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SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.3 vom 03.02.2000, Seite 15

Dutschkes Rückkehr

von Christoph Jünke
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Damit hatten die Organisatoren der Konferenz eingestandenermaßen nicht gerechnet. Immerhin 200 Menschen kamen in das Berliner "Haus der Kulturen", um der von der Heinrich-Böll-Stiftung organisierten "Rudi- Dutschke-Konferenz" beizuwohnen. Auch wenn der Anlass, der zwanzigste Todestag Dutschkes, eine solche Ehrung nahelegte, selbstverständlich ist sie nicht, denn auch im neuen Deutschland ist das politische Erbe Rudi Dutschkes kaum präsent.

Die Zeit des Desinteresses scheint nun zu vergehen. Gretchen Dutschkes ausgesprochen einfühlsame und kompetente Biografie ihres Mannes stürmte vor drei Jahren sogar die Bestsellerlisten. Und auch politisch kommt Dutschke zunehmend wieder ins Gerede, seit sich sein ehemaliger Kampfgefährte Bernd Rabehl auf ihn beruft, um seine nationalrevolutionären Anwandlungen zu legitimieren. Es lag also nahe, eine solche Konferenz einzuberufen. Und es lag nahe, dass dies von denjenigen geschah, die sich noch am ehesten auf ihn berufen können, die von der grün-alternativen Heinrich-Böll- Stiftung. Schließlich war Dutschke kurz vor seinem Tod prominentes Gründungsmitglied der grünen Partei.

Dass damit gewisse Probleme aufgeworfen werden, ist fast schon selbstverständlich. Denn wenn Dutschke auch zu den Mitbegründern der grünen Partei gehörte, so ist es doch sehr fraglich, wie der antibürokratische Sozialist Dutschke heute zu "seiner" Partei stünde. Es war diese Problematik, die der Konferenz ihren Stempel aufdrückte - zum Guten wie zum Schlechten.

Während der Hannoveraner Soziologe und "alte" SDS- Genosse Klaus Meschkat am Eröffnungsabend ein einfühlsames Porträt des von West und Ost unabhängigen Sozialisten zeichnete, dessen Weg zu den Grünen keine Absage an den Sozialismus gewesen sei, sondern vielmehr der Versuch, das sozialistische Projekt um die ökologische Frage zu erweitern, ging der "junge" Bernd Ulrich andere Wege. Dutschkes Sprache, so der ehemalige Mitarbeiter Antje Vollmers und jetzige leitende Redakteur des Berliner Tagesspiegel in seiner Suada an hohlen Provokationen, sei nicht nur unverständlich, sondern auch autoritär gewesen, sein Denken "grober Marxismus". Heute gelte es stattdessen, "nach dem richtigen Maß im heutigen richtigen System zu suchen", denn "das Böse sei zwar einzugrenzen, aber nicht abzuschaffen".

Schlimmer, weil politisch ernster gemeint, waren die scharfen Töne eines Ralf Fücks, seines Zeichens ehemaliger grüner Bremer Stadtsenator und heutiges Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll- Stiftung, auf der Abschlussdiskussion zur Bilanz des langen Marsches durch die Institutionen. Auf Ekkehart Krippendorffs verhaltene Kritik, dass jeder solche Marsch zum Scheitern verurteilt sei, wenn die ihn Gehenden keinen Bezugsgruppenzusammenhang außerhalb der Institutionen hätten, ergoss er sich in offensiv gewendeter Aggressivität gegen solcherart "altes Denken". "Institutionen sind flüssig", betonte er mehrfach voll Emphase. Währenddessen lehnte sich der SPD- Außenpolitiker Karsten Voigt grinsend mit seinem kleinen Sohn auf dem Schoß zurück und verkündete selbstherrlich, er habe ja schon immer gesagt, dass die Integrationskraft herrschender Institutionen nicht zu schlagen sei. Joscha Schmierer, ehemals linksradikaler Heidelberger SDSler und heute neben seiner Herausgeberschaft bei der Zeitschrift Kommune auch noch Berater des grünen Außenministers, war dagegen noch nicht ganz auf der Höhe der zynischen Zeit angelangt. Mit dem Ernst des echten Idealisten griff er, wahrscheinlich unbewusst, auf Positionen des sozialdemokratischen "ethischen Sozialismus" der 50er Jahre zurück und verwarf jegliche politische Strategien, die auf eine durch Strategie vermittelte Nahziel-Fernziel-Dialektik setzen, als schlicht "nicht plural". Da die Referentenauswahl auf diesem Abschlusspodium ihrerseits jede Pluralität vermissen ließ, gab es hierzu leider keine passende Antwort.

Dabei hatte Meschkat am Abend zuvor das notwendigste bereits gesagt. Für durch Menschenrechtsideologie verschleierte Interventionskriege wäre der Internationalist und Antikapitalist Dutschke ebenso wenig zu haben gewesen, wie für die Ersetzung des sozialistischen Zieles durch die "Zivilgesellschaft".

Auf die Apologie der letzteren lief auch das durchaus gehaltvolle Referat des linksliberalen Staatsrechtlers Ulrich K. Preuss hinaus, als er die Meinung vertrat, das politische Erbe von 68 sei auf die "neuen sozialen Bewegungen" übergegangen.

All dies waren sicherlich unvermeidbare Polemiken in heutiger Zeit. Doch je näher man an Dutschke dran war, desto höher wurde das Niveau. Etwa als eine Runde von Ostdeutschen der Frage nachging, warum weder Dutschke noch die APO sowohl damals wie auch heute noch sichtbare Spuren hinterlassen haben. Der Philosoph und Historiker Guntolf Herzberg erklärte dies schlüssig damit, dass das verquaste ML-Marxismusverständnis des Ostens jedes Verständnis für die sich auf Lenin, Trotzki, Mao und Marcuse berufenden Weststudierenden blockiert habe. Man konnte schlicht keine gemeinsame Sprache finden. Einzig der Gestus des kulturrevolutionären Aufbegehrens und des Widerstands griff auf den Osten über.

In vier parallel tagenden Arbeitsgruppen wurden schließlich einzelne Themen aufgegriffen. Da ging es um das Verhältnis von Internationalismus und Nationalismus in der westdeutschen Linken und bei Dutschke, um den dutschkistischen Antistalinismus und seine Wandlungen, um Dutschkes Verhältnis zur grünen Partei, sowie das Verhältnis von antiautoritärer Bewegung zu autoritärer Politik.

Dass die Rückkehr eines solch eigensinnigen deutschen Revolutionärs wie Rudi Dutschke in die öffentliche Debatte der Linken mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, ist nachvollziehbar. Die Leitfragen einer solchen Diskussion hat Gretchen Dutschke-Klotz in ihrem Grußwort benannt: Was bedeutet Rudi Dutschke für die deutsche Geschichte und was hat er uns heute noch zu sagen. Manch zu vernachlässigendes wurde am Wochenende vom 21./22.Januar dazu beigetragen, aber auch manch bleibendes. Am fruchtbarsten erwiesen sich dabei jene Beiträge (v.a. in den Arbeitsgruppen), die sich einer kritisch-materialistischen, historisierenden Methode bedienten. Just diese hob Gretchen Dutschke an ihrem nun vor zwanzig Jahren verstorbenen Mann besonders hervor - mit den treffenden Worten "gar nicht so verkehrt, auch heute nicht - aber viel Arbeit".

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