Generationenkonflikt oder politischer Richtungskampf?
Die genaue Natur des Zwists ist nicht ausgemacht.
Hingegen dürfte feststehen, dass es sich nicht um
Komplimente handelte, als Jean-Marie Le Pen am 27.
Dezember 2013 eine Idee, die seine Tochter Marine
zuvor als „nicht tabu“ und also bedenkenswert
bezeichnet hatte, kommentierte. Die Vorstellung, auf
ihrem nächsten Kongress – er wird im Oktober 2014
stattfinden – könnte ihre gemeinsame Partei sich
umbenennen und ihren bisherigen Namen Front National
(FN) aufgeben, verleitete Jean-Marie Le Pen zu
wütenden Bezeichnungen. Er bezeichnete diese in einer
seiner wöchentlichen Videobotschaften, die wie üblich
auf der Webseite der Partei veröffentlicht wurde, als
„absolut debil“, „skandalös“, „unanständig“
und „undenkbar“. Schließlich seien so
viele „Opfer“ in der mittlerweile
41jährigen Geschichte des FN für diese Partei, unter
ihrem „ehrbaren“ (bisherigen) Namen, erbracht worden.
Der 15. Parteitag in
ihrer Geschichte wird in rund drei Vierteljahren, nach den
französischen Kommunalwahlen – die in allen Städten und
Gemeinden des Landes am 23. und 30. März stattfinden – und den
Europaparlamentswahlen von Ende Mai kommenden Jahres, eröffnet
werden. Am 1. Dezember 2013 hatte Louis Aliot, Vizevorsitzender
der Partei und Lebensgefährte ihrer Chefin Marine Le Pen, in
diesem Zusammenhang laut über eine eventuelle Namensänderung
nachgedacht. Auch über eine Abänderung ihres bisherigen
Wahrzeichens solle die rechtsextreme Partei nachdenken, regten
einige der jüngeren Modernisierer in der Führung an. Zu ihnen
zählt neben Aliot (44) etwa auch der andere Vizepräsident des
FN, Florian Philippot (32).
Aus ihrer Umgebung
verlautbarte, man könnte das bisherige Parteisymbol, eine
züngelnde Flamme in den drei Nationalfarben blau, weiß und rot,
durch eine Abwandlung des als Croix lorraine (Lothringer
Kreuz) bekannten doppelbalkigen Kreuzes ersetzen –
Florian Philippot jedenfalls benutzt ein solches Symbol für
seinen Kommunalwahlkampf. Er tritt im März 14 zur Rathauswahl in
Forbach, in der Region Lothringen, an.
Der Austausch hätte
eine hohe symbolische Bedeutung. Die Flamme übernahm der Front
National bei seiner Gründung im Jahr 1972 von der italienischen
neofaschistischen Partei MSI – und bei deren Gründung im
Dezember 1946 symbolisierte das Symbol, in Italien in
grün-weiß-rot, ursprünglich „die aus dem Sarg Benito Mussolinis
emporsteigende Seele“. Hingegen diente das „lothringische Kreuz“
im und nach dem Zweiten Weltkrieg den Gaullisten als
Erkennungszeichen. Nun war die gaullistische Bewegung zwar
konservativ und pochte auf den Wert der nationalen
Unabhängigkeit, war jedoch ebenfalls klar antifaschistisch
geprägt. Dass die rechtsextreme Partei oder Teile von ihr nun in
Erwägung zogen, ein abgewandeltes Symbol dieser politischen
Strömung zu verwenden, bedeutet freilich nicht ihre „Bekehrung“
zu antifaschistischen Grundsätzen. Eher im Gegenteil. Einmal
mehr dreht sich alles darum, anderen politischen Kräften ihre
Deutungshoheit über die Geschichte zu nehmen, sie ihrer Symbolik
zu berauben und dadurch den Anspruch zu erheben, die
rechtsextreme Partei umgreife „das gesamte Erbe der Nation“. Bei
der Europaparlementswahl von 1999 etwa hatte der FN zuerst
Plakate mit dem Konterfei des historischen Sozialistenführers
Jean Jaurès und einem Zitat von ihm verklebt, welche jedoch für
die extreme Rechte werben sollten – Jaurès, ein scharfzüngiger
Kritiker des Chauvinismus vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs,
würde sich wohl im Grabe herumdrehen – und dann einen Kandidaten
namens Charles de Gaulle auf den Listenplatz Nummer Zwei
gestellt. Es handelte sich um einen Enkel seines berühmten
Namensvetter, der auf politischen Abwegen untewegs war.
Am 09. November 2013
nahm Florian Philippot in Colombey-les-deux-Eglises, dem
ebenfalls in Lothringen gelegenen Geburtsort von de Gaulle – des
Großvaters -, an den Gedenkfeiern zu dessen 43. Todestag
teilgenommen. Bereits ein Jahr zuvor hatte er sich ihnen, mehr
oder weniger diskret bleibend, angeschlossen. In diesem Jahr kam
es dabei jedoch zu deutlichem Widerspruch. Konservative mit
gaullistischem Hintergrund, wie der frühere Parlamentspräsident
Bernard Accoyer, protestierten und verwiesen Philippot darauf,
seine Partei stehe eher in einer Kontinuitätsliste mit dem
Marschall Philippe Pétain als mit Charles de Gaulle, der jenen
während der Besatzungszeit bekämpfte. Marine Le Pen erklärte in
einer Replik darauf, würde der historische de Gaulle heute
leben, dann wäre er angeblich auch beim Front National, weil die
übrigen Parteien außer ihm das Ziel der nationalen
Unabhängigkeit aufgegeben hätten.
Aber die
Umbennungspläne und die Absichten zum Auswechseln des
Parteisymbols stießen auch auf heftige Widerstände innerhalbn
der eigenen Partei. Ihnen hat nun der Parteigründer und – noch
immer - „Ehrenvorsitzende auf Lebenszeit“ des FN, Jean-Marie Le
Pen, mit seinen Worten von Ende Dezember 13 eine prominente
Stimme verliehen. Viele Parteifunktionäre monierten einen
Werteverfall ihrer „Bewegung“, den drohenden Verrat an
Prinzipien und die Aufgabe der eigenen Identität. Marine Le Pen
hatte sich zunächst auf diplomatische Weise positioniert, mit
ihrer Stellungnahme, es gebe kein Tabu. Inzwischen hat sie
jedoch erklärt, Pläne zum Wechsel des Parteinamens stünden nicht
auf der Tagesordnung. Auch ihr junger Vizepräsident Philippot
ruderte inzwischen zurück. Bei einem Auftritt im Sender
BFM TV am 30. Dezember 13 erklärte er, „Gerüchte“ über
eine Umbennung entbehrten derzeit jeder Grundlage: „Dies
ist nicht aktuell.“
Aus demselben Anlass
erklärte Philippot, wenn der FN bei den Europaparlamentswahlen
am 25. Mai 14 stärkste Partei in Frankreich werde, dann fordere
er eine Auflösung des derzeitigen Parlaments und vorgezogene
Neuwahlen zur Nationalversammlung. Denn in diesem Falle hätte
die französische Bevölkerung „dem bisherigen Europaprojekt
der Altparteien eine klare Absage erteilt“. Dass der
Front National am Abend des 25.05.2014 möglicherweise unter den
französischen politischen Parteien auf dem ersten Platz landet,
kann tatsächlich nicht ausgeschlossen werden. Im Oktober
erschien jedenfalls eine Umfrage in der Wochenzeitschrift Le
Nouvel Observateur zur Europawahl, die den FN mit 24 Prozent
als stärkste Partei abschneiden sah. Seither sind keine neuen
aufsehenerregenden Umfragen zu dieser Wahl erschienen.
Der FN tritt zu ihr im
Bündnis mit einem halben Dutzend weiteren, rechtsextremen
Parteien an. Am 15. November 2013 hatten sechs Parteien aus
diesem Spektrum in Wien ein Bündnis geschlossen und sich dabei
zum erklärten Ziel gesetzt, nach Christ- und Sozialdemokraten
zur drittstärksten Kraft im kommenden Europaparlament zu werden.
Zu ihnen zählen die österreichische FPÖ, der französische FN,
der Vlaams Belang aus Belgien, die Lega Nord aus Italien, die
„Schwedendemokraten“ (SD) sowie eine slowakische
nationalistische Formation. Zwei Tage zuvor, am 13. November 13,
hatte Marine Le Pen in Den Haag den niederländischen
„Islamkritiker“ und Rassisten Geert Wilders von der „Partei für
die Freiheit“ (PVV) getroffen. Auch er möchte mit dem FN in
einer Allianz antreten. Wilders forderte bei einer gemeinsamen
Pressekonferenz auch andere nordeuropäische
einwanderungsfeindliche Parteien dazu auf, sich ihren beiden
Parteien anzuschließen. Die moslemfeindliche „Dänische
Volkspartei“ (DFP) antwortete darauf jedoch am folgenden Tag,
dies komme aus ihrer Sicht nicht in Frage. Jean-Marie Le Pen sei
Antisemit, und sein Einfluss beim Front National sei noch zu
stark; dies wolle man nicht in Kauf nehmen.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
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