Ende 2018
erschien der nun schon zehnte Sammelband des
'Ingeborg-Drewitz-Literaturpreises für
Gefangene' im Rhein-Mosel-Verlag. Seit rund 30
Jahren gibt es diesen, in der Öffentlichkeit
leider noch viel zu wenig bekannten
Literaturpreis. Alle drei Jahre werden (Ex-)
Gefangene, aber auch Menschen in den
Psychiatrien dazu aufgerufen, sich mit einem
bestimmten Thema literarisch
auseinanderzusetzen. Die Ausschreibung 2017/18
hatte 'Begegnungen' als Leitmotiv für die
einzureichenden Beiträge.
Die Einführung
Auf knapp 200
Seiten werden nun die prämierten Texte dem
breiteren Publikum vorgestellt. In das Thema
und den Preis einführend kommen jedoch in dem
Band zuerst neben dem diesjährigen Schirmherrn
Thomas Galli, einem ehemaligen Anstaltsleiter
der dem Gefängnis als Beruf den Rücken kehrte,
sowie einer der Mitbegründer des
Literaturpreises,Prof.Dr.Koch zu Wort und
skizzieren die Bedeutung sowie Wirkmacht des
Schreibens für eingeschlossene Menschen. Galli
formuliert erneut, wie schon zuvor in
Interviews und eigenen Publikationen, seine
Abrechnung mit dem Gefängniswesen, wenn er
davon schreibt, „wer andere zur Strafe
inhaftiert, der trennt, spaltet, schafft
Gräben, verletzt.“
Prof. Koch
beleuchtet das Genre 'Gefangenenliteratur' aus
literaturwissenschaftlicher Sicht und
beschreibt u.a. anhand eines Textes, jenem des
Preisträgers Maelach (S.29-49), dessen
gestalterischen und thematischen Strukturen.
Besonders auffällig ist für Koch, wie häufig
der Suizid in den eingereichten Beiträgen sich
als Stichwort finde und kommt zum Ergebnis,
vieles von dem was geschildert werde „grenzt
(…) an das, was auch als 'Weiße Folter'
bezeichnet wird“ (S.21).
15
Autorinnen und Autoren werden präsentiert
Fünfzehn
prämierte Autorinnen und Autoren werden
textlich vorgestellt, darunter auch schon ein
Preisträger früherer Jahre: Helmut Palmer. Sein
ebenso bitteres, wie bedrückendes Fazit „nach
über 30 Jahren Hafterfahrung und 10 Jahren in
einer Irrenanstalt“ lautet kurz und knapp
„Traurig aber wahr. Lieber im Gefängnis
sterben, als in einer Irrenanstalt leben“
(S.113). Eine Feststellung die viele der
tausenden Menschen in Deutschland und darüber
hinaus gezwungen sind in solchen Einrichtungen,
man scheut es sich fast es so zu nennen, zu
„leben“, zustimmen werden.
Krisztina
Spielfeld aus der JVA Schwäbisch-Gmünd
(S.93/94) beschreibt „Begegnungen, die nie
stattfanden“. Ihr gelingt es auf nur zwei
Seiten dem Leser eine Begegnung mit der kleinen
Krisztina zu vermitteln, die auf den
Weihnachtsmann -vergeblich-gewartet hatte, bis
hin zu der für sie dann doch beginnenden und
sie erschütternden stattfindenden Begegnung mit
sich selbst, die sie viel zu lange aufgeschoben
hatte.
Es wäre auch
über die anderen prämierten Texte noch viel zu
notieren, aber ich möchte zum Abschluss noch
ein paar Worte zu jenem von J.B. Maeloch (einem
Alias-Namen) verlieren, auch deshalb weil ich
den Autor persönlich kenne. Wir drückten knapp
drei Jahre lang hier in der JVA Freiburg die
Schulbank. Auf den zwanzig Seiten seiner
Geschichte (das Original ist wesentlich länger)
führt uns J.B. durch das Panoptikum des
Gefängnislebens ebenso, wie durch sein eigenes
Seelenleben, das nämlich wesentlich aufgewühlt
wurde durch die Trennung von seiner Partnerin,
seiner „großen Liebe“. Mit einer solchen
Trennung, eingeschlossen in der Zelle alleine
zurecht zu kommen, ihn hat das an seine
körperlichen und seelischen Grenzen geführt.
J.B. wurde 1990 in Rumänien geboren und kam mit
seiner Familie 1994 nach Deutschland. Später
folgten Militärdienst und dann die Tat, die ihn
für einige Jahre ins Gefängnis führen sollte,
eine Zeit in der er „zum ersten Mal Verbrecher
kennen“ lernte (S.31). Rückblenden in die Zeit
seiner Untersuchungshaft und Gegenwart wechseln
sich ab, so wie Anekdoten in welchen ein Asiate
alle auf einen „Bong“ einlädt, oder der Pott im
Pokerspiel mit „20 Nuss-Schokolade“ heiß war,
geradezu glühte (S.32), mit jenen Passagen in
denen er sich kritisch mit dem
Strafrechtssystem auseinandersetzt. Man kann
ihm bei diesen Selbstgesprächen gewissermaßen
über die Schulter schauen und verfolgen wie
sich seine An- und Einsichten entwickeln.
Mittlerweile hat er so sehr Gefallen am
Schreiben gewonnen, dass er dieses Talent
ausbauen und auch mal ein eigenes Buch
veröffentlichen möchte.
Empfehlung
Wer also einen
Einblick in das bekommen möchte was die
Ausgeschlossenen bewegt, wenn sie über
„Begegnungen“nachdenken, nachspüren, etwas das
zu den elementaren Erfahrungen und Bedürfnissen
eines jeden Menschen zählt, findet hier in dem
Sammelband keine endgültige Antwort, aber
spannende Perspektiven und vielleicht auch
Anregungen selbst einmal den Kontakt zu
gefangenen Menschen zu suchen: um am Ende sich
möglicherweise sogar zu begegnen!
Bibliografische Daten:
„Begegnungen
in der Welt des Widersinns“
Herausgeber: Ingeborg-Drewitz-Literaturpreis
für Gefangene“
200 Seiten
Verlag: Rhein-Mosel-Verlag (Zell/a.d.Mosel)
ISBN: 978-3-89801-408-3
Thomas Meyer-Falk, z.Zt.
Justizvollzugsanstalt (SV),
Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg
https://freedomforthomas.wordpress.com
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