer formellen Mehrheit von Organisationen – wie in diesem Falle, dreier von fünfen – einzuholen. Ab Sommer dieses Jahres wird es erforderlich sein, dass die unterzeichnenden Gewerkschaften direkt oder indirekt ihre Mehrheitsfähigkeit unter den Beschäftigten unter Beweis stellen. Zuvor müssen sie bei den Wahlen zu den Betriebsvertretungen im Durchschnitt mindestens 30 % der Stimmen bekommen haben. Und jene Gewerkschaften, die im Durchschnitt mindestens 50 % der Stimmen holten, können – innerhalb einer kurzen Frist – ein Veto einlegen und das Zustandekommen einer Vereinbarung auf diese Weise verhindern.

Es handelt sich dabei um eine Konsequenz aus dem Gesetz vom 20. August 2008, das die „Tariffähigkeit“ (représentativité) der Gewerkschaften grundlegend reformiert und an die Wahlergebnisse bindet – zunächst auf Betriebsebene, dann auf Branchenebene, und in naher Zukunft nun auch auf branchenübergreifender nationaler Ebene. Dem Gesetzgeber ging es damals (in der Sarkozy-Ära) vor allem darum, die Legitimität von Vereinbarungen zu stärken, da sie in Krisenzeiten eben oft auch „Opfer“ für die Lohnabhängigen mit sich bringen. Ferner wollte er die CGT mit in einen neuen „sozialen Kompromiss“ einbinden. Die Entscheidung dazu hatte das Sarkozy-Lager, auch gegen zuvor manifest werdenden Widerstände in Teilen der Arbeitgeberschaft (besonders beim Metall-Arbeitgeberverband UIMM), getroffen.

Ab Sommer dieses Jahres wäre es also unter Umständen schwieriger geworden, zur Annahme der jetzt getroffenen Vereinbarung zu kommen. Vor allem ein kleinerer Gewerkschaftsbund wie die christliche CFTC drohen dann unter Umständen gar nicht mehr am Verhandlungstisch dabei zu sitzen: Eine Gewerkschaft, die im Unternehmen weniger als 10 Prozent oder – auf Branchenebene sowie auf nationaler Ebene – unter 08 Prozent der Stimmen erhielt, ist gar nicht mehr „tariffähig“. Und wird dann von Verhandlungen ausgeschlossen sein. Ein kleinerer, eher rechter „Verhandlungspartner“ droht dann wegzufallen.

Der (seit dem 28. November 2012 amtierende) neue CFDT-Chef Laurent Berger verkündete unterdessen Mitte Januar 13 via Interviews in Le Monde, seiner Auffassung nach brauche er sich für den Abschluss des Abkommens „nicht zu entschuldigen“, nicht zu schämen. (Vgl. http://actu.orange.fr/) Dieser Rechtfertigungsversuch klingt denn doch ein bisschen so, als würde er ziemlich in der Defensive oder in Erklärungsnot stecken. Möge ihm das Wort im Halse stecken bleiben.)

Einige wesentliche Inhalte der „Vereinbarung“

Einige Inhalte des Abkommens vom 11. Januar 2013 werden wir, aus Platz- & Zeitgründen, demnächst an dieser Stelle präsentierten. (Und hier findet sich übrigens der vollständige Originaltext: http://blogs.rue89.com)

Vorgestellt seien aber schon einmal einige Kernpunkte:

  • Produktivitätspakte: In ihrem Artikel 18 erlaubt die Vereinbarung so genannte „Abkommen zur Beschäftigungssicherung“ auf Unternehmensebene, mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren. Dabei geht es darum, dass in Krisenzeiten „bedrohte“ Unternehmen Änderungen an der Arbeitszeit – sei es durch ihre Erhöhung (u.U. ohne Lohnausgleich) oder ihre Herabsetzung, mangels Aufträgen – und am Lohngefüge vornehmen dürfen. Lohnsenkungen dürfen, wie präzisiert wird, die Einkommen nicht unter den gesetzlichen Mindestlohn SMIC (als minimale Untergrenze für alle Beschäftigten in Frankreich) hinunter drücken. Aber oberhalb des SMIC ist Vieles denk- und machbar.
    Solcherlei Abkommen auf Betriebsebene „zur Wahrung (/Förderung) von Beschäftigung & Wettbewerbsfähigkeit“ hatte erstmals der rechte Altpräsident Nicolas Sarkozy im Januar 2012 angekündigt, damals zusammen mit der Anhebung der Mehrwertsteuer TVA. (Letzte wurde durch die neue sozialdemokratische Regierung im Juni 2012 annulliert, bevor im Oktober 12 dann doch eine andere Erhöhung der TVA auf die Tagesordnung kam...) Diese Idee war durch die damalige sozialdemokratische Opposition tendenziell bekämpft worden, ebenso wie durch die Mehrzahl der Gewerkschaften. Auch wenn die CFDT damals bereits ankündigte, sie bemängele eher die Methode Sarkozys – welche den „Sozialpartnern“ keine oder nicht genügend Zeit für die Verhandlungen zur Sache überlasse – und nicht die Sache selbst...
  • Ungünstige Abänderung des Arbeitsvertrags: Der Inhalt der Betriebsvereinbarung n. Artikel 18 kann, für die Dauer ihrer Laufzeit, auch einen für den/die Lohnabhängige(n) günstigeren Arbeitsvertrag abändern. Allerdings kann der oder die Arbeitnehmer/in dies ablehnen, und die dergestalt ausgesprochen – befristete – Änderungskündigung führt in dem Falle zur Entlassung. Schon bislang konnte der Arbeitgeber Änderungskündigungen aussprechen (d.h. das „Angebot“ auf eine ungünstige Abänderung des Arbeitsvertrags, gekoppelt an die Androhung einer Kündigung), doch bislang musste in diesem Falle die Entlassung den Anforderungen an eine betriebsbedingte Kündigung genügen. Diese gilt dann als „sozial gerechtfertigt“.
  • Kündigung bei verweigertem Wohnortwechsel: Noch an einem weiteren Punkt ändern sich das rechtliche Regime für Kündigungen von Lohnabhängigen im Falle einer „Verweigerung“ ihrerseits, und zwar einer Verweigerung so genannter „interner Mobilität“. Es geht dabei um die Ablehnung einer Umsetzung auf andere Arbeitsplätze, die ausdrücklich mit Wohnortwechsel und Umzügen in andere Regionen – deren nähere Organisierung in Artikel 15 des Abkommens näher erörtert wird – einhergehen kann. Bislang konnte im Falle einer solchen Umsetzung (in Verbindung mit einem Ortswechsel) eine Änderungskündigung ausgesprochen werden, deren Ablehnung im Prinzip zu einer Entlassung führen konnte. Letztere musste jedoch als betriebsbedingte Kündigung behandelt werden, ES SEI DENN, dass der Arbeitsvertrag eine „Mobilitätsklausel“ enthielt – in letzterem Falle handelte es sich um eine verhaltensbedingte Kündigung wegen verweigerter Ausführung eine Anordnung, die unter das Direktionsrecht des Arbeitgebers fällt.
    V
    iele Kündigungen infolge der Ablehnung eines Wohnortswechsels durch den/die Lohnabhängige/n mussten also bislang als „betriebsbedingte Kündigung“ eingestuft werden. Dies hatte u.a. zur Konsequenz, dass bei Nicht-Vorliegen eines triftigen wirtschaftlichen Grundes die Kündigung ungerechtfertigt war, und dass die gesetzlichen Vorschriften im Falle einer betriebsbedingten Kündigung griffen.
    Dazu gehörten u.a. die Verpflichtung, dem/r gekündigten Arbeitnehmer/in verfügbare andere Arbeitsplätze im Unternehmen anzubieten, und ab zehn gekündigten Beschäftigten einen Sozialplan (PSE) auszuarbeiten. Im französischen Recht kann ein Sozialplan nicht nur finanzielle Begleitmaßnahmen, sondern er muss auch Maßnahmen zur Verringerung der tatsächlich erfolgenden Kündigungen (wie Umschulungen, Umsetzungen auf andere Arbeitsplätze) beinhalten. All dies ist künftig nicht mehr erforderlich: Es entfällt, wenn im Falle der Ablehnung einer Änderungskündigung – unter Einschluss eines Wohnwortswechsels – Lohnabhängige entlassen werden. Die Kündigung gilt dann nicht mehr als betriebsbedingte, sondern als verhaltensbedingte (auch wenn die Ablehnung nicht als disziplinarrechtliche Verfehlung gewertet werden darf).
  • Kürzere Fristen für Rechtswege: Viele Anfechtungsfristen vor den Arbeitsgerichten werden verkürzt. Bislang konnten die meisten Klagen im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis (wg. Kündigung, wg. nicht ausbezahlter Lohnbestandteile – auf die ein Anrecht bestand – oder unbezahlter Überstunden, wg. unberücksichtig bleibender Urlaubsansprüche oder Ansprüche auf Freizeitausgleich..) innerhalb von fünf Jahren gerichtlich eingeklagt werden. Früher konnten bei rechtswidriger Diskriminierung Klagen sogar noch innerhalb von 30 Jahren erhoben werden, aber unter Präsident Sarkozy war die dreißigjährige Verjährungsfrist im Namen der „Rechtssicherheit“ der Unternehmen abgeschafft und durch die allgemeine fünfjährige Frist ersetzt worden.
    Nunmehr wird die Frist im Allgemeinen durch eine neue, zweijährige Frist ersetzt. (Vgl. Artikel 24 des Abkommens, übertitelt mit „Rechtssicherheit“. Wie Arbeitsrechts-Professor Antoine Lyon-Caen in der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ vom 18. Januar 13 ausführt, konnten die Begriffe inzwischen erfolgreich so umgedreht werden, dass das Wort „Rechtssicherheit“ i.d.R. nicht jene der Lohnabhängigen – also der schwächeren – bezeichnet, sondern nur noch jene der Unternehmen.)
    Diese 24-Monats-Frist ist u.U. schnell vorbei, wenn der oder die Lohnabhängige zwischendurch mit der Einschreibung bei den Arbeitsämtern, der Stellensuche sowie ggf. der Aufnahme eines neuen Jobs beschäftigt war. Oder mit Umstellungen oder gar Umzügen wg. eines geringer gewordenen, verfügbaren Budgets. Auch eine Klage vor einem Arbeitsgericht muss schließlich vorbereitet werden: die Argumentation, und die Auswahl eines Anwalts/einer Anwältin oder auch einer/s gewerkschaftlichen Verteidigers/Verteidigerin. Hinzu kommt, dass der Rechtsweg oft nur mit Erfolg beschritten werden, wenn der oder die Betroffene über Beweismittel in Gestalt von Zeugenaussagen verfügt. Solche Aussagen können jedoch nur von Arbeitskollegen und –kolleginnen kommen. Es werden am ehesten ehemalige KollegInnen, die inzwischen den Arbeitgeber gewechselt haben, dafür in Frage kommen – denn wer noch bei demselben Arbeitgeber in Lohn & Brot steht, fürchtet i.d.R. um die eigene Zukunft. Deswegen versprechen längere Fristen auch bessere Chancen, über notwendige Aussagen von früheren Arbeitskolleg/inn/en verfügen zu können. Und kürzere Fristen bedeuten oft geringere Aussichten darauf…
  • Die Inhalte von „Sozialplänen“ konnten bislang innerhalb von einem Jahr gerichtlich angefochten werden. Künftig werden es nur noch drei Monate sein.
  • Sozialauswahl bei Entlassungen: Die „Sozialauswahl“ bei betriebsbedingten Kündigungen (französisch: ordre des licenciements) wird künftig radikal auf den Kopf gestellt: Artikel 23 des Abkommens. Bislang ging es dabei darum, solche Personen vor dem Risiko der Erwerbslosigkeit – relativ – zu schützen, die auf dem Arbeitsmarkt besondere Schwierigkeiten zu haben drohen. Also etwa ältere Lohnabhängige oder solche mit langer Betriebszugehörigkeit, deren Erfahrungen weniger leicht auf andere Unternehmen zu übertragen sind. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien (Lebensalter, familiäre Unterhaltspflichten...) konnte der Arbeitgeber dann noch weitere Kriterien hinzufügen. Damit ist nun künftig tendenziell Schluss: Ab jetzt heißt es ausdrücklich, dass der Arbeitgeber „den beruflichen Fähigkeiten den Vorzug geben“ darf, sofern er die übrigen Kriterien noch (irgendwie) „berücksichtigt“. Demnach wird also der Arbeitgeber sich die Liste der Namen jener Beschäftigten, die er behalten möchte – sei es aufgrund ihrer Fähigkeit, oder ihrer besonderen Fügsamkeit, usw. ... -, relativ frei zusammenstellen. Er muss nur argumentieren.
  •  Zugeständnisse der Arbeitgeber: Weitere Einzelheiten zu der Vereinbarung: demnächst an dieser Stelle... Erwähnt sei jedoch noch, dass zu den kleineren Zuckerl für die gewerkschaftliche Seite – neben einer stärkeren finanziellen Belastung befristeter Beschäftigungsverhältnisse durch erhöhte Sozialabgabe für solche Arbeitsverträge, je nach Typus zwischen plus 0,5 % und plus 3% - auch eine stärkere „Vertretung der Arbeitnehmer in den Führungsorganen von Unternehmen“ vorgesehen ist. In Riesenunternehmen (ab 5.000 Beschäftigten in Frankreich, oder 10.000 international) werden künftig n. Artikel 13 des ABekommen, nun ja, ein bis zwei (!) Arbeitnehmer im beschlussfassenden Organ sitzen. Dabei handelt es sich, je nach Struktur des Unternehmens (denn nicht alle französischen Unternehmen haben Aufsichtsräte wie deutsche Konzerne), um den Aufsichtsrat oder, bei dessen Fehlen, um den Vorstand. Eine Unterschrift unter das beschriebene Abkommen rechtfertigte dies mit absoluter Sicherheit nicht...

7.500 Arbeitsplätze bei Renault futsch

Dieses Abkommen wurde, nach zähen Verhandlungen und einer über 24stündigen Verlängerung der Gespräche (die ursprünglich bis am Donnerstag, den 10. Januar 13 laufen sollten), an einem Freitag Abend abgeschlossen.

Danach ging ein Wochenende vorbei, und ein Montag. Und siehe, es ward’ Dienstag auf Erden. An dem Dienstag aber wurde es Licht, nein Quatsch: finster. Und zwar für 7.500 Lohnabhängige bei dem Automobilkonzern Renault, deren Arbeitsplätze bis im Jahr 2016 gestrichen werden sollen. (Vgl. http://actu.orange.fr/ ) Auch wenn 5.700 „natürliche“ Abgänge – etwa altersbedingte – darunter sein sollen, was jedoch immer noch die Gesamtzahl der Arbeitsplätze senkt, so drohen damit dennoch auch Entlassungen. Renault, wo bereits in den vergangenen Monaten ein „Abkommen zur Wettbewerbsfähigkeit“ ausgehandelt worden war – es verlängert u.a. die Arbeitszeit, allerdings von einer zuvor kürzeren Wochenarbeitszeit auf die gesetzliche Wochenarbeitszeit von 35 Stunden – will nun unter Druck und binnen Monatsfrist neue Abkommen aushandeln. Die Drohkulisse ist ja schon aufgebaut...

Renault taktiert & erpresst

Gleichzeitig wurde bekannt, dass Renault allem Anschein nach die Abkündigung des geplanten massiven Arbeitsplatz-Abbaus bis nach kurz nach dem Zustandekommen des o.g. Abkommens hinausgeschoben hatte; vgl. http://emploi.blog.lemonde.fr/- Eine taktische Finesse, welche jedoch die politische Rechtfertigung für die Umsetzung des Abkommens – in Texte mit Gesetzeskraft – für das Regierungslager nun schwieriger macht. Auch wenn der amtierende sozialdemokratische Arbeits- & Sozialminister Michel Sapin behauptet: „Bei Renault läuft es besser als bei Peugeot/PSA“, vgl. http://actu.orange.fr/

Gleichzeitig spielt der Automobilhersteller Renault (dessen Konzernchef Carlos Ghosn nun vorgeworfen wird, er bevorzuge den ihm ebenfalls unterstehenden japanischen Autobauer Nissan) die Karte der offenen Erpressung. Das, nun ja, „Angebot“ lautet wie folgt: „Abschluss eines Abkommens zur Arbeitsplatzrettung durch Stärkung der Wettbewerbungsfähigkeit – oder Standort platt.“ Dabei steht die Drohung im Raum, der Konzern könne zwei französische Produktionsstandort aufgeben, falls ein solches Abkommen inklusive Opferbringen der Lohnabhängigen nicht zustande komme. (Vgl. http://actu.orange.frund http://www.lefigaro.fr)

Proteste

Die Ankündigungen von Renault führten jedoch zu spontanen Protesten. Schnell kam es zu ersten Arbeitsniederlegungen, vgl. http://actu.orange. - Auch anderswo kam es zu Protesten. Am Donnerstag, den 17. Januar 13 veranstalteten etwa Beschäftigte des rivalisierenden französischen Automobilkonzerns PSA mit Trillerpfeifen und Vuvuzuelas um 06.30 Uhr früh am Wohnort des Konzernerben Aufsichtsrats-Vorsitzenden Thierry Peugeot; vgl. http://actu.orange.fr Zu Anfang der Woche (22. Januar 13) berichtete ferner die liberale Pariser Abendzeitung Le Monde über heftige Spannungen in der Automobilfabrik von PSA in Aulnay-sous-Bois (bei Paris), wo 3.000 Arbeitsplätze verschwinden sollen, über – huch – „Gewalt und Drohungen“; vgl. http://www.lemonde.fr/

Marine Le Pen profiliert sich gegen das Abkommen

Ausgerechnet die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen versucht nun, sich zu profilieren, indem sie Stunk gegen die neue Vereinbarung macht. Dazu veranstaltet ihre Partei sogar einen ziemlichen Zirkus: Der Front National (FN) lancierte eine eigene Petition gegen das Abkommen. Die extreme Rechte versucht dadurch, sich zur Verteidigerin sozialer Interessen aufzuschwingen, und gleichzeitig die Gewerkschaften als solche zu diskreditieren. Vordergründig spart der FN dabei nicht mit sozialer Demagogie und radikalen Phrasen, und spricht von einer „sozialen Kriegserklärung gegen die Beschäftigten“ (vgl. http://www.liberation.fr/ in Verbindung mit http://www.lemonde.fr/p ).

Allerdings ist dabei viel Blendwerk im Spiel. So wird behauptet, das Abkommen sei deswegen schädlich, weil es allein den Großbetrieben nutze (denen u.a. kollektive betriebsbedingte Entlassungen erleichtert würden, was zutrifft) - aber nichts für die „mittelständischen Betriebe“ getan werde. Stattdessen müssten (neben denen der Arbeitnehmer) die Interessen der „kleinen und mittleren Unternehmen“ viel stärker und besser berücksichtigt werden. Nach dem Motto: ein kleiner Ausbeuter ist besser automatisch besser als ein großer – was mit der Lebenswirklichkeit ja überhaupt nicht übereinstimmt, im Gegenteil können (selbst bei bestem persönlichem Willen seinerseits) die objektiven Bedingungen der Arbeitskräfte beim Ersteren noch viel schlimmer ausfallen, weil kein kollektives Kräfteverhältnis hergestellt werden kann.

Ferner widerspricht Marine Le Pen dem Abkommen auch noch an dem vielleicht einzigen Punkt, wo es tatsächlich für die Lohnabhängigen etwas Positives erreichte – als „Gegenleistung“ für die zahllosen substanziellen Zugeständnisse der Gewerkschaften an das Arbeitgeberlager -, nämlich bei der stärkeren Versteuerung bzw. der Erhöhung von Arbeitgeber-Sozialabgaben für befristete Arbeitsverträge. Vor allem die sehr kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse, unter einem Monat Dauer (die im Augenblick die Mehrheit der in Frankreich abgeschlossenen befristeten Arbeitsverträge darstellen) werden demnach künftig saftiger besteuert. Und zwar, um die Arbeitgeber ein bisschen finanziell davon abzuschrecken, eine allzu große Prekarisierung der Lohnabhängigen anzustreben. Gerade an dem Punkt erklärt Marine Le Pen sich jedoch strikt dagegen: Eine stärke Besteuerung von kurzfristigen Arbeitsverträge unterstelle den Unternehmen ein schuldhaftes Verhalten, und „belastet besonders die mittelständischen Betriebe“, die oft „nichts anders können als befristet einzustellen“. (Vgl. u.a. http://gauchedecombat.comim Zusammenhang mit http://www.liberation.fr/d) Von wegen sozial…!

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.