Anbei einige Fragen von zwei Studenten
des „Institut für Politikwissenschaft an der
Universität Marburg“ an den Herausgeber von Kosova-
aktuell Max Brym zur Situation in Kosova. Die beiden
Studenten benützen das Interview für eine Studienarbeit
und überlassen uns den Text zur Veröffentlichung.
Markus L „ Sehr geehrter Herr
Brym relativ selten erscheinen Nachrichten über Kosovo
in den deutschen Medien.
Wenn etwas erscheint, dann über Unruhen und kurze
Ausführungen über den negativen und gewaltsamen
Charakter der Opposition. Was sagen Sie dazu?“
Max Brym „ Die Lage in Kosova ist absolut
verfahren und muss radikal geändert werden. Kosova hat
eine Regierung, die sich einen Dreck um demokratische
Prinzipien oder gar um soziale Gerechtigkeit schert.
Erich M. „ Was bitte konkret läuft
gegenwärtig in dem Land ab“
Max Brym : Kosova ist das ärmste Land in
Europa. Offiziell gibt es eine Arbeitslosigkeit von über
40 %, nach Gewerkschaftsangaben liegt sie aber mindestens
bei 60 %. Es wird geschätzt dass zwischen 70 und 80 % der
Jugendlichen arbeitslos sind. In Kosova gibt es keinerlei
Arbeitslosenversicherung, es gibt nur eine Art von
Sozialhilfe, die maximal bei 96 Cent pro Tag liegt.
Gegenwärtig leben 18 % der Bevölkerung von weniger als
einem Euro pro Tag, etwas über 36 % der Bevölkerung von
weniger als zwei Euro am Tag. Der Euro ist in Kosova
Landeswährung. Die Preise sind mit den Preisen in
Deutschland abgesehen von den Preisen für Zigaretten und
Kaffee vergleichbar. Es herrscht demzufolge massive Not.
Die beschäftigen Arbeiter vor allem in den privaten
Betrieben unterliegen einer extremen Ausbeutung und
verfügen über keinerlei soziale Rechte. In der
Privatindustrie verdienen die Beschäftigten im Schnitt
etwas über 200 € im Monat. In den staatlichen
Institutionen zwischen 2 00und 500 €. Der von den
internationalen und die Instanzen eingeforderte
Privatisierungsprozess vernichtete mehr als 77.000
Arbeitsplätze. Extrem desaströs ist die Lage im
Gesundheitswesen. Es existiert in Kosova keinerlei
Krankenversicherung. Selbst in der staatlichen Klinik in
Prishtina müssen die Patienten Medikamente und
Operationskosten fast alles bezahlen. Not, Elend, sowie
Dauerarbeitslosigkeit prägen des Leben in Kosova .
Erich M- “ Gibt es dagegen Widerstand bzw.
gewerkschaftliche Proteste?“
Max Brym- Wo es Unterdrückung gibt, gibt
es selbstverständlich auch Widerstand. Das Problem in
Kosova besteht darin, dass die Gewerkschaftsspitze eng
mit der politisch korrupten Kaste verbunden ist. Es gibt
aber auch Strömungen innerhalb der Gewerkschaft, sowie in
bestimmten Einzelgewerkschaften, die versuchen ehrlich
und ernsthaft für die Rechte der Arbeiter und
Arbeiterinnen zu kämpfen. Seit über einem Jahr befindet
sich ein Streikzelt von Arbeitern aus einer
privatisierten Stahlröhrenfabrik in Ferizaj direkt vor
dem Regierungssitz in Prishtina. Die Arbeiter und
Arbeiterinnen protestieren dort gegen ihre Entlassung und
gegen die Privatisierung. Die Regierung ignoriertem
Protest. Immer wieder protestierenden in Kosova speziell
die Bauern mit ihrer eigenen Gewerkschaft . Sie fordern
höhere Abnahmepreise für ihre Produkte, sowie
genossenschaftlich organisierte Banken, welche Ihnen im
Gegensatz zu den existierenden privaten Banken günstige
Kredite gewähren. Zudem verlangen die Bauern die
Wiedereröffnung von Betrieben, welche früher im Kosova
Pflanzenschutzmittel und Saatgut produzierten. Der
gegenwärtige Zustand konfrontiert die Bauern mit hohen
Preisen für die importierten landwirtschaftlichen
Saatgüter aus Serbien. Die Masse der Bauern in Kosova
steht direkt vor dem Ruin. Gute gewerkschaftliche Arbeit
wird bei der Gewerkschaft der „Post und
Telekommunikationsarbeiter“ geleistet. Die
verschiedensten Regierungen versuchen immer wieder die
PTK zu privatisieren. Dies ist aber jedes Mal am
Widerstand der Arbeiter gescheitert.
Erich L „ Welche Möglichkeiten sehen Sie,
um die Lage der Menschen im Kosovo entscheidend zu
verbessern.“
Max Brym - Entscheidend ist die
Reaktivierung der Arbeiterbewegung und die Verbindung der
Arbeiterbewegung mit der Massenprotesten der Jugendlichen
und der Bauern gegen die Regierung. Der
Privatisierungsprozess welcher von den „Internationalen“
in Kosova anbefohlen wurde, muss gestoppt werden.
Generell benötigt das Land eine Regierung welche
wirtschaftliche Entwicklung auf der Basis der sozialen
Gleichheit anstrebt. Kosova ist in Wirklichkeit ein sehr
reiches Land. Im einstigen Jugoslawien war das Kombinat
Treppab , der drittgrößte Förderer von Chrom, Nickel,
Kupfer und Blei, weltweit. Gegenwärtig wird in der Mine
nur auf Probe gearbeitet und westliche Investoren haben
Interessen an die Rohstoffe günstig heranzukommen. An
eine Verarbeitung der Rohstoffe in Kosova ist bei
bestehenden Überkapazitäten in den kapitalistischen
Metropolen nicht gedacht. Als vorbereitende Maßnahme zum
Abbau der Rohstoffe , wurde durch Kosova , die teuerste
Autobahn in Europa durch das Firmenkonsortium Bechtel &
Inka gebaut. Die dem Kosovo zugedachte wirtschaftliche
Perspektive ist über Autobahnen die Rohstoffe
abzutransportieren und nichts aber auch gar nichts in den
verarbeitenden Bereich zu investieren. Es muss darum
gehen den gesellschaftlichen Reichtum Kosovar zu erhalten
und nach einem bestimmten Plan, die wesentlichen Sektoren
der Wirtschaft im Interesse der Allgemeinheit zu
entwickeln.
Markus L. „ Welche Rolle spielt die
Korruption in Kosovo und wies sie sichtbar?“
Max Brym „ In Kosovo leben ca. 6 % der
Bevölkerung in Überfluss und Reichtum. Dieser
Personenkreis ist eng mit den herrschenden Parteien
direkt über Parteifunktionen, Regierungsfunktionen und
familiäre Beziehungen verbunden. Nach jeder
Privatisierung legen sich die entsprechenden
Verantwortlichen, neue Villen, neue Autos und zum Teil
neue Frauen zu. Die Korruption ist nach meinem
Erfahrungswert direkt in diesem kleinen Land mit offenem
Auge sichtbar. Die so genannte Elite in Kosova hat den
Ehrgeiz über Mafia -strukturen, sich in eine vermittelnde
Handelsbourgeoisie zu verwandeln. Aber auch die
Botschaften und die EULEX Kosova sind direkt in diesen
Prozess involviert. Der ehemalige US Botschafter in
Kosova, Dell ist jetzt Firmenvertreter der Firma Bechtel.
Der von ihm als Botschafter eingefädelte Autobahndeal ist
bis heute nicht transparent. Entgegen der Gesetzeslage
wird dem Parlament bis dato der Einblick in das
Vertragswerk mit der Firma Bechtel & Enka verweigert.
Insgesamt kostete die Autobahn mehr als 1 Milliarde €.
Das entspricht in etwa dem Staatshaushalt Kosovos. An dem
Bau der Autobahn Prishtina - Skopje war der ehemalige US
Botschafter als Firmenvertreter von Bechtel direkt
beteiligt. Selbstverständlich auch die örtlichen
Zulieferer aus dem Parteien PDK und LDK.
Erich M. “ wir haben gehört das die
„Bewegung für Selbstbestimmung VV „ gegen den
neoliberalen Privatisierungsprozess ist und
sozialpolitische Forderungen hat. Auf der anderen Seite
wird immer wieder berichtet, dass diese Partei
nationalistisch sei und etwas gegen die Serben und ihre
Rechte in Kosovo hätte. Was sagen Sie dazu?“
Max Brym „ Der serbische Staat betrachtet
bis heute Kosova als Bestandteil Serbiens. D.h. Serbien
erkennt Kosova nicht an und negiert das
Selbstbestimmungsrecht der Mehrheit der Menschen in
Kosova . Aus diesem Grund fordert die „Bewegung für
Selbstbestimmung“ die Anerkennung Kosovas durch Serbien
und lehnt Verhandlungen mit dem serbischen Staat solange
,die Anerkennung nicht erfolgt ist prinzipiell ab. Diese
Haltung ist verständlich oder würden Sie mit einem
Menschen diskutieren, der sie nicht anerkennt und nicht
akzeptiert.
Markus L: „Aber ist es nicht richtig eine
gewisse Autonomie der Serben in Kosovo welche am 25.
August letzten Jahres in Brüssel vereinbart wurde zu
akzeptieren?“
Max Brym - „In Brüssel sprachen nicht
Menschen aus Kosova miteinander ,sondern unter Regie der
EU, die serbische Regierung mit der kosovarischen
Regierung. Herausgekommen ist die endgültige Teilung
Kosovas auf ethnischer Basis. In dem Abkommen geht es
nicht um die Gleichstellung der Serben und Serbinen in
Kosova. Es geht vielmehr darum das Land zu einer Art von
zweitem Bosnien auf dem Balkan zu machen. Es geht
überhaupt nicht um kulturelle oder kommunale Rechte. Der
so genannte -Serbische Gemeindeverband- auf 24% des
Landes hat das Recht besondere Beziehungen zu Belgrad zu
unterhalten, die Grenze nach Serbien offen zu lassen und
Beamte aus Belgrad zu beschäftigen. Der serbische
Gemeindeverband soll einen gemeinsamen Etat unterhalten.
Sämtliche Polizisten, Richter, Staatsanwälte und
Lehrkräfte, werden nicht nach ihrer Eignung sondern nach
ihrer ethnisch serbischen Herkunft bestimmt. Der Verband
soll das Recht erhalten nicht nur Städtepartnerschaften
zu unterhalten, sondern die Möglichkeit besitzen eigene
diplomatische Beziehungen zu haben. Sie sehen also das
Abkommen impliziert die Schaffung eines Zeiten Bosniens
auf dem Balkan. Ich denke Widerstand dagegen hat nichts
mit Nationalismus zu tun. Der Widerstand ist
gerechtfertigt.
Erich M. “ Immer wieder gibt es große
Proteste in Kosovo gegen die Regierung und man hört von
Straßenkämpfen. Abgeordneter werden verhaftet. Was
steckte hinter?
Max Brym: “ Die Regierung hat das Abkommen
mit Serbien ohne Zustimmung durch das Parlament
abgeschlossen. Gleichzeitig verweigert die Regierung über
das Abkommen jegliche Debatte im Parlament. Das
Verfassungsgericht hat kürzlich festgestellt, dass das
Abkommen in weiten Teilen mit der Verfassung Kosovas
nicht zu vereinbaren ist. Dennoch will die Regierung an
dem von der EU gewünschten Vertragswerk festhalten.
Dagegen protestieren die Massen auf der Straße, am 9.
Januar beispielsweise erlebte Kosova , die größte
Massendemonstrationen in seiner Geschichte mit mehr als
100.000 Teilnehmer in Prishtina. Seit Herbst protestieren
auch die oppositionellen Abgeordneten im Parlament gegen
diesen antidemokratischen Akt der Regierung. Dabei
setzten einige Abgeordnete öfter Tränengas ein, um die
pseudodemokratischen Sitzungen zu beenden. In westlichen
Medien werden die Proteste der Abgeordneten und der
Massen entweder ignoriert oder verurteilt. In Wahrheit
geht es um die Verteidigung elementarer demokratischer
Prinzipien. Am 28. November letzten Jahres stürmte die
Polizei das Parteigebäude der -Bewegung für
Selbstbestimmung- unter massiver Gewaltanwendung. Der
Abgeordnete Albin Kurti wurde verhaftet und verbrachte
eine Monat im Gefängnis und jetzt steht er zusammen mit
anderen Abgeordneten unter Hausarrest. Beinahe täglich
werden Aktivisten der „Bewegung für Selbstbestimmung“ auf
offener Straße oder in ihren Wohnungen festgenommen. Nach
meinem Dafürhalten handelt es sich um die letzten
Zuckungen eines antidemokratischen nicht sozialen latent
faschistoiden Regimes. Allerdings bin ich der festen
Überzeugung, dass dieses Regime verschwinden wird. Isa
Mustang und Hashim Thaci werden die Macht verlieren.“
„Herr Brym wir danken Ihnen für das
Gespräch.“ Markus. L und Erich M. Studenten der
Politologie an der Universität Marburg

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