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Was ist eine Zeitung?


von Florian Rötzer 

Zumindest hat das Oberlandesgericht Köln jetzt geklärt, was eine "Zeitung im Netz" für das Publikum sein muss 

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Mit sehr gemischten Gefühlen hat offenbar die Aachener Verlagsgesellschaft, die etwa die regionale Tageszeitung  Aachener Zeitung herausgibt, beobachten müssen, wie sich ein Konkurrent, gewissermaßen von unten und mit einem neuen regionalen Konzept, im Internet nach vorne drängeln wollte.  Regioblick hatte sich frecherweise 1999 - und jetzt immer noch - damit gebrüstet, "Die Zeitung im Netz" zu sein, und dann auch noch Werbung gemacht: "Die erste regionale Tageszeitungs-Neugründung Deutschlands seit mehr als 20 Jahren!" Das war zuviel, die Aachener Zeitung ging mit dem Vorwurf eines dadurch sachlich nicht gerechtfertigten Wettbewerbsvorteils vor Gericht.

Ein bisschen anders als eine normale Zeitung ist RegioBlick schon, die man seit 1999 für 5 Euro im Monat abonnieren kann. Es gibt sie nur im Internet - und eigentlich kann jeder mitschreiben: "Vor allem aber ist RegioBLICK keine Zeitung, der sich die Mitmacher unterordnen und die ihren eigenen Stil hat. RegioBLICK besteht aus vielen Menschen, die aktiv daran teilnehmen. Aus Persönlichkeiten, die ganz unterschiedlich schreiben und berichten. Und genau so ist RegioBLICK: Wir bestehen aus eben diesen Persönlichkeiten. Bei uns gibt es keinen "Spiegel-Stil" oder ähnliches. Jede/r, der/die bei uns schreibt, steht zu dem, was er/sie veröffentlicht mit Namen, Bild und direkt erreichbarer E-Mail Adresse." Gezahlt wird den Autoren noch nichts, die aus dem Bauch heraus über das berichten sollen, was um sie herum passiert. Es gibt einen Stamm an festen Mitarbeitern, die offenbar eine "virtuelle Redaktion" mit einem Redaktionsleiter bilden und sich schon einmal in der Woche zum Kaffee treffen.

Aber die Aachener Zeitung, wahrscheinlich die Konkurrenz im Lokalen fürchtend, klagte, dass "RegioBlick" nicht mehr mit dem Hinweis "Die Zeitung im Netz" werben dürfen soll. Der Grund: Das sei wettbewerbswidrig, weil der RegioBlick eigentlich doch gar keine Zeitung ist, wie das die Menschen erwarten. Für eine Internetpublikation sei diese Bezeichnung irreführend, weil reserviert einzig für ein verkörpertes Medium, sprich: für ein Printmedium wie die Aachener Zeitung. Überdies handele es sich auch in der Sache nicht um eine Zeitung, weil es weder eine Redaktion noch eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge gebe. RegioBlick sei ein bloßes Diskussionsforum oder ein Informationsdienst.

Wir wollen nicht gleich hämisch sein und der Aachener Zeitung - wie auch vielen anderen echten gedruckten Zeitungen - vorwerfen, dass sie zum großen Teil aus wenig oder gar nicht redigierten Meldungen von Nachrichtenagenturen bestehen, also der eigenständig produzierte Inhalt oft nicht allzu groß ist. Wie auch immer, die Klage wurde vom zuständigen Landgericht im Januar 2000 abgewiesen. Die Begründung ist ein wenig umständlich und geht dahin, dass die Leser, die ja online sein müssen und den "von der Werbung angesprochenen Verkehr" darstellen, wohl nicht davon ausgehen würden, dass es sich bei der "Zeitung im Netz" um ein Printmedium handelt. Der Verkehr setzt sich übrigens aus einem "Publikum zusammen, das bereits in irgendeiner Beziehung zum Internet stehe oder einem solchen Kontakt zumindest nicht abgeneigt sei". So stellt das  Oberlandesgericht Köln in seiner Entscheidung das Urteil des Landgerichts dar (nur um den Konjunktiv im Zitat dem geneigten und dem Internetkontakt nicht abgeneigten Leser zu erklären).

Damit aber war die Klägerin nicht zufrieden, weil das Gericht - Januar 2000! - fälschlicherweise unterstellt habe, dass die Mehrzahl der Menschen schon vom Netz oder Internet gehört habe:

"Zu Unrecht habe das Landgericht bei seiner Wertung das Verständnis eines mit dem Internet vertrauten oder doch an ihm interessierten Personenkreises zugrundegelegt. Denn die Werbung richte sich an jedermann, nur eine Minderheit sei damit vertraut, was unter "Netz" zu verstehen sei. Die Verwendung des Begriffs "Zeitung" erwecke bei der ganz überwiegenden Mehrheit der angesprochenen Werbeadressaten die Vorstellung, dass ein entsprechendes Druckerzeugnis angekündigt werde. Denn bei einer "Zeitung" handele es sich nicht um ein Medium, bei dem Informationen zur elektronischen Verbreitung in das Internet eingespeist werden, sondern um ein Druckwerk. Der Verkehr, so bringt die Klägerin weiter vor, erwarte nach der Werbung allenfalls, dass zusätzlich zu einer Print-Zeitung auch eine Publikation im Internet bzw. eine Homepage geboten werde."

Und überhaupt gebe es eben keine Redaktion, sondern Fremdbeiträge würden "unmittelbar vom PC des jeweiligen Autors" in RegioBlick veröffentlicht. Aber das Oberlandesgericht zeigte sich wieder gegenüber dem Anliegen der richtigen Zeitung, die allenfalls einen Online-Ableger besitzt, verstockt. Nicht ganz zu unrecht meinte es in der Entscheidung, die am 8.12.2000 in einer mündlichen Verhandlung getroffen und jetzt veröffentlicht wurde, dass der breiten Bevölkerung der Begriff Internet und seine Bedeutung nicht so gänzlich unbekannt sei, wie es von Seiten des Printmediums behauptet werde (wirft das vielleicht ein schlechtes Bild auf die Redakteure von Printmedien, die meinen, ihre Leser verstehen nicht, was sie selbst schreiben, oder die einfach nur von den schnellen Reaktionen der Leser verschont bleiben, die unbarmherzig auf jeden Fehler hinweisen?) Das Gericht meint sogar:

"Auch den Personen, die nicht über einen eigenen Zugang zum Internet verfügen und auch nicht zu den Nutzern der Möglichkeiten des Internets gehören, ist doch zumindest annähernd bekannt, was es mit dieser Form der Datenbeschaffung und -präsentation auf sich hat und dass es sich dabei vor allen Dingen nicht um ein Printmedium handelt."

Deswegen könne das Publikum - höchstens mit Ausnahme eines "unerheblichen" Teils der Bevölkerung (es gibt die Dummen und Informationsverweigerer) - durchaus in der Lage sein, bei Erwähnung des Begriffs Zeitung im Zusammenhang mit dem Internet zu erkennen, dass dies "im übertragenen Sinn zur Kennzeichnung eines 'körperlosen' Mediums gebraucht" werde. Das Gericht wird dann sogar richtig philosophisch und greift auf die alte Formel der Erkenntnis zurück, dass das Unbekannte vom Bekannten abgeleitet werde:

"Der Verkehr ist gerade im hier betroffenen Bereich der elektronischen Medien daran gewöhnt, wenn nicht sogar darauf angewiesen, bislang unbekannte Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten im Wege analoger Begriffsbildung unter Verwendung von aus herkömmlichen Sachverhalten entlehnten Begriffen zu bezeichnen, um auf diese Weise eine Vorstellung davon erhalten und vermitteln zu können, welchen Zwecken ein bestimmtes Angebot dient und was mit ihm geleistet werden kann."

So machen wir das, und selbst die Richter zählen sich zu den Menschen, auf die diese Werbung zielen könnte und die aus "eigener Sachkunde und Lebenserfahrung" zweifellos verstehen, dass sich der Ausdruck "Zeitung im Internet" nicht auf ein Printmedium bezieht.

Was die redaktionelle Bearbeitung angeht, so gehe das Publikum - oder der Verkehr - allerdings tatsächlich davon aus, dass eine Zeitung eine Veröffentlichung ist, die kontrolliert wird:

"Vielmehr erwartet er, dass die Beiträge vor der Veröffentlichung durch eine Redaktion bearbeitet werden, die den Publikationsstoff sammelt und im Wege der ordnenden Sichtung, Kürzung und ggf. Umarbeitung veröffentlichungsreif gestaltet und der eine - wenngleich begrenzte - Entscheidungsbefugnis über Auswahl und Gestaltung des zu publizierenden Stoffes zusteht."

Aufgrund der - laut Gericht - glaubhaften Schilderung eines Zeigen, der seit 1999 bei RegioBlick angestellt ist, gebe es aber trotz der etwas anderslautenden Selbstbeschreibung eine redaktionelle Bearbeitung der eingereichten Beiträge. Ein "Chef vom Dienst" entscheide, ob ein Artikel erscheinen dürfe oder überarbeitet werden müsse und stelle die Artikel der aktuellen Ausgabe zusammen.

Was ist also eine Zeitung? Übertragen darf man nach dem Oberlandesgericht Köln bei einer reinen Online-Veröffentlichung von nun an von Zeitung im "übertragenen Sinn" sprechen, wenn sie ausdrücklich als Internetpublikation bezeichnet wird (Telepolis hatte sich 1996 aus Verlegenheit heraus und ganz unbedacht "Magazin der Netzkultur" genannt, ist dafür aber jedem Rechtsstreit aus dem Weg gegangen). Allerdings darf es sich nicht um eine beliebige Sammlung von Beiträgen handeln, sondern es muss vor der Herausgabe eine redaktionelle Bearbeitung erfolgen. Aber wie die näher auszusehen hat, wird uns vom Oberlandesgericht leider nicht verraten.