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Bürgerrechte & Polizei/CILIP 64 (3/99)

Präventionsrat Schöneberger Norden
Ein nicht ganz typisches Beispiel


von Christine Hohmeyer

02/00 trdbook.gif (1270 Byte) trend online zeitung Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net   ODER per Snail: Anti-Quariat Oranienstr. 45 D-10969 Berlin
Am 21. Mai 1997 beschloß die Bezirksverordnetenversammlung Schöneberg von Berlin, ein „ortsteilbezogenes Sicherheitsforum“ einzurichten. Bezirksamt, PolitikerInnen, Polizei, gesellschaftliche Institutionen, Gewerbetreibende und nicht zuletzt die BürgerInnen selbst sollten an einem runden Tisch zusammenkommen, um den „Abbau des Gewaltpotentials“ im Bezirk voranzutreiben.[1] Im Januar 1998 wurde unter der Leitung der Bezirksbürgermeisterin ein „Präventionsrat Schöneberger Norden“ gegründet. Doch die vielfältigen Aktivitäten des neuen Gremiums zielen nicht allein auf Sicherheit. Vielmehr scheint durch die Kooperation von BürgerInnen und Ämtern eine andere Form der Kommunalpolitik zu entstehen, in der liegengebliebene Aufgaben unter dem Etikett der Kriminalprävention neu bearbeitet werden.

Daß ein Stadtteil auf Gewalt und Unsicherheit mit der Gründung eines Präventionsrates reagiert, ist keine neue Idee. Bereits seit Beginn der 90er Jahre wird in Deutschland zunehmend versucht, Kriminalitäts- und Ordnungsproblemen auf kommunaler Ebene zu begegnen. Dabei soll, in Zusammenarbeit von Polizei, Behörden und lokalen Akteuren, Kriminalität am Ort ihres Entstehens bekämpft werden. Der lokale Kontext, so das Versprechen, erfülle gleich mehrere Funktionen. „Prävention vor Ort kann durch Tätigkeitsangebote und die Möglichkeit der Aktionspartizipation Verantwortungsbewußtsein wecken (...) Vor allem aber kann sie angesichts der auf lokaler Ebene viel direkteren Information und kürzeren Wege zeitnäher, dynamischer und flexibler reagieren.“[2] Mit den Schlagworten Prävention und Partizipation werden die vordringlichsten Aspekte dieser neuen Sicherheitspolitik benannt: Kriminalität und Ordnungsstörungen seien vorbeugend, möglichst sogar ursachenorientiert zu bekämpfen. Dies gelinge dann am besten, wenn möglichst viele gesellschaftliche Institutionen und die BürgerInnen selbst an den neuen Gremien beteiligt werden könnten.

Nachdem Schleswig-Holstein mit der Gründung eines landesweiten Präventionsrates und zahlreicher regionaler Gremien im Jahr 1990 begonnen hatte, sind Präventionsräte oder vergleichbare Gremien mittlerweile beinahe flächendeckend vorhanden.[3] Die Gründung dieser regionalen Gremien geht auf unterschiedliche Initiativen zurück, erfolgt teilweise „von unten“, von privaten Vereinen oder lokalen Initiativen, meist aber von den regionalen Ämtern oder der Polizei selbst. In zwölf Bundesländern ist jeweils auf Landesebene ein zentraler Präventionsrat, eine „Koordinierungsstelle“ oder „Interministerielle Arbeitsgruppe“ für den Aufbau der regionalen Gremien mitverantwortlich. Darüber hinaus haben verschiedene Bundesländer Richtlinien für die Arbeit kommunaler Gremien erlassen. So legte Bayern bereits 1993 den Städten und Gemeinden eine Mustersatzung vor, in der Organisation und Aufgaben von „Sicherheitsbeiräten“ festgelegt sind.[4] Auch in Brandenburg ging die Initiative vom Innenministerium aus. Im Rahmen der „Konzertierten Aktion Kommunale Kriminalitätsverhütung (KKV)“ wurde die Polizei im August 1992 vom Innenminister aufgefordert, auf kommunaler Ebene ressortübergreifende Gesprächskreise und runde Tische zu gründen.[5] Das nordrhein-westfälische Innenministerium schrieb 1993 in einem Runderlaß: „Da die Erkenntnisse über Kriminalität zuerst bei der Polizei anfallen und vorliegen, die Kriminalitätsvorbeugung aber eine übergreifende Aufgabe ist, muß die Polizei initiativ werden und darauf hinwirken, daß im kommunalen Bereich ‚Kriminalpräventive Räte' oder entsprechende Arbeitskreise/-gruppen gebildet werden. In diesen Gremien kann die Polizei solange federführend sein, bis vor Ort andere Regelungen getroffen werden.“[6] Dabei sollten sich vor allem die Städte und Gemeinden selbst für die lokale Kriminalprävention engagieren.

Kiezorientierte Gewaltprävention in Berlin

In Berlin wurde 1994 die Landeskommission „Berlin gegen Gewalt“ eingerichtet, der StaatssekretärInnen verschiedener Ressorts angehören. Diese Kommission soll „auf Anfrage gewalt- und kriminalpräventive Ansätze in Berlin durch Information, Beratung, Vernetzung und Bereitstellung von Ressourcen“ unterstützen.[7] Mit dem Gremium reagierte der Berliner Senat auf die Empfehlungen der „Unabhängigen Kommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt“, die in ihrem Endbericht 1994 „kleinräumige Präventionsarbeit“ gefordert hatte.[8] Ort der Prävention sei dabei der „Kiez“, das gewachsene, kleinräumige Quartier, wo „Gemeinschaft realisiert und spürbar“ werde. Hier sei bereits eine Vielzahl an stadtteilbezogenen Initiativen, Projekten und Hilfssystemen vorhanden, die es im Dienste der Gewaltprävention zu nutzen gelte.[9] In diesem Sinne wurden 1997 in den Stadtteilen Neukölln und Friedrichshain Modellprojekte zur „Kiezorientierten Gewalt- und Kriminalitätsprävention“ gestartet. Diese sollten über eine Laufzeit von zwei Jahren wissenschaftlich evaluiert werden. Bei „erfolgreichem Verlauf“ sei eine „Ausweitung auf andere Bezirke Berlins vorgesehen.“[10] Nach Ablauf der Modellphase in diesem Jahr hat Neuköllns Präventionsgremium seine Arbeit eingestellt, in Friedrichshain werden die Aktivitäten weiter fortgeführt.[11]

Derweil die Erfolge und Mißerfolge der Modellprojekte noch der Diskussion bedürfen, haben einzelne Bezirke in eigener Regie mit der Gründung lokaler Präventionsgremien begonnen. Nachdem sich bereits im August 1997 im Wedding ein Sicherheitsbeirat konstituiert hatte, sind mittlerweile dreizehn solcher Initiativen in verschiedenen Berliner Bezirken vorhanden.[12]

Der Schöneberger Weg

Am 21. Mai 1997 stimmte die Bezirksverordnetenversammlung Schöneberg für die Einrichtung eines sogenannten Sicherheitsforums. Dies war von der SPD beantragt worden, damit „sich abzeichnende Konfliktpotentiale frühzeitig erkannt und gegebenenfalls gemeinsam Schritte zur Deeskalation besprochen werden könnten.“[13] Die Federführung sollte die Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Bündnis 90/Die Grünen) übernehmen, die alsbald Prävention und Partizipation in Aussicht stellte: „Grundidee (...) ist, die sozialen Ursachen von Kriminalität zu bekämpfen, wie auch das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung zu verbessern, wobei nachhaltige Erfolge nur erzielt werden können, wenn die Betroffenen sich selbst engagieren.“[14] Noch vor der ersten Sitzung des neuen Gremiums führte Ziemer vorbereitende Gespräche mit der Polizei. Die Beamten des Abschnitts rieten dazu, zunächst „mit einzelnen Interessengruppen konkrete Probleme zu bearbeiten.“[15] Zu diesem Zweck wurden die Gewerbetreibenden des Kiezes ausgewählt, die laut Polizei „besonders durch Überfälle, Diebstähle, Drogenhandel etc.“[16] beeinträchtigt seien. Die Polizei befragte dieselben, ob sie Interesse an einem runden Tisch hätten, und legte im Dezember 1997 eine Liste mit 281 Namen vor.

Anfang Januar 1998 fand die erste Sitzung mit rund 120 TeilnehmerInnen statt. Angesichts einer derartigen Resonanz stellen sich drei Fragen. Zum einen, welche Interessengruppen und welche Bevölkerungsschichten es sind, die sich für das Gremium interessieren. Zum zweiten, welche Probleme hier überhaupt bearbeitet werden, welche Ziele verfolgt, welche Projekte umgesetzt werden sollen. Beides zusammen mündet in eine dritte Frage: wieweit ein solches Gremium den Anforderungen einer lokalen Sicherheitspolitik gerecht werden kann.

Arbeitslose und soziale Not – Beteiligte und Probleme

Der „Präventionsrat Schöneberger Norden“ ist kein festes Gremium, sondern das „Treffen der Bevölkerung mit der Verwaltung, der Politik und Fachleuten jeglicher Coleur.“[17] Zwei- bis dreimal im Jahr tagt das Plenum, das sich durch Größe und Heterogenität von anderen Sicherheitsforen unterscheidet. So nahmen zum Beispiel an einem Treffen im September 1999 einerseits staatliche VertreterInnen teil – die Bezirksbürgermeisterin selbst, Mitglieder der BVV, MitarbeiterInnen der Senatsverwaltung für Inneres, des Tiefbauamtes, des Bezirksamtes sowie der Polizei. Auf der anderen Seite waren verschiedene freie Träger bzw. VertreterInnen einzelner Betroffenengruppen vertreten – „Gangway“ und „Treberhilfe“[18], Kiezoase, Frauentreff Olga, Heilsarmee und Internationaler Bund. Ebenfalls vertreten waren die Berliner Stadtreinigungsbetriebe sowie die Wohnungsbaugesellschaft WIR, die zahlreiche Häuser in Schöneberg besitzt. Gut ein Drittel der rund 60 Anwesenden waren AnwohnerInnen.

In den wenigen kritischen Reflexionen, die es zu kommunaler Kriminalpolitik derzeit gibt, sind vor allem zwei Einwände gegen diese Form der Bürgerbeteiligung von Bedeutung. Zum einen, daß lokale Gremien sich vor allem aus Mittelschichten rekrutieren und daher per se nur partielle Interessen vertreten würden.[19] Zum anderen, daß Gewerbetreibende mitsamt ihren Vorstellungen von Sicherheit und Ordnung besonders durchsetzungfähig seien.[20] Letzteres ist auch für Schöneberg zu befürchten, wo die ortsansässigen Händler nicht nur im Vorfeld exklusiv nach ihren Sorgen und Nöten befragt wurden, sondern in der ersten Sitzung der „AG Gewerbe“ auch gleich mehr Polizeipräsenz und repressive Maßnahmen gegen Rauschgiftsüchtige und aggressive Bettler forderten.[21]

Dagegen scheint der Vorwurf des „Mittelschichtprojekts“ nicht ganz berechtigt: „Das Publikum sind arme Leute, die da leben, die teilweise arbeitslos sind, Sozialhilfeempfänger, es gibt wenige mit Beruf.“[22] Auffällig ist eher eine gewisse Dominanz von Institutionen und Behörden. So arbeiten etwa in der Arbeitsgruppe „Kurfürstenstraße“, die sich mit der Situation minderjähriger Mädchen auf der Straße, also mit Obdachlosigkeit, Drogenkonsum und Straßenstrich befaßt, ein Polizeibeamter, das Jugendamt und die Frauenamtsvertreterin mit verschiedenen Jugendhilfeprojekten zusammen. Hingegen sei die „Beteiligung der Bezirksverordneten (...) sehr mau.“ Und das, obwohl den VolksvertreterInnen mit dem Präventionsrat „ja unheimlich viel Arbeit abgenommen wird. Auf dem Silbertablett wird die Möglichkeit geboten, das Ohr an die Bevölkerung zu legen, mitzudiskutieren und Dinge mit auf den Weg zu bringen. Aber das wird nicht so wahrgenommen.“[23]

Die starke Beteiligung von SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslosen an den Treffen des Präventionsrates verweist darauf, welche Probleme im Stadtteil tatsächlich bestehen. Kriminalität spielt eine untergeordnete Rolle. Schöneberg erscheint in der PKS allenfalls durchschnittlich belastet, die Kriminalität habe, laut Polizei, ein „für Innenstadtviertel ,normales' Niveau. Ladendiebstahl, Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung seien am häufigsten.“[24] Dagegen sind – neben Problemen der Integration – stadtplanerische Mißstände und soziale Not augenfällig. Gefragt, was denn die zentralen Aufgaben des Präventionsrates seien, nennt die Bezirksbürgermeisterin zwar auch Drogenhandel, Drogenstrich und Kleinkriminalität – vor allem aber die hohe Arbeitslosigkeit, viele SozialhilfeempfängerInnen, Schulklassen mit nur noch einem deutschen Kind, zwei Hauptkulturen (deutsch und türkisch) neben vielen anderen Nationalitäten, große Verkehrsbelastung, wenig Grün, wenig Freiflächen.[25] Besonders im „Sozialpalast“, einer in den siebziger Jahren erbauten „Wohnmaschine“, werden die sozialpolitischen und stadtplanerischen Versäumnisse der vergangenen Jahre sichtbar. Mehr als 2.000 Menschen wohnen hier in 514 Wohnungen auf engstem Raum. Mit dem Präventionsrat, so scheint der naheliegende Schluß, sollen diese Versäumnisse kompensiert, soll eine zukunftsweisende Sozialpolitik durch Sicherheitspolitik ersetzt werden.

Soziales Engagement, Wachdienste und Polizei – Projekte

Betrachtet man die Projekte, die in den vergangenen zwei Jahren im Schönerberger Norden entstanden sind, so ist ein derartiger Schluß nicht ganz so leicht zu ziehen. Viele Aktionen scheinen tatsächlich in erster Linie auf die Verbesserung der Lebenssituation hinauszulaufen: „Wir betrachten die Arbeit, die wir da machen, unter dem Gesamtetikett Lebensqualität.“[26] Die „AG Sozialpalast“ etwa hat einen Mieterbeirat ins Leben gerufen, der gegenüber der privaten Hauseigentümergesellschaft Mietsenkungen und einen neuen Anstrich des Gebäudes durchsetzen konnte. Seit einem Jahr werden kostenlose Deutschkurse für türkische Mütter angeboten. Ein unbenutzter Parkplatz soll in eine Parkanlage umgewandelt, heruntergekommene Spielplätze sollen saniert werden. Hinzu kommen Nachbarschaftsfeste, Existenzgründerberatungen und die Prämierung des schönsten Balkons. Alle Aktivitäten finden unter der Beteiligung der AnwohnerInnen statt. Und weil man keine „festgefrorenen Ziele formulieren“ wolle, sondern „auf die Situation reagieren muß, wie wir sie im Moment haben“, werden die AnwohnerInnen regelmäßig aufgefordert, gemeinsam durch den Kiez zu gehen, um die drängendsten Probleme in Augenschein zu nehmen.

Doch gibt es neben diesen Aktionen, die eher sozial- denn kriminalpolitischer Natur zu sein scheinen, andere Projekte, die unmittelbar auf Sicherheit und Ordnung zielen. Im Sozialpalast werden Wachschutz-MitarbeiterInnen stundenweise eingesetzt. Im Projekt „Parksicht“ patrouillieren seit dem 1. Mai dieses Jahres 26 ABM-Kräfte, vom Landeskriminalamt geschult, in Parks, auf Friedhöfen und Spielplätzen. Darüber hinaus sollen 60 ABM-Kräfte in den 180 Häusern der Wohnungsbaugesellschaft WIR für Ordnung sorgen und das Sicherheitsgefühl der AnwohnerInnen erhöhen. Ausgerüstet mit Funkgerät und Pfefferspray laufen sie Streife im Quartier, melden illegale Graffiti und Müllhaufen. „Im Ernstfall würden sie die Polizei rufen.“[27] Bei der Bevölkerung gibt es gegenteilige Ansichten über diese Streifen. „Die meisten haben sie noch nie gesehen. Dann gibt's welche, die sich darüber aufregen, daß die sich selber zusammenrotten.“[28]

Dort, wo weder ziviles Engagement noch die Kompetenz privater Dienste hinreichen, agiert die Polizei. „Mit den Gewerbetreibenden und der Polizei wurden Maßnahmen zur Problematik der Drogenszene beredet. Durch Aktionen der Polizei konnte teilweise ein Verdrängen der Drogenszene erreicht werden. Die Abteilung Wirtschaft des Bezirks hat zahlreiche Gaststätten überprüft und durch Schließungen zur Sicherheit im Kiez beigetragen.“[29]

Die Maßnahmen der Polizei erscheinen zwar in das Gesamtkonzept des Präventionsrates eingebunden, folgen bei genauerem Blick allerdings einer eigenen Strategie. Bereits einige Monate vor der Konstituierung des Präventionsrates hatte der Polizeiabschnitt 41 ein besonderes Konzept für das Quartier entwickelt: Seit Oktober 1997 kümmern sich dort 55 BeamtInnen ausschließlich um Drogenkriminalität, Prostitution und Beschaffungskriminalität. „Dieses Projekt ist einzigartig in Berlin. Uniformierte Beamte zeigen sich an bekannten Szenetreffpunkten, (....) vertreiben dort Junkies und Dealer und sorgen für ein höheres Sicherheitsgefühl bei Geschäftsleuten und Anwohnern. Eine sogenannte ,Operativeinheit', zu der zivile Beamte gehören, kümmert sich derweil um die aktuellen Einsätze – sie schreibt Anzeigen und nimmt Dealer fest.“[30]

Zusätzlich zu diesen repressiven Maßnahmen agiert die „Präventionsgruppe“ um Polizeioberkommissar Henry Maiwald, der auch hauptsächlicher Ansprechpartner für Bezirksbürgermeisterin Ziemer und den Präventionsrat ist. Hier bestehe ein gutes Vertrauensverhältnis.[31] Auf dieses Vertrauen ist das Polizeiteam auch angewiesen, besteht ihr „Präventionskonzept“ doch vor allem darin, sich um „Hinweise von Anwohnern und Geschäftsleuten zu kümmern. Wenn jemand bei der Polizei anruft, (...) Treffpunkte von Abhängigen nennt, Spritzen auf Kinderspielplätzen gefunden hat oder sich von Geschlechtsverkehr in Hauseingängen belästigt fühlt, rückt Maiwalds Truppe an. Seine Mitarbeiter gehen bewußt jedem Hinweis nach – nicht erst dann, wenn es sich um Straftaten handelt.“[32] Informationen dieser Art nimmt die Polizei sicherlich auch dann gern entgegen, wenn sie ihre Dienste für den Präventionsrat anbietet – sei es bei der Beratung der SeniorInnen, sei es beim gemeinsamen Streetballturnier mit Jugendlichen aus dem Kiez.

Sicherheit? Oder Lebensqualität?

Aus der Arbeit des Präventionsrates Schöneberger Norden ergibt sich ein Bild, das durchaus ambivalente Tendenzen zeigt. Einerseits werden mit dem Etikett „Präventionsrat“ sicherheits- und ordnungspolitische Maßnahmen angekündigt und eingelöst – durch die Teilnahme der Polizei an Beratungen, durch gezielte repressive Maßnahmen, durch Wach- und Streifendienste. Dem stehen auf der anderen Seite die Versuche gegenüber, die allgemeinen Lebensbedingungen der BürgerInnen vor Ort zu verbessern. Bezirksbürgermeisterin Ziemer sieht die Aufgabe des Präventionsrates denn auch eher darin, die kommunalen Handlungsstrukturen zu verbessern: „Der Bezirk hat mit seinen Fachverwaltungen diese Probleme immer bearbeitet, aber es war nicht effektiv genug (....) Das Neue war, direkt den Kontakt mit der Bevölkerung aufzunehmen.“[33] Das Thema Kriminalität möchte sie dagegen eher tief hängen: „Wenn man anfängt, mit den Leuten hier zu diskutieren, dann sagen sie, alles sei ganz schlimm, dreckig, kriminell, bedrohlich. Dann fährt man fort und geht ins Detail, und dann sagen sie: die Kakerlaken in meiner Wohnung und die lauten Nachbarn und die können alle kein deutsch. Dann kommt man nämlich auf das Konkrete, was einen wirklich interessiert. Das ist dann wirklich der Müll und die Auseinandersetzung in der Nachbarschaft. Aber von Kriminalität hört man ganz wenig.“[34] Ist also das Modell Schöneberg geeignet, nicht nur vernachlässigte kommunalpolitische Aufgaben bürgerInnennah zu bearbeiten, sondern auch noch die Sicherheitsfurcht der Bevölkerung durch Reflexion und Linderung ihrer Probleme zu verringern? Ist es eine Form der Kommunalpolitik, die geschickt den derzeitigen Sicherheitsdiskurs zu nutzen versteht, um an die Fördertöpfe zu gelangen? Immerhin werden auf einmal „liegengebliebene Projekte von der Verwaltung aus der Schublade geholt, weil Finanzierungsmöglichkeiten da sind.“[35]

Selbst wenn man einzelne Projekterfolge nicht in Abrede stellen möchte, so lassen sich dennoch Einwände gegen diese Form der „Präventionsarbeit“ erheben.

  • Der erste Einwand betrifft die Legitimation dieser Gremien und wurde innerhalb der Bündnisgrünen in Berlin selbst diskutiert. So wurde auf einer Landesdelegiertenkonferenz Anfang 1998 gegen die Einrichtung von „grünen“ Präventionsräten argumentiert. Indem man sich überhaupt auf die Debatte um die innere Sicherheit und die Präventionsräte einließe, werde unterstellt, daß Kriminalität – und hier seien vor allem Kleinkriminalität bzw. Ordnungsstörungen gemeint – der Bevölkerung tatsächlich die größten Sorgen bereite. Damit werde von den Versäumnissen der Politik wirkungsvoll abgelenkt.[36]
  • Zweitens bleibt fraglich, ob die Bearbeitung sozialer Probleme unter dem Etikett der Kriminalitätsbekämpfung tatsächlich zu einer Verringerung der Kriminalitätsfurcht beitragen kann. Gegenteilige Effekte, die Erzeugung neuer Ängste, wären ebenso denkbar
  • Der dritte Einwand betrifft die Organisationsform. Parallel zur BVV und den Ämtern wird ein ehrenamtlicher Rat ins Leben gerufen, der keinerlei Entscheidungskompetenzen besitzt. Sollten sich die gewählten VolksvertreterInnen nicht für die Aktionen der Bevölkerung interessieren – und dies scheint in Schöneberg der Fall –, entsteht ein kompliziertes Nebeneinander von Strukturen, das Entscheidungen eher behindert denn befördert. Zudem könnte sich bei der Bevölkerung schnell der Eindruck einschleichen, zwar mitreden, nicht aber mitgestalten zu können.
  • Der vierte Einwand betrifft die Beschränkung aufs Lokale. Stadtteilpolitik kann weder Kriminalität an ihren Ursachen bekämpfen noch bestimmte Lebensumstände von Bürgerinnen und Bürgern ändern. Arbeitslosigkeit, fehlende Integrationsperspektiven, der Ausschluß ganzer Bevölkerungsgruppen von Arbeit und Bildung sowie der finanzielle Kahlschlag von Schule und Jugendhilfe setzen Rahmenbedingungen. Wohlmeinende Quartierspolitik erweckt den Eindruck, daß sich „was tut“, ohne daß grundlegende Perspektiven für Veränderungen gegeben werden können.
  • Nicht zuletzt ist die Rolle der Polizei innerhalb des Präventionsrates eine privilegierte. Es steht ihr zu, den Präventionsrat zu beraten, an den Sitzungen teilzunehmen und aus dieser Runde Informationen zu erhalten. Die BürgerInnen selbst werden zu Informanten, können aber weder die Arbeit der Polizei kritisch kontrollieren noch Konzeptionen beeinflussen. Nicht in der Lage, an den oben genannten Rahmenbedingungen zu rütteln, zielt die „Präventionsarbeit“ der Polizei auf Verdrängung. „Auflösen können wir die Drogenszene (...) nicht. Wir spielen Katz und Maus mit ihr“.[37] Bürgernähe wird durch vorbeugende Überwachung von „Szenetreffpunkten“ ersetzt. Für den Umgang mit minderjährigen Mädchen in Not dürften StreetworkerInnen und freie Projekte eher als die Polizei geeignet sein.

Das Beispiel des Präventionsrates Schöneberg zeigt eine neue, auf BürgerInnenengagement gegründete Form kommunaler Politik. Mag sich diese in ihrer starken Ausrichtung auf soziale Fragen von der Politik anderer Präventionsräte unterscheiden, so werden doch auch die Grenzen und Gefahren lokaler Sicherheitspolitik deutlich. Zwar können liegengebliebene kommunale Aufgaben bearbeitet, kann die Entfernung zwischen Bezirksverwaltungen und BürgerInnen überbrückt werden. Gleichzeitig entsteht dabei jedoch ein Gemisch aus Sozial- und Sicherheitspolitik, in dem soziale Probleme nicht mehr nur als solche benannt werden. Zudem bilden BürgerInnenengagement, Verwaltungshandeln und Polizeitaktik ein undurchdringliches Geflecht, das die Bürgerferne kommunaler Politik verschleiert und die undemokratische Verfassung sowohl der Polizei als auch der Ämter nicht zu verändern vermag.

Christine Hohmeyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FU Berlin und Redakteurin von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.


[1] Drucksache Nr. 14/503 der Bezirksverordnetenversammlung Schöneberg von Berlin, 15. Wahlperiode
[2] Northoff, R. (Hg.): Handbuch der Kriminalprävention, Baden-Baden 1997, 2. Ergänzungslieferung 1999, Kapitel 2.2.1.2, S. 4
[3] 1.380 Gremien zählt der Infopool Prävention des BKA, in: Bundeskriminalamt, Infopool Prävention: Kriminalprävention in Deutschland. Kommunale Präventionsgremien. Wiesbaden, 3. Auflage 1999 (Datenbank)
[4] vgl. Pressemitteilung 339/1999 des Bayerischen Innenministeriums vom 17.7.1999 unter: http://www.innenministerium.bayern.de/presse/daten/polizei/33999.htm
[5] Brandenburg, Ministerium des Innern: Konzertierte Aktion des Innenministers des Landes Brandenburg, Alwin Ziel, „Kommunale Kriminalitätsverhütung“, vorgestellt in Polizeischutzbereichen der Polizeipräsidien, o.O. 1992
[6] RdErlaß des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen vom 18.8.1993 – IV D 2 – 2751/0, Abs. 3.42
[7] Antwort der Senatorin Ingrid Stahmer auf die Kleine Anfrage Nr. 13/1368, in: Landespressedienst v. 15.1.1997, S. 12f.
[8] Berlin, Senatsverwaltung für Inneres (Hrsg.): Endbericht der Unabhängigen Kommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt in Berlin, Berlin 1994, S. 8
[9] ebd.
[10] Antwort der Senatorin Ingrid Stahmer a.a.O. (Fn. 7)
[11] Landeskommission Berlin gegen Gewalt: Ergebnisse des Berliner Modells: Kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention. Kurzinformation, Berlin 1999
[12] Posiege, P.; Steinschulte-Leidig, B.: Bürgernahe Polizeiarbeit in Deutschland. Darstellung von Konzepten und Modellen (BKA-Forschung), Wiesbaden 1999, S. 54
[13] Drucksache Nr. 14/503 a.a.O. (Fn. 1)
[14] Mitteilung des Bezirksamtes Schöneberg von Berlin über den Beschluß der BVV vom 21.5.1997. Bezirksamtsvorlage Nr. 314 für die Sitzung am 9.12.1997
[15] ebd.
[16] ebd.
[17] Elisabeth Ziemer im Informationsgespräch am 4.11.1999. Mit ihr und der Quartiersmanagerin Gabriele Gut sprachen Christine Hohmeyer und Norbert Pütter.
[18] Gangway und Treberhilfe sind Berliner Vereine, die Straßensozialarbeit und Hilfen für junge Menschen in Notlagen anbieten.
[19] vgl. Boers, K.: Ravensburg ist nicht Washington, in: Neue Kriminalpolitik 1995, H. 1, S. 16-21 (18f.)
[20] vgl. Lehne, W.: Präventionsräte, Stadtteilforen, Sicherheitspartnerschaften. Die Reorganisation des Politikfeldes „Innere Sicherheit“, in: Trotha, T. v. (Hg.): Politischer Wandel, Gesellschaft und Kriminalitätsdiskurse, Baden-Baden 1996, S. 299-319 (305f.)
[21] Berliner Morgenpost v. 27.2.1998
[22] Ziemer a.a.O. (Fn. 17)
[23] ebd.
[24] Tagesspiegel v. 13.7.1999
[25] Ziemer a.a.O. (Fn. 17)
[26] ebd.
[27] Tagesspiegel v. 13.7.1999
[28] Ziemer a.a.O. (Fn. 17)
[29] Mitteilung des Bezirksamtes Schöneberg von Berlin über den Beschluß der BVV vom 21.5.1997. Bezirksamtsvorlage Nr. 460 für die Sitzung vom 2.3.1999, S. 5
[30] Berliner Zeitung v. 3.9.1998
[31] Ziemer a.a.O. (Fn. 17)
[32] Berliner Zeitung v. 3.9.1998
[33] Ziemer a.a.O. (Fn. 17)
[34] ebd.
[35] ebd.
[36] Rode, E.: Präventionsräte – ein Flop?, in: Stachelige Argumente Nr. 111/98, im Internet unter http://www.gruene-berlin.de/stach_arg/111/22_praevent.html
[37] Berliner Zeitung v. 3.9.1998
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