Algerien: Tod in der Zelle
Ein Journalist verstarb nach mehrmonatigem Hungerstreik in der Haftanstalt

von Bernard Schmid

01/2017

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Eine größere Menschenmenge versammelte sich am Montag, den 12. Dezember 16 auf dem Friedhof von Bachdjarah, einem Stadtteil an der östlichen Peripherie von Algier. Mehrere hundert, vielleicht Tausende von Menschen kamen zusammen, um den im Alter von 42 verstorbenen Journalisten und Blogger Mohamed Tamalt zu Grabe zu tragen. Er war am Sonntag zuvor, dem 11. Dezember 2016 in einer Zelle verstorben, nachdem er drei Monate im Koma gelegen hatte. Als offizielle Todesursache wurde eine Lungenentzündung, welche die Ärzte „vor zehn Tagen entdeckt“ hätten, angegeben. Sein Anwalt Amine Sidhoum gibt jedoch an, ihm und den Angehörigen Tamalts werde der Zugang zur Krankenakte des Toten und zu medizinischen Unterlagen verweigert.

Tamalt, der seit 2002 längere Zeit im Vereinigten Königreich lebte und neben der algerischen auch die britische Staatsangehörigkeit erworben hatte, unterhielt einen vielgelesenen Blog. Die Veröffentlichungen auf seiner Facebook-Seite wurden von rund zehntausend Menschen regelmäßig verfolgt. In seinen Beiträgen griff er oft die Machthaber in seinem Land und ihre notorische Korruption an.

Algerien wurde und wird seit der Unabhängigkeit von Frankreich, die nach einem achtjährigen blutigen Entkolonisierungskrieg im Juli 1962 errungen wurde, mit kurzen Unterbrechungen durch die frühere Staats- und Einheitspartei (zwischen 1962 und 1989) FLN, „Nationale Befreiungsfront“, regiert. Der reale harte Kern der Machthaber setzt sich zum Teil aus Militärs zusammen. Hinzu kommen hohe Staats- und Parteibürokraten sowie Vertreter einer Bourgeoisie, die jedoch weitaus eher von Importmonopolen als von materieller Produktion lebt. Die Staatseinnahmen hängen zu rund 97 Prozent vom Export von Rohöl und Erdgas ab. Versuche während der staatssozialistischen Ära in den 1970er Jahre, Importe zunehmend durch eine eigene Industrieproduktion zu ersetzen, scheiterten, und Algerien wurde ab dem folgenden Jahrzehnt als abhängiger Rohstoffexporteur verstärkt in den kapitalistischen Weltmarkt eingegliedert. Nach einem Bürgerkrieg mit bewaffneten Islamisten zwischen 1992/93 und 1999 konnte die Staatsmacht sich konsolidieren. Derzeit herrscht eine bleierne Atmosphäre des fin de règne, also einer nicht enden wollenden Regentschaft. Staatspräsident 'Abdel'aziz Boutefliqa (n. korrekter Transkription aus dem Arabischen, oder französiert: Abdelaziz Bouflika), seit April 1999 im Amt, ist seit mehreren Jahre schwer krank und konnte sich bereits bei seiner formaler Wiederwahl im April 2014 kaum noch regen. Als Kompromissfigur wird er jedoch offiziell im Präsidentenamt gehalten, um zu verhindern, dass verschiedene Fraktionen sich im Staatsapparat sich zu schnell offen bekämpfen. Dort sind aufgrund der sich mit sinkenden Ölpreisen verschärfenden Wirtschaftskrise Richtungskämpfe ausgebrochen.

Obwohl Abdelaziz Bouteflika nur noch eine Schachfigur darstellt – er selbst ist nahezu bewegungsunfähig -, wurde Tamalt vorgeworfen, ihn in Versform in einem von ihm publizierten Gedicht beleidigt zu haben. Am 27. Juni 16 wurde er deswegen festgenommen und am 04. Juli wegen „Präsidentenbeleidigung“ zu einer zweijährigen Haftstrafte sowie umgerechnt 1.700 Euro Geldstrafe, das stellt mehrere Monatslöhne dar, verurteilt. Am 11. Juli 16 wurde er im Gefängnis des Stadtteils El-Harrache inhaftiert. Bereits seit Ende Juni des Jahres befand er sich im Hungerstreik. Der Gesundheitszustand Tamalts, der an einer Diabeteserkrankung leidet, verschlechterte sich rapide und ging in ein Koma über.

Die Menschenrechtsorganisationen HRW (Human Rights Watch) und Amnesty international reagierten schon ab Sonntag, den 11.12.16 und forderten von den Behörden eine unabhängige Untersuchung. Die Vereinigung „Reporter ohne Grenzen“ (RSF) erklärte sich „schockiert“ und sprach von einem „Schlag vor den Kopf für alle, die in Algerien die Pressefreiheit verteidigen“. Die Empörung über Tamalts Tod könnte der zivilgesellschaftlichen Opposition jedoch eventuell neue Spielräume verschaffen.

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.