Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Antisemit Dieudonné hat Bühnenverbot
Der Skandal beschäftigt Medien und politische Klasse

01-2014

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Nun hatte er es schriftlich, in dreifacher Ausfertigung. Der französische Komiker und Schauspieler Dieudonné – sein Vorname dient ihm zugleich als Künstlername – hat infolge antisemitischer Ausfälle jetzt Auftrittsverbot an mehreren Orten. Am vergangenen Donnerstag, den 09. Januar 14 untersagte ihm der Conseil d’Etat, das oberste Verwaltungsgericht in Frankreich, einen Bühnenauftritt in Nantes. Am Freitag, den 10. Januar d.J. bestätigte es ein erstinstanzliches Verbot in Tours. Und in der Nacht zum Samstag, den 11. Januar kündigte der Pariser Polizeipräsident an, auch drei geplante Aufführungen im von Dieudonné selbst betriebenen Theater, dem Pariser Théâtre de la Main d’Or, zu untersagen (vgl. http://www.lemonde.fr/)

Ihm bleibt nun nur noch der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg/Straßburg, um gegen eine behauptete Verletzung der künstlerischen Freiheit zu klagen. Ob er damit durchkommt, ist eine andere Frage. Journalisten, die das mit Aufführungsverbot belegte neue Theaterstück Dieudonnés - es heißt „Die Mauer“ – sehen konnten, behaupten, ziehe man „Antisemitismus und Homophobie“ ab, bleibe „nicht viel übrig“ (vgl. http://www.lepoint.fr/ ).

Obsession und Obszönität

Der Titel deutet an, dass es auch in dem Stück um Themen geht, in denen sich Dieudonné seit Jahren auf eine obsessive und von jeder rationalen Grundlage gelöste Weise beschäftigt. Also Juden, Israel und die angebliche „Macht des Zionismus“... auch in Frankreich. Es endet auf das inzwischen bei ihm unvermeidlich gewordene Lied „Shoananas“ (vgl. http://www.youtube.com). Es handelt sich um eine Verballhornung des Ausdrucks „Shoah“, wobei der Songtitel unter Anlehnung an einen Hit früherer Jahre, Chaud cacao von Annie Cordy - ausgewählt wurde. In manchen Clips sieht man orthodoxe Juden dazu tanzen und homosexuelle Handlungen vornehmen (vgl. http://www.youtube.com)

Der Text enthält Passagen wie: „Du hältst mich durch die Shoah fest, ich halte Dich an der Ananas fest“. Sein Hauptgegenstand ist die Behauptung, jüdische Kreise erpressten durch die Berufung auf den Holocaust Geld. Dazu heißt es unter anderem, mit gespieltem Akzent: „Ananas, mein Liebling, ich werde Dich nie vergessen! Und für alles, was Du erlitten hast, verlangen wir Reparation. Auf dass man Dir ein Land unter der Sonne gebe, und Millionen Dollar. Für die Millionen Ananas, die in ihrem Saft deportiert wurden, und für die Millionen Ananas, die ohne Familie zurückblieben.“

Unter anderem für diese obszön zu nennende Liedpassage wurde er übrigens im November 2012 zu einer Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt, wegen des Straftatbestands der „Aufstachelung zum Rassenhass“ (vgl. http://www.lemonde.fr/). Zu dem Zeitpunkt war dem Mann das egal, weil er bis vor kurzem seine Geldstrafen ohnehin nicht zahlte, sondern seine vorgebliche Insolvenz organisierte. Der Mann ist de facto Eigentümer einer Yacht und eines Riesengrundstücks mit Landsitz, aber formell gehört alles nicht ihm, sondern Familienmitgliedern. Die Regierung möchte das nun dringend ändern, und die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Verdachts auf Geldwäsche, weil Dieudonné zudem 400.000 Euro in Kamerun parkte...

Knödel im Hirn...?

Wenn man also Anhänger Dieudonnés heutzutage des Öfteren mit Ananasfrüchten wedeln sieht (vgl. http://www.lexpress.fr ), dann muss klar sein, auf welche Inhalte sich dieses Symbol ursprünglich bezieht. Auch wenn es vordergründig nach einer komischen Inszenierung aussieht (vgl. http://www.slate.fr/s), hat der Bezug doch einen - wenn man es so ausdrücken will – ernsten Hintergrund.

Die Dieudonné-Anhänger haben noch ein zweites Erkennungsmerkmal, den so genannten salut de la quenelle oder „Knödel-Gruß“ (vgl. http://www.heise.de/tp/artikel/40/40710/1.html ). Er wird mit weit oben an der Schulter abgewinkeltem Arm entboten, wobei die entgegengesetzte Hand am Schulteransatz angelehnt wird.

Die Geste geht ursprünglich darauf zurück, dass Dieudonné sie in einem Sketch im Jahr 2005 vorführte und behauptete, er sei „ein Knödel im System“, also eine Art überdimensioniertes Sandkorn im Getriebe. Bekannt wurde sie seit 2009, als Dieudonné zu den Europaparlamentswahlen kandidierte und den Gruß auf Plakate aufdrucken ließ. Es ist zwar eine Falschinformation, wenn aktuell die Behauptung kursiert, es handele sich lediglich um einen abgewandelten Hitlergruß: Die tatsächliche Bedeutung ist die einer Variante des „Stinkefingers“, mit welcher man andeutet, dass man einem imaginären Gegenüber einen Knödel in den A... schiebt. (Vgl. http://www.francetvinfo.fr)

Viele der Prominenten und Nichtprominenten, die den „Knödelgruß“ zeigen, sehen darin auf diffuse Art und Weise eine irgendwie geartete Herausforderung an die Reichen und Mächtigen. Auch wenn manche der vorgeblichen „Rebellen“, die ihn praktizieren, durchaus selbst schwerreich sein können wie der Fußballspieler und Millionär Nicolas Anelka... (Vgl. http://www.huffingtonpost.fr ) Unzweideutig antisemitische Konnotationen hat die Geste jedoch aufgrund der Orte, an denen sie mitunter durchgeführt und fotographisch festgehalten wird. Die folgende Bildstrecke spricht dabei absolut für sich: http://k00ls.overblog.com

Schade, dass man ihn nicht vergast hat...“

Die aktuelle Eskalation rund um Dieudonné, die den sozialdemokratischen Innenminister Manuel Valls persönlich auf den Plan treten sah – er erklärte den Kampf gegen Auftritte Dieudonnés in den vergangenen Tagen zur Chefsache -, wurde durch einen Ausspruch des 48-, bald 49jährigen vom vergangenen Dezember ausgelöst.

Am 19. Dezember 2013 wurde bekannt, dass der unter seinem Vornamen als Künstlernamen bekannt gewordene Theatermacher „Dieudonné“ bei einer Aufführung über den prominenten Radiojournalisten Patrick Cohen (vgl. http://bigbrowser.blog.lemonde.fr) äußerte: „Wenn der Wind sich dreht, weiß ich nicht, ob er genug Zeit haben wird, um die Koffer zu packen. (…) Wenn ich ihn reden höre, Patrick Cohen, siehst Du, dann sage ich mir: Die Gaskammern... Schade...“ (Vgl. http://www.huffingtonpost) Die ZuschauerInnen sollten den Satz wohl für sich ergänzen. Die Rundfunkanstalt „Radio France“ erstattete daraufhin Strafanzeige gegen den wirklich nicht mehr lustigen, vorgeblichen Komiker. Sein Anwalt Jacques Verdier behauptet jedoch, man müsse „den Kontext sehen: ein Spektakel, wo die Leute lachen“, und dazu gehöre auch „Überzogenes, Ungeheuerliches oder Absurdes“. Antisemitismus liege seinem Mandanten angeblich fern. Letzterer wurde allerdings seit 2006 insgesamt sechs mal in Frankreich und ein mal in Kanada wegen antisemitisch motivierter Aussprüche verurteilt.

Aber wie kam es dazu, dass Dieudonné M’bala M’bala, wie er mit vollem bürgerlichem Namen heißt, derart abdrehen und sich im Laufe der Jahre in einen gegen Juden gerichteten Hass hineinsteigern konnte? Der Künstler, dem Freund und Feind ursprünglich eine echte schauspielerische und humoristische Begabung nachsagten, war nicht immer als Rassist oder Antisemit verschrien. Im Gegenteil. Anfänglich stand er eher für gegenteilige Werte. In den neunziger Jahren trat er noch im Duo mit dem jüdischstämmigen Schauspieler Elie Semoun auf - der sich 2012 erstmals scharf von ihm distanzieren würde. Und war mit den Worten, „der Dieudonné, den ich kannte, und der heutige“ seien „zwei total verschiedene Personen“ (vgl. http://www.toutelatele.com) Damals jedoch - also vor zwanzig Jahren - verstanden es beide zusammen, einen Humor zu praktizieren, der bisweilen spitz war, aber nie verletzte. Gemeinsam nahmen sie bestimmte Verhaltensweisen, die man in bestimmten Bevölkerungsgruppen gehäuft anzutreffen glaubt, humorvoll auf die Schippe. Aber stets ohne Gehässigkeit und Ausgrenzung, und indem sie „nach allen Seiten austeilten“.

Aufwartung bei Ahmedinedjad

Auf diese Vorgeschichte beruft sich Dieudonné auch heute noch gerne. Doch er instrumentalisiert das Argument dazu, um zu sagen, die Juden hätten doch definitiv keinen Humor und sollten sich mal nicht so anstellen, sie würden ja nicht allein von ihm angegriffen. Nur sind Dieudonnés Attacken in den letzten Jahren längst über das damalige Stadium – damals, als es ihm und Semoun zusammen noch zum Satire ging – hinausgewachsen. Und längst macht er sich auch nicht mehr beispielsweise über muslimische Fundamentalisten lustig.

Es wäre ihm vielleicht auch nicht gut bekommen, suchte er doch persönlich im November 2009 den damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinedjad in Teheran auf (vgl. http://www.dailymotion.com). Dort hat man in Regierungskreisen, gelinde ausgedrückt, nur einen begrenzten Sinn für Humor. Oder nur in einer ganz bestimmten Richtung; so bezahlte das iranische Regime in der Amtszeit Ahmedinedjads Anteile an den Kosten eines Films von Dieudonné (vgl. http://www.lemonde.fr/). Dessen Titel lautet L’Antisémite, und natürlich will Dieudonné es einmal mehr nur satirisch und sarkastisch gemeint haben. Natürlich, natürlich.

Zur Vorgeschichte

Aber dies alles antwortet noch nicht auf die Frage, warum Dieudonné sich gerade in diese Obsession hineinsteigerte. Im Frühjahr 1997 noch war er in Dreux, rund 80 Kilometer westlich von Paris, zur Parlamentswahl angetreten – als Gegenkandidat zu Marie-France Stirbois vom rechtsextremen Front National. Die FN-Frau, und Witwe des prominenten Neofaschisten Jean-Pierre Stirbois, war damals in dieser Industriestadt in der Normanie sehr erfolgreich. Bei einer Wahl für den Parlamentssitz von Dreux hatte sie im Dezember 1989 (unter dem frischen Eindruck des Mauerfalls, in den Augen der rechten Wählerschaft „der Todesstunde des Marxismus“, und mitten in der ersten „Kopftuchdebatte in Frankreich“) noch eine absolute Mehrheit mit stolzen 61,3 Prozent der abgegebenen Stimmen eingefahren. // Vgl. http://www.ipsos.fr // Inzwischen hat sich die politische Situation in Dreux halbwegs normalisiert, und Stirbois ist 2006 verstorben. Es war jedoch damals kein einfaches Pflaster, das sich Dieudonné vor siebzehn Jahren ausgesucht hatte.

Damals berief sich Dieudonné auf einen universalistisch orientierten Antirassismus. Als Gegenkandidat zur rechtsextremen „schrecklichen Witwe“ Stirbois erhielt er übrigens 7,7 Prozent, ohne Unterstützung einer Partei. Doch er blieb nicht bei den inhaltlichen Grundlagen, die er damals vertrat.

Ab etwa 2002 fing Dieudonné an, sich in eine Form von Opferkonkurrenz gegen jüdische Kreise hineinzusteigern. Zu jener Zeit verfolgte er den Plan, ein Filmprojektion über die Geschichte der Sklaverei – die im Jahr 2001, dank eines Gesetzentwurfs der Abgeordneten und heutigen Justizministerin Christiane Taubira, in Frankreich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt wurde – zu realisieren. Doch er bekam nicht genügend Geld zusammen, und die Filmanstalt CNC verweigerte ihm einen Antrag auf Fördermittel. Vielleicht, weil man nicht vom Drehbuch überzeugt war, vielleicht, weil das Filmvorhaben schlecht war. Dieudonné jedoch packte die Wut, die er auf ein vermeintliches „Gedenkmonopol“ für die Opfer der Shoah lenke. Zudem mutmaßte er, angebliche „jüdische Interessen“ dominierten das Filmgewerbe, und dies nicht nur in Hollywood, sondern auch in Frankreich. Es lässt sich nur schwer rekonstruieren, ob andere Faktoren diese ideologische Projektion bei ihm erleichtert haben. Vielleicht spielte der globale politische Kontext nach dem 11. September 2001, der unter anderem vom Kursieren diverser Verschwörungstheorien und einem verbreiteten Bedürfnis nach „komplott“theoretischen Pseudoerklärungen geprägt war, ebenfalls eine Rolle.

Am 1. Dezember 2003 fiel Dieudonné mit einem Sketch in der Fernseh-Talkshow des Showmasters Marc-Olivier Fogiel auf (vgl. http://www.dailymotion.com ). Darin spielt er die Figur eines fanatisierten israelischen Siedlers, der als angeblicher Vertreter einer „amerikanisch-zionistischen Achse des Guten“ auftritt, und am Ende seines Auftritts den rechten Arm zum Gruß hebt und dazu „Isra-Heil“ ausruft. Dies rief Widerspruch hervor, denn zwar ist die israelische Politik in den besetzten palästinensischen Gebieten kritikwürdig, doch der Vergleich mit der Vernichtungspolitik Nazideutschlands war und ist unakzeptabel. Dieudonné behauptete dabei zudem, er sei soeben zum „zionistischen Fundamentalismus“ konvertiert, weil dies „aus beruflichen Gründen förderlich“ sei. In den darauffolgenden Wochen kam es zu friedlichen Protesten am Rande mancher Aufführungen Dieudonnés, aber auch zu gewalttätigen Zwischenfällen. In den ersten Jahreswochen 2004 gab es etwa Morddrohungen, und ein Anrufer drohte einer Kassenverkäuferin in Dieudonnés Pariser Theater, sie würde „in eine lebende Fackel verwandelt“. In diesem Kontext radikalisierte Dieudonné sich rapide. Anfang 2005 mokierte er sich bei einer Pressekonferenz in Algier über das Gedenken an die Shoah als „Erinnerungs-Pornographie“ (vgl. http://www.afrik.com/article8139.html ) Dieser Auftritt wurde und wird übrigens auch in Algerien von manchen Beobachtern heftig kritisiert, die zwar gegen die israelische „Kolonisierung Palästinas“ eintreten, aber jede „Nachbarschaft von Holocaustleugern, Nazinachahmern und patentierten Antisemiten“ scharf zurückweisen (vgl. http://akram-belkaid.blogspot.fr)

Die nächsten Schritte waren, nach der Rückkehr Dieudonnés nach Frankreich, seine zunehmende Klage über seine „Ausgrenzung“ aus den Medien – er werde „verfolgt und verfemt“, behauptete er – und seine Annäherung an die extreme Rechte. Bei den Feinden von gestern fand er offene Aufnahme. Seit 2004 trat er oft an der Seite des antisemitischen Schriftstellers Alain Soral auf, der später von Februar 2006 bis Anfang 2009 dem Parteivorstand des Front National angehörte.

Am 20. September 2004 traten beide Herren etwa in einer Fernsehsendung auf, in welcher Soral ausführte: „Es sind nicht immer die anderen schuld! Die Juden müssen sich die Frage stellen: Wenn niemand sie ausstehen kann, wo immer sie seit 2.500 Jahren hinkommen, dann muss es einen Grund dafür geben.“ Dies war eine lupenreine Rationalisierung des Antisemitismus. Dieudonné hockte dabei und protestierte nicht. Kurz darauf behauptete Soral, vom TV-Sender „manipuliert“ worden zu sein (vgl. http://www.bladi.net), doch die eher links geprägte Palästina-Solidaritätsszene brach daraufhin den Kontakt zu beiden ab. Künftig suchten sie eher in eindeutig rechtsextremen Kreisen Gesellschaft. Dieudonné reiste im August 2006 zusammen mit Journalisten der rechtsextreme Zeitung Minute in den Libanon (vgl. http://www.hagalil.com) und besuchte im November 2006 einen Kongress von Jean-Marie Le Pen (vgl. http://www.heise.de)

Nutzen für die extreme Rechte

Seitdem wärmt Dieudonné sich unter anderem am Applaus seiner Feinde von vorgestern. Diese wiederum freuen sich besonders darüber, dass ein aufgrund seiner Vorgeschichte vordergründig „unverdächtiges“ Individuum ihnen den Weg ebnet – indem er Dinge offen ausspricht, die sie sich aus rechtlichen und wahlpolitischen Gründen nicht immer explizit zu sagen trauen. „Onkel Tom“, „Assimili-Ali“ oder Provokateur? Egal, sei’s drum: Hinter Dieudonné lässt es sich gut verstecken! Jean-Marie Le Pen ließ sich mit dem inzwischen berühmten „Knödelgruß“ ablichten – und erklärte soeben, er habe „nichts zu bereuen“ (vgl. http://www.lefigaro.fr ). Der frühere Vizevorsitzende seiner Partei, Bruno Gollnisch, vollführte den Gruß gar im Dezember in den Räumen des Regionalparlaments in Lyon, dem er angehört. (Vgl. http://leplus.nouvelobs.com/ )

Je nach Umfragen ergeben derzeit Meinungserhebungen, dass 71 Prozent (vgl. http://www.lefigaro.fr/ ) oder gar 83 Prozent (vgl. http://www.leparisien.fr ) eine negative Meinung über Dieudonné äußern. Allerdings ist gerade die Wählerschaft der extremen Rechten darüber gespalten. Laut der zuletzt zitierten Umfrage zufolge sehen je 48 Wähler des Front National den Schauspieler „positiv“ respektive „negativ“.

Meinungsfreiheit gefährdet?

Dieselbe Partei zieht sich unterdessen in der Öffentlichkeit auf einen Formelkompromiss zurück: Der FN distanziert sich inhaltlich von Dieudonné, beruft sich jedoch auf das Prinzip der Meinungsfreiheit, um gegen Auftrittsverbote für ihn zu wettern. Und um gleich auch noch vor einer „Zensur des Internet“, die rassistischen und/oder antisemitischen Webseiten künftig verstärkt drohen könnte – etwa weil Internet das Hauptverbreitungsmittel von Dieudonnés Video und Propagandabotschaften bildet –, zu warnen. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/fl)

Auch die sonstige Öffentlichkeit ist gegenüber den Mitteln, welche die Regierung wählte, um Dieudonné nach Möglichkeit den Mund zu verbieten, geteilt. Ein und dieselbe Umfrage ergibt etwa, dass 83 Prozent schlecht über Dieudonné denken, und 74 Prozent aber auch die Reaktion der Regierung für falsch halten. Liberale und linke Juraprofessorinnen wie Danièle Lochak, emeritierte Hochschullehrerin für öffentliches Recht (vgl. http://www.lemonde.fr/ ), oder die progressive Richterin und Gewerkschafterin Evelyne Sire-Martin (vgl. http://www.slate.fr ) kritisieren etwa das gewählte Rechtsmittel. Sie sprechen von einem präventiven Auftrittsverbot; stattdessen wäre es besser und für die Grundrechte ungefährlicher gewesen, Dieudonné erst spielen zu lassen und dann jede rechtswidrige Äußerung zum Gegenstand von Strafverfolgungen zu machen. Diese Auffassung wird in Juristenkreisen sehr oft geteilt, auch wenn es abweichende Stimmen gibt, die von „durch eine Sondersituation gerechtfertigten Maßnahmen“ sprechen (vgl. http://www.lemonde.fr/s).

Noch verbreiteter ist unterdessen die Kritik, durch sein eigenes martialisches Auftreten habe Innenminister Manuel Valls erst recht Dieudonné zum vermeintlichen „Systemgegner Nummer Eins“ aufgebaut und ihm eine irrsinnige Publicity verschafft. Man hätte ihm, dieser Auffassung zufolge, nicht den Gefallen eines derartigen Aufsehens rund um die Auftrittsverbote tun sollen.

Was wird Dieudonné seinerseits tun? Er bereitet sich unterdessen als nächsten Schritt darauf vor, ein „neues oder abgeändertes Schaustück“ zu präzisieren, wie seine Anwälte am Freitag, den 10. Januar 14 erklärten. Denn das Auftrittsverbot kann nur für das nunmehr in mehreren Städten abgesagte Stück „Die Mauer“ gelten. Dieudonné kann jedoch aus rechtlichen Gründen kaum mit einem generellen, sich auf alle potenziellen Theaterstücke aus seiner Feder beziehenden Berufsverbot belegt werden. Dies käme nicht zuletzt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte niemals durch. Abzuwarten bleibt, ob er klug genug sein wird, ein „sauberes“ und „unbedenkliches“ Stück vorzulegen, um einem neuen Verbot zu entgehen und eventuell als moralischer Sieger dazustehen – oder ob er den Anlass nutzt, um noch mehr „auf die Kacke zu hauen“.

LETZTE MELDUNG: Am Abend des Montag, den 13. Januar 14 spielte Dieudonné nun eine neue, abgespeckte Version seines vorherigen Spektakels („Die Mauer“) in seinem Theater im 11. Pariser Bezirk. Es war um alle besonders schockierende Passagen bereinigt worden. (Vgl. http://www.lemonde.fr/ ) Dieses Mal hatte der Pariser Polizeipräsident die Aufführung am selben Tag genehmigt. Die neue Version steht unter dem kryptisch erscheinenden Titel „Asu Zoa“. Dieudonné behauptet, der Name bedeute „Gesicht des Elefanten“ in der in Kamerun verbreiteten Sprache Ewondo. Ein Titel, dessen Bedeutung bzw. Auswahl sich allerdings nicht ganz erschließen würde. Das jüdische Webmagazin Alliance behauptet hingegen, der Titel spiele auf die Organisation USA ZOA (für Zionist organization of America) an, und Dieudonné habe lediglich die Buchstaben darin umgedreht. Was stimmt nun – hm, was erscheint denn inhaltlich plausibel?

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.