Deutschland driftet in die Altersarmut
Zahlen zur Armut - ohne Beamte, Vermögende, Millionäre, Multimillionär/innen und Milliardär/innen

 Auszug zusammengestellt von Reinhold Schramm

01-2015

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Hinter den Zahlen zu Altersarmut stehen konkrete Menschen und Lebenssituationen, aber auch typische Problemlagen. Altersarmut bedeutet materielle Armut, die mit gesellschaftlicher Ausgrenzung einhergeht.

35 Berufsjahre, nicht einmal 500 Euro Rente:

„Meine Mutter hat nach über 35 Jahren als Krankenschwester und zwei Kinder erziehend keine 500 Euro Rente bekommen. Sie hat geheult, als sie den Bescheid in den Händen hielt.“

Fahrt zu den Kindern zu teuer:

„Habe mich im Berufsleben nach der Wende auch für Kollegen eingesetzt. Ich wurde entlassen. (...) Meine 120 Euro Nebenverdienst werden mir auf meine Unfallrente angerechnet. Ich habe eine Rente von 400 Euro. Wir können uns seit einiger Zeit nur noch wenig leisten. Unsere Kinder wohnen in Hamburg, die Fahrt ist sehr teuer.“

Die Wahl zwischen Essen und Kultur:

„Ohne Musik wäre ich tot. Wenn meine Tochter mich einlädt oder ich am Essen spare – gehe ich gerne ins Konzert. Ab 21 Uhr fahren keine Busse mehr ins Umland, wo ich lebe. Dadurch bin ich abgeschnitten.“

Sieben Wochen ohne Geld - Die Grundsicherung für Erwerbstätige wird am Monatsanfang gezahlt – die Rente am Monatsende. Eine Betroffene berichtet von einem Monat ohne Geld:

„Für Mai bekomme ich ganze 173,84 Euro Arbeitslosengeld II, weil ich am 13. mit meinem 65. Geburtstag ins Rentenalter eintrete. Hartz IV ist für mich mit monatlich 434,59 Euro noch nicht mal das Schlimmste, aber was danach kommt ... Ich dachte, ich kann das feiern, wenn ich in die Rente gehe, aber ich bekomme die Rente erst am 30. Juni überwiesen, weil seit 2004 der Gesetzgeber es so wollte, dass Rente rückwirkend überwiesen wird. Vierzehn Tage Überbrückung wäre für mich kein Thema, aber sieben Wochen?!“

Fakten zur Rente

Das Alterssicherungssystem in Deutschland basiert mit der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen Altersversorgung und der privaten Altersvorsorge auf drei Säulen. Die gesetzliche Rentenversicherung ist dabei der wichtigste Pfeiler des Renteneinkommens. Die dadurch finanzierten Renten machten im Jahr 2011 einen Anteil von 64 Prozent des Bruttoeinkommensvolumens aller Rentnerinnen und Rentner in Deutschland aus.

Das Umlagesystem der gesetzlichen Rentenversicherung ist davon abhängig, dass nachfolgende Generationen versicherungspflichtig tätig sind und ausreichend Beiträge Zahlen. Im Sommer 2011 gab es in Deutschland 20,53 Millionen Rentner und 52,2 Millionen Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenversicherungsbericht 2012). 28,38 Millionen Menschen waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Um die Finanzierungsbelastung im Umlagesystem zu begrenzen, haben die vergangenen Rentenreformen diese verstärkt in die Rentenberechnung einbezogen:

So wird das Rentenniveau schrittweise abgesenkt. Die Untergrenze ist gesetzlich auf 46 Prozent bis zum Jahr 2020 und 43 Prozent bis zum Jahr 2030 gestgelegt. Das Netto-Rentenniveau vor Steuern lag im Jahr 2012 bei 49,8 Prozent. Nach Modellrechnungen wird es im Jahr 2020 bei 48,0 Prozent und im Jahr 2026 bei 46,0 Prozent liegen. –

Die Berechnung des Rentenniveaus basiert auf der berechneten Rente eines sogenannten Eckrentners, der in 45 Versicherungsjahren stets ein Entgelt in Höhe des Durchschnittsentgeltes aller Versicherten bezogen hat. Ein solcher Eckrentner hätte im Juli 2012 eine monatliche Rente in Höhe von circa 1.263 Euro erhalten.

• Für die Anpassung der Rentenhöhe wird die Entwicklung der Löhne und Gehälter der Beschäftigten zugrunde gelegt. Durch den im Jahr 2005 eingeführten Nachhaltigkeitsfaktor wird bei der Anpassung aber auch die Entwicklung des zahlenmäßigen Verhältnisses von Leistungsbeziehern und versicherungspflichtig Beschäftigten berücksichtigt. Sinkt die Anzahl letzterer, fällt die Rentenanpassung tendenziell geringer aus.

• Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer lag im Jahr 2011 bei 18,3 Jahren. Im Jahr 1990 waren es durchschnittlich 15,4 Jahre. Der längeren durchschnittlichen Rentenbezugsdauer soll mit der im Jahr 2007 vollzogenen Gesetzesänderung über die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters in den Jahren 2012 – 2023 auf 67 Jahre begegnet werden.

• Die wachsende Lücke zwischen dem bisherigen Lebensstandard und den sinkenden Ansprüchen an die gesetzliche Rentenversicherung sollte durch Anreize für eine zusätzliche private oder betriebliche Altersvorsorge geschlossen werden.

Die individuelle Rentenhöhe hängt auch davon ab, in welchem Umfang ein Versicherter am Arbeitsmarkt tätig ist: Lohnhöhe und Lebensarbeitszeit bestimmen aufgrund der Rentenformel die später zu erwartende Rente. [Unverschuldete] Arbeitslosigkeit und andere Ausfallzeiten führen zu geringeren Rentenleistungen.

Aus dem im November 2012 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales veröffentlichten „Rentenversicherungsbericht 2012" und dem zeitgleich veröffentlichten „Alterssicherungsbericht 2012" lassen sich folgende Daten zur Anzahl, Höhe und Struktur der Leistungen in der Rentenversicherung entnehmen:

Männer:

Die Versichertenrenten an Männer beruhten zum 31. Dezember 2011 im Durchschnitt auf 41,2 Jahren (West 40,2 Jahre / Ost 44,7 Jahre) an rentenrechtlichen Zeiten und 1,01 Entgeltpunkten pro Jahr. Die durchschnittliche monatliche Rente betrug für Männer am 1. Juli 2011 durchschnittlich 977 Euro (West 969 Euro / Ost 1010 Euro).

Frauen:

Den Versichertenrenten an Frauen lagen im Durchschnitt 29,8 Jahre an rentenrechtlich relevanten Zeiten (West 27 Jahre / Ost 38,9 Jahre) und 0,78 Entgeltpunkte pro Jahr zugrunde. Die durchschnittliche monatliche Rente betrug für Frauen am 01. Juli 2012 549 Euro (West 505 Euro / Ost 707 Euro).

Zu beachten ist, dass die Angaben zur durchschnittlichen Höhe der gesetzlichen Renten allein keine hinreichende Aussagekraft zur Beurteilung der konkreten Einkommenssituation im Alter haben. Sie berücksichtigen weder weitere Alterseinkommen (z. B. private bzw. betriebliche Vorsorge, Vermögen) noch den Kontext des Gesamthaushalts, in dem die Rentnerinnen und Rentner leben. –

So verfügten Ehepaare bei den Rentnerhaushalten mit einer Bezugsperson ab 65 Jahren im Jahr 2011 durchschnittlich über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.537 Euro West bzw. 2.019 Euro Ost. –

Alleinstehende Männer verfügen über durchschnittlich 1.615 Euro West bzw. 1.310 Ost, alleinstehende Frauen über durchschnittlich 1.310 Euro West bzw. 1.219 Euro Ost im Monat.

Ebenso unberücksichtigt bleibt die Änderung der Lebenssituation von vormals Beitragszahlenden etwa durch Verbeamtung. Beitragszahlung in einem berufsständischen Versorgungswerk statt in der gesetzlichen Rentenversicherung oder eine ertragreiche Form von Selbständigkeit, die später zu niedrigen Ansprüchen in der gesetzlichen Rentenversicherung bei gleichzeitig hohen Alterseinkommen führen.

Die im November 2012 veröffentlichte Generali-Altersstudie stellt in finanzieller Hinsicht fest, dass die 65- bis 85-Jährigen im Durchschnitt über ein Haushalts-Nettoeinkommen von rund 2.200 Euro verfügen. Mehr als jeder Zweite wohnt in einer eigenen Immobilie.

Aufgrund der weiteren sozialen und der demografischen Entwicklung ist jedoch absehbar, dass sich diese Situation deutlich ändern wird.

Seit den 1980er Jahren differenzieren sich auch die Erwerbsbiografien. –

Hier zeigt sich, dass die den Sozialversicherungen zugrunde liegenden Annahmen bezüglich der „normalen“ Lebensverläufe bei immer mehr Menschen zu nicht ausreichenden Beitragszahlungen und später fehlenden Rechtsansprüchen an die Sozialversicherung führen. –

Der klassische Lebenslauf im Dreiphasenmodell Ausbildung – Erwerbsleben – Ruhestand ist für einen zunehmenden Teil der Bevölkerung im Erwerbsalter kaum noch planbar. Insbesondere im Zusammenhang mit Familiengründung und Kinderbetreuung haben unsichere Erwerbs- und Familiensituationen auch direkte Folgen für die soziale Absicherung im Alter.

Wachsende Altersarmut

Armut im Alter ist eine Folge von Armut in der Erwerbsaltersphase, die zu Lücken bei der Alterssicherung führt. Lebensphasen, die in Armut verbracht werden, führen zu niedrigen oder gar keinen Beitragszahlungen in der Rentenversicherung und damit zu später geringen Rentenansprüchen.

Nach den mit dem Ziel der Beitragsstabilisierung erfolgten [sogenannten] Reformen ist die gesetzliche Rente für einen zunehmenden Teil der Bevölkerung zukünftig nicht mehr armutsfest. Auch privat oder betrieblich erbrachte Vorsorge können die Lücken in der Lebensstandardsicherung für viele nicht schließen.

Aufgrund unsicherer Erwerbsbiografien oder längerer Lebensphasen, in denen sie aufgrund von Erwerbslosigkeit, Erziehungsphasen oder nicht existierenden Löhnen am Rande des Existenzminimums leben, können sie keine hinreichenden Beiträge für eine armutsfeste ergänzende Altersvorsorge leisten.

Die Altersarmut wächst und wird weiter wachsen

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung vermeldete mit den aktuellen Daten aus dem sozio-ökonomischen Panel für 2010 sogar erstmals ein um einen Prozentpunkt höheres Armutsrisiko für Rentner als für die übrige Bevölkerung. Auch die Zahl der Menschen, die im Alter Grundsicherungsleistungen beziehen [analog Sozialhilfe bzw. Hartz IV], wächst. Diese ist von 2003 bis 2011 von 257.734 auf 436.210 Personen gestiegen und hat sich damit fast verdoppelt.

Von Armut im Alter aufgrund von Niedrigrenten sind überproportional Frauen betroffen. In Deutschland beziehen Frauen um 59,6 Prozent geringere eigene Alterssicherungseinkommen als Männer.

2010 betrug die durchschnittliche Armutsrisikoquote 15,8 Prozent, bei Frauen jedoch 16,8 Prozent. Bei den 18- bis unter 65-Jährigen hatten Frauen eine Armutsrisikoquote von 17,0 Prozent und Männer von 15,9 Prozent. Bei den Seniorinnen und Senioren lagen die Frauen bei 16,2 Prozent und die Männer bei 12 Prozent.

Für die nächsten Jahre ist in Deutschland von einer stetig zunehmenden Altersarmut auszugehen.

Quelle: Prävention und Bekämpfung von Altersarmut. Positionspapier, Diakonie Texte 08.2013. Die in der Publikationsreihe veröffentlichten Texte sind im Internet frei zugänglich. Sie können dort zu nichtkommerziellen Zwecken heruntergeladen und vervielfältigt werden.

www.diakonie.de/media/Texte-08_2013-Altersarmut.pdf

Editorische Hinweise

Der Text wurde uns vom Autor für diese Ausgabe zur Verfügung gestellt.
 

21.12.2014, Reinhold Schramm (Zusammenfassung)