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FU-Dozent Bernd Rabehl:68-89-33

(An der schönen braunen Danubia)   

von Peter Kratz und Lorenz Schrötter

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Die Affäre um Bernd Rabehl zeigt erneut den weit verzweigten Einfluß des nationalrevolutionären Teils des deutschen Neofaschismus

Am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin, einst als linke Kaderschmiede verschrien, heute SPD/Grünen-beherrscht, scheint die Welt Kopf zu stehen. Der dortige Dozent Bernd Rabehl, ein Weggefährte Rudi Dutschkes, hatte rein privat im Dezember 1998 vor der Burschenschaft Danubia einen wirren Vortrag zur Überfremdung der Deutschen, die die nationale Identität auflöse, gehalten. Das Private wurde auf eine ganz andere Art, als es sich die 68er vorgestellt hatten, politisch, nachdem Antifaschisten den Inhalt des Vortrags und den Veranstalter publik machten, und als über die Veranstaltung zudem noch breit in der "Jungen Freiheit" berichtet worden war, die Rabehl begierig als Exponenten der Rechtswende der 68er vorstellte. Auch das nationalrevolutionäre Blatt "wir selbst" aus dem Kreis um den rechten Vordenker Henning Eichberg druckte Rabehls Rede. Studenten verteilten nun Flugbätter gegen den früheren Studentenführer, blockierten sein Seminar und fordern inzwischen vom FU-Präsidenten ein Lehrverbot gegen ihn. Zwei Dozenten-Kollegen Rabehls, Hajo Funke und Richard Stöss, die seit Jahren auch den Rechtsextremismus erforschen, analysierten den Vortrag in einem neunseitigen Papier und kamen zu einem eindeutigen Ergebnis: "Rabehls Auslassungen erfüllen in nachgerade klassischer Weise die Bedingungen für Rechtsextremismus"; die Danubia sei als rechtsextrem bekannt, ihre Verbindungen zur NPD und den "Republikanern" kenne man, sie arbeite auch mit dem rechtsextremen Gesamtdeutschen Studentenverband GDS zusammen. Rabehl verteidigte sich in einem Brief an seine Dienstvorgesetzten, sein Vortrag sei spontan gewesen, "intuitiv", "Ausdruck eines inneren Unbehagens, das noch nicht die Sphäre der Reflexion gefunden hat"; die Danubia sei ihm unbekannt gewesen, er habe den Bildungsreferenten beim Parteivorstand der SPD und Führungsfigur der Parteischule, Tilman Fichter, einen alten Freund aus SDS-Zeiten, um Rat gefragt, der habe ihm einen Jungsozialisten genannt, der selbst Danube sei und die Burschenschaft vom Rechtsextremismus freigesprochen habe. Der Fachbereichsrat Politikwissenschaft ward's zufrieden, Funke und Stöss möchten sich nicht mehr äußern. Nur ein kurzes Sommertheater im letzten Wintersemester, einmal "Böser Bube!" mit dem Zeigefinger, Punkt und Schluß?

Nun ist nicht nur der Juso-Danube Sascha Jung ein gemeinhin bekannter Exponent des "Hofgeismarer Kreises der Jungsozialisten", der sich an dem Hitler-oppositionellen Faschisten und Kopf der Nationalrevolutionäre der 20er-Jahre, Ernst Niekisch, orientiert, sich deshalb den Namen des Niekisch-nahen, völkisch-germanentümelnden "Hofgeismarkreises" von 1923 gab, sich selbst 1992/93 mit nationalistischen und ausländerfeindlichen Tiraden bekannt machte, aber von Tilman Fichter in der SPD gefördert wurde. Nun war nicht nur der Danube Uwe Sauermann, ein Niekisch-Kenner mit zahlreichen Veröffentlichungen in den Organen der Nationalrevolutionäre der 80er Jahre, auch Vorsitzender des Nationaldemokratischen Hoschschulbundes der NPD, was Funke und Stöss als Argument gegen die Burschenschaft hervorheben, und danach Funktionsträger der SPD, was Funke und Stöss verschweigen. Vielmehr zeigt eine gründliche Analyse zahlreicher Veröffentlichungen Rabehls aus den letzten Jahren und seiner vergangenen und für das kommende Semester angekündigten Lehrveranstaltungen, daß er gemeinsam mit anderen an einem Paradigmenwechsel der Neuen Rechten zu arbeiten scheint, der das Feindbild der Hegemonialmacht USA als dem Hauptgegner der Deutschen aufrechterhalten kann, nachdem der frühere Ansatz des Kampfs gegen die deutsche Teilung als Kampf gegen den Einfluß der Sieger des Zweiten Weltkriegs obsolet geworden ist. Auch steht Rabehl keineswegs allein am OSI, sitzt vielmehr persönlich fest im Sattel dank der Solidarität einiger Professoren und eines nationalrevolutionären, SPD-nahen Zirkels, dessen Wirken von Antifaschisten seit Jahren beobachtet wird. Schon macht der Verdacht die Runde, die rot-grüne Elite der Weltmacht Deutschland/Europa solle an der FU mit Versatzstücken faschistischer Ideologie für den Kampf gegen den großen Gegner im Westen fit gemacht werden.

Was will Rabehl? Vieles klingt wirr und abstrus, soll vielleicht noch nicht klarer ausgesprochen werden, ergibt jedoch in der Zusammenschau seiner zahlreichen Äußerungen eine Linie. Die erste "Überfremdung" der Deutschen sei als "re-education" mit den Siegern des Zweiten Weltkriegs gekommen, die Besatzungsmächte hätten ab 1944 die Auflösung der kulturellen und politischen deutschen Traditionen geplant - hierzu kündigt Rabehl ein Seminar fürs kommende Semester an - und hätten dies dann jahrzehntelang als Hegemonialmächte durchzusetzen vermocht. Ergebnis dieser "Umwertung der Werte" (Rabehl nimmt ein altes Nazi-Ziel auf und kehrt es gegen die Anti-Hitler-Koalition) sei heute ein "Volk ohne Kultur oder Identität", das mangels eigenem innerem Halt nur noch dem amerikanisierten Kapitalismus fröne, die Deutschen seien "eine Mischung aus Masse, Konsument, Käufer, Clientel" für die Produkte des American Way of Life. Aus den nationalrevolutionären Schriften der letzten Jahrzehnte ist diese Argumentation wohlbekannt. Als Hebel gegen die vermeintlich identitätszerstörende Macht der Besatzer wurde damals die Wiedervereinigung Deutschlands propagiert, um anschließend zu einer Rückbesinnung auf die deutsche Identität zu kommen.

Neu ist Rabehls Erklärung einer zweiten "Überfremdung" der Deutschen durch die Immigranten als "eine untergründige 'zweite Besetzung' nach dem Abzug der alliierten Truppen und der Roten Armee", in der er die alte nationalrevolutionäre Kritik an der Vorherrschaft der USA, die nun allein weiter fortbestehe, zusammenführt mit der Ausländerfeindlichkeit des wiedervereinigten Neofaschismus. Die USA ringe um ihre "imperiale Machtposition" und könne es nicht zulassen, "daß aus den Restgrößen der alten Weltmacht Sowjetunion neue Potenzen entstehen in Jugoslawien, Osteuropa, Rußland, Mittelasien, Fernost". Nato und USA betrieben die staatliche Spaltung dieser Regionen. Die Zerstückelung und der nationale Streit, der dadurch entstehe, "erheben NATO und USA zur Entscheidungsmacht im Osten". Die Immigration nach Europa aus diesen Gebieten sei der Reflex auf die von den USA inszenierten Kriege und Bürgerkriege dort und trage über die Immigranten aus den konträren Lagern auch die dortigen Kämpfe hierher: "Die Kriegskonstellation dort wird in Zentraleuropa reproduziert". Nicht nur sei Deutschland, das die meisten Immigranten aufnehme, mit dem Zustrom, der inzwischen jeden Rahmen des Sozialstaats und des friedlichen Zusammenlebens sprenge, ökonomisch überfordert, hier würden auch von den Immigranten bereits Staaten im deutschen Staat errichtet, mit z. T. krimineller "eigener Steuer- und Militärhoheit, eigenen Gesetzen, Religionen, Justiz und 'Beamten'"; dies träfe nicht nur auf die PKK zu sondern auf alle Immigranten. Diese würden mit Hilfe der "Keimformen von fremder 'Staatlichkeit'" ihre Kriege untereinander demnächst gleich auf deutschem Boden austragen, da sie ja schon einmal hier seien; der Ausnahmezustand sei absehbar, "die grundlegende Zerstörung von Volk und Kultur" stehe an. Diese "zweite Besetzung" Deutschlands treffe zudem auf eine nach der "ersten Besetzung" bereits weitgehend aufgelöste nationale Identität - "das Volk besitzt keinerlei Kraft mehr, eigene Interessen zu formulieren", verfalle der "Fixion" des bunten Multikulturellen -, was es den USA erleichtere, diesen "offenen Raum" auch nach dem Ende des Besatzungszustands durch die Verträge zur Wiedervereinigung weiterhin zu prägen und die Deutschen in die Interessen der USA, zum Beispiel im Nahen und Mittleren Osten oder auf dem Balkan, einzubinden, auch militärisch. Deutsche Interessen sieht Rabehl in Anlehnung an Niekisch besser durch ein Zusammengehen mit Rußland gegen den Westen gewahrt; der Kosovo-Krieg sei auch deshalb eine Katastrophe, weil er eigentlich gegen Rußland gerichtet gewesen sei und Rußland gegen Deutschland aufgebracht habe.

Rabehls Sicht auf die derzeitige Weltlage ist offensichtlich paranoid und verschwörungstheoretisch bestimmt: der hinterlistige Fädenzieher USA zersetze überall die nationalen Identitäten, um die Konsumption seines Lebensstils global einzuführen, zettele Kriege an, um Europa mit einer Ausländerschwemme zu zersetzen, und rufe die zweimal zersetzten Deutschen schließlich auch noch für seine Interessen zu den Waffen. Zusätzlich würden die noch renitenten Deutschen - er meint wohl das rot-grüne Lager, denn er regt sich darüber auf, daß doch "unsere Leute an der Macht" seien und trotzdem den USA folgten - durch den internationalen "Schuldpranger der deutschen Verbrechen im II. Weltkrieg" diszipliniert und in "alle kommenden Verbrechen" zugunsten des US-Imperiums hineingezwungen. Eine ökonomische Analyse der Krisenregionen und der Weltlage stellt er nicht an, der neue deutsch-europäische Imperialismus kommt nur als Anhängsel im Dienste des US-amerikanischen vor.

Auch die Zersetzungsmacht des untergegangenen zweiten Siegers über Deutschland wirkt für Rabehl in fünften Kolonnen weiter. Denn diese neue "deutsche Frage" öffentlich zu diskutieren, sei durch eine noch sowjet-kommunistisch geprägte "Antifa-Linke" über "Denkverbote" tabuisiert worden, und zwar "bewußt in einem Bündnis mit bestimmten Medien im In- und Ausland", denen wiederum die korrupte herrschende politische Elite hörig sei, weil sie den Ausgang der Wahlen bestimmten. Es mag erstaunen, aber derartiges wird tatsächlich von einem Dozenten der FU Berlin vertreten.

Hier hinein flechtet er nun seine Interpretation der Studentenbewegung als einer gesamtdeutsch-national ausgerichteten Protestbewegung gegen die Besatzungsmächte des geteilten Deutschland und deren politisch-kulturelle Werte. Die 68er hätten "zu den nationalen Grundlagen von Sozialismus, Freiheit und Unabhängigkeit zurückzufinden" versucht und bereits den "Aufbau nationaler Befreiungsgruppen" begonnen. Er vereinnahmt den linken Antiimperialismus und Antikolonialismus komplett als Modell für die noch anstehende nationale Revolution, die eine "Rückbesinnung auf die deutschen Werte" bringen solle und die 1967/68 wegen ihrer angeblich nationalrevolutionären, gegen die hegemonialen Blöcke zielenden Ausrichtung mit dem Attentat auf ihre "Führerpersönlichkeit" Dutschke zum Scheitern gebracht worden wäre. Damals hätte man die Bewegung noch stoppen können, doch heute sei die Bedrohung immens größer und treibe - siehe oben - auf Krieg hier und überall mit und gleichzeitig gegen Deutschland zu. Daß eine Madonna trällernde, Big Mäck stopfende, Star Wars glotzende, der nationalen Identität entfremdete deutsche Masse die Revolution nicht machen wird, weiß Rabehl. Daß eine politische Elite, die sich zum eigenen Machterhalt draußen den US-Interessen unterwerfe und drinnen den Ausländern sogar Wahlrecht gebe, um ihre Stimmen einzusammeln, und dem "Reklamespot" der "multikulturellen Gemeinschaft" (sic!) fröne, um das Ausländerwahlrecht gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen, läßt ihn nicht hoffen. Was tun? So ließ er in einem Uni-Seminar über "rechten und linken Dezisionismus" untersuchen, ob die Ansätze Carl Schmitts oder der RAF tauglich seien, ob eine kurzerhand entschlossene, entscheidungsbereite Elite jenseits der westlichen Wertekultur und an der Masse vorbei, die eh ihre wahren Interessen nicht mehr artikuliere, die "Zeitenwende" zur Abwehr der Unbill herbeiführen könne. Ins Seminar lud er Horst Mahler als Zeitzeugen ein, inzwischen ja ein Zeuge für links und rechts. Später, als der durch Rabehl verteilte Danubia-Vortrag im Seminar diskutiert wurde, konfrontierten ihn die Studenten mit dem Vorwurf, Rabehl übernehme hier Schmitts Freund-Feind-Schema, erkläre die Immigranten zu den Feinden der Deutschen, die sich ihrerseits in Gegenwehr wieder neu als Nation zu Freunden ihrer selbst formieren sollten, phantasiere vom Ausnahmezustand als Immigrantenkrieg in deutschen Städten - im Sinne Schmitts der Konfliktfall als Negation der eigenen Art, die abgewehrt werden muß, um die eigene seinsmäßige Art von Leben zu bewahren, auch durch den Bruch des bisherigen Rechts, "denn in der Feindschaft sucht der rechtlos Gemachte sein Recht" (Schmitt); FU-Studis sind clever und lernen was im Seminar! - und wolle wohl den Putsch, wenn er hier der kurz entschlossenen Elite das Wort rede, was er wohl auch getan hatte. Ja, er habe sich in dem Vortrag an Carl Schmitt orientiert, und vielleicht sei er ja selbst Faschist, sprach Rabehl mal spaßeshalber in die Runde und dementierte später die Äußerung, stieß aber noch die Drohung aus: "Ihr Gesicht werde ich mir merken!".

Neu ist auch eine Schleife, die Rabehl sozialpolitisch zieht. Über "das Recht auf Faulheit" - so ein weiteres Seminarthema, das er im kommenden Semester als "Zukunft der Arbeit" fortsetzen will -, sei vielleicht eine deutsche Alternative zu den amerikanisch orientierten Lösungsvorschlägen des Schöder-Blair-Papiers möglich. Rabehl klaubte aus anarchistischen Schriften - leider allesamt von Franzosen - die Bedingungen der Möglichkeit von legalisierter Faulheit und blieb bei der genossenschaftlichen Gemeinschaft als Gegenpol zum selbständigen High-Tech-Kleinunternehmer hängen. Faulheit hat ihren Preis. Nach allem liegt der Verdacht nahe, daß in der Wirklichkeit des Kapitalismus von morgen aus dem utopischen Recht auf Faulheit des Individuums schnell eine Pflicht zum Verzicht für Deutschland wird: weniger arbeiten, weniger konsumieren, dafür aber mehr deutsches Gedusel. Die "Umdefinition von Beruf, Tätigkeit, Arbeitsverlust, Arbeitsethik und Identität" will Rabehl als "positive Aufhebung von Arbeit" im nächsten Semester diskutieren, "jedoch von dem Wissen aus, daß Gesellschaftsform, der Stand der Arbeitsproduktivität weltweit und die Weltarmut eine Abschaffung von Arbeit in Westeuropa oder Nordamerika nicht zulassen würden", so die Seminarankündigung. Die Idee der Nation war bisher eines der wirksamsten Betäubungsmittel in der Periode der Akkumulation von Elend. Ihre Absicht ist es nicht, soziale Gerechtigkeit für alle zu erringen, sondern jeden auf das Seine zu verweisen - eine alte nationalrevolutionäre Maxime.

Das "Recht auf Faulheit" als Alternative zum Bündnis für Arbeit wollen "Futuristen" in der Berliner SPD, die bisher schon in Rabehls Seminaren saßen und ihn ebenfalls unterstützten, im Januar an der Volksbühne diskutieren, u. a. mit "FU Berlin (Politologie)" (d. i. Rabehl), "Parteischule der SPD" (d. i. Tilman Fichter) und "glücklichen Arbeitslosen". Der Touristik-Konzern TUI soll es bezahlen: "Das ganze wird professionell vorbereitet: Mittel davon werden von TUI eingeworben: sie dürfen und sollen mit 'Schöne Ferien' werben, es könnte für sie eine zentrale Veranstaltung sein, die ihr ideologisches Image weiterbringt: sie hilft, die Unzufriedenheit über Arbeitslosigkeit zu überwinden und Arbeitslosigkeit in 'Schöne Ferien' zu verwandeln." Noch Fragen?

Noch eine Antwort: Im August 1999 durfte sich Rabehl in der SPD-Theoriezeitschrift "Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte" - ständiger Mitarbeiter der Redaktion: Tilman Fichter -verteidigen. Er präsentierte noch einmal seine Immigranten-feindlichen Ausfälle, die er jetzt auf "die Migration islamischer Völker" konzentrierte, und beschwor "die Operationen dieser Partisanen in Westeuropa, ihre 'geheimen Staatsgründungen' und 'subtilen Besetzungen' von Stadtteilen". Die Unterstützung der "Neuen Gesellschaft" erstaunt trotz Fichter, denn Gerhard Schröder ist mit seiner "Transformation der Demokratie" (vgl. Georg Fülberth, KONKRET 8/99) viel effektiver, als es ein Dezisionist je sein könnte.

Die nicht-studentischen Reaktionen auf Rabehls Thesen entsprechen meist dem neuen deutschen Konsens. Das Berliner Szeneblatt "Zitty" hält Rabehl für bloß "konservativ", der Friedensforscher Ekkehart Krippendorff bezeichnet ihn immer noch als "Linken", schränkt lediglich ein, er sei "völlig isoliert" und deshalb "ein Fall für den Psychiater". Sein Kollege Ulrich Albrecht tritt einmal mehr für das freie Wort der Nationalrevolutionäre ein, nun auch assistiert von Wolf-Dieter Narr - an der Freien Universität Berlin wechselt man die Gleise, um den neuen deutschen Zug nicht zu verpassen. Und auch die Erklärung von Funke und Stöss vernebelt einige Zusammenhänge mehr, als sie sie erhellt, obwohl zumindest Stöss es besser wissen müßte: seine Forschungen der 70er Jahre hatten bereits die braune Nische ausgeleuchtet, in die Rabehl jetzt - verspätet - tritt.

Reminiszenzen: "Dutschke war vor '68 und nach '68 Nationalrevolutionär, und ich kann mich auch dazuzählen", erklärte Rabehl und hat recht, auch wenn Funke und Stöss die angeblich "manipulative und stillose Vereinnahmung von Rudi Dutschke" beklagen. Mehr als Rabehl, der 1973 in seinem Buch "Geschichte und Klassenkampf" klar gegen völkisch-mystische und nationalistische Tendenzen in der deutschen Linken seit Lassalle Stellung bezog, gehörte Dutschke als Führer der emotional antiamerikanischen 68er, die im Sinne Rainer Zitelmanns und Klaus Rainer Röhls zu "89ern" wurden, immer schon zum neuen Großmachtdeutschland, das er nicht mehr erleben konnte. Passend forderten kürzlich die wieder zahlreicher werdenden Dutschke-Fans von demselben "System", das sie für den Tod ihres Idols verantwortlich machen, eine Ehrenerklärung und erhielten sie prompt: SPD, Grüne und PDS setzten 1999 durch, daß der Berliner Senat Dutschkes Grab zum "Ehrengrab" erklärte. Nun wird es auf Landeskosten gepflegt.

Die neue Ehrenleiche der alten Hauptstadt hatte sich zu Lebzeiten mehrfach selbst eindeutig verortet. Kurz vor dem Attentat gegen ihn hatte Dutschke 1968 Wolfgang Venohr ein Interview gegeben, dem Schüler Ernst Niekischs. Venohr engagierte sich seit den 60ern auf der extremen Rechten, wo Alt- und Neonazis gemeinsam mit den vormals von der Hitler-Fraktion verfolgten Nationalrevolutionären für ein wiedervereinigtes, blockfreies, militärisch starkes Deutschland als europäische Hegemonialmacht kämpften. Der Hauptfeind waren die USA, die Kultur des Westens, der Liberalismus in Lebensstil, politischem System wie Ökonomie - ein alter Feind der deutschen Rechten schon zu Zeiten der völkischen Bewegung am Ende des 19. Jahrunderts. Mit einer nationalbolschewistisch gewandelten und völkisch aufgeteilten Sowjetunion konnte man sich eventuell vorerst arrangieren, Niekischs Ideen aus den 20er Jahren folgend, der vom Zusammengehen des "germanischen Barbarismus" mit der "russischen Volksseele" träumte, aber sein Hauptziel klar formulierte: "das deutschgeführte Mitteleuropa".

Das Interview wurde kurz nach dem Attentat auf Dutschke in der Zeitschrift "Neue Politik" (NP) abgedruckt, die von dem früheren Mitglied der Reichsleitung der Hitler-Jugend und Herausgeber des HJ-Schulungsbriefes "Wille und Macht", Wolf Schenke, herausgegeben wurde. Schenke war nach der Röhm-Affäre und dem Zurückdrängen der Nationalrevolutionäre der Strasser-Gruppe innerhalb der NSDAP als Korrespondent des "Völkischen Beobachters" nach China gegangen. Von dort berichtete er "antiimperialitisch" - gegen Briten und US-Amerikaner, aber pro Japan - aus dem japanisch-chinesischen Krieg und kam erst nach 1945 nach Deutschland zurück. Das Konzept des faschistischen "Antiimperialismus" teilten die Nazis mit den Nationalrevolutionären; es bestimmte die Ost- und Südosteuropapolitik und auch die Nahost- und Mittelostpolitik der Nazis und richtete sich gegen jede Großmacht, die nicht Deutschland hieß oder mit ihm verbündet war. Es prägte Schenkes Nachkriegspolitik.

Er agitierte nun als Exponent der Nationalneutralisten bis in die 80er Jahre in zahlreichen rechtsextremen Gruppen gegen die Nato-Bindung der Bundesrepublik und für die Wiedervereinigung Deutschlands, das als sein eigener Block von völkisch konzipierten Zwergstaaten umgeben sein sollte. Etappenziele sollten den Endsieg vorbereiten. Auch Schenke hoffte auf ein Bündnis mit Rußland gegen die USA. Mit naiven Pazifisten, auch aus der Gesamtdeutschen Volkspartei Gustav Heinemanns und Johannes Raus, bekämpfte er in den 50ern die zweigeteilte Wiederbewaffnung der Deutschen, weil durch sie ein "Bruderkrieg" drohe. 1960 gründete er u.a. aus dem nationalneutralistischen Flügel der Deutschen Reichspartei DRP - die als Auffangorganisation der als NSDAP-Nachfolger 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei SRP gedient hatte - die Vereinigung Deutsche Nationalversammlung VDNV, die jeden gegen die Nato gerichteten Wiedervereinigungsvorschlag aus dem Ostblock freudig begrüßte und der in den 60ern auch der Nationalrevolutionär Henning Eichberg angehörte, ansonsten damals ein Schüler Otto Strassers, Ende der 70er ein Diskussionspartner Dutschkes.

1965 gründete Schenke gemeinsam mit August Hausleiter - dessen "Deutsche Gemeinschaft" ebenfalls SRP-Reste aufgenommen hatte - die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher AUD und versuchte sogleich, die AUD mit dem neu gegründeten DRP-Nachfolger NPD zusammenzuführen. Ende der 70er ging die AUD in der neuen Partei Die Grünen auf. Nach der Meinung Rabehls in seinem Danubia-Vortrag hatte Dutschke diese Verbindung noch mitvorbereitet, "um einen Ausgleich zu den links eingestimmten Exponenten einer grünen Partei zu schaffen", so Rabehl.

Obwohl Schenke in China für Nazi-Deutschlands Verbündeten Japan spioniert haben wollte, pflegte er mit seiner "Deutschen China-Gesellschaft" alte Verbindungen, weil er den chinesischen Kommunismus für tendenziell nationalrevolutionär und für antiimperialistisch gegen die beiden Machtblöcke gerichtet hielt, die sein Deutschland 1945 zerstört hätten. China sei aufgrund eigener Interessen der geborene Partner, der die Wiedervereinigung Deutschlands gegen die Sieger des Zweiten Weltkriegs befördern könne. Schließlich rief er nach einer "Nationalen Befreiungsfront Deutschlands". In der antiamerikanisch-antiimperialistischen und zunehmend auch maoistischen Studentenbewegung, die nach Rabehl bereits "nationale Befreiungsgruppen" für Westeuropa aufbaute, sah Schenke einen Hoffnungsträger. Er präsentierte sich auf Vortragsreisen sogar selbst als Sprecher der Außerparlamentarischen Opposition und deklamierte 1968: "Ich bin für diese Jugend". Folgerichtig veröffentlichte er das Dutschke-Interview. Nachdem Dutschke durch das Attentat als Partner "herausgeschossen" (Rabehl) war und die APO mehrheitlich marxistische statt deutsch-nationale Wege ging, entfernte sich Schenke wieder von ihr, fand aber Ende der 70er wieder zu einigen der nationalen 68er zurück.

Die NP versuchte, das gesamte Spektrum des Rechtsextremismus als "Dritten Weg" zwischen US-amerikanischem Kapitalismus und sowjetischem Kommunismus zu verkaufen und dafür Verbündete zu finden. Hierzu wurde auch breit ein Rätesystem als genuin deutsch-völkische Herrschaftsform und als Alternative zur "amerikanischen" Demokratie diskutiert. Niekischs Funktion in der Münchner Räterepublik 1918 diente ebenso als Anknüpfung wie Räte-Pläne aus dem nationalrevolutionären Widerstand einiger Militärs der 40er Jahre - die der wissenschaftliche Spezialist für Rätesysteme Rabehl im kommenden Semester wohl als "theoretische Demokratiekonzeptionen für ein Nachkiegsdeutschland" und als Alternative aus dem "deutschen Widerstand" zu den Plänen der Alliierten diskutieren wird, wie es die Seminarankündigung suggeriert. Schenke selbst warf sich mächtig für die Räte ins Zeug.

Diese NP-Debatte 1967/68 war explizit auf die rätedemokratischen Forderungen aus der Studentenbewegung gerichtet, an die Rabehl im Sommer 1998 in der Ostberliner Zeitschrift "Sklaven-Aufstand" (nicht "im Sklaven", wie der SPIEGEL jetzt fälschlich schrieb; der Name ist schließlich Programm) erinnerte; das Blatt gibt den Nationalrevolutionären der Prenzlauer-Berg-Szene ein Forum. Rabehl berichtete hier, am 17. Juni 1967 habe Dutschke auf einer SDS-Veranstaltung ein politisches Aktionskonzept gegen die Okkupation Deutschlands durch die USA und die UdSSR und für die Wiedervereinigung vorgelegt, das den Nationalismus als antiimperialistischen Hebel beinhaltet habe. Den Nationalismus habe Dutschke zwar "über die Inhalte der Tradition der Radikal- und Rätedemokratie neu gewichtet", jedoch "der Funke sprang nicht über. Die marxistischen Traditionalisten im SDS blockten ab", so Rabehl 1998.

Die NP kritisierte vehement die Kriegsverbrecherprozesse und brachte in den 60ern auch Artikel gegen die Auschwitz-Prozesse. Eine "Generalamnestie" wurde gefordert, denn die "KZ-Prozesse ohne Ende" würden nur "die Millionen heranwachsender Junger im Namen eines Volkes belasten", während die Taten der Alliierten gegen Deutsche ungesühnt blieben. Rabehl nahm solche Gedanken der extremen Rechten vor der Danubia wieder auf, als er vom "Schuldpranger der deutschen Verbrechen" sprach, dessen Funktion es heute sei, die Deutschen abhängig zu halten und als Mittäter in die neuen Verbrechen der USA hineinzuzwingen, wie am Persischen Golf und in Jugoslawien.

In der NP schrieben auch die nationalrevolutionären Vordenker Niekisch und Otto Strasser - der Erfinder eines "Deutschen Sozialismus" - selbst; alte Streitigkeiten aus der Zeit der 20er und frühen 30er Jahre spielten angesichts der "deutschen Daseinsverfehlung" (Niekisch, Schenke) nach 1945 nun keine Rolle mehr, denn jetzt wurde gemeinsam an die "Elemente freiheitlich-völkischer Natur" angeknüpft, die es "im deutschen Nationalsozialismus zu Anfang wenigstens noch" gegeben habe, so Schenke. Venohr stellte in der NP "die slowakische Frage" und hoffte, der Prager Frühling 1968 werde zum Auseinanderbrechen der Tschechoslowakei und in der Folge zu einer völkischen Neuordnung Osteuropas in Deutschland-abhängige Kleinstaaten führen, die es unter der Nazi-Besatzung schon einmal gegeben hatte. Auch die "mazedonische Frage" wurde 1968 in der NP gestellt, mit der Perspektive auf den völkischen Zerfall Jugoslawiens.

Schenke und die NP fürchteten keine Berührung mit früheren Hilter-Gefolgsleuten. Auf der Seite, die dem Dutschke-Interview sogleich folgte, wurde ein Mitstreiter als "unbeugsamer Charakter" geehrt: der von Griechenland wegen Kriegsverbrechen zu viermal lebenslangem Zuchthaus verurteilte Wehrmachtsgeneral Alexander Andrae, der als Besatzungskommandant auf Kreta gewütet hatte, nach seiner Begnadigung Vorstandsmitglied der DRP wurde, dann die rechtsextremistische "Gesellschaft für freie Publizistik" und Schenkes VDNV mitbegründete: "dem guten Deutschen, dem guten Europäer und - dem guten Menschen", so die NP 1968 zu Andraes 80. Geburtstag.

Dutschke lag im Koma, als sein Interview in diesem Umfeld erschien, doch er hatte seine Aussagen "bereitwillig" (Venohr) und offenbar im Wissen um Vernohrs politische Position bei vollem Bewußtsein vor dem Attentat gemacht. Nachdem Vernohr sich als "Fähnleinführer, Kriegsfreiwilliger und Offizier in der Deutschen Wehrmacht" geoutet hatte, sei "das Eis zwischen uns geschmolzen", so Venohr. Der Studentenführer brachte allerlei Antiimperialismus, die Forderung, "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" in Deutschland mit der "nationalen Frage" zu verbinden, und ein Bekenntnis zur Mitarbeit ehemaliger Nazis in der APO, wenn diese "in einem Prozeß der Selbstaufklärung ... sich geschichtlich darüber klar geworden sind, was da geschehen ist, was mit unserem Volk und der Menschheit da geschehen ist", als seien es Außerirdische gewesen, die Hitler zum Reichskanzler gewählt hatten. Dann rief er nach "antiautoritären Führerpersönlichkeiten". Der nationale Leser erfuhr, daß Dutschke den Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee der DDR nur deshalb verweigert hatte, weil er nicht an einem Bruderkrieg teilnehmen wollte: "Ich war nicht bereit, in einer Armee zu dienen, die die Pflicht haben könnte, auf eine andere deutsche Armee zu schießen". Er beklagte das Fehlen "wirklicher Selbständigkeit" der Deutschen nach 1945: "das lehne ich ab", und verlangte, "die nationale Frage" müsse "von unten" gelöst werden. Jedoch erst später wolle er Deutschlands "nationale Frage wesenhaft betonen; denn wir dürfen sie in der Tat nicht überspringen, dürfen sie aber auch nicht zu einem falschen Zeitpunkt in den Mittelpunkt stellen".

Der Spürhund Günter Bartsch, der auf vielen Hochzeiten dieser Szene tanzte, befand bereits 1975 in seinem Buch "Revolution von rechts?", daß "Rabehl und Dutschke auf der Schwelle des Nationalismus" gestanden hatten. Er zitierte aus Dutschkes Plan zur deutschen Wiedervereinigung von 1967, die von einer Räterevolution in West-Berlin ausgehen sollte, und aus unveröffentlichten Notizen Rabehls, die sich an Mao Tse-tungs "Nationalkommunismus" anlehnten. Rabehl angeblich 1967: "Die marxistische Linke muß Ansätze des Nationalismus weitertreiben, gerade auf den neuralgischen Punkt, daß Deutschland geteilt wurde durch den Bundesgenossen USA"; es gelte, mit Hilfe des Nationalismus den Gehorsam des deutschen Volkes gegenüber den USA aufzubrechen, so Rabehl laut Bartsch.

Den rechten Zeitpunkt, die nationale Frage "wesenhaft zu betonen", sah Dutschke nach den Erfolgen der Entspannungspolitik gekommen, die wider Erwarten zur inneren Stabilisierung der sozialistischen Staaten und zur Verfestigung der deutschen Teilung geführt hatte - beides für Dutschke ein Greuel, das Schenke schon 1968 als "Fiasko der neuen Ostpolitik" vorhergesehen hatte. Nun galt es, die Deutschlandpolitik "operativ" (so später der CDU-Politiker Bernhard Friedmann, heute Präsident des Europäischen Rechnungshofs) gegen den realsozialistischen Block einzusetzen. Als Verbündeten gewann Dutschke Klaus-Rainer Röhl, der mit seiner Zeitschrift "das da-avanti" die nationale Debatte in der Linken lostreten wollte und später konsequent auf der extremen Rechten landete: unter Rainer Zitelmann publizierte er in den 90ern seine eigenen nationalen Thesen. Für Röhls Blatt schrieb Dutschke 1977/78 eine Reihe von Artikeln, die heute Rabehl als Steilvorlage dienen. Nicht der die damals beginnende Globalisierung der Kapitalverwertung, nicht ein politisch-ökonomischer Antiimperialismus war Dutschkes Ausgangspunkt für die Analyse der beginnenden ökonomischen Krise, sondern die "nationale Frage", der "Status quo des Jalta-Systems", wie die Nationalrevolutionären den Ausgang des Zweiten Weltkriegs später nannten. Die "kapitalistische Amerikanisierung" habe einen "Auflösungsprozeß der geschichtlichen und nationalen Identität" bewirkt, so Dutschke, "wie können wir jemals davon frei werden und auf eigenen Beinen gehen?" Die Linke müsse sich emotional der Leiden der deutschen Teilung annehmen, statt dessen übe sie sich in Solidarität mit der portugiesischen Revolution; dies sei die "linke Misere". Ein "nationales Klassenbewußtsein" müsse her zur "Wiedergewinnung eines realen Geschichtsbewußtseins der Deutschen". In der Folge würde sich der "Status quo der politisch-ökonomischen Machtzonen des kapitalistischen Imperialismus made in USA und des Imperialismus der allgemeinen Staatssklaverei Rußlands" auflösen. Vom deutschen Imperialismus kein Wort.

An Dutschkes "nationale Frage" knüpfte sogleich, ebenfalls in "das da-avanti", Henning Eichberg an, dessen kultur-völkische, gegen die Immigranten gerichtete Ausweitung des Themas Rabehl heute aufgenommen hat: "Der Kern der nationalen Frage ist die nationale Identität", so Eichberg, "sich kollektiv seiner selbst vergewissern, bei sich selbst zu Hause sein ... Identität oder Entfremdung - das ist der neue Hauptwiderspruch, Imperialismus oder unser Volk". Dann beschrieb er blumig den Horror: "Westeuropäische Ingenieure für Togliattigrad, italienische Arbeitsemigranten für die Tschechoslowakei, ukrainische und lettische Arbeitskraft für westdeutschen Profit. Wodka-Cola." Dagegen habe Dutschke "die nationalrevolutionäre Perspektive der deutschen Linken" gesetzt. In seinem Aufsatz "Balkanisierung für jedermann" von 1979 entwarf Eichberg - auch unter Bezug auf Dutschkes Texte - die Perspektive eines Europa, in dem sämtliche bisherigen Nationalstaaten in ihre völkischen Bestandteile zerfielen, um die jeweils eigene völkische Identität der Teile wiederzuerlangen, aber Deutschland seine "Volkseinheit" durch die Überwindung der "Wodka-Cola"-Teilung auf größerem Niveau herstellte - Niekischs deutschgeführtes Mitteleuropa.

Der Alt- und Neonazi Wolf Schenke konnte im Gegensatz zu Röhl den lebenden Dutschke nach 1968 nicht erneut für sich gewinnen. Doch bis zu seinem Tod 1989 blieb Schenke eine Graue Eminenz der nationalrevolutionären "antiimperialistischen" Deutschlandvereiniger, denen sich nun auch - spät und mit geändertem Ansatz nach erfolgter deutscher Einheit - Bernd Rabehl zugesellt. Diese unübersichtliche Szene, die weit in die SPD und neuerdings in die PDS hineinreicht, obwohl der Verfassungsschutz sie in den letzten Jahren teilweise als "neonationalsozialistisch" bezeichnete und ihren jüngeren Vordenker Henning Eichberg zum "vorherrschenden" Ideologen "des gesamten rechten Lagers" erklärte, ist eng verwoben und wurde erstmals zusammenfassend 1990 in der Schrift "Die nationalrevolutionäre Connection: Gaddafi - Mechtersheimer - Schönhüber" analysiert (als free text nachzulesen im Internet unter www.snafu.de/~bifff, Broschüren). Mit der Wiedervereinigung und dem Zerfall des realsozialistischen Blocks schien diese Szene ihr Thema verloren zu haben. Der Ansatz der Unterjochung der deutschen Nation durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs griff nicht mehr so recht, der Kampf gegen den Wodka-Cola-Imperialismus im alten Paradigma war 1990 obsolet. Doch Rabehl belebt sie wieder mit der These, die Immigranten brächten die Deutschen um die Früchte der neu erlangten Nation, um ihre eigene deutsche Identität, und in der Folge dieser Zersetzung eigener nationaler Größe gerieten die Deutschen in eine neue Abhängigkeit von den Interessen der USA. Und Rabehl steht keineswegs allein da.

Tatsächlich scheint die alte personelle Struktur der nationalrevolutionären Deutschland-Vereiniger auch heute, nach dem Paradigmenwechsel, immer noch intakt zu sein, Schenke in memoriam. 1985 - Rabehl ging jetzt für sechs Jahre nach Brasilien - propagierte Schenke in einer "Denkschrift Friedensvertrag, Deutsche Konföderation, Europäisches Sicherheitssystem", die in Alfred Mechtersheimers Starnberger ibf-Verlag erschien, gemeinsam mit Personen, die jetzt in der Rabehl-Affäre wieder zu nennen sind, noch einmal das alte Ziel: Zerschlagung des "Jalta-Systems", statt dessen das blockfreie wiedervereinigte Deutschland als europäische Hegenonialmacht, das sich endlich durch "nationales Aufbegehren" von der "Fremdbestimmung der deutschen Politik" befreien müsse, um seine "innere Selbstbestimmung" zurückzuerlangen und "zur Überwindung der europäischen Nachkriegsordnung" beizutragen, wie es in der "Denkschrift" hieß. "Jeder Staat definiert erst einmal seine eigenen Interessen und versucht dann, diese in die internationale Politik einzubringen. Die Deutschen sollten nicht anders verfahren", las man dort, gegen den Helsinki-Prozeß der europäischen Zusammenarbeit gerichtet - auf dem Balkan wurde dies deutsche Regierungspolitik, auch wenn Rabehl noch beklagt, die fremdbestimmten, kulturell zersetzten Deutschen könnte ihre eigenen Interessen nicht mehr artikulieren.

Eine unvollständige Liste des "Denkschrift"-Kreises von damals zeigt seinen heutigen politischen Einfluß. Neben Schenke gehörten u. a. dazu::

Herbert Ammon, Studienrat am Studienkolleg für ausländische Studierende der FU Berlin, der in der SPD und den Grünen das nationalrevolutionäre Deutschland-Konzept propagierte, inzwischen Autor in der "Jungen Freiheit" - der eigentlichen Nachfolgerin der "Neuen Politik" Schenkes - wurde und als interessierter Zuhörer im Publikum sitzt, wenn öffentlich über Rabehl diskutiert wird. Ammon wirkt heute mehr im Hintergrund der Szene.

Theodor Schweisfurth, SPD-Mitgied und in der Sozialdemokratie ein geschätzter Völkerrechtler, der gemeinsam mit Ammon der eigentliche Autor der "Denkschrift" war. In den 80ern warb er beim Gesamtdeutschen Studentenverband GDS ebenso für das rechte Deutschland-Konzept wie bei dem vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch bezeichneten "Norddeutschen Forum" - hier gemeinsam mit einem Vertreter der Burschenschaft Danubia, die immer schon den Minenhund für Nationalrevolutionäre spielte. 1990 machte ihn Willy Brandt kurzzeitig zu einem SPD-Vorzeige-Wiedervereiniger. Heute lehrt Schweisfurth er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, zu deren Präsidentin gerade eben die einflußreiche Professorin am Otto-Suhr-Institut und rechte Sozialdemokratin Gesine Schwan gewählt wurde. Schwan, die in den 70er Jahren maßgeblich mithalf, die marxistischen Folgen der Studentenbewegung innerhalb der SPD einzudämmen, hielt Rabehl nach dessen Rechts-Wende gewissermaßen den Rücken frei und holte auch die heutige SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin als Honorarprofessorin ans SPD-dominierte OSI. Im Wahlgremium für ihre Viadrina-Präsidentschaft saß jetzt auch der frühere 68er Michael Daxner, der 1987 als Präsident der Universiät Oldenburg den dort lehrenden Eichberg-Förderer Gerd Vonderach - früher SDS-Mitglied, dann ebenfalls Referent beim GDS, schließlich ein offen Völkischer - vehement gegen antifaschistische studentische Proteste verteidigte - die Geschichte wiederholt sich doch. Vonderach hatte Eichbergs Ideen in Oldenburg propagiert und aus dem Eichberg-Kreis um die Zeitschrift "wir selbst" Peter Bahn als Mitarbeiter an die Uni geholt; Bahn war zeitweilig Mitglied der Nazi-Sekte Deutsche Unitarier (vgl. "Mutter Teresa trifft Alfred Rosenberg", KONKRET 12/1996) und fungierte danach als revisionistischer Geschichtsschreiber für die Sekte der "Freireligiösen", die sich in den 30er Jahren erst an der Strasser-Linie orientierten, dann aber Adolf Hitler zum Gott erklärt hatten (vgl. "Führer unser", KONKRET 1/1998).

Hubertus Mynarek, der als Ideologe für die Deutschen Unitarier ebenso schrieb wie für die Freireligiösen und heute eine Art Chefideologe des Humanistischen Verbandes Deutschlands HVD ist. Der HVD, der in Berlin Millionen an Steuergeldern erhält und vor allem in der SPD und der PDS verankert ist, sieht sich in der Tradition der Freireligiösen und veranstaltete gemeinsam mit deren Berliner Gemeinde und dem Kulturamt des Berliner Stadtbezirks Prenzlauer Berg 1998/99 eine Ausstellung zur Traditionsgeschichte, die heftig umstritten war, weil sie die Nazi-Verwicklungen aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 penibel aussparte, statt dessen die Freireligiösen als sozialdemokratisch darstellte. Politisch verantwortlich für die Ausstellung war der Prenzlberger PDS-Kulturstadtrat Burkhard Kleinert, ein Förderer der Freireligiösen und des HVD. Kleinert betreibt die Zeitschrift "Sklaven-Aufstand" maßgeblich mit, in der Rabehl seine Thesen zuerst publizierte, bevor sie auch die "Junge Freiheit" und "wir selbst" druckten. Die Berliner Freireligiösen-Gemeinde wird heute juristisch betreut von der Berliner Notars- und Rechtsanwaltskanzlei Herta Däubler-Gmelins; ihr Staatssekretär im Justizministerium ist Eckhart Pick, der heute prominenteste Freireligiöse, dessen Vater Georg Pick 1937 in seinem Buch "Die Religion der freien Deutschen" Hitler zum Gott ausrief - noch 1992 leitete die Sekte ihre "Religion" aus dieser Schrift ab.

Peter Brandt, der schon 1981 gemeinsam mit Herbert Ammon in dem Buch "Die Linke und die nationale Frage" die Ideen Niekischs und die Diskussion zwischen Eichberg und Dutschke popularisierte, die er vor allem in die SPD (über die Theoriezeitschrift "Die Neue Gesellschaft") und die Grünen trug, und der heute mit dem national gesinnten PDS-Promi Hans Modrow und mit Lothar de Maizière den Aufsichtsrat des zwielichtigen Verlags "edition ost" bildet. Hier publizierten der Nationalbolschewist Karl Schirdewan, der z. T. an Niekisch orientierte Rudolf Bahro und der "Denkschrift"-Unterstützer und frühere NP-Autor Peter Joachim Lapp ebenso wie der Gegner der Nationalrevolutionäre Kurt Gossweiler.

Rolf Stolz, ein vom IG Farben-Nachfolger Bayer AG ausgehaltener Betriebspsychologe und unermüdlicher Organisator der nationalrevolutionären Wiedervereiniger-Initiativen der 80er Jahre, vorher SDS- Mitglied und dann Grünen-Bundesvorstandsmitglied, ein Freund Hausleiters, Eichbergs und Ammons. Stolz berief sich schon früh auf Dutschke und die Brandt/Ammon-Popularisierungen und ist einer der Erfinder der neuen ausländerfeindlichen Tiraden der Nationalrevolutionäre, die er in eigenen Büchern ("Die Mullahs in Deutschland", "Kommt der Islam?"), in Mechtersheimers Rundbriefen und unter Zitelmanns Regie in der Zeitung "Die Welt" veröffentlichte. Einen Neuaufguß, den Stolz im November 1998 für die Beilage "Aus Politik und Zeitgeschichte" der regierungsoffiziösen Zeitung "Das Parlament" schrieb, zitiert Rabehl heute explizit für seine These von der Zersetzung des deutschen Volkskörpers durch die Immigranten. Der Stolz-Text ist ein wahrer Hetzartikel gegen Immigranten, den man in der rechtsextremistischen Presse vermuten würde, nicht jedoch in einer Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung, die dem SPD-Innenminister Otto Schily untersteht. Stolz rechnet hier dem deutschen Steuerzahler die vermeintlichen Kosten der Immigrantion von den Verwaltungkosten der Asylanträge bis zu denen des Justizvollzugs straffälliger Ausländer vor und beklagt, das wahre Ausmaß dieser Kosten werde dem Volk verschwiegen. In der ihm seit SDS-Zeiten eigenen radikalen Sprache verbreitet er sich über die angeblich extrem hohe Kriminalitätsrate und die mangelnde Intergrationswilligkeit vor allem der islamischen Immigranten, malt die "Ghetto-Guerilla" an die Wand, fordert einen Zuwanderungsstopp und prangert das angebliche Diskussionsverbot dieser Themen an - alles dies hat Rabehl übernommen.

Alfred Mechtersheimer, dessen nationalistische Kritik an der Kosovo-Kriegsbeteiligung der Bundeswehr von Rabehl übernommen wurde: deutsche Soldaten hätten sich vor den Karren der USA spannen lassen.

der Dutschke-Interviewer Wolfgang Venohr und

Tilman Fichter, Bildungsreferent beim SPD-Parteivorstand und ständiger Mitarbeiter in der Redaktion der "Neuen Gesellschaft / Frankfurter Hefte". Fichter druckte die "das da-avanti"-Artikel Dutschkes 1993 unter dem Lektorat Rainer Zitelmanns in seinem Ullstein-Buch "Die SPD und die Nation" noch einmal als Beleg für die nationale Orientierung eines Teils der 68er ab. Im Sommer 1999 lud er Rabehl und seine folgsamen Studenten ins Willy-Brandt-Haus ein. Die Einladung in die SPD-Zentrale, die als Unterstützung auf dem ersten Höhepunkt der Rabehl-Affäre verstanden wurde, war konsequent, denn Fichter hatte schon 1993 einem frischen "taz"-Artikel zugestimmt, in dem Rabehl Dutschkes nationalrevolutionären Weg von den Kämpfen zur Befreiung Algeriens und Vietnams hin zu Kämpfen, die zur nationalen Befreiung Deutschlands angestanden hätten, präsentierte. Das frühere SDS-Mitglied Fichter verfaßte 1977 mit dem heutigen Rabehl-Kollegen am OSI, Siegward Lönnendonker seine eigene Deutung der SDS-Geschichte, die er in seinem SPD-Buch von 1993 noch einmal national auflud. Fichter förderte den heutigen, Niekisch-nahen "Hofgeismarkreis" nationalrevolutionärer und ausländerfeindlicher Jusos und gab Rabehl den Tip, den Danuben und "Hofgeimarer" Juso Sascha Jung zur politischen Ausrichtung der Burschenschaft Danubia zu befragen - Jung sprach seine Mannen angeblich frei vom Rechtsextremismus früherer Tage, verteidigt sich Rabehl heute. Lönnendonker hat für das Wintersemester eine gemeinsame Lehrverstaltung mit Rabehl angekündigt: "Wieviel Kritik verträgt unsere Demokratie?" Nicht so viel, denn die OSI-Professoren möchten die Rabehl-Debatte endlich beenden und zur Tagesordnung übergehen. Und die sieht in der SPD des neuen Deutschland so aus: Der innerparteiliche Fichter-Förderer, brandenburgische SPD-Landesvorsitzende und Wissenschaftsminister Steffen Reiche ("Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein. ... Deutsch ist ein lebendiges Wort, das ruft nach einem Wort, das es bestimmen kann - deutsche Sprache, deutsche Geschichte, deutsche Architektur, deutsche Wirtschaft" - deutscher Einmarsch, deutscher Sozialismus?; Reiches Rede zur Präsentation von Fichters SPD-Buch druckte die "Junge Freiheit" prompt ab) hatte sich schon "im Vorfeld der Kandidatensuche" (Der Tagesspiegel) für die Wahl Gesine Schwans zur Frankfurter Uni-Präsidentin ausgesprochen - Wissenschaft, rechts um marsch!

Ob sich alle aus dieser Szene duzen, wie es "Der Spiegel" zur Rabehl-Affäre über die Professoren des OSI schrieb, wissen wir nicht. Doch als Antifaschisten 1987 erstmals vor der "Denkschrift"-Szene warnten, war es der heutige Rabehl-Verteidiger und OSI-Professor Ulrich Albrecht, der sich gewaltig für sie in die Bresche warf: als Unterzeichner einer Solidaritätsadresse "gegen Verleumdung und Diskussionsverbote", die Rolf Stolz organisiert hatte. Zu Albrecht gesellten sich damals rechte Grüne wie Helmut Lippelt, Gert Bastian, Roland Vogt. Heute sind sie (sofern sie noch leben: wie würde sich der Friedens-General Bastian, einst "Denkschrift"-Unterstützer, jetzt re-rekrutiert, als Kommandeur von Pristina machen!) Verfechter der neuen Großmacht Deutschland, die ihre Interessen auf dem Balkan und bald auch wieder andernorts gegen die alte US-amerikanische Konkurrenz einbringt. Denn das haben Rabehl und seine Nationalrevolutionäre bisher noch nicht ganz verstanden: Die nationale Karte, jetzt als Anti-Immigranten-Joker, soll den deutschen Sieg weltweit gegen die multikulturell zersetzten USA herausstechen. Hat es der SPD-Bildungsreferent Fichter kapiert? Um das Ziel zu erreichen, das die Nationalrevolutionäre seit Jahrzehnten verfolgen, mußten deutsche Soldaten ins Kosovo, und auch nach anderswo. Albrecht bot im letzten Semester ein Seminar über die "Neukonzipierung der deutschen Außenpolitik in Ostmitteleuropa" an, mit Gästen aus der praktischen Politik und unter Berücksichtigung "nicht-regierungsamtlicher Beiträge, etwa aus dem rechten politischen Lager". Für das jetzige Wintersemester steht sein Seminar über "die Wiedervereinigung Deutschlands - 10 Jahre danach" auf dem Plan, "eingeladen werden als Gäste Protagonisten der Vereinigung aus der alten Bundesrepublik", die "auf Grund ihrer persönlichen Erfahrungen Stellung nehmen". Ob auch Personen aus der obigen Liste dabei sind?

(Der Text wurde leicht gekürzt in zwei Folgen veröffentlicht in KONKRET Nrn. 11/1999 und 12/1999.)

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