Eine größere Menschenmenge versammelte sich am
Montag, den 12. Dezember 16 auf dem Friedhof von
Bachdjarah, einem Stadtteil an der östlichen
Peripherie von Algier. Mehrere hundert, vielleicht
Tausende von Menschen kamen zusammen, um den im
Alter von 42 verstorbenen Journalisten und Blogger
Mohamed Tamalt zu Grabe zu tragen. Er war am
Sonntag zuvor, dem 11. Dezember 2016 in einer Zelle
verstorben, nachdem er drei Monate im Koma gelegen
hatte. Als offizielle Todesursache wurde eine
Lungenentzündung, welche die Ärzte „vor zehn Tagen
entdeckt“ hätten, angegeben. Sein Anwalt Amine
Sidhoum gibt jedoch an, ihm und den Angehörigen
Tamalts werde der Zugang zur Krankenakte des Toten
und zu medizinischen Unterlagen verweigert.
Tamalt, der seit 2002 längere Zeit im Vereinigten
Königreich lebte und neben der algerischen auch die
britische Staatsangehörigkeit erworben hatte,
unterhielt einen vielgelesenen Blog. Die
Veröffentlichungen auf seiner Facebook-Seite wurden
von rund zehntausend Menschen regelmäßig verfolgt.
In seinen Beiträgen griff er oft die Machthaber in
seinem Land und ihre notorische Korruption an.
Algerien wurde und wird seit der Unabhängigkeit von
Frankreich, die nach einem achtjährigen blutigen
Entkolonisierungskrieg im Juli 1962 errungen wurde,
mit kurzen Unterbrechungen durch die frühere
Staats- und Einheitspartei (zwischen 1962 und 1989)
FLN, „Nationale Befreiungsfront“, regiert. Der
reale harte Kern der Machthaber setzt sich zum Teil
aus Militärs zusammen. Hinzu kommen hohe Staats-
und Parteibürokraten sowie Vertreter einer
Bourgeoisie, die jedoch weitaus eher von
Importmonopolen als von materieller Produktion
lebt. Die Staatseinnahmen hängen zu rund 97 Prozent
vom Export von Rohöl und Erdgas ab. Versuche
während der staatssozialistischen Ära in den 1970er
Jahre, Importe zunehmend durch eine eigene
Industrieproduktion zu ersetzen, scheiterten, und
Algerien wurde ab dem folgenden Jahrzehnt als
abhängiger Rohstoffexporteur verstärkt in den
kapitalistischen Weltmarkt eingegliedert. Nach
einem Bürgerkrieg mit bewaffneten Islamisten
zwischen 1992/93 und 1999 konnte die Staatsmacht
sich konsolidieren. Derzeit herrscht eine bleierne
Atmosphäre des fin de règne, also
einer nicht enden wollenden Regentschaft.
Staatspräsident 'Abdel'aziz Boutefliqa (n.
korrekter Transkription aus dem Arabischen, oder
französiert: Abdelaziz Bouflika), seit April 1999
im Amt, ist seit mehreren Jahre schwer krank und
konnte sich bereits bei seiner formaler Wiederwahl
im April 2014 kaum noch regen. Als Kompromissfigur
wird er jedoch offiziell im Präsidentenamt
gehalten, um zu verhindern, dass verschiedene
Fraktionen sich im Staatsapparat sich zu schnell
offen bekämpfen. Dort sind aufgrund der sich mit
sinkenden Ölpreisen verschärfenden Wirtschaftskrise
Richtungskämpfe ausgebrochen.
Obwohl Abdelaziz
Bouteflika nur noch eine Schachfigur darstellt – er
selbst ist nahezu bewegungsunfähig -, wurde Tamalt
vorgeworfen, ihn in Versform in einem von ihm
publizierten Gedicht beleidigt zu haben. Am 27.
Juni 16 wurde er deswegen festgenommen und am 04.
Juli wegen „Präsidentenbeleidigung“ zu einer
zweijährigen Haftstrafte sowie umgerechnt 1.700
Euro Geldstrafe, das stellt mehrere Monatslöhne
dar, verurteilt. Am 11. Juli 16 wurde er im
Gefängnis des Stadtteils El-Harrache inhaftiert.
Bereits seit Ende Juni des Jahres befand er sich im
Hungerstreik. Der Gesundheitszustand Tamalts, der
an einer Diabeteserkrankung leidet, verschlechterte
sich rapide und ging in ein Koma über.
Die
Menschenrechtsorganisationen HRW (Human Rights
Watch) und Amnesty international reagierten schon
ab Sonntag, den 11.12.16 und forderten von den
Behörden eine unabhängige Untersuchung. Die
Vereinigung „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) erklärte
sich „schockiert“ und sprach von einem „Schlag vor
den Kopf für alle, die in Algerien die
Pressefreiheit verteidigen“. Die Empörung über
Tamalts Tod könnte der zivilgesellschaftlichen
Opposition jedoch eventuell neue Spielräume
verschaffen.
Editorischer Hinweis
Den
Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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