Die Gysi-Partei

von
Willi R. Gettel

02/02
 
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Wir schreiben das Jahr 1989. Die mit dem Beginn der achtziger Jahre in Polen ausgebrochene Krise des „Realsozialismus" nimmt zum Ende des Dezenniums finalen Charakter an und breitet sich wie ein Steppenbrand über den gesamten sowjetisch beherrschten Ostblock aus. Immer wuchtiger künden die im Herbst 89 über die DDR hereinbrechenden politischen Stürme von ihrem Untergang. Sich gegenseitig durchdringend und potenzierend entwickeln äußere und innere Prozesse eine Dynamik, die sie in atemberaubendem Tempo aus den Angeln hebt und wie einen Treppenwitz der Geschichte verschwinden läßt. Honneckers Sturz setzt den symbolischen Schlußpunkt. Unfähig, das zu begreifen, reißt Krenz die Nachfolge an sich. Doch seine kurze Regentschaft wirkt nur noch wie das hektische Aufzucken gespenstischer Szenen, in deren Verlauf es ihm wie keinem anderen gelingt, die DDR in der erlesenen Banalität einer Klamotte verblassen zu lassen. Auch wenn er schon bald wie ein lästiger Hofharr verjagt wird, gelingt es dem Treulosen, sie in den gestohlenen Kleidern seines erledigten Königs noch einmal als Posse zu inszenieren.

Ulbricht fiel, als Moskau ihn nicht mehr wollte. Nicht anders erging es Honnecker. Krenz war ein Sonderfall, ein Lückenbüßer, dessen Schicksal besiegelt war, als sich der Kreml entschieden hatte, die DDR gegen Entgelt an den Westen abzutreten. Modrow repräsentierte schon nicht mehr die DDR, wie sie als Ergebnis der deutschen Teilung nach dem 2. Weltkrieg entstanden war, sondern nur noch ihre Konkursmasse. Auch er ein Narr auf seine Weise, glaubte er doch, westdeutsche Kredite für eine längst verlorene DDR lockermachen zu können. Doch immerhin war er zu dem Ruf eines „Hoffnungsträgers" gekommen, so dass er in diesen bewegten Tagen als Beruhigungsmittel weit größere Wirkung erzielte denn als führender Kopf einer neuen chancenreichen Politik. Die Existenz der DDR beruhte primär auf dem Willen der Sowjetunion. Als der nicht mehr vorhanden war, hätte es mindestens des mehrheitlichen Willens ihrer Bevölkerung bedurft, ihre Staatlichkeit zu erhalten. Diesen mehrheitlichen Willen aber gab es nun weniger denn je, und staatliche Machtmittel als Ultima ratio einzusetzen hatte selbst Krenz nicht gewagt, wahrscheinlich deswegen nicht, weil es auch dazu längst zu spät war. Die SED hatte ihre Beschützerin und ihren Staat samt Staatsvolk verloren. Anzubieten hatte sie nichts mehr. Aber sie hatte noch sich selbst, was sie davon abhielt, als politische Partei abzutreten.

Vom Stalinismus ist bekannt, dass die Machtfrage in seinem ideologisches System nicht nur einen zentralen Platz , sondern darüber hinaus den Rang eines unveräußerlichen Glaubensartikels einnimmt. Diese schon wahnhafte Fixierung auf Macht und ihre Fetischisierung hält die SED auch noch zusammen, als sie in ihrer politischen und ideologischen Wirklichkeit nur noch einen Anachronismus darstellt. Sieht man sich noch einmal die letzten Tage des Regimes unter Honnecker an, ist nicht die Spur eines neuen Gedankens zu erkennen. Und hätten die Sowjets ihren letzten originären Vasallen aufgrund anderer Pläne nicht fallen gelassen, wäre seine Regierung zu gewaltsamen Lösungen geschritten. Die Vorbereitungen dafür waren getroffen. Der Irrtum von Krenz be-

stand vor allem darin, dass er glaubte, die Sowjets wollen nur wieder einmal einen unbotmäßigen Generalsekretär vom Hals haben, der Anstalten macht, ihrer Kursänderung zu folgen. Dies gab den Ausschlag, ihn bedenkenlos nach der Macht greifen zu lassen. Doch auch in dieser schon äußerst spannungsgeladenen kurzen Zwischenperiode verharrte die SED in geistiger Reglosigkeit und vertraute auf das, was sie immer noch für den Besitz der Macht hielt. Einigen Mitgliedern des Politbüros wurde es allerdings langsam mulmig, spürten sie doch das sinkende Interesse der Sowjets an der DDR. So war es noch das Klügste, anstatt es mit Gewalt zu versuchen die Mauer zu öffnen, um einen für die SED aussichtslosen Konflikt zu vermeiden. Ein freiwilliges, von wirklicher Überzeugung getragenes Aufgeben der Macht war das nicht, sondern ein von existentieller Bedrohung diktiertes taktisches Verhalten.

Die Öffnung der Mauer war zwar noch nicht das formale, aber das faktische Ende der DDR. Von diesem Tag an agierte die SED auf völlig verändertem Terrain. Nicht nur die äußerste Repression bedeutende Einhegung war verschwunden, auch die restlichen Re-pressionsmittel waren ihr entweder entglitten oder nicht mehr einsatzfähig. In diesem Zustand, in dem sich die Bevölkerung mehr oder weniger selbst organisierte und mit Blick auf den Westen neue Zuversichten entwickelte, war die Partei auf sich selbst zurückgeworfen. Doch auch in dieser Situation wurde im zentralen Diskurs der Partei nicht um neue Ideen gerungen, sondern primär um Mittel und Wege zur Machterhaltung. Auch hier ein Verkennen der Situation, ging es den neuen Akteuren zunächst auch wieder nur um die Macht, die sie nun durch Krenz gefährdet sahen Erstaunlich dabei die Zuversicht, dies mit Modrow erreichen zu können, nur weil ihm der Westen Jahre vorher den liebenswerten Beinamen „Hofmungsträger" verpasst hatte.

Die Leute, die nun die Messer wetzen, sind Fleisch vom Fleische der SED. Durchweg nichts anderes als die jüngere Nomenklatura, mehr oder weniger zu dieser Zeit noch namenlose Gestalten. Wäre es nicht zur Systemkrise und schließlich zum Kollaps gekommen, wären sie über das jeweilige Beerdigungskomitee den üblichen Weg nach oben gegangen. Unter ihnen kein einziger früherer Rebell, keine einzige frühere Rebellin. Nichts, was einem Havemann, einem Harich oder einem Bahro auch nur entfernt ähnlich ist; aalglatte Gesellen durch die Bank, artiger Nachwuchs bis zu dem Tag, an dem es um das Heiligste geht - die Macht. Zwar nicht mehr um die „sozialistische", doch immerhin um die Macht in Staat und Partei als Voraussetzung, im kommenden Spiel dabei zu sein, auch wenn es künftig unter kapitalistischen Bedingungen stattfinden sollte. Oder gab es noch andere Voraussetzungen als eine in langen Jahren erwiesene Linientreue, überhaupt in diese Ausgangsposition zu gelangen?

Ausgeschlossen. Denn wären sie noch in der Zeit stabilerer Verhältnisse auf Mielkes schwarze Liste gekommen, insbesondere mit der Qualität dessen, was sie jetzt gegen Krenz im Schilde rühren, hätte sie die Partei exkommuniziert und ins existenzielle Nichts geschleudert. Sie wären niemals mehr in die Position gekommen, die nun die unabdingbare Voraussetzung ihres Vorhabens bildet. Die Treue zur Partei war es, die sie so weit kommen ließ, was in einer herrschenden stalinistischen Partei, die nach den Prinzipien kirchlichen Institutionalismus organisiert ist, vor allem die organische Aneignung ihrer Ideologie bedeutet. Sie kommen nicht vom Rand, sie kommen aus dem Innern der SED. Und es geht um die Macht, die sie durch das unglückselige Treiben einer ohnehin unmöglich gewordenen Figur gefährdet sehen. Andere Motive, geschweige denn eine neue tragfähige Gesellschaftskonzeption lassen sich zu dem Zeitpunkt nicht erkennen, an dem

sie beginnen, sich bemerkbar zu machen. Unter den zahllosen, mit fragmentarischem Zeug eng bedruckten Papierfetzen, die in diesen Tagen in der SED kursieren, ist dergleichen jedenfalls nicht zu finden.

Die Bartholomäusnacht folgt im Dezember 1989 in Gestalt eines denkwürdigen Parteitages, der nicht einmal den Anschein demokratischer Gestaltung zu wahren versucht. Was tatsächlich über die Bühne geht, ist nichts weiter als ein Putsch, einzig und allein dem Zweck gewidmet, Krenz samt alter Garde mittels handstreichartig herbeiorganisierter Abstimmungsmehrheiten wegzuräumen und sich selber an die Spitze zu setzen. Die neuen Leute können dabei auf das Desinteresse der Außenwelt vertrauen, zumal die SED niemals in den verpflichtenden Ruf einer demokratischen Partei gekommen ist. Niemand ist verwundert oder regt sich auf, als der Mann mit den großen Zähnen und der exorbitant langen Jugendzeit kurzerhand abgehalftert wird. Auch die politische Großwetterlage ist günstig, so dass die Tat keinen Mut erfordert. Was aber laut Legendenbildung der erste Akt demokratischer Erneuerung der SED sein soll, ist in Wirklichkeit nur ihre Kontinuität: die Entmachtung eines stalinistischen Patrons mit stalinistischen Methoden.

Mit dem nun reklamierten Begriff „Erneuerung" wird eine grandiose Täuschung eingeleitet, zu der vor allem auch das Umdeuten der Begriffe gehört. Die SED ist zu keinem Zeitpunkt demokratisch gewesen, demzufolge hat sie in dieser Hinsicht auch nichts zu erneuern. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass nicht von demokratischer Veränderung die Rede ist, weil das die Diskussionen über die Vergangenheit provoziert hätte. Das Entscheidende an diesem „Parteitag" im Dezember 89 ist weniger die aus stalinistischer Tradition sattsam bekannte brutale Form der Säuberung. Entscheidend ist vielmehr, dass die Ursachen des Scheitems des „Realsozialismus" vertuscht werden, folglich auch eine Begründung für das politische Weiterexistieren der Partei ausbleibt, sieht man von zahlreichen Floskeln und Etikettierungen einmal ab, die dem Publikum serviert werden. Nichts also darüber, welche historische und gesellschaftliche Qualität das gescheiterte System wirklich hatte. Es war eben Sozialismus, wobei der Streit auf die künstlich gestellte Frage reduziert wird, ob er demokratische Defizite hatte oder nicht. Im Grunde ist es ein jämmerliches Gerangel, in dem es nur um moralische Deutungen geht. Anzeichen dafür, aus dieser Partei könnte ein emanzipatorischer Impuls hervorgehen, läßt der erste Akt ihrer „Erneuerung" nicht erkennen.

Der ehemalige Weggefährte von Krenz, Schabowski, hat in seiner neuen Eigenschaft als CDU-Berater im Sommer 2001 mit Blick auf die PDS geäußert, bei den Reformern an ihrer Spitze handele es sich nur um eine kleine Minderheit. Käme es zu einer Spaltung, wären die Leute um Gysi nur noch eine Sekte. Schabowski kann damit nichts anderes gemeint haben, als dass die Mehrheit der PDS heute immer noch in den Kategorien des stalinistisch geprägten Parteikommunismus befangen ist, während die sogenannten Reformer zum Sozialdemokratismus übergewechselt sind. Damit dürfte er kaum irren. Das mehrheitliche Denken in der Partei wird nicht von Gysi, sondern von der Kommunistischen Plattform repräsentiert. Schabowski - auch er ein Opfer dieses denkwürdigen Parteitags - übersieht dabei aber das ausbalancierte Verhältnis zwischen Führung und Kommunistischer Plattform, das sich hinter Inszenierungen und Scheingefechten verbirgt. Doch seine Einschätzung als intimer Kenner der Partei und ehemaliger Miterzieher jener Leute, die ihn damals politisch zur Strecke brachten, belegt nur unter anderem, was es mit dem demokratischen Sozialismus dieser Partei in Wirklichkeit auf sich hat, in der eine nur noch als reaktionär zu bezeichnende Grundstimmung das mehrheitliche Denken

ausmacht. Bizarrerweise wird die Kommunistische Plattform als deren Repräsentantin innerhalb und ausserhalb der Partei auch noch als linker Flügel gehandelt.

Kommen wir auf erwähnten Parteitag zurück. Die neuen Leute standen vor der Frage, welche Mittel geeignet sind, sich nicht nur an die Spitze der Partei zu setzen, sondern sie zugleich auch zu erhalten. Denn eines war klar: Als SED in alter Form und alten Kadern an der Spitze war sie nicht mehr zu retten. Das schätzten sie realistisch ein. Doch hätten sie unter den neuen Bedingungen den Parteitag demokratisch organisiert und ihr politisches Ziel offen zur Diskussion gestellt, wäre ihr Erfolg nicht sicher gewesen. Sie muss-ten nicht nur mit der Anhängerschaft von Krenz rechnen, sondern auch mit der Unmöglichkeit, auf einen Schlag die geistige Einstellung der Mitglieder verändern zu können. Sie hatten allen Grund zu bezweifeln, eine breite Zustimmung für ihren Kurs zu bekommen, der als ein von Anfang an sozialdemokratischer nur ein eingefleischtes Feindbild bedient hätte. Die Frage spitzte sich also darauf zu, ob es zum Putsch eine Alternative gebe.

Gemessen an ihrem Ziel gab es keine. Sie hätten sonst den Delegierten zum Munde reden müssen, was noch lange nicht ihre Wahl garantiert, ganz sicher aber ihre Profilierung als „Erneuerer" konterkariert und zugleich der Verzicht auf die bezweckte Bildveränderung nach außen bedeutet hätte. Um einem sehr wahrscheinlichen Dilemma zu entgehen, blieb ihnen kein anderer Weg, als der, demokratische Prozeduren zu vermeiden, womit sich der Denkkreis wieder schloß, das Verhältnis von Mittel und Zweck nach Art des Hauses wieder hergestellt und die Strategie zur inneren Führung der Partei in ihre Grundform gegossen war: nach dem Putsch der Basis den sozialdemokratischen Kurs sukzessive aufzuzwingen.

Die Partei hat diesen Akt der „Erneuerung" geschluckt - bis heute. Eine machtbewußte, entschlossene Gruppe hat sich an die Spitze geputscht und sich die Verfügungsgewalt über ihre Mittel verschafft: Gelder, Dateien, Medien, Informationen, Parteiapparat. Spätere Wahlen wurden dann zwar der Form nach demokratisch organisiert, bewirkten aber nur noch das immer gleiche Wunder gleichbleibender Machtverhältnisse. Im Vordergrund steht hier aber nicht die Frage, ob dieser Akt politisch legitim war. In einer Partei ohne demokratische Kultur und Tradition erregt so etwas nicht sonderlich die Gemüter. Im Vordergrund steht vielmehr die Frage, was daraus letztlich nur entstehen konnte, worauf es unausweichlich hinauslaufen musste.

Geht man von der politischen Daseinsberechtigung einer Partei aus, stellt sich unweigerlich die Frage, welchen Platz sie in einem Gesellschaftssystem originär einnimmt. Die „Erneuerer" mochten sich diese Frage durchaus gestellt haben. Ob ihnen dabei klar wurde, dass von einer sozialistischen Systemqualität des untergegangenen „Realsozialismus" nicht die Rede sein konnte, ist damals so wenig wie heute deutlich geworden. Diese Analyse, die nur auf marxistischer Grundlage einen Sinn ergeben hätte, wäre aber die unabdingbare Voraussetzung neubestimmter sozialistischer Politik gewesen. Sie ist nicht geleistet worden. Spätestens hier stellte sich die Frage, was denn an der SED sozialistisch sein sollte. Verriet ihre Subjektivität nicht vielmehr ihre Herkunft aus einem System, in dem der Mensch der Unterdrückung nicht entronnen, „ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes und verächtliches Wesen" (Marx) geblieben war? Und konnte ein diktatorisches System nachholender Modernisierung, dem zudem noch der historische Atem ausgegangen war, schon sozialistisch sein? Der eher unsinnige Streit zwischen Kommunistischer Plattform und „Erneuerern", ob nun dieser angebliche Sozialismus demokrati

sche Defizite hatte oder nicht, zeigt doch nur, dass beide Seiten allenfalls nur eine abstruse Vorstellung von Sozialismus haben. Was also nach Jahrzehnten physischen Terrors und ideologischer Inquisition, Machtfetischismus und geistiger Erstarrung von marxistischen Ansätzen übrig geblieben war, trat in dem Augenblick grell hervor, als der SED nichts weiter einfiel, als sich eine andere Bezeichnung zu geben und damit die Bewältigung ihrer Vergangenheit zugleich für erledigt erklärte.

Die Frage, warum die SED nach dem Kollaps ihres Herrschaftssystems nicht stillschweigend verschwand, nachdem ihre Unfähigkeit zu kritischer Analyse offenkundig geworden war, ist müßig, stellt sie sich doch nur unter der Annahme, kritisches Bewußtsein wäre noch vorhanden gewesen. Sieht man sich beide Seiten der Partei nach ihrer Umtaufüng an, legen allein schon die Texte von Sahra Wagenknecht und ihren Ziehvä-tem in den Weißenseer Blättern" ausreichend Zeugnis über die ungebrochene Vitalität der Grundströmung in der nun umbenannten Partei ab. Vor diesem Hintergrund, zu dem auch die Anbetung Stalins gehörte, erführen die „Erneuerer" sogar eine gewisse Legitimation. Und stellt man zudem ihren Kurs der Grundströmung gegenüber, nimmt er sich nach marxistischen Kriterien sogar fortschrittlich aus; denn im Verhältnis zum „realsozialistischen" Block war der kapitalistische Westen immer die überlegene, höher entwikkelte Gesellschaft gewesen. Der eigentliche Unterschied zwischen den „Erneuerern" und dem parteikommunistischem Flügel ergibt sich daher weniger aus dem Streit um moralische Bewertungen, sondern daraus, dass die einen das begriffen haben und die anderen dazu unfähig sind.

Bei dieser Konstellation und völliger Abwesenheit adäquater theoretischer Auseinandersetzung konnte sich die Machtfrage in der Partei nur praktisch stellen. Und sie wurde von den neuen Leuten auch praktisch gelöst. Nachdem sie die Partei aber unter ihr Kommando gebracht hatten, zeigte sich schon bald die Problematik, die sie sich mit diesem eng gesetzten Horizont aufgeladen hatten. Abgesehen davon, dass es eine marxistisch fundierte Diskussion nicht gab, nicht geben konnte, weil stalinistische Praxis ihre Grundlagen nicht nur weitestgehend zerstört, sondern auch den intentionalen Kem der Marxschen Befreiungstheorie, ihren kategorischen Imperativ in sein Gegenteil verkehrt hatte, hätte eine solche Diskussion die SED/PDS pulverisiert. Das ist interessanterweise auf anderer Ebene nicht geschehen, obwohl sich nun dem äußeren Bild nach Stalinismus und Sozialdemokratismus als vorgeblich unvereinbare Ideologien innerhalb einer Partei gegenüber standen. Es zeigte sich jedoch schnell, dass beide Seiten aufeinander angewiesen sind, eine Spaltung sie für immer von der Möglichkeit trennte, entweder wieder an die Macht zu kommen oder wenigstens an ihr teilhaben zu können. Das ständige Ausbalancieren der Flügel ist aber nur ein Teil der Problematik. Schwerwiegender ist die sich immer stärker abzeichnende strategische Sackgasse, in die sie schon einmal als SED geraten war. Ist sie einerseits mit ihrer offensichtlich nicht mehr veränderbaren Grundstimmung nicht mehr integrationsfähig, führt sie ihr adoptierter Sozialdemokratismus andererseits unweigerlich unter die Fuchtel der SPD. Nur wenigen Konvertiten dürfte es dabei gelingen, ihrem Machtfetischismus wenigstens in abgeschwächter Form zu frönen.

Die Problematik der PDS enthält aber auch Implikationen, die über sie hinaus gehen, die emanzipatorische Neuorientierungen erheblich blockieren könnten. Dies hängt wesentlich mit der Gleichsetzung von Marxismus und Stalinismus zusammen, was vor allem bedeutet, den historisch in Erscheinung getretenen Kommunismus Stalinscher Prägung als Konkretisierung der von Marx und Engels entwickelten Befreiungstheorie anzusehen. Unter diesem Aspekt erscheint natürlich auch die PDS nicht nur als Nachfolgerin der SED, sondern auch als geistige Erbin des vermeintlichen Sozialismus, einem Erbe also, dem sie sich nicht so ohne weiteres entziehen kann. Und je nach Einstellung kann das dem einen als Nachweis sozialistischer Kompetenz, dem anderen als deren Gegenteil oder gar als abschreckend erscheinen. Versucht nun die reformistische Führung sich moralisch von diesem Erbe abzusetzen, nehmen es die Exponenten der Grundströmung voll an, womit sie zugleich bezeugen, was allgemeine Meinung ist. Es ist müßig, hier nun erschöpfend der Frage nachzugehen, welche Konsequenzen das Festhalten an dieser Anschauung nach sich zieht. Aber auch die reformistische Seite weigert sich, der Sache auf den Grund zu gehen. Während die Kommunistische Plattform wie schon die SED die Marxsche Theorie aus Legitimationsgründen für sich reklamiert und ausschlachtet, sie damit weiterhin indirekt diskreditiert, wird sie umgekehrt von den Reformisten als Beweis ihrer „Erneuerung" gänzlich verworfen. Denn wenn im vorherrschenden Diskurs gilt, diese Theorie (Ideologie) habe den stalinistischen „Realsozialismus" generiert, versichert ihr Verwerfen, so etwas nicht mehr zu wollen. Vermittelt also die Kommunistische Plattform ihren rückwärts gerichteten Parteimarxismus als weiterhin gültige sozialistische Orientierung, bestätigen die Reformisten die Gleichsetzungsthese auf subtilere Weise, indem sie einen Sozialismus ohne Marxsche Theorie proklamieren, weil er sich nur durch ausdrücklichen Verzicht auf sie demokratisch gestalten ließe.

Sauber hingekriegt, könnte man sagen. Nicht also die Verhältnisse im damaligen Russland, die Rückständigkeit, die Legende von einer sozialistischen Revolution, der Jakobinismus der Bolschewiki, Lenins Irrtümer, Bürokratisierung und Stalinsche Thermidorisierung der russischen Revolution, Theorie vom Sozialismus in einem Land und so weiter und so weiter... spielen eine Rolle. Also nicht diese Ursachen haben etwas mit Stalins Terrorherrschaft, politischer Unterdrückung, Stagnation und schließlich mit dem Kollaps dieser längst als regressiv erkannten Formation zu tun, sondern die Konkretisierung der Marxschen Theorie. Das nämlich kommt dabei heraus, führt man den Gedanken zu Ende. Um dieses Gebräu aus politischer Verlogenheit, Gerissenheit, Anbiederung und einem gehörigen Anteil an Schwachsinn zusammenzurühren, bedurfte es natürlich geeigneter Talente, wie sie wahrscheinlich nur die SED hervorbringen konnte. Das größte unter ihnen trat gleich hervor - der Mann mit dem Besen.

Als Gysi mit dem Besen auf besagtem Parteitag die neue Frische der Partei verdeutlichen wollte, mochte er sich der symbolischen Zwielichtigkeit dieses Reinigungsinstruments nicht bewußt gewesen sein, obwohl in diesem Augenblick gerade eine der schwersten Säuberungen im Leben der SED über die Bühne ging. Anzunehmen ist aber, dass er reflexartig nach ihm griff, gewissermaßen instinktiv die richtige Wahl traf. Gesäubert nach Art der Väter wurde von da ab nicht mehr, hatten sich doch inzwischen effektivere Möglichkeiten ergeben, bei denen der Besen nur noch gelegentlich gezeigt werden musste, wie beispielsweise 1999 auf dem Parteitag in Münster, als die sonst gewohnte Nickerei keine mehrheitlichen Formen annahm. „Das wird korrigiert", drohte der Mann mit dem Besen und gab damit reflexartig zu verstehen, dass niemand sich einbilden solle, es gebe Generalsekretär und Politbüro nicht mehr, nur weil sich ihre Erscheinungsweisen geändert haben. Und schließlich sollte auch keiner vergessen, dass er es ist, er allein, der die Partei bisher über die Runden gerettet hat und er auch der einzige ist, der sie erfolgreich im Westen anzusiedeln vermag.

Läßt man einmal die Frage sozialistischer Politik beiseite, ist es tatsächlich Gysi, der das Erscheinungsbild der SED entschärft hat. Aber es ist seine Politik, der sich Apparat und führende Kader aus vitalen Gründen angeschlossen haben. Ihre Konzeption ist originär sozialdemokratisch und hat strategisch keine andere Chance als die, unter die Vormundschaft der SPD zu geraten, was auch die Praxis längst bewiesen hat. Gysi mag das in Kauf nehmen oder sogar wollen, von seiner alten Gefolgschaft aber werden nur wenige erfolgreich durchkommen. Auch das ist ein Grund, in den Westen zu wollen, erlangte doch die PDS dadurch eine breitere Basis und brächte im Handel mit der SPD ein höheres Gewicht auf die Waage. Eine westliche Linke aber, die ihr dabei behilflich ist, wird bald schon den Mühlstein spüren, den sie sich damit selber um den Hals gehängt hat.

Editoriale Anmerkung:

Der Artikel wurde uns vom Autor zur Verfügung gestellt. Er erschien zuerst in der Zeitschrift HINTERGRUND III - 2001.