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Schüler in Irvington
gründen einen "anarchistischen" Club
von DANA HULL
Mercury News Staff Writer
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Die Schule in Irvington hat einen Schachklub, einen Skiclub und einen vietnamesischen Little-Saigon-Club. Aber vor kurzem hat eine Gruppe von Oberstufenschülern den ersten politischen Club der Schule gegründet und nennt sich die Anarchistische Schüler/Studenten-Union. Ziel des Klubs ist es, Themen wie sweatshop-Arbeit und die kontroversen Entscheidungen der Schulbehörde von Freemont auf dem Campus diskutieren zu lassen. Die Schüler versammeln sich jeden Mittwoch während der Mittagspause und haben einen Tutor.
"Wir sind überrascht, daß der Club genehmigt wurde", sagte die Vorsitzende des Clubs, Anna Propas (15). "Wir sind die Tunichtgute von Irvington. Wir ordnen uns nicht dem unter, was die Gesellschaft für normal hält."
Anarchie bedeutet technisch die Abwesenheit von Regierung und das Fehlen einer Ordnung. Der Begriff hat jedoch verschiedene Bedeutungen angenommen und zieht Anhänger aus dem gesamten politischen Spektrum an. Es gibt Öko- Anarchisten, kommunistische Anarchisten, radikale Anarchisten und libertäre Anarchisten. Und nicht alle, die sich Anarchisten nennen, stimmen der Terminologie der Bewegung oder den verschiedenen Denkschulen zu.
Der Anarchismus hat eine lange politische Geschichte, sowohl in den USA wie auch im Ausland, von den Reformbestrebungen von Emma Goldman während des Ersten Weltkriegs und danach bis zu der Verurteilung und Hinrichtung von Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti in den 20er Jahren. Das explosive Wort schafft häufig das Bild von Rohrbomben und Molotow-Cocktails, oder von schwarzgekleideten jungen Leuten in Seattle, die während der kürzlichen WTO-riots bei Starbucks Scheiben einwerfen.
"Viele denken an Gewalt, wenn sie an Anarchismus denken", sagte Ian Morris (15). "Es ist aber eine Form der Selbstregierung und Selbstverwaltung. Aber die meisten wissen das nicht."
Das universale Symbol des Anarchismus - das "A" im Kreis - erscheint gesprüht auf Jugendtreffs überall in der Bay Area. Und Bound Together Books, ein anarchistischer Buchladen im Haight-Viertel von San Francisco, wurde ein Mecca für junge Leute, die mehr über das Thema erfahren wollen.
In Irvington besteht der kleine Club hauptsächlich aus Anna und einem Dutzend ihrer Freunde, viele von ihnen sind Vegane oder Vegetarier, die sehr an Tierrechten interessiert sind. Einige brachten ihre Frustration darüber zum Ausdruck, daß ihre Schulkollegen sich nur ums Shopping zu kümmern scheinen und um den Erwerb der angesagtesten Konsumgüter. Aber die Schüler waren sich auch einig, daß die unmittelbare Aufgabe darin besteht, den anderen Schülern nahezubringen, was Anarchismus bedeutet.
Befürworter sagen, daß der Anarchismus besonders für junge Leute zunehmend attraktiv geworden ist, weil vieles von ihrem Verhalten - Skateboard fahren, Rauchen, Zuspätkommen zum Unterricht, Punk-Rock-Mode - kriminalisiert wurde. Die Schießereien in den Schulen im letzten Jahr haben viele Schulbehörden dazu veranlaßt, strenge Kleiderordnungen zu erlassen, Metalldetektoren einzubauen und strenge Bestimmungen gegen das Schuleschwänzen zu erlassen, was einer Teenager-Rebellion nur noch wenig Raum läßt, die früher einmal als normal Verhalten in dem Alter angesehen wurde.
Die Schüler von Irvington propagieren nicht das totale Chaos, sondern erscheinen willens, innerhalb "des Systems" zu arbeiten. Viele Mitglieder des Anarchismus-Klubs nehmen regelmäßig an den Sitzungen des Schulausschusses teil und haben dort schon wortgewandt über die Notwendigkeit gesprochen, das Angebot zu verbessern.
Die Schulleitung von Irvington hat die Bemühungen des Clubs unterstützt, den High-School-Campus zu politisieren.
"Zunächst fiel uns die Bezeichnung 'anarchistisch' auf", sagte der Schulleiter Pete Murchison. "Da ich Sozialkundelehrer war, meine ich, daß es für eine Lehranstalt wichtig ist, den Kindern eine Vielzahl von Möglichkeiten zu bieten, miteinander in Verbindung zu kommen. Sie sind politisch sehr aktive Schüler, und sie haben viel Einsicht in das, was vorgeht."
Für dieses Frühjahr plant der Club eine Untersuchung dazu, ob die Firma, die die Talare und Kopfbedeckungen für die Schulentlassungsfeiern herstellt, sweatshop-Arbeit einsetzt und die Behörden zu veranlassen, einen anderen Lieferanten zu finden.
Die Mitglieder sagen, sie hoffen, die politische Bewußtheit zu globalen Themen zu erhöhen und können ihre Meinung sehr beredt äußern.
"Sogar die US-Regierung ist gegenüber vielen wichtigen Themenbereichen zum freien Handel und der ökonomischen Entwicklung in Ländern der Dritten Welt gleichgültig geworden," sagt Anna Propas. "Sie ignorieren dabei weniger die Themen an sich, sondern entscheiden sich für halbe Lösungen, anstatt das ganze Thema oder die Ursache des Problems zu betrachten."
Mitglieder der Anarchistischen Schüler-Union hoffen auch, ihre Mitschüler aus dem aufzurütteln, was sie politische Apathie nennen.
"An dieser Schule sind alle in Cliquen und alle tun das, was ihre Clique tut," sagt Ariel Schwitalla (15). "Wir sind die Lachse, die gegen den Strom schwimmen."