Stadtumbau & Stadtteilkämpfe
Bündnisse gegen den digitalen Raubtier-Kapitalismus
Das Fazit der RLS-Broschüre "Die smarte Stadt neu denken"

von Francesca Bria & Evgeny Morozov

01/2018

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onlinezeitung

Was wir für einen wirksamen Kampf gegen die Smart-City-Agenda in ih­rer pseudodemokratischen und neoliberalen Prägung unbedingt brauchen, sind progressive Bünd­nisse zwischen Städten, sozialen Bewegungen und politischen Orga­nisationen. Darüber hinaus bedarf es eines wohlüberlegten langfristi­gen und praxisorientierten Ansat­zes in der Technologiepolitik, der mit umfangreichen öffentlichen In­vestitionen den Ausbau der für die Zukunft benötigten datengestütz­ten Infrastrukturen und innovative Wohlfahrtsprogramme mit einer klaren Gemeinwohlorientierung ver­bindet.

In den meisten Regierungen und öf­fentlichen Verwaltungen ist die Ein­sicht noch nicht richtig angekom­men, dass heutzutage die Frage des Zugangs zu und des Umgangs mit Daten im Zentrum gesellschaft­licher Machtverhältnisse liegt, al­so über die Verteilung von Einfluss und Macht mitbestimmt. Wie in den vorangegangenen Ausführungen deutlich geworden sein sollte, kann ein robustes Datenregime Städten zur Kontrolle über entscheidende Ur­bane Infrastrukturen verhelfen und sie in den Stand versetzen, auf der Grundlage von ausreichenden Infor­mationen der lokalen Bevölkerung wirksame und hochwertige öffentli­che Dienste anzubieten.

In letzter Zeit hat eine öffentliche De­batte begonnen, die wahrschein­lich an Bedeutung gewinnen wird. Darin werden digitale Plattformen als Meta-Utilities verstanden, inso­fern als in physikalische urbane In­frastrukturen integrierte Daten und Informationsschichten alle anderen vertikalen Dienste wie öffentlicher Nahverkehr, Energieversorgung, Bautätigkeiten, Gesundheitsversor­gung, Bildung etc. durchdringen. Dies verändert rapide die Rahmen­bedingungen dafür, wie öffentliche Dienste und Infrastrukturen finan­ziert, verwaltet und erbracht werden, und beeinträchtigt die Tragfähigkeit des ihnen zugrunde liegenden öko­nomischen Modells dramatisch. Da­ten, Identitäten und Reputation sind wichtige Infrastrukturen der Plattformökonomie, die von uns Bür­gerinnen zurückerobert werden müssen.

Die Silicon-Valley-Konzerne verfol­gen ein Geschäftsmodell, das Daten in eine neue Art von Vermögenswer­ten verwandelt hat - in eine Ware, die jederzeit verkauft und mit derauf Finanzmärkten gehandelt werden kann. Wir beobachten gerade die Herausbildung eines neuen Eigen­tumsregimes, das die allgegenwärti­ge und schier grenzenlose Vermark­tung von Daten absichern soll. Nur eine Handvoll von in den USA an­gesiedelten Unternehmen (Google, Apple, Facebook und Amazon, ab­gekürzt GAFA) verfügt über die Ka­pazitäten, riesige Massen von Da­ten zu erfassen, auszuwerten und zu interpretieren. Sie können das nur, weil sie in der Lage sind, hoch­komplexe Programme maschinel­len Lernens zu entwickeln sowie Vorhersagemodelle, mit denen auf Grundlage künstlicher Intelligenz personalisierte Dienstleistungen an­geboten werden und Mehrwertpro­duktion stattfindet. Dieses Modell gesellschaftlicher Verkehrsformen wurde zutreffend als «Überwa­chungskapitalismus» bezeichnet.

Vor diesem Hintergrund ist es zen­tral, dass Stadtverwaltungen das Ei­gentum an ihren eigenen und den im Urbanen Umfeld von den Be­wohnerinnen generierten Daten nicht leichtfertig abtreten, sondern diese Daten behalten und selbst nutzen. Sie sollten darüber hinaus die maßgeblichen Infrastrukturen (Soft- und Hardware, Datenzentren etc.) kontrollieren und sich mit an­deren zusammenschließen, um im Bereich künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen nicht völlig von großen Technologiekonzernen abhängig zu sein. Solche Schrit­te würden die Kommunen und ihre Bevölkerung dem Ziel der Techno­logie-Souveränität beträchtlich nä­herbringen. Die derzeit stattfinden­de digitale Transformation wird über die Zukunft unserer Wirtschaft und darüber bestimmen, wie städtische Dienstleistungen demnächst aus­sehen werden. Fahrerlose Autos und Busse werden derzeit bereits erprobt genauso wie maschinel­les Lernen und automatisierte Pfle­ge im Gesundheitssektor, während On-demand-Plattformen im Touris­musbereich und smarte Energie­netze schon zu unserem Alltag ge­hören.

Die Herausforderung besteht da­rin, vom Überwachungskapitalis-mus wegzukommen und Schritt für Schritt ein System aufzubauen, mit dem Daten vergesellschaftet wer­den können und das es erlaubt, neue Formen des Genossenschaftswe­sens und andere kollektive Ansätze auszuprobieren sowie demokrati­sche und gesellschaftliche Innova­tionen voranzutreiben, die wir brau­chen werden, um tragfähige und zukunftsträchtige Sozial- und Wirt­schaftsmodelle für unsere Städte und Kommunen zu entwickeln. Zu Beginn dieses Umwälzungspro-zesses können kleinere Pilotprojek­te und Experimente auf der lokalen Ebene, etwa in einzelnen Stadtvier­teln, stehen. Danach käme es darauf an, erfolgreiche Ansätze und Projek­te, die tatsächlich von spürbarem Wert für die Bewohnerinnen sind, auf ganze Städte und Regionen zu übertragen und andere, die diese Anforderung nicht erfüllen, einzu­stellen. Dienste die auf Daten-Com-mons beruhen, Initiativen für ein garantiertes Grundeinkommen, komplementäre Währungssysteme und dezentrale Energie- und Ver­sorg ungsstruktijren in öffentlicher Hand liefern eine ungefähre Vorstel­lung davon, in welche Richtung es gehen könnte.

Kommunale Regierungen können diesen Kampf jedoch nicht allein gewinnen. Es braucht solidarische Bündnisse und Netzwerke zwi­schen Städten, Bewegungen, Ge­werkschaften sowie progressiven politischen Parteien und Regierun­gen auf allen möglichen Ebenen. Nur so ist zu gewährleisten, dass die von Plattformen, Apparaten, Senso­ren und Software produzierten Da­ten nicht sämtlich in den Datensilos der Großunternehmen landen und unter Verschluss gehalten werden, sondern für öffentliche und gesell­schaftlich wichtige Zwecke genutzt werden können. Stadtverwaltungen sollten zum Beispiel über das Know-;iow und die Ressourcen verfügen, um selbst dezentralisierte Daten­infrastrukturen zu betreiben, mit Systemen, für die Datenschutzvor­kehrungen und die Akzeptanz der Datensouveränität der Nutzerinnen selbstverständlich sind. In einem weiteren Schritt sollten kommu­nale Stellen lokale Firmen, Genos­senschaften, zivilgesellschaftliche Organisationen und Technologieex­pertinnen mit ins Boot holen, um zusammen zusätzliche zukunftswei­sende Dienste zu entwickeln und anzubieten - orientiert an gemein­nützigen und solidarischen Prinzi­pien sowie an bestimmten ökologi­schen und sozialen Standards wie Geschlechtergerechtigkeit und Ar­beitnehmerrechten.

Das gegenwärtig gültige Paradigma der Gier und Rücksichtslosigkeit ist nicht die einzige mögliche Option für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaften. Wir wollten mit der vorliegenden Veröffentlichung auf­zeigen, dass etliche Städte bereits äußerst klug und gleichzeitig prag­matisch vorgehen, um mit gezielten Interventionen die technologiege­triebene Umbruchsituation für eine Verbesserung der Gesellschaft und der gegenwärtigen Wohlfahrtssys­teme zu nutzen. Oder in anderen Worten: um das Gemeinwohl zu stärken. Alternative öffentliche und gemeinnützige Formen des Eigen­tums und der Kontrolle über daten­intensive algorithmische Plattfor­men und Dienste sind ein wichtiger Schritt hin zu einer demokratische­ren und kooperativeren Wirtschafts­weise, die mit neuen Bürger- und Arbeitnehmerrechten einhergehen und die Logik des kurzfristigen Un­ternehmerdenkens, der Spekulation und des Profitmachens überwinden wird.

Editorische Hinweise

Die smarte Stadt neu denken, herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung -  Berlin November 2017 - aus dem Englischen übersetzt von Britta Grell.

Francesca Bria ist Chief Technology and Digital Innovation Officer in der Stadtregierung von Barcelona. Zuvor war sie Koordinatorin des Projekts D-Cent zu direkter Demokratie und sozialen digitalen Währungen; sie war Beraterin der Europäischen Kommission zur Zukunft des Internets und zu Smart-City-Politiken. Sie ist seit vielen Jahren in sozialen Bewegungen aktiv und publiziert in unterschiedlichen Medien.

Evgeny Morozov beschäftigt sich mit der Frage, wie große Technologiefirmen Gesellschaft und Demokratie umbauen. Er schreibt für diverse Zeitungen, u.a. The New York Times, The Economist, The Guardian und die Frankfurter Allgemeine Zeitung, und ist Autor mehrerer Bücher.

Die Broschüre kann als PDF-Datei hier runtergeladen werden:
https://www.rosalux.de