trend spezial: Berichte aus Kosova redigiert von Max Brym

„Isa Mustafa und Hashim Thaci werden die Macht verlieren“

Ein Interview mit Max Brym

01/2016

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Anbei einige Fragen von zwei Studenten des „Institut für Politikwissenschaft an der Universität Marburg“ an den Herausgeber von Kosova- aktuell Max Brym zur Situation in Kosova. Die beiden Studenten benützen das Interview für eine Studienarbeit und überlassen uns den Text zur Veröffentlichung.

Markus L „ Sehr geehrter Herr Brym relativ selten erscheinen Nachrichten über Kosovo in den deutschen Medien. Wenn etwas erscheint, dann über Unruhen und kurze Ausführungen über den negativen und gewaltsamen Charakter der Opposition. Was sagen Sie dazu?

Max Brym „ Die Lage in Kosova ist absolut verfahren und muss radikal geändert werden. Kosova hat eine Regierung, die sich einen Dreck um demokratische Prinzipien oder gar um soziale Gerechtigkeit schert. 

Erich M. „ Was bitte konkret läuft gegenwärtig in dem Land ab“ 

Max Brym : Kosova ist das ärmste Land in Europa. Offiziell gibt es eine Arbeitslosigkeit von über 40 %, nach Gewerkschaftsangaben liegt sie aber mindestens bei 60 %. Es wird geschätzt dass zwischen 70 und 80 % der Jugendlichen arbeitslos sind. In Kosova gibt es keinerlei Arbeitslosenversicherung, es gibt nur eine Art von Sozialhilfe, die maximal bei 96 Cent pro Tag liegt. Gegenwärtig leben 18 % der Bevölkerung von weniger als einem Euro pro Tag, etwas über 36 % der Bevölkerung von weniger als zwei Euro am Tag. Der Euro ist in Kosova Landeswährung. Die Preise sind mit den Preisen in Deutschland abgesehen von den Preisen für Zigaretten und Kaffee vergleichbar. Es herrscht demzufolge massive Not. Die beschäftigen Arbeiter vor allem in den privaten Betrieben unterliegen einer extremen Ausbeutung und verfügen über keinerlei soziale Rechte. In der Privatindustrie verdienen die Beschäftigten im Schnitt etwas über 200 € im Monat. In den staatlichen Institutionen zwischen 2 00und 500 €. Der von den internationalen und die Instanzen eingeforderte Privatisierungsprozess vernichtete mehr als 77.000 Arbeitsplätze. Extrem desaströs ist die Lage im Gesundheitswesen. Es existiert in Kosova keinerlei Krankenversicherung. Selbst in der staatlichen Klinik in Prishtina müssen die Patienten Medikamente und Operationskosten fast alles bezahlen. Not, Elend, sowie Dauerarbeitslosigkeit prägen des Leben in Kosova . 

Erich M- “ Gibt es dagegen Widerstand bzw. gewerkschaftliche Proteste?“ 

Max Brym- Wo es Unterdrückung gibt, gibt es selbstverständlich auch Widerstand. Das Problem in Kosova besteht darin, dass die Gewerkschaftsspitze eng mit der politisch korrupten Kaste verbunden ist. Es gibt aber auch Strömungen innerhalb der Gewerkschaft, sowie in bestimmten Einzelgewerkschaften, die versuchen ehrlich und ernsthaft für die Rechte der Arbeiter und Arbeiterinnen zu kämpfen. Seit über einem Jahr befindet sich ein Streikzelt von Arbeitern aus einer privatisierten Stahlröhrenfabrik in Ferizaj direkt vor dem Regierungssitz in Prishtina. Die Arbeiter und Arbeiterinnen protestieren dort gegen ihre Entlassung und gegen die Privatisierung. Die Regierung ignoriertem Protest. Immer wieder protestierenden in Kosova speziell die Bauern mit ihrer eigenen Gewerkschaft . Sie fordern höhere Abnahmepreise für ihre Produkte, sowie genossenschaftlich organisierte Banken, welche Ihnen im Gegensatz zu den existierenden privaten Banken günstige Kredite gewähren. Zudem verlangen die Bauern die Wiedereröffnung von Betrieben, welche früher im Kosova Pflanzenschutzmittel und Saatgut produzierten. Der gegenwärtige Zustand konfrontiert die Bauern mit hohen Preisen für die importierten landwirtschaftlichen Saatgüter aus Serbien. Die Masse der Bauern in Kosova steht direkt vor dem Ruin. Gute gewerkschaftliche Arbeit wird bei der Gewerkschaft der „Post und Telekommunikationsarbeiter“ geleistet. Die verschiedensten Regierungen versuchen immer wieder die PTK zu privatisieren. Dies ist aber jedes Mal am Widerstand der Arbeiter gescheitert. 

Erich L „ Welche Möglichkeiten sehen Sie, um die Lage der Menschen im Kosovo entscheidend zu verbessern.“ 

Max Brym - Entscheidend ist die Reaktivierung der Arbeiterbewegung und die Verbindung der Arbeiterbewegung mit der Massenprotesten der Jugendlichen und der Bauern gegen die Regierung. Der Privatisierungsprozess welcher von den „Internationalen“ in Kosova anbefohlen wurde, muss gestoppt werden. Generell benötigt das Land eine Regierung welche wirtschaftliche Entwicklung auf der Basis der sozialen Gleichheit anstrebt. Kosova ist in Wirklichkeit ein sehr reiches Land. Im einstigen Jugoslawien war das Kombinat Treppab , der drittgrößte Förderer von Chrom, Nickel, Kupfer und Blei, weltweit. Gegenwärtig wird in der Mine nur auf Probe gearbeitet und westliche Investoren haben Interessen an die Rohstoffe günstig heranzukommen. An eine Verarbeitung der Rohstoffe in Kosova ist bei bestehenden Überkapazitäten in den kapitalistischen Metropolen nicht gedacht. Als vorbereitende Maßnahme zum Abbau der Rohstoffe , wurde durch Kosova , die teuerste Autobahn in Europa durch das Firmenkonsortium Bechtel & Inka gebaut. Die dem Kosovo zugedachte wirtschaftliche Perspektive ist über Autobahnen die Rohstoffe abzutransportieren und nichts aber auch gar nichts in den verarbeitenden Bereich zu investieren. Es muss darum gehen den gesellschaftlichen Reichtum Kosovar zu erhalten und nach einem bestimmten Plan, die wesentlichen Sektoren der Wirtschaft im Interesse der Allgemeinheit zu entwickeln. 

Markus L. „ Welche Rolle spielt die Korruption in Kosovo und wies sie sichtbar?“ 

Max Brym „ In Kosovo leben ca. 6 % der Bevölkerung in Überfluss und Reichtum. Dieser Personenkreis ist eng mit den herrschenden Parteien direkt über Parteifunktionen, Regierungsfunktionen und familiäre Beziehungen verbunden. Nach jeder Privatisierung legen sich die entsprechenden Verantwortlichen, neue Villen, neue Autos und zum Teil neue Frauen zu. Die Korruption ist nach meinem Erfahrungswert direkt in diesem kleinen Land mit offenem Auge sichtbar. Die so genannte Elite in Kosova hat den Ehrgeiz über Mafia -strukturen, sich in eine vermittelnde Handelsbourgeoisie zu verwandeln. Aber auch die Botschaften und die EULEX Kosova sind direkt in diesen Prozess involviert. Der ehemalige US Botschafter in Kosova, Dell ist jetzt Firmenvertreter der Firma Bechtel. Der von ihm als Botschafter eingefädelte Autobahndeal ist bis heute nicht transparent. Entgegen der Gesetzeslage wird dem Parlament bis dato der Einblick in das Vertragswerk mit der Firma Bechtel & Enka verweigert. Insgesamt kostete die Autobahn mehr als 1 Milliarde €. Das entspricht in etwa dem Staatshaushalt Kosovos. An dem Bau der Autobahn Prishtina - Skopje war der ehemalige US Botschafter als Firmenvertreter von Bechtel direkt beteiligt. Selbstverständlich auch die örtlichen Zulieferer aus dem Parteien PDK und LDK. 

Erich M. “ wir haben gehört das die „Bewegung für Selbstbestimmung VV „ gegen den neoliberalen Privatisierungsprozess ist und sozialpolitische Forderungen hat. Auf der anderen Seite wird immer wieder berichtet, dass diese Partei nationalistisch sei und etwas gegen die Serben und ihre Rechte in Kosovo hätte. Was sagen Sie dazu?“ 

Max Brym „ Der serbische Staat betrachtet bis heute Kosova als Bestandteil Serbiens. D.h. Serbien erkennt Kosova nicht an und negiert das Selbstbestimmungsrecht der Mehrheit der Menschen in Kosova . Aus diesem Grund fordert die „Bewegung für Selbstbestimmung“ die Anerkennung Kosovas durch Serbien und lehnt Verhandlungen mit dem serbischen Staat solange ,die Anerkennung nicht erfolgt ist prinzipiell ab. Diese Haltung ist verständlich oder würden Sie mit einem Menschen diskutieren, der sie nicht anerkennt und nicht akzeptiert. 

Markus L: „Aber ist es nicht richtig eine gewisse Autonomie der Serben in Kosovo welche am 25. August letzten Jahres in Brüssel vereinbart wurde zu akzeptieren?“ 

Max Brym - „In Brüssel sprachen nicht Menschen aus Kosova miteinander ,sondern unter Regie der EU, die serbische Regierung mit der kosovarischen Regierung. Herausgekommen ist die endgültige Teilung Kosovas auf ethnischer Basis. In dem Abkommen geht es nicht um die Gleichstellung der Serben und Serbinen in Kosova. Es geht vielmehr darum das Land zu einer Art von zweitem Bosnien auf dem Balkan zu machen. Es geht überhaupt nicht um kulturelle oder kommunale Rechte. Der so genannte -Serbische Gemeindeverband- auf 24% des Landes hat das Recht besondere Beziehungen zu Belgrad zu unterhalten, die Grenze nach Serbien offen zu lassen und Beamte aus Belgrad zu beschäftigen. Der serbische Gemeindeverband soll einen gemeinsamen Etat unterhalten. Sämtliche Polizisten, Richter, Staatsanwälte und Lehrkräfte, werden nicht nach ihrer Eignung sondern nach ihrer ethnisch serbischen Herkunft bestimmt. Der Verband soll das Recht erhalten nicht nur Städtepartnerschaften zu unterhalten, sondern die Möglichkeit besitzen eigene diplomatische Beziehungen zu haben. Sie sehen also das Abkommen impliziert die Schaffung eines Zeiten Bosniens auf dem Balkan. Ich denke Widerstand dagegen hat nichts mit Nationalismus zu tun. Der Widerstand ist gerechtfertigt. 

Erich M. “ Immer wieder gibt es große Proteste in Kosovo gegen die Regierung und man hört von Straßenkämpfen. Abgeordneter werden verhaftet. Was steckte hinter? 

Max Brym: “ Die Regierung hat das Abkommen mit Serbien ohne Zustimmung durch das Parlament abgeschlossen. Gleichzeitig verweigert die Regierung über das Abkommen jegliche Debatte im Parlament. Das Verfassungsgericht hat kürzlich festgestellt, dass das Abkommen in weiten Teilen mit der Verfassung Kosovas nicht zu vereinbaren ist. Dennoch will die Regierung an dem von der EU gewünschten Vertragswerk festhalten. Dagegen protestieren die Massen auf der Straße, am 9. Januar beispielsweise erlebte Kosova , die größte Massendemonstrationen in seiner Geschichte mit mehr als 100.000 Teilnehmer in Prishtina. Seit Herbst protestieren auch die oppositionellen Abgeordneten im Parlament gegen diesen antidemokratischen Akt der Regierung. Dabei setzten einige Abgeordnete öfter Tränengas ein, um die pseudodemokratischen Sitzungen zu beenden. In westlichen Medien werden die Proteste der Abgeordneten und der Massen entweder ignoriert oder verurteilt. In Wahrheit geht es um die Verteidigung elementarer demokratischer Prinzipien. Am 28. November letzten Jahres stürmte die Polizei das Parteigebäude der -Bewegung für Selbstbestimmung- unter massiver Gewaltanwendung. Der Abgeordnete Albin Kurti wurde verhaftet und verbrachte eine Monat im Gefängnis und jetzt steht er zusammen mit anderen Abgeordneten unter Hausarrest. Beinahe täglich werden Aktivisten der „Bewegung für Selbstbestimmung“ auf offener Straße oder in ihren Wohnungen festgenommen. Nach meinem Dafürhalten handelt es sich um die letzten Zuckungen eines antidemokratischen nicht sozialen latent faschistoiden Regimes. Allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass dieses Regime verschwinden wird. Isa Mustang und Hashim Thaci werden die Macht verlieren.“ 

„Herr Brym wir danken Ihnen für das Gespräch.“ Markus. L und Erich M. Studenten der Politologie an der Universität Marburg