http://www.kommunistische-partei-deutschlands.de/drf_texte_doka08.html

Reichstagswahl 1932

von Lothar Berthold

02/01
trdbook.gif (1270 Byte)
 
trend
online
zeitung

Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Am 6. November 1932, einem Sonntag, waren die Wahlberechtigten schon wieder zur Reichstagswahl an die Urnen gerufen worden. Das erst am 31. Juli gewählte Parlament, inzwischen wieder aufgelöst, war am 30. August durch die Alterspräsidentin Clara Zetkin eröffnet worden. Sie hatte gesagt: "Meine Damen und Herren! Der Reichstag tritt in einer Situation zusammen, in der die Krise des zusammenbrechenden Kapitalismus die breitesten werktätigen Massen Deutschlands mit einem Hagel furchtbarster Leiden überschüttet. ...

Die politische Macht hat zur Stunde in Deutschland ein Präsidialkabinett an sich gerissen, das unter Ausschaltung des Reichstags gebildet wurde und das der Handlanger des vertrusteten Monopolkapitals und des Großagrariertums und dessen treibende Kraft die Reichswehrgeneralität ist. ...

Die Politik des 'kleineren Übels' stärkte das Machtbewußtsein der reaktionären Gewalten und sollte und soll das größte aller Übel erzeugen, die Massen an Passivität zu gewöhnen. Diese sollen darauf verzichten, ihre volle Macht außerhalb des Parlaments einzusetzen. Damit wird auch die Bedeutung des Parlaments für den Klassenkampf des Proletariats gemindert. Wenn heute das Parlament innerhalb bestimmter Grenzen für den Kampf der Werktätigen ausgenutzt werden kann, so nur dann, wenn es seine Stütze hat an kraftvollen Aktionen der Massen außerhalb seiner Mauern. ...

Das Gebot der Stunde ist die Einheitsfront aller Werktätigen, um den Faschismus zurückzuwerfen, um damit den Versklavten und Ausgebeuteten die Kraft und die Macht ihrer Organisationen zu erhalten, ja sogar ihr physisches Leben. Vor dieser zwingenden geschichtlichen Notwendigkeit müssen alle fesselnden und trennenden politischen, gewerkschaftlichen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen zurücktreten. Alle Bedrohten, alle Leidenden, alle Befreiungssehnsüchtigen gehören in die Einheitsfront gegen den Faschismus und seine Beauftragten in der Regierung!

Die Selbstbehauptung der Werktätigen gegen den Faschismus ist die nächste unerläßliche Voraussetzung für die Einheitsfront im Kampfe gegen Krise, imperialistische Kriege und ihre Ursache, die kapitalistische Produktionsweise. Die Auflehnung von Millionen werktätiger Männer und Frauen in Deutschland gegen Hunger, Entrechtung, faschistischen Mord und imperialistische Kriege ist ein Ausdruck der unzerstörbaren Schicksalsgemeinschaft der Schaffenden der ganzen Welt. ...

Ich eröffne den Reichstag in Erfüllung meiner Pflicht als Alterspräsidentin und in der Hoffnung, trotz meiner jetzigen Invalidität das Glück zu erleben, als Alterspräsidentin den ersten Rätekongreß Sowjetdeutschlands zu eröffnen."

Clara Zetkin, von schwerer Krankheit gezeichnet, war von ihren Genossen vor dem braunen Mob geschützt worden. Mehrfach spendete die kommunistische Reichtagsfraktion ihrer Rede Beifall, die anderen Abgeordneten mußten zähneknirschend zuhören. Der letzte Wunsch Clara Zetkins ging nicht in Erfüllung. Doch ihre Charakteristik der Lage in Deutschland widerspiegelte die grausame Wirklichkeit.

Während des Jahres 1932 gab es über sechs Millionen Arbeitslose, wurden 139 Arbeiter von den Nazis ermordet, 81 fielen der Polizei zum Opfer. Der Hauptstoß richtete sich selbstverständlich gegen die Kommunisten. Im laufenden Jahr 1932 waren allein kommunistische Zeitungen 126 mal für insgesamt 3384 Tage verboten worden. Rund 30 Prozent aller Einzelnummern der KPD-Presse konnten deshalb nicht erscheinen.

Doch zunehmend richtete sich der Naziterror auch gegen Sozialdemokraten, Reichbannermitglieder, Gewerkschafter, linke Intellektuelle und andere Demokraten. Gefördert durch Großkapital und Junkertum hatte die Nazipartei bei den Wahlen am 31. Juli fast 13,8 Millionen Stimmen erhalten, so viel wie nie zuvor bei einer Wahl. In den Reichstag, den Clara Zetkin eröffnete, war die Hitlerpartei mit 230 Abgeordneten eingerückt. Riesengroß zog die Gefahr des Faschismus über Deutschland herauf.

Die Kommunistische Partei Deutschlands hatte gegen die rasch anwachsende faschistische Welle schon im Frühjahr 1932 zur Antifaschistischen Aktion aufgerufen, der breiten Massenbewegung über alle Parteien und Organisationen hinweg zur Verhinderung einer faschistischen Hitlerdiktatur. Während einer Beratung mit Funktionären der SPD und des Reichsbanners am 8. Juli 1932 im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin antwortete Ernst Thälmann auf entsprechende Fragen: "Ob wir die antifaschistische Einheitsfront ehrlich meinen? Täglich mordet die braune Pest unsere Genossen, schlägt unsere besten Kämpfer nieder, unternimmt provokatorische Angriffe auf unsere Parteihäuser; in den Gefängnissen schmachten Tausende unserer Genossen, die den wehrhaften Kampf gegen das Faschistische Verbrechertum führten. Das Hitlersche Offiziers- und Prinzenpack hat erklärt, daß es die kommunistische Bewegung, das sind viele Millionen revolutionärer Männer und Frauen, ausrotten, hängen, köpfen und rädern will. Und angesichts dieser Tatsache, angesichts der drohenden Gefahr, daß aus Deutschland ein Land des Galgens und des Scheiterhaufens wird, sollen wir Kommunisten die antifaschistische, proletarische Einheitsfront nicht ehrlich meinen? ...

Ob die Antifaschistische Aktion ein kommunistischer Parteiladen ist? Wir sagen: Nein! Sie ist ein überparteiliches Sammelbecken für alle zum rücksichtslosen Kampfe gegen den Faschismus gewillten Arbeiter. Sie ist keine Organisation, sondern eine Massenbewegung. Sie ist der Strom, in den all die kämpferischen Kräfte einmünden, die wirklich den Kampf, den Massenangriff gegen die jetzige Regierung, welche die unmittelbare Aufrichtung der faschistischen Diktatur betreibt, durchführen wollen. ...

Nun zur Frage, ob sozialdemokratische und Reichsbannerarbeiter, die an der Antifaschistischen Aktion teilnehmen, aus ihrer Partei austreten müssen? Wir haben in Hamburg bereits einen Antifaschistischen Kampfkongreß von 1700 Delegierten gehabt, auf dem 190 SPD- und Reichsbannerdelegierte (einschließlich der Mitglieder der SAJ, der SAP und des SJV) vertreten waren.

Auf dem Wuppertaler Betriebsrätekongreß waren 50 sozialdemokratische Arbeiter anwesend. ... Alle diese Genossen kamen zur Antifaschistischen Aktion mit dem Bewußtsein, daß die SPD-Arbeiter Schulter an Schulter mit ihren kommunistischen Klassenbrüdern kämpfen müssen.

Es ist für uns Kommunisten selbstverständlich, daß sozialdemokratische und Reichsbannerarbeiter an der Antifaschistischen Aktion teilnehmen können, ohne daß sie aus ihrer Partei auszutreten brauchen. Wenn ihr bloß in Millionen, in geschlossener Front hereinströmen würdet, wir würden es mit Freuden begrüßen, selbst wenn über gewisse Fragen der Einschätzung der SPD nach unserer Meinung in euren Köpfen noch Unklarheit besteht.

Das brennende Problem, das allen Arbeitern heute gemeinsam auf den Nägeln brennt, ist: Wie kann die Aufrichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland verhindert werden? Wie kann verhindert werden, daß weiterer Lohn- und Unterstützungsabbau, weitere Notverordnungen, gesteigerte Unterdrückung, Knechtung, Zerschlagung der Arbeiterbewegung und der Arbeiterorganisationen durchgeführt werden?"

Und in diesem erbitterten Ringen hatten die Kommunistische Partei Deutschlands und die von ihr initiierte Antifaschistische Aktion im Sommer 1932 große Erfolge erzielt. Immer mehr Menschen aus unterschiedlichen politischen und sozialen Lagern begannen in Stadt und Land zu begreifen, daß der Faschismus nur gemeinsam zu schlagen und eine drohende faschistische Diktatur nur gemeinsam zu verhindern war. Dieses wachsende antifaschistische Bewußtsein zeigte sich darin, daß einheitliche Kampfaktionen gegen die Nazibewegung, die weit über die Arbeiterbewegung hinausgriffen, zunahmen, daß der Ende Juli gewählte Reichstag nur 14 Tage existierte, und daß der Streik der Berliner Verkehrsarbeiter Anfang November 1932 schließlich zum Sturz der Papen-Regierung führte.

Nun also war der Reichstag am 6. November neu gewählt worden.

Und so sah das Wahlergebnis aus:

Partei

Stimmen

Prozent

Mandate

NSDAP

11.737.000

33,1

196

SPD

7.248.000

20,4

121

KPD

5.980.200

16,9

100

Zentrum

4.230.600

11,9

70

DNVU

2.959.000

8,6

52

BVP

1.094.600

3,1

20


Der Rest der Stimmen verteilte sich auf Splitterparteien.

Die Nazipartei hatte eine erdrutschartige Niederlage erlitten.

Innerhalb von drei Monaten hatte sie, verglichen mit der letzten Reichstagswahl, 2 Millionen Wähler und über 30 Reichstagsmandate verloren. Das war ein bedeutender Erfolg der Antifaschistischen Aktion unter Führung der KPD, ein wichtiges Ergebnis des Kampfes aller Antifaschisten. Die KPD erreichte ihr bestes Ergebnis in den Jahren der Weimarer Republik. Jeder sechste Wahlberechtigte wählte die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse. Die kommunistische Partei setzte ihren Vormarsch im Kampf gegen den Faschismus und zur Verteidigung der Rechte des Volkes, der Demokratie bei den Kommunalwahlen am l3. November in Lübeck und Sachsen und am 4. Dezember in Thüringen fort, und die Nazis verloren bei diesen Wahlen weiter an Stimmen.

Die Reichstagswahlen am 6. November hatten gezeigt, daß Kommunisten und Sozialdemokraten fast 1,5 Millionen Stimmen mehr auf sich vereinigen konnten, als die Hitlerpartei für sich zählte. Der Faschismus war also zu schlagen, auch im parlamentarischen Kampf, das signalisierten die Reichstagswahlen, wenn, ja, wenn Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsam handelten, wenn KPD und SPD endlich in Aktionseinheit zusammen kämpften. Und das forderten die Kommunisten immer wieder ein.

Doch wie schon während des ganzen Jahres 1932 konnte sich auch jetzt, in dieser Gefahrenstunde der Nation, der sozialdemokratische Parteivorstand, entgegen dem Willen vieler Mitglieder, nicht zum gemeinsamen Handeln mit der KPD erklären. Er übersah auch, welche Anziehungskraft das gemeinsame antifaschistische Auftreten von Kommunisten und Sozialdemokraten auf Hitlergegner aus dem bürgerlichen Lager und auf andere demokratische Kräfte haben mußte. Aber die sozialdemokratische Führung hielt noch immer an ihren alten antikommunistischen Positionen fest, und die Gewerkschaftsführer boten der Schleicher-Regierung, die als Übergangsregierung für eine Hitler-Regierung der Papen-Regierung folgte, sogar die Tolerierung an.

Trotzdem bestand für die herrschende Klasse die Gefahr, daß die Kommunistische Partei Deutschlands auch gegen den Willen der rechten SPD-Führer die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und eine über die Arbeiterklasse hinausreichende antifaschistische Front zustande bringen könnte, ehe der Wunschkandidat des Monopolkapitals und des Junkertums, der Naziführer Hitler, als Reichskanzler installiert werden konnte, um dann den staatlichen und außerstaatlichen ungezügelten Terror gegen Kommunisten und alle anderen Antifaschisten und Demokraten einzusetzen. Deshalb wandten sich maßgebliche Vertreter des Monopolkapitals und des Großgrundbesitzes an Reichspräsident Hindenburg, um für Hitler als Reichskanzler eine Lanze zu brechen.

Am l9. November überreichte Friedrich Reinhart von der Commerz- und Privat-Bank als führender Vertreter des deutschen Finanzkapitals dem Staatssekretär des Reichspräsidenten, Otto Meißner, ein Schreiben, das folgenden Wortlaut hatte:

"Ew. Exzellenz,
Hochzuverehrender Herr Reichspräsident!

Gleich Eurer Exzellenz durchdrungen von heißer Liebe zum deutschen Volk und Vaterland, haben die Unterzeichneten die grundsätzliche Wandlung, die Eure Exzellenz in der Führung der Staatsgeschäfte angebahnt haben, mit Hoffnung begrüßt. Mit Eurer Exzellenz bejahen wir die Notwendigkeit einer vom parlamentarischen Parteiwesen unabhängigen Regierung, wie sie in dem von Eurer Exzellenz formulierten Gedanken eines Präsidialkabinetts zum Ausdruck kommt.

Der Ausgang der Reichstagswahl vom 6. November d.J. hat gezeigt, daß das derzeitige Kabinett, dessen aufrechten Willen niemand im deutschen Volke bezweifelt, für den von ihm eingeschlagenen Weg keine ausreichende Stütze im deutschen Volk gefunden hat, daß aber das von Eurer Exzellenz gezeigte Ziel eine volle Mehrheit im deutschen Volke besitzt, wenn man - wie es geschehen muß - von der staatsverneinenden Kommunistischen Partei absieht.

Gegen das bisherige parlamentarische Parteiregime sind nicht nur die Deutschnationale Volkspartei und die ihr nahestehenden kleineren Gruppen, sondern auch die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei grundsätzlich eingestellt und haben damit das Ziel Eurer Exzellenz bejaht. Wir halten dieses Ergebnis für außerordentlich erfreulich und können uns nicht vorstellen, daß die Verwirklichung des Zieles nunmehr an der Beibehaltung einer unwirksamen Methode scheitern sollte.

Es ist klar, daß eine des öfteren wiederholte Reichstagsauflösung mit sich häufenden, den Parteikampf immer weiter zuspitzenden Neuwahlen nicht nur einer politischen, sondern auch jeder wirtschaftlichen Beruhigung und Festigung entgegen wirken muß. Es ist aber auch klar, daß jede Verfassungsänderung, die nicht von breitester Volksströmung getragen ist, noch schlimmere wirtschaftliche, politische und seelische Wirkungen auslösen wird.

Wir erachten es deshalb für unsere Gewissenspflicht, Eure Exzellenz ehrerbie-tigst zu bitten, daß zur Erreichung des von uns allen unterstützten Zieles Eurer Exzellenz die Umgestaltung des Reichskabinetts in einer Weise erfolgen möge, die die größtmögliche Volkskraft hinter das Kabinett bringt.

Wir bekennen uns frei von jeder engen parteipolitischen Einstellung. Wir erkennen in der nationalen Bewegung, die durch unser Volk geht, den verheißungsvollen Beginn einer Zeit, die durch Überwindung des Klassengegensatzes die unerläßliche Grundlage für einen Wiederaufstieg der deutschen Wirtschaft erst schafft. Wir wissen, daß dieser Aufstieg noch viele Opfer erfordert. Wir glauben, daß diese Opfer nur dann willig gebracht werden können, wenn die größte Gruppe dieser nationalen Bewegung führend an der Regierung beteiligt wird.

Die Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den besten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe wird die Schlacken und Fehler, die jeder Massenbewegung notgedrungen anhaften, ausmerzen und Millionen Menschen, die heute abseits stehen, zu bejahender Kraft mitreißen.

In vollem Vertrauen zu Eurer Exzellenz Weisheit und Eurer Exzellenz Gefühl der Volksverbundenheit begrüßen wir Eure Exzellenz mit größter Ehrerbietung."

Unterschrieben war diese Eingabe an Hindenburg, die in einfachem Deutsch hieß: Hitler muß Reichskanzler werden, um der "Wirtschaft" die Macht zu erhalten und die Kommunisten zu vernichten, von besagtem Friedrich Reinhart, dem Bankier Kurt Freiherr von Schröder, dem Stahlindustriellen Fritz Thyssen, dem Vorsitzenden des Landbundes Eberhard Graf von Kalckreuth und anderen maßgeblichen Monopolkapitalisten und Großagrariern.

In den nächsten Tagen schlossen sich noch weitere Vertreter der herrschenden Klasse dieser Eingabe, die der Bankier Hjalmar Schacht vorgeschlagen hatte, an.

Es dauerte wenig mehr als zehn Wochen, da war Hitler Reichskanzler, mit allen verheerenden Auswirkungen für das deutsche Volk, die Völker Europas, ja, für die ganze Welt.