In
ungewohnter Umgebung präsentierten sich prominente
rechtsextreme Kader in der Woche vor Weihnachten
2017 der französischen Öffentlichkeit. Am Rande des
weitläufigen Geländes der marché aux puces,
des weltberühmten Pariser Flohmarkts, welcher in
Wirklichkeit auf dem Territorium der nördlich an
Paris angrenzenden Vorstadt Saint-Ouen liegt, trat
Florian Philippot vor der versammelten Presse auf.
Genau dort wird künftig das Hauptquartier seiner
frisch gegründeten Partei Les Patriotes
liegen, welche im kommenden Februar ihren ersten
Kongress abhalten wird.
Saint-Ouen, das zu den ärmeren Kommunen des Landes
mit relativ hohem Einwanderungsanteil zählt, bildet
nicht nur eine ungewöhnliche Umgebung dafür. Auch
der übrige Kontext darf als pittoresk gelten.
Eingerichtet wurde die neue Parteizentrale in einer
vormaligen Privatwohnung, welche einer der
schillerndsten Gestalten des Pariser
Kommunalgeschehens gehört, nämlich Marcel Campion.
Letzterer wird mitunter als „König der
forains“ bezeichnet; unter diese
Bezeichnung fallen Jahrmarkt- und
Schaubudenbesitzer, Schausteller,
Karussellbetreiber und ähnliche Gewerbetreibende.
Die Gruppe um Marcel Campion, die überwiegend aus
französischen Sinti besteht, hat seit einigen
Monaten verstärkten Ärger mit der Pariser
Stadtverwaltung, die dem Mann die Genehmigung für
einen Rummelplatz und einen Weihnachtsmarkt im
Zentrum von Paris entzogen hat. Vorgeworfen werden
ihm unter anderem Steuerhinterziehung in nicht
geringfügigem Ausmaß, Verstöße gegen
Ausschreibungsrichtlinien und Handgreiflichkeiten
im Umgang mit der Polizei. Im Pariser Rathaus unter
Anne Hidalgo hat man spätestens seit Sommer 2017
gestrichen die Nase voll von ihm.
Prompt entdeckte Marcel Campion, den man als eine
Art freundlichen Mafiosi ohne Schusswaffen im
Hintergrund bezeichnen könnte, sich eine Ader als
vermeintlicher Sozialrevolutionär. Bei den ersten
Demonstrationen gegen die „Reform“ des
Arbeitsrechts unter Präsident Emmanuel Macron, im
September, liefen er und seine Leute unvermittelt
vorneweg und führten dabei Wagen mit
Zirkusaufbauten mit. Die Protestbewegung gegen die,
inzwischen durchgewunkene, arbeitgeberfreundliche
Arbeitsmarktreform scheiterte und verlief im Laufe
des Herbsts 2017 im Sande. Florian Philippot,
damals noch Vizevorsitzender des Front National
(FN), den er einige Tage später – am 21. September
17 – dann verließ, erblickte darin jedoch eine
wundervolle Gelegenheit zur Selbstinszenierung als
scheinbarer Sozialprotestler. Erstmals nahm der
rechtsextreme Politiker damals an einer
Gewerkschaftsdemonstration teil: Er fuhr auf dem
Wagen von Marcel Campion und seinen Leuten mit.
Am
Tag des Herbstanfangs 2017 trat Philippot aus
seiner bisherigen Partei aus, nachdem er in deren
Führungsinstanzen zunehmend an den Rand gedrängt
worden war. Der 36jährige war bis zum Ausgang der
für den Front National negativ verlaufenen
Präsidentschaftswahlen im April und Mai des
abgelaufenen Jahres faktisch eine Art Sonderberater
von Marine Le Pen gewesen. Er war maßgeblich
verantwortlich dafür, die damalige
politisch-ideologische Linie der rechtsextremen
Partei zu definieren. Dabei ist Philippot eher ein
nach rechts radikalisierter, ehemaliger
nationalistischer Sozialdemokraten, als dass er
originär faschistischen Traditionssträngen
entstammen würde – wie weite Teile des FN.
Im Zentrum standen
dabei soziale Demagogie – in Parolen klingt
Philippot oft vermeintlich antikapitalistisch,
obwohl sein Ansatz in Wahrheit auf einem
nationalstaatlichen Keynesianismus beruht, welcher
wirtschaftlichen Aufschwung durch Protektionismus
sowie Lohnerhöhungen verspricht – und die Forderung
nach einem EU-Austritt. Letzterer sei unabdingbar,
um das wirtschafts- und sozialpolitische Projekt
durchsetzen zu können, aber auch, um „wieder Herr
über unsere Grenzsicherung zu werden“.
Gleichzeitig basierte die „Philippot-Linie“ also in
gewisser Weise auf der Vorstellung, die Forderung
nach einem Austritt aus der Euro-Währung und aus
der Europäischen Union bilde den Schlüssel zu allen
anderen programmatischen Vorstellungen. Philippot
wurde als Heranwachsender durch das französische
Referendum über den Maastricht-Vertrag im September
1992 geprägt (es ging mit 51 zu 49 Prozent knapp
zugunsten der Unterzeichnung des EU-Vertrages aus),
das er als knapp Elfjähriger miterlebte. So
arbeiten es jedenfalls seine Biographinnen, die
Politikjournalistinnen Astrid de Villaines und
Marie Labat, in ihrem Buch „Philippot Ier –
Le nouveau visage du Front national“
(erschienen im März 2017) heraus. Zwischen der
Abstimmung von 1992 und jener in Frankreich vom Mai
2005 über den, daraufhin gescheiterten,
EU-Verfassungsvertrag – Philippot war nun 23 –
formte er sich ein Weltbild, in welchem die
Trennlinie zwischen „EU-Befürwortern und
Globalisten“ einerseits und „Patrioten“
andererseits die entscheidende politische
Scheidelinie darstellt. Linke wie rechte,
unterschiedlich motivierte Nein-Stimmen gilt es in
seinen Augen stets zu bündeln, um auf diese Weise
Mehrheiten zu organisieren.
Doch viele Stimmen in der Partei zeigten sich
darüber in den letzten zwei Jahren beunruhigt,
zumal die Konservativen seit 2015 eine Kampagne
gegen die „unverantwortlichen, linkslastigen
Positionen“ des FN in der Wirtschaftspolitik
fuhren, die auch in Teilen der Partei selbst
verfing. Philippot wurde innerparteilich heftig
angegriffen und wegen angeblichen „Linksdralls“,
jedoch immer wieder auch aufgrund seiner
Homosexualität angegriffen.
Nach dem Scheitern
der Präsidentschaftskandidatur Marine Le Pens, und
ihrer bis heute in der Öffentlichkeit nachwirkenden
Blamage beim TV-Duell mit ihrem damaligen
Gegenkandidaten Emmanuel Macron vom 03. Mai 2017,
ist die mit dem Namen Philippots verbundene Linie
innerparteilich verstärkt unter Druck geraten.
Seitdem kommt es beim FN zu ziemlich starken
Verschiebungen.
Die Idee vom EU- und Euro-Austritt wird zunehmend
als unverantwortliche Parole, die einer
konservativen und mittelständischen Wählerschaft
Furcht einflöße, betrachtet. Aber auch die soziale
Demagogie, die das Auftreten des FN seit den 1990er
Jahren prägte - weil die Partei damals davon
ausging, nach dem Ende des sowjetischen Blocks
verschwänden Marxismus und Klassenkampf und
überließen die „soziale Frage“ der
nationalistischen Rechten -, wird immer stärker in
Frage gestellt. Die Parteilinie sei „linkslastig“,
blockiere und verhindere die Annäherung an
konservative Rechte als „natürliche“ Verbündete und
halte Wirtschaftskreise dauerhaft auf Abstand.
Hinzu kommt, dass zwar die Wählerschaft des FN sich
zum Teil aus Angehörigen der sozialen Unterklassen
zusammen, aus Lohnabhängigen und Erwerbslosen,
jedoch die Mitgliedschaft sich umgekehrt wesentlich
stärker aus den Mittelklassen und den so genannten
Eliten rekrutiert. An diesen Bruchstellen sind
nicht erst seit den jüngsten Wahlen, sondern
bereits seit dem ebenfalls als Niederlage
betrachteten Abschneiden des FN bei deN
Regionalparlamentswahlen im Dezember 2015 die
Widersprüche innerparteilich voll aufgebrochen.
Andere, vergleichbare rechtsextreme Parteien in
Europa machen es vor. So hat die FPÖ bei den
österreichischen Nationalratswahlen vom Oktober
2017 und vor ihrem jüngst erfolgten
Regierungseintritt bereits die soziale Demagogie,
die sie sich ebenfalls seit den neunziger Jahren
verstärkt zu eigen gemacht hat, zum Großteil
abgelegt. Dies hing unter anderem auch damit
zusammen, dass die Parteispitze nicht denselben
Fehler wiederholen wollte wie in den Jahren ab
2000, als die damals ebenfalls mitregierende FPÖ
viele der durch ihre soziale Demagogie erweckten
Wählererwartungen enttäuschte und in den
nachfolgenden Wahlen schnell abrutschte. Ihr
Wahlprogramm von 2017 war bereits durch ein
geringes Ausmaß an sozialen Versprechungen geprägt,
und das nunmehrige Regierungsprogramm ist auf
extreme Weise kapitalfreundlich, im Gegensatz zu
seinen Auswirkungen auf die Lohnabhängigen. So
erlaubt es, die Arbeitszeit, unter Ausnutzung der
maximalen Spielräume des EU-Rechts, bis auf zwölf
Stunden tÄglich sowie sechzig Stunden pro Woche
auszudehnen.
Einen ähnlichen
Wandel, jedoch nicht derart deutlich markiert,
scheint auch der FN zu vollziehen.
Unternehmerinteressen finden in seinem Diskurs
wieder verstärkt Geltung, wie zuletzt in der
wirtschaftsliberalen Periode der französischen
Partei in den 1980er Jahren. Am sichtbarsten ist
die Veränderung beim Thema Europapolitik. So sprach
Marine Le Pen erstmals in einer Rede am 1. Oktober
17 in Poitiers explizit davon, Ziel ihrer Partei
sei nunmehr nicht länger der EU-Austritt, sondern,
„die EU von innen heraus zu reformieren“.
Anlässlich eines Fernsehauftritts am 19. Oktober
17, bei dem sie erstmals nur geringen
Publikumserfolg hatte – die Zuschauerzahl lag unter
zwei Millionen -, zeigte die FN-Chefin sich dann
mehr als vage zum Thema Haltung zur EU. Diese nicht
ganz unwichtige Frage wischte sie damals mit der
Bemerkung „Man wird sehen!“ zur Seite. Auf den Tag
einen Monat später schlug sie ferner am 19.11.17
Laurent Wauquiez, dem damaligen Anwärter auf den
Vorsitz des konservativen Partei Les Républicains
(LR), welche er seit seiner Wahl zum Chef am 10.
Dezember 17 nun anführt, erstmals ein Bündnis vor.
Und im französischen Parlament lobte die
parteilose, jedoch für den FN gewählte Abgeordnete
Emmanuel Ménard die EU-Fahne – ihre zwölf Sterne
symbolisierten den Bezug auf das christliche
Abendland -, nachdem der Linksnationalist Jean-Luc
Mélenchon im Oktober 17 die Entfernung der
europäischen Flagge aus den Räumen der
Nationalversammlung beantragt hatte.
Philippot an der Spitze seiner neuen Partei nutzt
dies aus, um dem FN lautstark in der Öffentlichkeit
Verrat und „das Aufgeben sämtlicher Leitideen“
vorzuwerfen. Zwar versucht der Chef von Les
Patriotes, selbst Absolvent der Elitehochschule
ENA, ansonsten auch als sachlich argumentierende,
konstruktive Alternative zu einem polternden,
konzeptlosen und primitiven FN zu erscheinen.
Gleichzeitig klagt er ihn jedoch auch an, sich vor
allem in Sachen EU-Politik einem „antinationalen
Mittelblock“ anzuschließen. An der
Regierungsbeteiligung der FPÖ in Wien kann
Philippot ebenfalls nichts Gutes finden, er
erklärte dazu Mitte Dezember 17 bei einem
TV-Auftritt, diese werde „nichts ändern“. Und die
FPÖ habe ferner die Akzeptanz der EU geschluckt und
sich dadurch politisch unnötig gemacht.
Seine frühere Partei, der Front National, bleibt
dagegen der österreichischen Formation unter
Heinz-Christian Strache verbunden. Allerdings
mutmaßt etwa Le Monde, die FPÖ könnte
die gemeinsame Europaparlamentsfraktion „Europa der
Nationen und der Freiheiten“ im neuen Jahr
verlassen, was ein notwendiges Zugeständnis an
bürgerliche Kräfte im Namen der Regierungsfähigkeit
darstelle. Philippot und die beiden anderen
früheren FN-Europaparlamentarier, die wie er seiner
neuen Partei angehören, sitzen hingegen heute in
einer gemeinsamen Fraktion mit dem britischen
EU-Skeptiker Nigel Farage (UKIP).
Les Patriotes
beanspruchen nunmehr offiziell, 5.500 bis 6.000
Mitglieder aufzuweisen, nachdem ihre Parteigründung
offiziell im November erfolgte. Beim FN spricht man
davon, es handele sich um maximal 500. Die Partei
von Marine Le Pen gibt ihre Mitgliederzahl
offiziell mit 80 bis 90.000 an, die Realität dürfte
laut vorliegenden statistischen Materialen – dazu
zählt die Mitgliederbeteiligung bei
innerparteilichen Abstammungen – nahe bei 50.000
liegen.
Die neue Konkurrenz unter Philippot, mit welcher
sich auch die vormals betonte „sozialpatriotische“
Ausrichtung der Partei zum Teil abgespalten hat,
ist allerdings nicht das einzige Problem. In der
letzten Novemberwoche 2017 kündigte ihre bisherige
Hausbank, die Société Générale, der rechtsextremen
Partei alle Konten. Inzwischen hat die französische
Zentralbank der Geschäftsbank Recht gegeben, dass
sie nicht diskriminierend gehandelt habe, wie der
FN ihr vorwirft. Die Hintergründe sind der
Öffentlichkeit nicht vollständig bekannt, doch es
dürfte um Vorwürfe der Geldwäsche im Zusammenhang
mit einer untransparenten Finanzierung des FN aus
russischen Quellen gehen. Seit dem 12. Dezember 17
läuft zudem ein Anklageverfahren gegen die Partei
als juristische Person im Zusammenhang mit dem
Vorwurf, Fraktionsgelder aus dem Europaparlament in
Millionenhöhe zweckentfremdet zu haben, indem das
daraus bezahlte Personal in Wirklichkeit rein
inländische Funktionärsaufgaben erledigte.
Praktischerweise wurde die Arbeitszeit der
betreffenden rund dreißig Mitarbeiter in der
Parteizentrale in Nanterre dort systematisch
erfasst und die entsprechenden Angaben wurden
gespeichert, so dass die ermittelnde Justiz sie
dort beschlagnahmen konnte. Orientierungs- und
Strategiefragen sind also derzeit nicht das einzige
Problem, mit dem Marine Le Pen sich herumzuplagen
hat.
Editorischer
Hinweis
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe, sie wurde
(in erheblich gekürzter Fassung)
erstveröffentlicht
in der Berliner
Wochenzeitung ‚Jungle World’, Rubrik Antifa, am
Donnerstag den 04. Januar 18
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