Bitcoin – die Tulpenzwiebel des 21. Jahrhunderts

von Franz Garnreiter

01/2018

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Ein totaler Spekulationshype überrollt uns seit einigen Wochen und Monaten: der Bitcoin. Fast täglich tönen die Fanfarenmeldungen über neue Höchstkurse, exorbitante Kurssteigerungen, aber auch phänomenale Kursrückschläge, die allerdings bestimmt bald wieder durch Kurssprünge nach oben überholt werden. Worum geht es da?

Zahlungsströme, Geldmengenschöpfung, Ressourcenverbrauch

Die private, nichtstaatliche, digitale Währung (oder: so genannte Währung) Bitcoin wurde 2009 erfunden, d.h. Konzept, Software, Verfahrensweise, Sicherungsmethoden usw. wurden entworfen und im Internet aufgebaut. Es handelt sich dabei um ein rein digitales Geld, das von einem Computerprogramm geschaffen wird und in ihm gespeichert ist. Das Bitcoin-Netzwerk beruht auf einer von den aktiven Teilnehmern mit Hilfe einer speziellen Bitcoin-Software gemeinsam verwalteten und fortgeschriebenen Datenbank, der Blockchain (siehe unten). In ihr sind alle bisherigen Bitcoin-Transaktionen verzeichnet. Bitcoin-Konteninhaber brauchen eine spezielle Zugangssoftware, einen privaten, individuellen Schlüsselcode zur Anmeldung einer Art Konto (wallet = Geldbörse sagen die Bitcoinianer) und einen Identifizierungscode (analog der IBAN-Kontonummer) für die Netzaktivitäten (Bitcoin-Käufe, Zahlungsanweisungen). Online-Dienste im Bitcoin-Netzwerk, die diese Dienstleistungen ausführen, welche bei herkömmlichem Geld von den Banken übernommen werden, laden die Blockchain-Datenbank herunter und arbeiten an ihr.

Für das Bitcoin-Geld sind zwei Grundsätze wichtig:

  1. Die Geldmenge soll begrenzt sein und nicht einfach vermehrbar. Von Anfang an wurde eine Maximalmenge von 21 Millionen Bitcoins festgelegt, heute sind etwa 15 Millionen geschaffen und im Umlauf, also etwa drei Viertel der Maximalmenge. Um diese Maximalmenge nicht zu überschreiten, soll es immer schwieriger werden, neue Bitcoins zu schöpfen (anders als beim staatlichen und privaten Bankenapparat, der Geld fast beliebig schöpfen kann und daher im Verdacht steht, wertloses Geld zu schaffen).
  2. Es gibt für Bitcoins, als privat emittiertes Geld, keine Zentralbank, also keine zentrale Geldmengenregelung und -überwachung. Das soll dezentral vom Markt geregelt und gesteuert werden. Die Zentralbank wird in gewisser Weise durch das zugrundeliegende, steuernde Computerprogramm (den Blockchain) dargestellt.

Im Zentrum des Digitalgeldes steht die Blockchaintechnik. Der Begriff Blockchain bedeutet eine Kette (chain) von hintereinander geschalteten Blöcken, und zwar von Berechnungs- oder Programmblöcken. Ein Bitcoin-Nutzer gibt eine Zahlungsanweisung nicht an eine Bank, sondern er stellt sie ins Netz. Dort sind dezentral und unabgesprochen Online-Dienste aktiv (sozusagen Bitcoin-Arbeiter), die diese Buchung aufgreifen und gegen ein Entgelt bearbeiten. In einem Berechnungsblock legen sie diesen Buchungsvorgang (mit identifizierbarer Sender- und Empfängerinformation) nieder, wobei dieser neu entstehende Block viele Buchungsvorgänge und auch eine Geldschöpfungstätigkeit (siehe unten) umfasst. Der neue Block ist dann erfolgreich fertiggestellt, wenn er passgenau (das erfordert einen hohen Berechnungsaufwand) an die bestehende Kette von Buchungsblöcken (die Blockchain) angefügt werden kann. Er verlängert diese Blockchain. Etwa alle 10 Minuten entsteht ein neuer Block. Da jeder Aktive sich an der längsten Kette orientiert und eventuelle Seitenzweige ignoriert, ist die Blockchain eindeutig identifizierbar. Dieser aufwendige Mechanismus hat den Vorteil, dass für jeden Bitcoin und für jedes Bitcoin-Stückchen eindeutig zurück verfolgbar ist, welchen Weg es genommen hat von welchem Besitzer zu welchem anderen, zurück bis zur Schöpfung dieses Bitcoins. Die Bitcoinmenge ist also festgeschrieben und kann durch Zahlungsvorgänge nicht verändert werden. Diese Unveränderlichkeit ist Absicht, um Inflation durch eine Geldmengenschwemme zu vermeiden. Vergisst oder verliert ein Bitcoin-Besitzer seinen individuellen Zugangscode zu seinen computergespeicherten Bitcoins, dann ist diese Bitcoinmenge unwiederbringlich weg (vergleichbar beim herkömmlichen Geld, wenn jemand seine Geldscheine verliert).

Als Mindestwert für das Buchungsentgelt ist ein Tausendstel von einem Bitcoin-Cent festgelegt. Beim aktuellen Bitcoin-Kurswert von rund 15.000 Euro entspricht das 0,15 Euro. Die Höhe des Buchungsentgelts kann der Zahlende frei wählen – auch hier soll der freie Markt wirken. Um seine Buchung attraktiv zu machen (bzw. zu vermeiden, dass sie wegen eines sehr geringen Entgelts nicht abgefertigt wird), wird ihm zu einem höheren Entgelt geraten, etwa 50 Tausendstel Bitcoin-Cent, entsprechend etwa 7 Euro. Damit wird sofort klar, dass Bitcoins heute vollständig ungeeignet sind für alltägliche Zahlungsvorgänge – sie sind ein Zigfaches teurer als Banküberweisungen. Zahlungsvorgänge waren bis vor einigen Jahren, als ein Bitcoin nur ein Hundertstel des heutigen Kurswertes kostete, durchaus üblich und zunehmend verbreitet.

"Wer in den letzten Wochen versucht hat, etwas unter 100 Euro mit Bitcoin zu bezahlen, dürfte in die Röhre geschaut haben. Die Gebühren sind exorbitant hoch, die Dauer der Bestätigung endlos lang. Am Ende wusste man nicht, ob man bezahlt hat oder nicht. Ein Ausweg ist nicht wirklich in Sicht." Bitcoinblog.de, 18. 12. 2017

Bis das Maximum von 21 Millionen Bitcoins erreicht ist, können neue Bitcoins geschöpft werden. Dieser Vorgang wird als Bitcoin Mining = Bitcoins schürfen bezeichnet. Bitcoins schürfen ist dezentral möglich, jeder Aktive darf das. Um das Maximum nicht zu überschreiten, aber Geldschöpfen noch lange möglich zu machen, wird das Schürfen zunehmend aufwendiger, je näher man an das Maximum herankommt. Erst in den 2030er Jahren wird die Bitcoinsumme in die Nähe der 21 Millionen kommen. Um ein Bitcoin zu schürfen und in einen neuen Block zu integrieren, müssen immer komplexere, immer aufwendigere Berechnungen bewerkstelligt werden. Wer diese Rechnungen löst – d.h. in einem Block ein passendes Tool einfügen kann, das den passenden Anschluss an die bestehende Blockchain herstellen kann – der erhält als Entlohnung neue Bitcoins auf sein Guthaben gutgeschrieben. Die Schürftätigkeit erfolgt parallel zur Buchungstätigkeit von Zahlungsvorgängen. Die erforderlichen Berechnungen sind mit einem normalen Computer längst nicht mehr durchführbar. Hierzu werden mittlerweile extrem schnelle Spezialanlagen eingesetzt. Bereits das Herunterladen des Blockchains und seine permanent notwendige Aktualisierung ist für einen normalen Computer bei weitem zu aufwendig.

Der irre Aufwand an Rechenleistung für das Bitcoin Mining, aber auch schon für einfache Zahlungsbuchungen, führt zu unverhältnismäßig hohen Ressourcenverbräuchen und Umweltauswirkungen. Der Stromverbrauch für das weltweite Bitcoin-Netzwerk beläuft sich derzeit auf 30 Milliarden kWh im Jahr: das entspricht dem Stromverbrauch von ganz Dänemark. Etwa 3 bis 4 AKWs sind (rein rechnerisch) ununterbrochen tätig, um den Strombedarf zu sichern (derzeit 3.500 MW Leistung). Vor sechs Jahren reichte noch ein Dreißigstel dieser Kraftwerksleistung und noch letztes Jahr lag der Bedarf bei weniger als einem Fünftel des heutigen. Würde der Stromverbrauch in der bisherigen Dynamik weiter steigen (verursacht durch den exponentiell steigenden Rechenbedarf beim Bitcoin Mining), dann würde in wenigen Jahren ein Strombedarf in Höhe des US-Stromverbrauchs anfallen. Dieses System fährt offensichtlich gegen die Wand.
Weil der Strombedarf so ungeheuer steigt, sitzen die Aktiven mittlerweile vor allem in China (billiger Kohlestrom, viele Computerfreaks, niedrige Gehälter). Das bedeutet: Der Kohlendioxidausstoß durch den Strombedarf für ein einziges in China geschürftes Bitcoin dürfte aktuell bei 10 bis 20 Tonnen liegen. Ein einziger Zahlungsvorgang benötigt 300 kWh Strom, bei Kohlestrom bedeutet das um die 250 kg Kohlendioxid. Vergleicht man die Bitcoin-Transaktionen mit denen eines Kreditkartenbetreibers, dann ergibt sich, dass eine Bitcoin-Buchung rund 30.000-mal so viel Strom benötigt wie eine Kreditkartenbuchung. Diese Schere macht rasend schnell noch weiter auf.

Einen vernünftigen Umgang mit endlichen Ressourcen betreibt das Bitcoin-Netzwerk definitiv nicht.

Die Konsequenz: Spekulation auf neuem, höchstem Niveau

Wie kann ein Bitcoin einen „Wert“ von aktuell rund 15.000 Euro haben? Der Bitcoin ist mittlerweile extrem klimaschädlich, sollte also einen stark negativen Wert haben – ok, das ist in einer Marktwirtschaft unwichtig, das interessiert niemanden (außer natürlich die Ertrinkenden und die Verdurstenden). Aber die Bitcoins haben auch null Nutzen. Zahlungsvorgänge, also das, wofür man Geld üblicherweise benutzt, sind mittlerweile absolut prohibitiv teuer. Niemand zahlt für eine Überweisung an die 10 Euro, außer er ist Geldwäscher, Drogenhändler oder sonst auf krummen Touren unterwegs, oder allenfalls dann, wenn es sich um exotische Zahlungen in Ländern ohne geregelten Geldverkehr handelt. Und auch als Wertausdruck sind Bitcoins völlig unbrauchbar. Alltagswaren, ausgedrückt in Bitcoins, schwanken derart in ihren Bitcoin-Preisen, dass sich rechnerisch horrende Inflations- und Deflationswerte in wilder Abwechslung ergeben.

Das einzige, was bislang funktioniert, und zwar absolut prächtig funktioniert, ist die Möglichkeit zur Schatzbildung. Bislang zuverlässig und noch dazu ungeheuer rasant steigende Bitcoin-Preise haben buchhalterisch riesige Vermögenswerte völlig aus dem Nichts entstehen lassen. Die heutige Bitcoinmenge beläuft sich auf einen „Wert“ von mehr als 300 Mrd. Dollar. Das ist in etwa halb so viel wie das gesamte in der Rohstoffspekulation angelegte Geld. Dabei ist die Verteilung höchst einseitig. Weniger als 1000 Menschen dürften die Hälfte aller Bitcoins besitzen.

Die reale absolute Nutzlosigkeit der Bitcoins gerade in den elementaren Geldfunktionen legt nahe, dass es sich hier nicht um so etwas wie Geld handelt, sondern eher um ein goldähnliches Konstrukt. Gold fungiert nicht als Geld: es könnte, aber höchst selten wird es tatsächlich als Zahlungsmittel benutzt. Richtiges Gold gilt als Wertaufbewahrungsmittel par excellence, dies sowohl für Staaten wie auch für Private. Begründet ist diese Funktion in dem festen Vertrauen darauf, dass jedermann Gold zu jeder Zeit wertvoll und begehrenswert findet. Bei den Bitcoins fällt der schöne Schmucknutzen des Goldes weg. Es bleibt nichts Wertbegründendes als der reine Glaube daran, dass die anderen, d.h. der Markt, Bitcoins jederzeit mit Handkuss abnehmen. Das ist der Kern der (noch) funktionierenden Spekulationseuphorie. Das macht dieses Objekt Bitcoin begehrenswert. Wenn dann noch bei dieser Digitalwiederkehr des klassischen Goldes hinzukommt, dass dieses Objekt (wie Gold) nur mit sehr hohem Aufwand vermehrbar ist, dass es also höchst knappgehalten wird, dann wird sein Besitz umso attraktiver und es gebiert die tollsten Spekulationserwartungen.

„Wenn man die Vorstellungskraft [!] besitzt und daran glaubt [!], dass Bitcoins in einer immer vernetzteren und digitalisierten Welt eine Daseinsberechtigung haben, dann ist es aus meiner Sicht nicht unrealistisch, dass sie genauso viel wert sein können wie physisches Gold weltweit. Wenn diese Parität eintritt, müsste ein Bitcoin im Jahr 2030 einen Wert von etwa 500.000 US-Dollar haben.“
Oliver Flaskämper, Bitcoin-Börse-Gründer, Zeit-online, 08.12.2017 – der Artikel bietet schönes Anschauungsmaterial für die Spekulations-Mentalität.

Was aber, wenn dieses Kartenhaus brüchig wird? Im oft zitierten klassischen Spekulationsfall der holländischen Tulpenzwiebeln im 17. Jahrhundert wurde eine einzelne Zwiebel auf dem Spekulationshöhepunkt zum Gegenwert eines Hauses gehandelt, bevor alles zusammen brach und in ein totales Desaster mündete. Wir können es heute nicht fassen, wie man damals dermaßen verrückt gewesen sein konnte. Dabei konnte aus der Zwiebel, wenn man sie sorgfältig behandelte, eine schöne Blume entstehen. Aus diesem Bitcoin-Netzwerk aber entsteht an Wertvollem: nichts.

Informationen aus:

Quelle:
http://www.kommunisten.de/
(Zweitveröffentlichung von
https://www.isw-muenchen.de)