Linke zwischen Pessimismus und Reformillusionen

von Peter Nowak

01/2021

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Während außerparlamentarische Linke eine Demo absagen, weil ein Tagesspiegel-Journalist einen Tweet absetzt und Ex-Linksradikale aus Leipzig wie SPD-Politikberater*innen klingen, haben Danila Dahn und Rainer Mausfeld keine Hoffnung in die Reformfähigkeit des Kapitalismus

Am 31. Dezember wird es keine linke Demonstration für ein solidarisches 2021 geben. Daher entfällt auch die am 20. Dezember angekündigte Klage gegen das im Zuge der Coronaschutzmaßnahmen erlassene Demonstrationsverbot am 31. Dezember und 1. Januar. Dass es dabei nicht um Gesundheitsschutz ging, zeigt sich ja bereits daran, dass am 30. Dezember und am 2. Januar wieder demonstriert werden kann. Man will nur übers Jahresende, wo es in den vergangenen Jahren immer auch unkontrollierte Aktionen oft im vorpolitischen Raum gab, Ruhe auf den Straßen haben. „Das pauschale Verbot aller Versammlungen an Silvester und Neujahr ist ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das auch nicht mit Infektionsschutz begründet werden kann“, begründete Bündnissprecher Kim Huber noch am 20. Dezember die angekündigte Klage. Doch zwei Tage später folgte eine kurze Pressemeldung mit ganz anderen Inhalt:

„Auch wenn das Verbot nicht mit dem Infektionsschutz begründet wurde, ist ein Vorgehen dagegen schwer vermittelbar und auch juristisch mit Risiken verbunden. Sorgen aufgrund des Infektionsgeschehens wollen wir nicht ignorieren“.

Wie kam es zur Absage in wenigen Tagen?

Das ist nun tatsächlich eine Kapitulationsurkunde für eine systemantagonistische Linke. Auch wenn ein Demoverbot nicht mit dem Infektionsschutz begründet wird, ist ein Vorgehen dagegen schwer vermittelbar? Wem kann man das nicht vermitteln? Vielleicht den liberalen Journalist*innen und den Vorständen der Grünen, SPD und LINKEN, mit denen es sich manche wohl nicht verderben wollen. Den Menschen, die jeden Tag zur Arbeit müssen, wo gar kein Mindestabstand möglich ist, wäre sehr wohl zu vermitteln, dass man auch am 31. Dezember auf die Straße gehen kann. Tatsächlich erfolgte die Absage, nachdem der Tagesspiegel-Journalist Matthias Meissner einen Tweet an verschieden Organisator*innen der geplanten Demonstration schickte und fragte, ob das Fake-News oder etwa ernst gemeint war. Sofort knickten einige Gruppen ein, allerdings muss gesagt werden, dass es zuvor eine Mehrheit für die Demonstration gab und der erzwungene Rückzug bei vielen Gruppen auf Ablehnung stieß.

Schließlich wäre ja die geplante Demonstration ein klares Signal, dass es auch für die außerparlamentarische Linke keinen Lockdown für sozialen Widerstand gibt und dass sie sich klar von rechtsoffenen und irrationalen Strömungen abgrenzt:

„Selbst ernannte Querdenker*innen und andere Corona-Leugner*innen arbeiten daran, Gesellschaft und Solidarität zu zerstören, gegenseitiges Vertrauen zu untergraben und den Egoismus zur Handlungsmaxime aller werden zu lassen. Sie sprechen von Grundrechten und Demokratie, meinen aber das Recht des Stärkeren – die Allianz mit den Rechtsextremen ist die Folge“. Dagegen setzten die linken Aktivst*innen auf soziale Proteste: …Laut waren 2020 vor allem jene, die an den bestehenden Missständen nichts ändern wollen, die weder die Gesundheits- noch die soziale Krise erkennen. Selbst ernannte Querdenker*innen und andere Corona-Leugner*innen arbeiten daran, Gesellschaft und Solidarität zu zerstören, gegenseitiges Vertrauen zu untergraben und den Egoismus zur Handlungsmaxime aller werden zu lassen. Sie sprechen von Grundrechten und Demokratie, meinen aber das Recht des Stärkeren - die Allianz mit den Rechtsextremen ist die Folge."

(
Aus dem Demonstrationsaufruf der für den 31.12. geplanten und abgesagten "Demo Back to the Future")

Dann hätte es 1917/18 keine Revolution gegeben

Es ist schon bezeichnend, dass der Tweet eines als linksliberalen Journalismus ausreicht, damit Teile der außerparlamentarischen Linken, und nur um die handelt es sich hier, eigenen Pläne aufgeben. Das ist ein Symptom für die Schwäche der Linken. Da braucht das Bürgertum in Gestalt eines Tagesspiegel-Journalisten nur leicht drohen und schon knickt man ein. Wäre das Kräfteverhältnis 1917/18 auch so gewesen, hätte es weder in Deutschland, Russland, noch in anderen Ländern Revolutionen und Räterepubliken gegeben. Damals war die sogenannte Spanische Grippe, die wie man heute weiß, nicht in Spanien ausgebrochen war, überall auf der Welt am Vormarsch. Doch das Virus traf auf eine Welt im Aufruf. Damals ließen sich Kommunist*innen, Räterevolutionär*innen, Anarchist*innen von einen Virus nicht stoppen. Sie kämpften für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung und auch dafür, dass niemand mehr an heilbaren Krankheiten sterben muss. Aber sie wären nicht auf die Idee gekommen, Streiks, Versammlungen, Demonstrationen, Betriebsbesetzungen abzusagen. Heute trifft das Coronavirus auf eine zu tiefst pessimistische Welt, wo die revolutionäre Linke klein und zerstritten ist. Dafür klingen manche ehemalige Linke wie sozialdemokratische Nachwuchspolitiker*innen. Das ist nicht nur beim Thema Corona zu beobachten.

Wenn Ex-Linke wie sozialdemokratische Nachwuchspolitiker*innen klingen

So hat der Rote Salon im Leipziger Conne Island, vor langer Zeit mal linksradikal-antideutsch, seit einigen Jahren sozialdemokratisch, unter dem „The Great Connewitz-Swindle“ einen mehrseitigen Text gegen militante Aktionen im Stadtteil Connewitz verfasst. Nun ist gar nichts dagegen zu sagen, dass linke Geschichtsmythen geknackt werden. Aber die Frage ist doch, geht es dabei um eine revolutionäre Politik auf der Höhe der Zeit oder die Bejahung von Staat, Kapital und Nation. Der Text des Rotes Salon macht nun an verschiedenen Stellen deutlich, dass hier einige (Ex)Linke noch mal Staat machen wollen. Dabei halten sich die Autor*innen alle Optionen offen. Schließlich wird nicht nur der linke Leipziger Historiker Sascha Lange sondern sogar eine der wenigen Bewegungsorientierten in der Leipziger Linkspartei, Julianne Nagel, angegriffen, weil sie die linke Gewalt angeblich relativieren würden. Nagel ist seit Jahren das Feindbild der Law-and Order-Politiker*innen aller Parteien, auch ihrer Eigenen.

Hier ein Zitat der neuen Freund*innen der deutschen Staatsgewalt:

„Linke Reaktionen auf den Gewaltausbruch in Connewitz fielen unisono relativierend aus. Die Landtagsabgeordnete der Linken Juliane Nagel führte die Gewalt auf die permanente Kriminalisierung des Viertels zurück, die sich am Tag selbst durch das Kreisen eines Hubschraubers seit den Mittagsstunden und die Einrichtung einer Verbotszone besonders krass gezeigt habe;  dass der »Stadtteil […] insgesamt kriminalisiert« werde, »stört« jedoch »die Bewohnerinnen und Bewohner«. Ähnlich lautete auch das Credo eines Offenen Briefes von Connewitzer Bewohnern, die sich aufgrund der Ereignisse zu Wort meldeten und ebenfalls eine »Stimmungsmache gegen Connewitz« beklagten, und denen dabei das Kunststück gelang, die Ausschreitungen, geschweige denn, von wem sie ausgegangen waren, mit keinem Wort zu erwähnen.[ Der Szenehistoriker Sascha Lange führte die Silvesterrandale unterdessen auf ein angetrunkenes Publikum aus feiernden »fröhlichen jungen Menschen« zurück, das von der Polizei in ungerechtfertigter Weise provoziert worden sei. Die Hauptverantwortung liege deshalb bei den staatlichen Behörden, deren bloße Anwesenheit die Gewalt recht eigentlich heraufbeschworen habe.“

(Aus dem Text: The Great Connewitz Swindle, Roter Salon)

Als wäre es eine SPD-Presseerklärung.

Dass wollen die Ex-Linksradikalen nicht so stehen lassen. Sie zeichnen das Bild eines Deutschland, dass so bunt, divers und offen sein soll, das sich radikale Politik und schon gar linke Militanz erübrigt. Und das alles wegen den segensreichen Wirken der SPD.

Auch hier wieder ein längeres Zitat des Roten Salon:

„Die SPD-geführte Stadtverwaltung indes duldete die Besetzungen in Connewitz als solche und befürwortete ausdrücklich »alternatives Wohnen« als Lebensform. Sie hatte bereits 1990 den geplanten Teilabriss des Viertels verworfen und das Schlagwort einer »behutsamen Stadterneuerung« ausgegeben, die eine Integration der besetzten Häuser in den Sanierungsprozess ausdrücklich vorsah. Ferner waren die leitenden Mitarbeiter der Stadt etwa im Bau- oder Kulturdezernat nicht selten vom »Geist von 89« inspiriert, stammten sie doch bisweilen selbst aus Kreisen der DDR-Opposition oder hatten im Westen Erfahrungen in der antiautoritären Bewegung gesammelt. Die alternative Szene in Connewitz, die ihrerseits Vorläufer in der Bürgerbewegung hatte, betrachteten sie deshalb nicht selten mit Sympathie. In jedem Fall waren sie bestrebt, die Projekte in legale Bahnen zu lenken, weshalb die kommunale Wohnungsbaugesellschaft mit einer Reihe von Häusern schon länger Verhandlungen führte. Ein offensichtliches Wohlwollen zeichnete selbst den aus Hannover importierten Oberbürgermeister Lehmann-Grube (SPD) aus, und dies obwohl er dort eher durch eine harte Hand gegenüber der Hausbesetzerszene aufgefallen war. Noch nach den Krawallen gab er jedenfalls zu verstehen, die »Mehrzahl der Randalierer« seien zugereiste »Krawalltouristen« gewesen, wohingegen Besetzer, die sich »gutmütig und friedfertig« verhielten, nichts zu befürchten hätten.“

(Aus dem Text: The Great Connewitz Swindle, Roter Salon)

Soziale Kampfbaustelle Leipzig statt Illusionen in die SPD

Vielleicht arbeitet ja die eine oder der andere vom Roten Salon für die SPD, deshalb klingen die Texte so wie SPD-Pressemeldungen. Besonders fremdeln die Verfasser*innen mit der „Sozialen Kampfbaustelle Leipzig“, einen Bündnis von Stadt- und Mieterinitiativen und aktiven Erwerbslosen, das bereits 2015 erstmals unter diesen Namen aufgetreten ist. Es will den Klassenkampf in den Stadtteil und das Jobcenter tragen. Mit ihrer Praxis desavouiert die Soziale Kampfbaustell die sozialdemokratischen Blütenträume des Roten Salons und zeigt, dass ein kapitalistischer Klassenkampf vor allem gegen Einkommensarme geführt wird. Über die schwierigen Versuche, diese Menschen zu organisieren, habe ich mit Aktivist*innen der Sozialen Kampfbaustelle Leipzig ein Interview geführt, das in dem Buch „Umkämpftes Wohnen, Neue Solidarität in den Städten“ abgedruckt wird. Den Link zum Buch findet sich am Ende des Textes.

ein Frieden mit der kapitalistischen Elitenherrschaft

Während ehemalige radikal Linke doch noch ihren Frieden mit dem deutschen Staat machen wollen, radikalisieren sich manche, die ich immer eher als Reformlinke wahrgenommen habe. „Tamtam und Tabu“, mit Anklänge an ein Buch von Siegmund Freud, lautet der Titel eines Buches der linken DDR-Oppositionellen Daniela Dahn und des Psychologen Rainer Mausfeld. Dort findet man viele gute Beschreibungen der kapitalistischen Elitendemokratie, die man heute bei vielen radikalen Linken, nicht nur dem Roten Salon, vermisst.

„In ihrem Wesenskern und ihrer Funktionslogik sind Demokratie und real existierender Kapitalismus in fundamentaler Weise unverträglich miteinander. Die kapitalistische Eigentumsordnung verpflichtet alle, die kein Kapital verfügen, für fremdes Eigentum zu arbeiten, und überführt damit Arbeit in Lohnarbeit. Arbeit im Kapitalismus bedeutet also Unterwerfung unter die Verwertungsbedingungen des Akkumulationsprozesses und damit unter die Machtverhältnisse, die eine Minderheit der Besitzenden über eine Mehrheit von Nichtbesitzenden ausübt“ (Rainer Mausfeld: Tamtam und Tabu, S. 105)

Solche Sätze, die nicht von sozialdemokratischen Wunschdenken angekränkelt sind, findet man in dem Buch eine Menge. Dahn und Mausfeld diskutieren auch über Widerstandsstrategien, dort wird auch mal auf die Räte verwiesen. Dazwischen findet man auch noch Reformillussionen. Doch man merkt dem Buch an, Dahn und Mausfeld haben den Glauben in die Reformfähigkeit des Kapitalismus verloren.

Dahn widmet sich in dem Buch der Frage, wie es zu erklären ist, dass noch Ende 1989 nur 5 % der DDR-Bürger*innen den kapitalistischen Weg gehen wollten und im März 1990 doch die Parteien der Alternativ für Deutschland (AfD 1990) eine Mehrheit bekamen, die diese kapitalistischen Weg propagierten und auch schnell umsetzten, Dahn sieht einen Grund für diesen Stimmungsumschwung in der Verbreitung von Fakenews und gezielter Panikmache in Bild und Spiegel und anderen Medien.

"Im Verlauf der Ereignisse von 1989/90 gelang es, die Stimmung eines Großteils der DDR-Bevölkerung in wenigen Wochen in die vom Westen gewünschte Richtung zu lenken. Diese Monate bieten also ein paradigmatisches Studienfeld zu den sozialtechnologischen Mitteln, mit denen Einstellungen und Verhalten einer ganzen Bevölkerung auf den Kopf gestellt wurden. Es geht in diesem Band folglich um die Rolle von Medien und deren Techniken der Affekt- und Meinungsmanipulation – Techniken, die sich heute gern hinter so harmlosen Begriffen wie »Perception Management« oder »Soft Power« verbergen," heißt es im Vorwort.

Man muss nicht allen Einschätzungen von Dahn/Mausfeld folgen, doch insgesamt ist das Buch ein erfreuliches Antidot gegen den Pessimismus und Reformismus großer Teile auch der außerparlamentarischen Linken.

Literatur:

Roter Salon im Conne Island, The Great Connewitz-Swindle, Anmerkungen zu einem widerständigen Stadtteil, Der Text kann hier abgerufen werden: (https://roter-salon.conne-island.de)

Dahn Daniela, Mausfeld Rainer, Tamtam und Tabu, Die Einheit: Drei Jahrzehnte ohne Bewährung, Westend-Verlag, 224 Seiten, 18 Euro, ISBN: 978-3-86489-313, (https://www.westendverlag.de/buch/tamtam-und-tabu/)

Coers Matthias, Nowak Peter, Umkämpftes Wohnen, Neue Solidarität in den Städten, Edition Assemblage, 978-3-96042-017-0 | 2-973, 10 Euro, ( https://umkaempftes-wohnen.de )

Editorischer Hinweis

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.