Mali: Druck von unten wegen Migrationsabkommen mit der EU

von Bernard Schmid

01/2017

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Hoch ging es während der Weihnachtstage in Räumlichkeiten im Pariser Vorort Bagnolet zu. Seit dem 23. Dezember 2016 (und noch bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels, Anfang Januar 17) besetzen dort Staatsangehörige des westafrikanischen Landes Mali ohne Unterbrechung die Räume ihres Generalkonsulats. Das von außen her eher unscheinbare Gebäude, das nur durch die grün-gelb-rote Staatsflagge als diplomatische Vertretung zu erkennen ist, war auch das ganze Weihnachtswochenende über – in Frankreich ist nur der 25. Dezember ein gesetzlicher Feiertag – mit Männern und einigen Frauen gefüllt. Die Erklärungen der Besetzer/innen verbreiteten sich in Windeseile über die Facebookseiten vieler ihrer in Frankreich lebenden, aber auch der im Herkunftsland befindlichen Landsleute. // Vgl. bspw. http://maliactu.net/ // Inzwischen hat auch der französische Rundfunksender RFI darüber berichtet; vgl. http://www.rfi.fr/

Gegenstand ihres Protests ist das Verhalten des malischen Staates gegenüber seinen im Ausland lebenden Bürgerinnen und Bürger, insbesondere seine mehr oder minder verschämt durchgeführte Mitwirkung bei der „Rückführung“ von Geflüchteten. Hinzu kommen Protestmotive wie die zu schleppende Ausstellung von Passdokumenten an Malier, die in Frankreich leben, dem ersten Auswanderungsland für Angehörige des Staates in der Sahelzone. Die malische Regierung soll die Proteste ihrer Landsleute in Frankreich „sehr genau verfolgt“ haben // vgl. http://news.abamako.com/v/56481.html  //, und entließ inzwischen ihrer bisherigen Konsul im Raum Paris.

Der Unmut wuchs, seitdem am 11. Dezember 16 durch europäische Medien offiziell vermeldet wurde // vgl. http://www.lefigaro.fr // , die malische Regierung habe ihre Unterschrift unter ein „Rücknahmeabkommen“ für Geflüchtete, deren Asylantrag in Europa abgelehnt wurde, gesetzt. // Vgl. auch http://maliactu.net/// Dies sorgte für eine gewisse Überraschung, da Mali sich jahrelang immer standhaft geweigert hatte, entsprechenden Wünschen europäischer Staaten und vor allem Frankreichs nachzugebe. 2008 und 2009 scheiterte die Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung mit Frankreich insgesamt fünf mal. Einer der Gründe darin lag, dass bei einem Besuch des damaligen Staatspräsidenten Amadou Touré Toumani („ATT“) in Montreuil bei Paris, wo besonders viele seiner Landsleute leben, der Druck auf ihn so hoch war, dass ATT ein feierliches Versprechen auf Nichtunterzeichnung abgeben musste. Ein weiteres Motiv bestand darin, dass die Überweisungen von Auslands-Maliern und ihren Familien, neben Gold und Baumwolleexporten, zu den wichtigsten Einnahmequellen des Landes zählen.

Auch dieses Mal schwoll der Unmut an. Malis „Minister für die Staatsangehörigen im Ausland“, Abdramane Sylla, wurde daraufhin nach Frankreich entsandt. Am Freitag Vormittag (23. Dezember 16) sollte er die Landsleute in Montreuil, am Abend jene in Paris treffen. Doch diese kamen ihm zuvor, mit dem Beginn der Konsulatsbesetzung in Bagnolet – das zwischen Montreuil und der Hauptstadt liegt – sowie einer Demonstration zahlreicher Malier, bei der Sylla und Außenminister Abdoulaye Diop zum Rücktritt aufgefordert wurden.

Die malische Regierung hat unterdessen die Existenz des Rücknahmeabkommens offziell dementiert // vgl. http://maliactu.net/ // , während die niederländische Regierung, die es im Namen der EU aushandelte, selbige bestätigt hat. Doch die Netzpublikation Maliactu publizierte am 15. Dezember 16 Dokumente, die die aktive Mitwirkung malischer Behörden bei Abschiebungen aus Deutschland belegen. // Vgl. http://maliactu.net/ // Dort hatten zuvor Beamte aus dem westafrikanischen Land, u.a. in Halle, bei der Identifizierung von Staatsangehörigen ohne Ausweispapiere mitgewirkt. Auch aus Malta wurden soeben neun Malier infolge einer entsprechenden Zusammenarbeit mit Beamten ihres Landes abgeschoben. // Vgl. http://maliactu.net/ // Auf seinem Heimflug aus Paris befand Minister Sylla sich zur selben Zeit wie ein gewaltsam abgeschobener Malier an Bord seines Flugzeugs, dessen Insassen gegen das Vorgehen der französischen Polizei protestierten. Sylla reagierte nicht. // Vgl. http://observers.france24.com und https://bamada.net/ oder http://niarela.net/ // In den Augen wachsender Teile der Bevölkerung diskreditiert ihre Regierung sich dadurch schwer. Vgl. auch u.a. http://afpafricaine.org/

Die letzten Nachrichten dazu: Auch in den USA haben sich malische Staatsangehörige dieser Protestbewegung angeschlossen // vgl. http://mali-web.org //. Am 28. Dezember 16 hat die malische Regierung zwei ihrer Staatsbürger, die aus Frankreich abgeschoben wurden, postwendend dorthin zurückgeschickt und in einem Kommuniqué vom folgenden Tag das Vorgehen französischer Behörden als unakzeptabel bezeichnet. // Vgl. http://mali-web.org/ oder http://maliactu.net/ sowie https://malijet.co/ und http://www.jeuneafrique.com/ // Alles in allem scheint Malis Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keita („IBK“) tatsächlich ein Stück weit hinters Licht geführt worden zu sein, insofern, als er über die Tragweite der im Namen Malis abgegeben Verpflichtungen getäuscht wurde. Demnach glaubte er, lediglich ein Kommuniqué mit mehr oder minder folgenlosen Absichtserklärungen zu unterschreiben, ging jedoch – trotz der vage gehaltenen Form – eine völkerrechtliche Verpflichtung ein. // Vgl. http://news.abamako.com/h/149005.html //

A propos Mali: Zu dem westafrikanischen Land dokumentieren wir unten (in den folgenden Absätzen) noch ein leicht überarbeitetes Artikelmanuskript des Verf., das am 08. Dezember 16 unter dem Titel „Putin soll helfen“ in der Berliner Wochenzeitung Jungle World in gekürzter Form veröffentlicht wurde.

Putin soll helfen
Mali: Jihadistische Gruppen sind wieder in der Offensive

Stell Dir vor, es sind Wahlen, und kaum einer geht hin… Dieses Szenario ist zwar aus manchen Ländern dieser Welt bekannt, doch bei den jüngsten Kommunalwahlen im westafrikanischen Mali wurden diesbezüglich Rekorde überschritten. In der Hauptstadt Bamako erreichte die Beteiligung am 20. November 16 nur mühsam die von den Behörden angegebenen 25 Prozent, andere Quellen sprechen eher von zwanzig Prozent.

Auch in vielen anderen Landesteilen war das herausragendste Merkmal dieser Rathauswahlen das verbreitete Desinteresse in breiten Bevölkerungskreisen. Die Regierungsparteien, ihre stärkste ist die „Sammlung des malischen Volkes“ (le RPM), und Oppositionsparteien – die ihrerseits oft Teile der herrschenden Oligarchie vertreten – waren örtlich teilweise Listenverbindungen eingegangen. In Bezug auf die Hauptstadt Bamako, wo der RPM laut den offiziellen Ergebnissen die Nase vorn hatte, erhebt die stärkste Oppositionspartei, die URD unter dem Ex-Präsidentschaftskandidaten und Bänkers Soumalïa Cissé, nun Betrugsvorwürfe gegen die Regierungspartei. Andernorts konnte die URD jedoch dem Regierungslager Rathäuser abnehmen wie in Koulikoro.

Auf andere Weise in den Wahlprozess eingemischt hatten sich die bewaffneten Jihadisten, die nach wie vor in weiten Zeilen Nordmalis, aber auch im Zentrum des Landes aktiv sind. In Douentza griffen mutmaßliche Jihadisten einen Armeekonvoi an, welcher Stimmzettel transportierte, und töteten dabei fünf Soldaten. Es gelang ihnen jedoch nicht, den Inhalt der Wahlurnen zu erbeuten, was offensichtlich ihr Ziel war, um den amtlichen Vorgang zu stören. In der Nacht vom Wahlsonntag zum darauffolgenden Montag kontrollierten Jihadisten zudem kurzzeitig die Kommune Dilli, rund 370 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Bamako, und töteten einen Zivilisten. Sie zogen sich im Anschluss über die nahe mauretanische Grenze zurück.

Infolge der französischen Intervention von 2013 im Norden Malis, den eine – instabile und alsbald zerfallende – Allianz aus Touareg-Separatisten und Jihadisten im April 2012 vorübergehend vom Rest des Landes abgespaltet hatten, gingen die jihadistischen Aktivitäten zunächst zurück. Neben der Tötung von Jihadisten, in geschätzten sechshundert Fällen, trugen dazu auch ihre Flucht über die Grenze und ihr vorübergehender Rückzug in den Süden Libyens bei. Aber längst haben sie sich auch in der Nordhälfte Malis zurückgemeldet, wo heute eher die Franzosen als Besatzungsmacht wahrgenommen werden.

Am 30. November 16 griffen sie den Flughafen der Regionalhauptstadt Gao an. Dabei wurde zwar niemand getötet, doch der Flughafen wurde für mehrere Tage unbrauchbar. Am 12. November war südlich der Stadt ein Armeeposten von Angreifern auf einem Motorrad attackiert worden. Sechs Tage zuvor hatten mutmaßliche Jihadisten in Douentza, im geographischen Zentrum des Landes, einen togolesischen UN-Soldaten und zwei Zivilisten getötet.

Die weitgehende Ineffizienz der Behörden hat auch mit der verbreiteten Korruption in den Reihen der Sicherheitskräfte zu tun. Diese machen sich auch im Süden des Landes bewaffnet agierende Kräfte zu Nutzen, deren Hintergrund ungeklärt ist, oft jedoch rein krimineller Natur sein dürfte. Ende Oktober hatten Bewaffnete eine Mautstelle in nur 25 Kilometer Entfernung von der, selbst als relativ sicher geltenden, Hauptstadt Bamako angegriffen und dabei drei Zivilisten getötet. Diese Attacke sowie der Überfall auf den gut gesicherten Sitz der Ecobank im selben Monat – bei dem Komplizenschaften unter den eingesetzen Sicherheitskräften vermutet werden müssen – lösten in breiten Kreisen ein akutes „Unsicherheitsgefühl“ aus. Dies trägt zur Zerrüttung der Autorität der Staatsmacht unter Präsident Ibrahim Boubacar Keïta („IBK“), dessen nach seiner Wahl 2013 zunächst hohe Popularität längst erordiert ist, mit bei.

Frankreich, das als Verbündeter einer vor allem um Selbstversorgung einer schmalen Elite bekümmerten Regierung betrachtet wird, entrinnt dieser wachsenden Abneigung nicht. Zum Einen hinderte die französische Armee mehrfach malische Truppen daran, die im Nordosten des Staatsgebiets liegende Bezirkshauptstadt Kidal einzunehmen. Dort haben Tuareg-Sezessionisten, die in jüngerer Vergangenheit mal mit Jihadisten und mal mit den französischen Truppen wechselnde Bündnisse eingingen, nach wie vor das Sagen. Frankreich wird ein Doppelspiel zwischen ihnen und der Zentralregierung in Bamako vorgeworfen. Dass nun umgekehrt in jüngster Zeit die französische Regierung gegenüber Letzterer einen schärferen Tonfall einschlägt, bessert die Beziehungen kaum auf. Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian sprach am 06. November 16 indirekt von einem Scheitern der Intervention und der militärischen Anstrengungen in Mali, schob den einheimischen Behörden dafür die Schuld zu und forderte von diesen „Initiativen für die bessere Integration der Völker in Nordmali in die staatliche Gemeinschaft“. Nachdem erst im Frühjahr 2016 ein Autonomiegesetz in Kraft trat, das zwei neue Regionen im Norden schafft und mit einer weitgehenden Dezentralisierung einhergeht – de facto im finanziellen Interesse neuer örtlicher Eliten -, kehrte er dabei unter den Tisch.

Der wachsende Unmut gegenüber den Regierenden und Frankreich kommt in Teilen der öffentlichen Meinung nun einem Akteur zugute, den man eher nicht im innenpolitischen Spiel in Mali erwartet hätte, auch wenn das Land vor dem Untergang der UdSSR 1991 lange Zeit gute Verbindungen auch zur Sowjetunion hielt.

Die Vorstellung, ein russisches Eingreifen könne Abhilfe verschaffen und den jihadistischen Umtrieben ein vermeintlich schnelles Ende bereiten, sorgt nun in zahlreichen Familien und Freundeskreisen für angeregte Diskussionen. Im Januar lancierte eine nicht näher identifizierte « Gruppe von Patrioten aus Mali » über die neuen sozialen Medien eine Petition, in welcher Russland zum Eingreifen aufgefordert wird. Angeblich haben die Urheber der Petition es sich zum Ziel gesetzt, « acht Millionen  Unterschriften » zu erhalten – ein ambitioniertes Ziel, das Land hat vom Baby bis zur Greisin insgesamt sechzehn Millionen Einwohner/innen -, und Anfang November 2016 wurde behauptet, es seien 2,4 Millionen Unterschriften beisammen.

Am 12. Oktober 16 hatte der russische Vize-Außenminister Mikhail Bognadow bei einem Aufenthalt in Bamako immerhin die Bereitschaft Russlands erklärt, « Mali Waffen für den Kampf gegen den Terrorismus zu liefern ».

Die EU interessiert sich derweile vor allem für eine Beteiligung Malis an der Migrationskontrolle, im Rahmen des im November 2015 in der maltesischen Hauptstadt lancierten « Valletta-Prozesses » zwischen der EU und afrikanischen Ländern. Der für Migrationsfragen zuständige EU-Kommissar Dimitirs Avrampoulos und Italiens Außenminister Paolo Gentiloni wurden am 10. November 16 bei Präsident Keita empfangen. Dabei wurde über gemeinsame Projekte der Migrationskontrolle und die Rückübernahme in Europa unerwünschter Zuwanderer diskutiert. Zuvor wurden seit Ende August 2016 mindestens in zwei Fällen malische Migranten aus Frankreich und Schweden abgeschoben, und zwar – mangels Ausweispapieren - mit „Passierscheinen“, die nicht wie sonst üblich durch die malischen Konsulate ausgestellt waren. Sondern durch die französischen bzw. schwedischen Behörden selbst, versehen mit dem nationalen und dem EU-Emblem. Mali hätte unter diesen Umstande ihre Aufnahme verweigern können, akzeptierte sie jedoch. (Vgl. dazu auch oben stehenden Artikel)

Editorischer Hinweis

Den Artikel erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.