Die Entstehungsgeschichte Israels von 1882-1948

von Nathan Weinstock

02/04
 

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1. Eine marxistische Interpretation des jüdischen Problems

Seit dem Ende des 2. Weltkrieges haben das jüdische Problem und der Palästinakonflikt die Linke unaufhörlich beschäftigt. Die Aufdeckung des entsetzlichen Ausmaßes des von den Nazis verübten Völkermordes, der Palästinakrieg von 1948, die abscheulichen Prager Prozesse, die Suez-Krise, das Urteil gegen Eichmann, die dramatischen Ereignisse des Juni 1967 ... es sind so viele Aufmerksamkeit erregende Ereignisse, die uns unmittelbar berühren und alle werfen, in der einen oder anderen Form, das jüdische Problem und dessen israelische Verlängerung auf. Dennoch erschien während dieser ganzen Periode keine grundlegende marxistische Studie, die einen Themenkreis klärend bearbeitet hätte, der mit Recht Kontroversen hervorrief. Tatsächlich waren Beiträge aus marxistischer Feder aus einem besonderen Grunde während langer Zeit ausgeblieben. Die Untersuchungen von Ber Borochow, der die Synthese von Zionismus und Klassenkampf verwirklichen wollte, gehen auf den Anfang dieses Jahrhunderts zurück. Was »Der Untergang des Judentums« von Otto Heller betrifft, so erschien dieses Werk noch vor dem Dritten Reich. Welchem Umstand muß man diese überraschende Lücke im marxistischen Denken zurechnen, die - dies wäre völlig verfehlt - nicht durch gelegentliche Artikel gefüllt werden kann? Unserer Meinung nach liegt die Erklärung dieses Rätsels in dem Auslöschen des unabhängigen marxistischen Denkens durch den Stalinismus bis in die ganzen letzten Jahre hinein. Vergessen wir nicht, daß die kommunistischen Parteien während langer Zeit scheinbar eine Art von Monopol des Marxismus oder wenigstens dessen, was als solcher galt, besessen haben. Man begreift leicht, daß die unzähligen »Salto-Mortale« der sowjetischen Politik gegenüber dem Judenproblem kaum für eine theoretische Erarbeitung vorteilhaft gewesen wären. Ist es daher ein Zufall, wenn die einzige grundlegendere Analyse des jüdischen Problems im Sinne des historischen Materialismus - übrigens eine bemerkenswerte Studie - von dem belgischen Trotzkisten Leon verfaßt wurde? [1] Leon gehört eben gerade einer proletarischen, dem ursprünglichen Marxismus treu gebliebenen und nicht durch die Staatsraison der Sowjetunion entstellten Fraktion an. In dieselbe Richtung weist die Tatsache, daß die Lebensbedingungen der Juden in der Sowjetunion, die antisemitischen Kampagnen in den Ländern des Ostblocks und der Opportunismus der nacheinander folgenden Stellungnahmen der kommunistischen Bewegung zur Frage des arabisch-israelischen Konflikts nicht geeignet waren, diejenigen für ein ähnliches Projekt zu ermutigen, die die offizielle Problemstellung der kommunistischen Staaten nicht gelten lassen wollen. Das ist der wunde Punkt.

Das Überleben des jüdischen Volkes die Jahrhunderte hinweg in seinen ethnischen, religiösen und sprachlichen Eigenständigkeiten erklärt sich durch seine Geschichte. »Die Juden«, schreibt Leon, »stellen in der Geschichte vor allem eine gesellschaftliche Gruppe mit einer bestimmten ökonomischen Funktion dar. Sie sind eine Klasse, oder besser noch, eine Volksklasse.« [2] In der Tat bildet die jüdische Geschichte das treffendste Beispiel für den Prozeß, auf Grund dessen ethnische Minderheiten innerhalb eines gegebenen Volkes eine bestimmte sozio-ökonomische Funktion ausüben und dennoch ihre Eigenständigkeit bewahren, ohne sich der sie umgebenden Bevölkerung anzugleichen. Man findet das gleiche Phänomen in einer weniger ausgeprägten Form wieder bei den Zigeunern, bei den Armeniern im Ausland, bei den Kopten, bei den chinesischen Händlern in Süd-Ost-Asien, bei den islamischen Kaufleuten in den chinesischen Städten, bei den hinduistischen Wucherern in Burma und, bis zum letzten Weltkrieg, bei den deutschen Minderheiten in den slawischen Staaten. So viele Beispiele von Gesellschaften gibt es, in denen im allgemeinen fremde Volksgruppen innerhalb einer vorkapitalistischen Wirtschaft die Rolle der Zwischenhändler übernehmen. Die Existenz eines Viertels ausländischer Händler ist schließlich eine typische Eigenart vorindustrieller Städte. [3] Nachdem sich die hebräischen Nomadenstämme in Palästina, niedergelassen hatten, ist der Handel lange Zeit in dieser landwirtschaftlichen Gegend der Lebensunterhalt der Kanaaniter geblieben. Da das Land an den alten Karawanenwegen lag, hat sich eine gewisse kaufmännische Tätigkeit unter den Hebräern wahrscheinlich ziemlich rasch entwickelt. Zum Beweis unterrichtet uns eine Stelle in der Bibel (I Könige XX, 34) über die Existenz von jüdischen Handelskontoren in Damaskus.

Mit Sicherheit ist jedenfalls ein allmähliches Ausschwärmen der hebräischen Bevölkerung aus den Grenzen Palästinas belegt. Diese Diaspora vollzieht sich übrigens friedlich, ohne irgendeine Eroberung fremder Gebiete. »Schon seit der Zeit der Feldzüge der Assyrer und Babylonier in Palästina (d.h. vor dem 5. Jahrhundert v. Chr.) waren die Vorfahren des jüdischen Volkes in Kontakt mit Europa und den Europäern getreten. Schon vor dem Ende des biblischen Zeitalters 'lebten überall in der griechischen Welt Hebräer.« [4] Schon im 8. Jahrhundert, lange vor den Deportationen, ist die Existenz mehrerer jüdischer Zentren in Ägypten überliefert. Diese Ansiedlungen sind im allgemeinen landwirtschaftliche Kolonien. Die assyrische Eroberung von Samaria während des letzten Drittels des 8. Jahrhunderts v. Chr. endet gemäß den Gebräuchen dieser Epoche mit der Deportation der herrschenden Klasse (den Adligen und den Reichen), was nach Keilschrift-Dokumenten etwa 28000 Menschen gewesen sein mögen. [5] Dasselbe Schicksal trifft im Jahre 586 das andere hebräische Königreich, Judäa. Nebukadnezar läßt die Angehörigen der königlichen Familie, die Adligen, die Krieger, die Priester und Propheten und die geschickten Handwerker nach Babylon deportieren. Dieses Zwangsexil betrifft jedoch nicht die Landbevölkerung, die Landarbeiter und die Weinbauern bleiben auf ihrem Land. Das verhindert nicht, daß die jüdische Bevölkerung erheblich verringert wird, und diese Entvölkerung von Judäa begünstigt das Eindringen benachbarter Stämme in ihr Gebiet. [6]

So bilden sich schon vor dem Untergang Jerusalems jüdische Kolonien in Mesopotamien und Ägypten, die von mehr oder weniger freiwilligen Emigranten bewohnt werden und stark anwachsen durch die deportierte Bevölkerung. Diese Exiljuden sind teils Fellachen entlang den Flüssen, teils Händler in den Städten oder auch Söldner im Dienst der Fürsten. [7]

Als sich auf Grund vor allem von wachsenden Rückwandererwellen jüdischer Emigranten aus Mesopotamien in Palästina wieder ein jüdisches Gemeinwesen bildet, repräsentieren die Juden in Judäa in Wirklichkeit nicht mehr als einen Teil - den kleinsten Teil übrigens -des Judentums. [8] Wenn auch demographische Schätzungen natürlich an Vermutungen anknüpfen, so ist außer Zweifel, daß schon seit der Zeit vor dem Fall des 2. Tempels im l. Jahrhundert nach Christus drei Viertel der Juden in der Diaspora leben. Die jüdische Ausdehnung erscheint durchaus erstaunlich groß: in der hellenistischen Epoche ist einer von fünf Einwohnern in den Ländern im östlichen Mittelmeerraum Jude. [9]

In Palästina selbst ist das Gebiet der Hebräer von Nachbarstämmen besetzt, die sich oft mit der ansässigen Bevölkerung vermischen. »Die Loslösung vom Boden Palästinas hat auf das wirtschaftliche Leben der Juden in der Emigration bleibende Auswirkungen gehabt«, bemerkt der Historiker Baron. [10] Die Deportierten stammen in ihrer großen Mehrheit ursprünglich von der Stadtbevölkerung Palästinas ab. Es handelt sich hauptsächlich um Handwerker, um höhere Beamte der Verwaltung und der Armee und um die nicht auf ihrem Gut ansässigen Großgrundbesitzer. Im Verlaufe des Umsiedlungsprozesses läßt sich eine große Zahl von ihnen in den babylonischen Städten nieder, wo sie in den Bann des industriellen und kaufmännischen Lebens geraten. Da sie im Exil kein Interesse an Grund und Boden haben und ohne Zweifel durch ihre Sprachkenntnisse begünstigt sind, widmen sich die »entwurzelten« Juden dem Handel. [11] In diesen jüdischen Gemeinwesen im Orient entwickelt sich folgerichtig eine Klasse von jüdischen Händlern. Das ist in Babylon der Fall, wo die verstädterten Gruppen einer schon vor dem 6. Jahrhundert üblichen Tradition folgend, sich sehr früh dem Handel zuwenden. Ebenso finden wir diese Juden des Orients als Großgrundbesitzer, Steuereintreiber, Verwalter und Würdenträger. [12] Die Historiker haben die ökonomische Vielfalt des verstreuten Judentums unterstrichen. Aber es scheint sicher, daß der Anteil der Handwerker, und vor allem der Händler, stark zugenommen hat. Alles in allem scheinen die Lebensbedingungen der in der Diaspora lebenden Juden denen der phönizischen und ägyptischen Kolonien sehr ähnlich gewesen zu sein, die während der hellenistischen und römischen Periode rund um das Mittelmeergebiet verstreut waren. »Es sind sicherlich die günstigen ökonomischen Bedingungen, die die Existenz und das lange, während der ganzen Antike dauernde Fortbestehen solcher fremder Händlerkolonien erklären«, meint Baron. Dieser Autor fügt eine interessante Beobachtung hinzu, die man mit der Entwicklung der aufblühenden jüdischen Gemeinwesen nach der römischen Eroberung von Judäa vergleichen muß: »In der hellenistischen und römischen Periode entwickeln sich insbesondere die phönizischen Kolonien nicht nur entlang des gesamten Mittelmeergebietes weiter, sondern sie gewinnen vielleicht noch an Bedeutung und Reichtum, nachdem ihre Heimatstadt jegliche politische Macht verloren hat.« [13]

Mit diesem häufigen Kontakt mit fremden Volksgruppen und mit dieser Entwicklung einer vom Gesetz des Wertes durchdrungenen Händlerklasse muß man ohne Zweifel den Universalismus der jüdischen Propheten in Zusammenhang bringen. Die soziale Struktur der jüdischen Gemeinwesen im Exil hebt sich deutlich von der des Judentums in Palästina ab. Sicherlich befinden sich unter der jüdischen Bevölkerung einige reiche Händler, und ebenso schreitet die wirtschaftliche Erschließung rasch voran, aber die großen Küstenstädte Palästinas, die eigentlichen Handelszentren der Gegend, sind in erster Linie griechische Städte. Die Niederschlagung des aufständigen Judäa im Jahre 70 n. Chr. läßt die jüdische Diaspora beträchtlich ansteigen. Zu den Millionen von Flüchtlingen, die sich über das ganze Mittelmeergebiet verbreiten, kommen noch die als Sklaven verkauften Gefangenen hinzu. Daher erklärt sich das Fortbestehen, wenn nicht die Verschärfung, der wirtschaftlichen Vielfalt innerhalb des Judentums der Diaspora: Im Römischen Reich besteht neben den Händlern, den Getreideverkäufern und den jüdischen Geldverleihern von Alexandria eine große Bevölkerungszahl niederen Standes, Plebejer, Freigelassene und Sklaven. Aus ihrer Mitte entstehen im übrigen die ersten christlichen Gemeinden. »In den meisten Gegenden«, so schließt Baron, »gehörte die überwiegende Mehrheit der Juden zum städtischen Proletariat, und gemeinsam mit diesem waren die Juden die Verfechter der hauptsächlichsten revolutionären Bewegungen. In den älteren und wohlhabenderen Gemeinwesen, vor allem in denen von Ägypten und Babylon, bestand auch eine beträchtliche jüdische Mittelschicht und sogar eine bedeutende Anzahl jüdischer Patrizier.« Nach der These von Leon unterteilte sich die Geschichte der jüdischen Diaspora in vier aufeinanderfolgende Perioden: in eine vorkapitalistische Phase, in die Zeit des mittelalterlichen Kapitalismus, in die Epoche des Manufaktur- und Industriekapitalismus und in die Phase des Spätkapitalismus.

Die vorkapitalistische Phase, die sicherlich die längste ist, dauerte bis zum 11. Jahrhundert in Westeuropa und setzte sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in Osteuropa fort. Damals lebten zur Zeit von Tacitus wahrscheinlich eine Million Juden in Palästina, dazu noch 3,5 Millionen in Ägypten, in Syrien, in Kleinasien, auf der Cyränaika und in Europa. [14]

Die Juden haben sich also über das ganze römische Reich ausgebreitet. Nach dessen Untergang bilden sie sich allmählich durch einen Selektionsprozeß, der die Juden niederen Standes ausscheidet, in eine Händlerklasse um. Die jüdischen Bauern, die zum Christentum bekehlt waren, verschmolzen mit der sie umgebenden Bevölkerung. Ihre ethnischen, kulturellen und jüdisch-religiösen Eigenständigkeiten hielten allein die Händler und Makler und, vor allem in den Ländern des Orients und im maurischen Spanien, die Klasse der Handwerker aufrecht. Sie konnten ihre ursprünglichen Merkmale dank ihrer sozialen Funktion bewahren.

Goitein untersucht die sozialen Wandlungen in den Ländern des islamischen Orients im 8. und 9. Jahrhundert und beschreibt ähnlich »das Voranschreiten des Prozesses, durch den die Juden sich gewandelt haben von einem Volk, das hauptsächlich in manuellen Berufen beschäftigt war, in eine Bevölkerung, deren charakteristische Beschäftigung der Handel ist«. Im Verlaufe der ersten Jahrhunderte des Islams haben die Juden der arabischen Welt begonnen, landwirtschaftliche Berufe aufzugeben und nur solche Funktionen zu übernehmen, die von da an traditionell mit ihrem Leben verbunden werden: Kaufleute, Gewürzhändler, Bankiers, Goldschmiede, Juweliers, Handwerker etc. [15]

In Europa bewirkt die feudale Wirtschaftsform den Reichtum der Juden. Im Laufe der Jahrhunderte werden sie die notwendigen Zwischenhändler einer Naturalwirtschaft. Sie liefern Luxusartikel an die Aristokratie, die sie dafür beschützt. Während des späten Mittelalters füllen sie zahlreiche Vertrauensposten bei den Königen und Eroberern aus und übernehmen ferner manche niederen Verwaltungsfunktionen, trotz der wiederholt von den Konzilen ausgesprochenen Verbote. Man findet sie als Hoflieferanten, und sie leben in enger Freundschaft mit den kirchlichen Würdenträgern. Der Herrscher beschützt sie, garantiert ihnen eine intern autonome Rechtsprechung und gewährt ihnen großmütige Befreiungen von den Steuern. Dies sind Privilegien, die sich aus der wirtschaftlichen Nützlichkeit der Juden erklären lassen. Wenn sich in dieser Epoche ein gewisses Ressentiment ihnen gegenüber bemerkbar macht, so handelt es sich in erster Linie um die charakteristische Feindschaft einer bäuerlichen Gesellschaft gegenüber den Kaufleuten, und manchmal, während des späten Mittelalters, um den Haß, der sich bei den Sklaven gegen ihre jüdischen Herren entwickelt. »Jude« (judaeus) wird daher synonym mit »Händler« (mercator).

Seit dem 11. Jahrhundert beginnt in Westeuropa die Entwicklung des mittelalterlichen Kapitalismus. Das Entstehen einer einheimischen Händlerschicht und die Entwicklung der kaufmännischen Berufe untergraben die Grundlagen der wirtschaftlichen Funktion der Juden, die an die rückständige Produktionsweise gebunden war. Die Juden verlieren das Handelsmonopol und werden aus diesem Bereich durch die einheimischen Mittelschichten verdrängt, die ihnen den Eintritt in die Gilden versperren. Die Juden werden zu Geldverleihern gegenüber dem Adel. Es sind vor allem die oberen Klassen, mit denen es die Juden zu tun haben.

Wir stellen fest, daß die religiösen Verfolgungen meistens auf leicht erklärlichen wirtschaftlichen Gründen beruhen. Bei der antijüdisch-religiösen Politik Spaniens im 7.Jhdt. ist festzuhalten, daß eine wichtige Gruppe aus Konkurrenzgründen mit Gewalt verdrängt worden ist. »Das beste Anzeichen der unvollständigen Entwicklung einer einheimischen Händlerschicht in Spanien, in Frankreich und in Süditalien ist vielleicht die Stellung, die die jüdischen Geldverleiher und Händler weiterhin dort haben einnehmen können, trotz der strengen juristischen Einschränkungen und manchmal trotz der Pogrome.« Die Juden sind so ausschließlich in einen Beruf gedrängt worden, den sie schon vorher nebenbei ausgeübt hatten. Aber dem Adel gelingt es schnell, das Joch der Wucherzinsen abzuschütteln. So erfolgt eine erneute Erniedrigung ihrer Stellung, die die Mehrheit der Juden zwingt, ärmliche Wucherer, Pfandleiher oder Hausierer zu werden, die die niederen Volksschichten ausbeuten. Die Ausübung dieses Berufes bewirkt die ungeheuer große Feindschaft ihnen gegenüber, eine Feindschaft, die die Form von gewalttätigen Auseinandersetzungen und Massakern annimmt und gewöhnlich begleitet wird von der Vernichtung der Schuldscheine. Als ihnen in der Folge der Wucher verboten wird, werden die Lebensbedingungen der Juden, die im Lande blieben, auf die der Lumpensammler, der fahrenden Händler oder der Ausgestoßenen eingeschränkt.

Seit dieser Zeit werden die jüdischen Viertel der westeuropäischen Städte, die einem freiwilligen, aus Bequemlichkeitsgründen erfolgtem Zusammenschluß der jüdischen Minderheit entsprachen, sogar aus Sicherheitsgründen zu Ghettos, d. h. zu extra besteuerten Wohnvierteln, in denen die Israeliten unter Zwang wohnen müssen, und in denen sie den schlimmsten Erpressungen ausgesetzt sind. [16] Gegen Ende des 15. und vor allem im folgenden Jahrhundert emigrieren die Juden Westeuropas, von der iberischen Halbinsel vertrieben und anderswo blutig unterdrückt, in das Türkische Reich und nach Osteuropa (insbesondere nach Litauen und nach Polen). Dort treffen sie wieder die feudale Wirtschaftsform an, die es ihnen erlaubt, die Rolle des unersetzbaren Handwerkers oder Zwischenhändlers auszuüben; ebenso gelangen sie wieder in den Schutz des Adels. Das Entstehen des Manufaktur- und Industriekapitalismus in Westeuropa unterdrückt dort radikal die spezifische Funktion der Juden durch die allgemeine Ausbreitung einer auf dem Tauschverkehr beruhenden Wirtschaftsform. Die auf dem Kontinent durch die französische Revolution und in der Folge durch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung in der Neuen Welt herbeigeführte juristische und politische Emanzipation reißt die Barrieren zwischen Juden und Nicht-Juden nieder. Das hat zur Folge, daß die Assimilation mit atemberaubender Schnelligkeit voranschreitet. Während dieser aufsteigenden Phase des Kapitalismus vermehren sich die Glaubensübertritte, und die Mischehen werden immer zahlreicher. Die Juden integrieren sich in die kapitalistische Klasse und übernehmen liberale Berufe. Aber im Gegensatz zu dem, was in der vorkapitalistischen Gesellschaft geschah, spielen sie im Manufakturkapitalismus nur eine gänzlich untergeordnete Rolle. Im religiösen Bereich kündigt sich diese Entwicklung durch Assimilationstendenzen an. Moses Mendelssohn verbindet die überkommenen Glaubensinhalte mit den Ideen der Aufklärung. Die erste Reformsynagoge wird in Hamburg im Jahre 1818 gegründet, und diese Richtung beherrscht schnell das angelsächsische Judentum. Diese Erneuerer »reinigen« die jüdische Religion von ihrem nationalen und ethnischen Inhalt, der seit ihren fernen Ursprüngen bewahrt wurde, um in ihr ausschließlich den »Glauben Moses« zu erhalten.

Bei der Reichweite dieser integrativen Glaubensströmung kann man hinzufügen, daß das Judentum in Westeuropa nur dank der Einwanderung von Juden aus den slawischen Ländern überlebt hat. Die bestehenden jüdischen Gemeinden sind das Resultat eines fortwährenden Prozesses von Auslese und Absonderung. So wurde die Stellung der Juden Osteuropas seit dem 17. Jahrhunden schwerwiegend durch die aufeinanderfolgenden sozialen Krisen des polnischen Königreiches erschüttert. Die Volkserhebungen richten sich speziell gegen die Juden - Wucherer, Verwalter, Kneipenwirte und Händler -, die beschimpft werden als Ausbeuter oder direkte Handlanger der feudalen Unterdrückung. Im folgenden Jahrhundert beginnt auch die osteuropäische Gesellschaft sich zu verändern. Der Kapitalismus entwickelt sich und mit ihm bildet sich eine einheimische Bourgeoisie, ein Vorgang, der sich innerhalb des jüdischen Gemeinwesens in der Entwicklung der Emanzipationsbewegung »Haskala« (Aufklärung) widerspiegelt. Einmal mehr wird die spezifische Stellung des Juden, der der einzige Vertreter des Geldverkehrs einer feudalen Gesellschaft war, durch die ökonomische Entwicklung untergraben. Von ihrer Rolle des Zwischenhändlers verdrängt, sind die jüdischen Massen gezwungen, neue soziale und geographische Bereiche zu suchen. »Zwei Prozesse charakterisieren die Entwicklung des jüdischen Volkes im vergangenen Jahrhundert: Die Emigration und die gesellschaftliche Differenzierung der Juden. Der Zerfall des Feudalsystems und des Systems der Knechtschaft haben parallel mit der Entwicklung des Kapitalismus zwar neue Unterhaltsquellen geschaffen, aber zugleich in sehr viel weiterem Maße die Vermittlerrolle zerstört, von der der größte Teil des jüdischen Volkes lebte. Diese Prozesse haben die jüdischen Massen dazu veranlaßt, ihre Wohnorte und ihr gesellschaftliches Milieu zu verändern. Sie haben sie gezwungen, einen neuen Platz in der Welt und eine neue Stellung in der Gesellschaft zu suchen.« [17]

Dies führt dazu, daß eine bezeichnende Differenzierung innerhalb der jüdischen Volksklasse in Osteuropa stattfindet. [18] Im 19. Jahrhundert entstehen breite Schichten eines ruinierten jüdischen Bürgertums und Kleinbürgertums, die durch die Konkurrenz der neuen einheimischen Mittelklassen verdrängt werden. Die Auflösung des jüdischen Handels und Handwerks führt zum Entstehen eines zahlenmäßig starken jüdischen Proletariats in Osteuropa. Die Struktur der jüdischen Arbeiterklasse unterscheidet sich dennoch beträchtlich von derjenigen der arbeitenden Klassen im allgemeinen. In Wahrheit sind die Mehrheit der jüdischen Lohnempfänger Handwerker, die für unbedeutende jüdische Kapitalisten in deren Werkstätten oder innerhalb der Kleinindustrie im Konsumbereich arbeiten. Natürlich werden die Maschinisierung und die industrielle Revolution die unsicheren Grundlagen ihrer sozialen Existenz erschüttern.

Die russischen Statistiken von 1897 beleuchten die charakteristische Berufsaufteilung der Juden, die sich deutlich von der sozialen Struktur der nicht-jüdischen Bevölkerung unterscheidet. [19]

Aufteilung nach Berufen von Juden und Nicht-Juden im Wohngebiet von 1897
(ein zwangsweises Wohngebiet wurde im zaristischen Reich nach der Teilung Polens eingeführt)

  Juden Gesamtbevölkerung
Landwirtschaft 2,5% 53,0%
Industrie 36,2% 14,6%
Handel und Transport 34,6% 7,4%
Dienstleistungsgewerbe 11,9% 11,8%
Liberale Berufe, Staatsdienst, soziale Berufe 7,2%  8,2%
Rentiers und sonstige unproduktive Berufe 7,6%  5,2%
     
Insgesamt 100 % 100 %

Die besondere Zusammensetzung des jüdischen Proletariats, das von der Bevölkerung des zaristischen Rußlands zwangsweise abgesondert war und sich in den jüdischen Vierteln der osteuropäischen Städte zusammendrängte, geht eindeutig aus den folgenden Daten hervor, die auf die polnische Arbeiterklasse bezogen sind. [20]

Zusammensetzung der polnischen Arbeiterklasse
auf die Betriebsgröße bezogen 1931 (in %)

Betriebsart Juden Nicht-Juden
Kleine Unternehmen 82 37
Mittlere Industrie 15 20
Großindustrie 3 42

Augenscheinlich ist das jüdische Proletariat in den Betrieben mit handwerklichem Charakter konzentriert, während es praktisch in dem wichtigen Sektor der Großindustrie nicht vertreten ist, in dem fast die Hälfte der polnischen Arbeiter beschäftigt ist. So kann man erklären, daß die Proletarisierung der abgestiegenen jüdischen Mittelklassen so kurzfristig geblieben ist: »Der Prozeß der Verwandlung des Juden vom vorkapitalistischen Kaufmann in einen handwerklichen Arbeiter überschnitt sich mit einem anderen, nämlich dem der Ersetzung des jüdischen Arbeiters durch die Maschine. Der zweite Prozeß beeinflußt den ersten. Die verdrängten jüdischen Kleinbürger konnten sich nicht mehr proletarisieren und waren so zur Emigration gezwungen.« [21]

Dieser Exodus nimmt eindrucksvolle Ausmaße an und hat vor allem das neue Entstehen der »jüdischen Frage« in Westeuropa zur Konsequenz, wo das jüdische Bürgertum auf dem Wege war, sich zu assimilieren. Unter diesem Gesichtspunkt ist das »jüdische Problem«, so wie es sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Westeuropa stellt, in Wirklichkeit eine Übertragung der Schwierigkeiten des osteuropäischen Judentums. Die jüdische Auswanderung steht natürlich in einem Zusammenhang mit den allgemeinen Ursachen der massiven Auswanderung, die im 19. Jahrhundert die Länder im Zuge der Industrialisierung kennzeichnet. Bis 1880 spielt sich die Wanderung innerhalb eines Landes ab. Die Juden lassen sich dort nieder, wo sich Möglichkeiten zeigen, in die kapitalistische Wirtschaft einzudringen. Später führt die Bevölkerungsbewegung der Juden in das Ausland, hauptsächlich in die Vereinigten Staaten. Der Bevölkerungsstrom steigt beträchtlich an unter der diskriminierenden Politik (Dekrete vom Mai 1882) und unter den Pogromen, die zunächst in Rußland und später in Polen aufeinander folgen und die sich seit 1881 verschärfen. Die Juden schließen sich in ihren Heimatländern, wie in der Fremde in den großen Städten, zusammen (East End von London, East Side von New York etc.). Allein die Auswanderung in die USA übersteigt zwischen den Jahren 1881 und 1898 533000 Personen und in den Jahren zwischen 1900 und 1914 1200000 Personen. Seit 1921, aber vor allem seit 1924 (Quota Act), wird die Einwanderung in die USA strengen Einschränkungen unterworfen. Die Auswanderung der Juden Osteuropas setzt sich nun nach Mitteleuropa, Westeuropa, nach Kanada, nach Argentinien usw. fort.

Die Auswanderung betrifft insgesamt beinahe 4 000 000 Juden, während die jüdische Weltbevölkerung im Jahre 1925 auf nur etwa 14800000 Personen geschätzt wird (1880: 7665000). In Osteuropa verschlimmert sich die Situation immer weiter. Das aufsteigende lokale Bürgertum unterwirft die jüdischen Handwerker und das jüdische Kleinbürgertum in ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht einer sehr harten Konkurrenz. Dieser nationale Konkurrenzkampf wird noch durch die schnelle Entwicklung der Großindustrie verdoppelt, die die Grundlagen des jüdischen Handwerks untergräbt. Das Überwechseln der Juden, die von ihren traditionellen Berufen ausgeschlossen werden, auf andere produktive Erwerbszweige erweist sich als unmöglich, da die Absatzmärkte fehlen. Tatsächlich ist der Kapitalismus in Osteuropa seit seinem Entstehen mit Verfallserscheinungen gezeichnet. Die ökonomische Krise wird zur permanenten, die Arbeitslosigkeit zum Charakteristikum. Unter diesen Bedingungen verstärkt sich der ökonomische Nationalismus des ansässigen Kleinbürgertums und überträgt sich in einen virulenten Antisemitismus. Die Staatsmacht findet darin ein nützliches Ventil gegenüber den sozialen Forderungen der Volksmassen. Die »jüdische« Frage spielt in Wirklichkeit ,das soziale Problem wider. Leon erklärt die Niederlage der aufklärerischen Glaubensströmung gegenüber der religiösen Orthodoxie, die die alte feudale Lebensweise widerspiegelt, mit der Zerbrechlichkeit der neuen kapitalistischen Strukturen. [22]

Die jüdische Bevölkerung ist einer steigenden Verarmung unterworfen. Eine Elends-Situation entsteht. Die Jugend ist zur Inaktivität verurteilt auf Grund des Fehlens von produktiven Erwerbsmöglichkeiten, und sie wird aus den Bildungseinrichtungen verdrängt. Die Masse der sozial abgestiegenen Juden wird größer. Im Jahre 1926 ist die Hälfte der jüdischen Arbeiter arbeitslos, während von den Handwerkern sogar 80% keine Arbeit finden. [23] Gesellschaftlich bedingte Krankheiten, darunter vor allem die Tuberkulose, greifen um sich. Man schätzt den Teil der Juden, der private Almosen erhält, auf 40%. Das massive Eindringen osteuropäischer Juden nach West- und Mitteleuropa bewirkt einen starken antisemitischen Reflex in den Mittelklassen. Diese Strömung taucht zunächst in Deutschland in der Folge einer schweren ökonomischen Krise, die viele Händler und Handwerker ruiniert hat, während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Nach dem Börsensturz von 1873 entwickelt sich die antisemitische Bewegung verstärkt. Die antisemitische Ideologie (Treitschke, Marr, Dühring) wird in das Programm der konservativen Partei aufgenommen. In Frankreich muß man gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine ähnliche Entwicklung feststellen (Drumont, Dreyfus-Affaire), ebenso in Österreich-Ungarn. Der niedergehende Kapitalismus ist nicht in der Lage, die heimatlosen jüdischen Massen dauerhaft zu absorbieren. Dennoch schreitet die Assimilation voran. 1927 erreichen Mischehen in Deutschland beinahe 54% der Eheschließungen von jüdischen Ehepartnern.[24]

Welche Ursachen hat der zeitgenössische Antisemitismus? Diese Ideologie, bemerkt Leon, ist, ganz genau wie der Fremdenhaß, der Chauvinismus und alle anderen Formen des Rassismus, eine »ideologische Verschleierung des modernen Kapitalismus«. Der Rassismus überträgt das permanente Expansionsinteresse des Kapitals (Kampf um ausländische Märkte) und die Erschöpfung des Binnenmarktes auf die Ebene des Kleinbürgertums und der Mittelklassen. Der Faschismus wird sich des Antisemitismus bedienen, der durch die erbitterte nationale Konkurrenz des Kleinbürgertums aufrechterhalten wird. Aber wenn auch die auf handwerkliche Berufe bezogene kleinbürgerliche Struktur der jüdischen Bevölkerung die Basis des Antisemitismus der Mittelklassen bildet, so erklärt sich demgegenüber der Rassismus der unteren Klassen aus der fortbestehenden Erinnerung an den jüdischen Wucherer, ebenso wie aus der geschichtlichen Verbindung zwischen dem Judentum und dem »Händler-Kapitalismus«. Eine Verwechslung, die Bebel in seinem berühmten Zitat angegriffen hat: »Der Antisemitismus ist der Sozialismus des dummen Kerls.« Der Nationalsozialismus sollte sich dann bemühen, diese diffusen antisemitischen Tendenzen zu kanalisieren, um den Antikapitalismus der Massen in Antisemitismus zu verwandeln. [25] Er nährt freigiebig die rassistischen Vorurteile, die das proletarische Bewußtsein verdunkeln und die Arbeiter spalten.

»Historisch gesehen bedeutet der Erfolg des Rassismus, daß es dem Kapitalismus gelungen ist, das antikapitalistische Bewußtsein der Massen auf eine dem Kapitalismus vorangehende, nur noch fragmentarisch erhaltene Gesellschaftsform abzulenken.« [26] Diese Gegenüberstellung des »schlechten« jüdischen Kapitals mit dem »guten« nationalen Kapital spiegelt vollständig die Stellung des Kleinbürgertums wider, das die für sich notwendigen Herrschaftsverhältnisse bewahren möchte, indem es gleichzeitig gegen seine Vernichtung durch eben dieses ökonomische System kämpft. Der Antisemitismus hat in der Demagogie des italienischen Faschismus beinahe keine Rolle gespielt. Mussolini hat sich wiederholt heftig gegen die Anwendung der rassistischen Theorien der Nazis auf die italienischen Juden ausgesprochen, sogar noch nach der Machtergreifung Hitlers bis in das Jahr 1936. Es ist wahrscheinlich, daß das Bild des jüdischen Bankiers oder Wucherers kaum im Bewußtsein des Volkes überlebt hatte. Die Entwicklung des Manufakturkapitalismus in Italien hatte das Bewußtsein, wie es im übrigen Europa existierte, hinter sich gelassen. Aber vor allem blieb die jüdische Einwanderung nach Italien gering. Wegen dieser Tatsache waren die wenigen italienischen Juden (0,1% der Bevölkerung), die vollständig in das soziale Leben integriert waren, kaum zu bemerken, und sie konnten nicht als adäquater Sündenbock dienen, obwohl einige Versuche in diese Richtung unternommen wurden. [27] Die schreckliche Konsequenz des nationalsozialistischen Antisemitismus ist bekannt: 6 Millionen in Gaskammern ermordete Juden! Das ungebrochene Weiterleben der Ursachen des Antisemitismus im Volke wird durch die organisierten Pogrome unter den Überlebenden des polnischen Judentums nach 1945 bestätigt. Welche Lösung kann man für dieses beängstigende Drama finden? Das einzige Mittel, das Problem zu lösen, besteht in Wahrheit darin, es an seiner Wurzel zu bekämpfen, d.h. die ökonomischen und sozialen Ursachen des Antisemitismus zu beseitigen. Anders ausgedrückt bedeutet dies, daß nur die sozialistische Revolution endgültig seine Ursachen beseitigen kann.

Man kann unglücklicherweise zur Stützung dieser These die sowjetische Erfahrung trotz ihrer vielversprechenden Anfänge während der ersten Jahre der Revolution anführen: Die Verfallserscheinungen des Sowjet-Staates haben sich in diesem Bereich mit besonderer Schärfe bemerkbar gemacht.

1917 lebte der überwiegende Teil der jüdischen Bevölkerung der UdSSR in dem von den Zaren zwangsweise eingerichteten Wohngebiet. Das führt zu der Konsequenz, daß noch 1926 mehr als 210000 der 2700000 in der Volkszählung aufgeführten Juden weiter in der Ukraine und in Weißrußland wohnten und in erster Linie jiddisch sprechen. Man muß festhalten, daß die Juden im Kaukasus und in sowjetisch Zentralasien demgegenüber ihre Eigenständigkeiten und insbesondere den Gebrauch ihrer eigenen Dialekte bewahrt haben. Seit den ersten Jahren der Revolution bildet sich eine starke jüdische

Wanderungsbewegung in Richtung auf die großen russischen Stadtzentren, wo die Neuangekommenen sich allmählich mit der sie umgebenden Bevölkerung assimilieren. Der Bürgerkrieg hat die sowjetischen Juden hart getroffen. Man schätzt, daß die Horden von Petliura einige 100 000 Opfer unter den Juden Weißrußlands und der Ukraine zurückgelassen haben. Die Propaganda der Konterrevolutionäre schürt den bekanntermaßen heftigen lokalen Antisemitismus. Von Anfang an bekämpft die Sowjetmacht energisch die antisemitischen Demonstrationen. Die jüdischen Intellektuellen und Halb-Intellektuellen strömen in die Partei und in die Verwaltung, wo sie Kaderfunktionen bekleiden, die ihnen vor der Revolution versperrt waren. Die Bolschewik! bemühen sich vor allem, den Übergang des jüdischen Kleinbürgertums zu produktiven Tätigkeiten in Industrie und Landwirtschaft zu begünstigen. Verschiedene Versuche landwirtschaftlicher Kolonisierung wurden im Rahmen der »Normalisierung« der wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden unternommen. Die besonderen Probleme der nationalen jüdischen Minderheit ziehen die Aufmerksamkeit der Bolschewik! auf sich. Um die Diktatur des Proletariats in den jüdischen Gemeinwesen herzustellen, bilden sie ein besonderes Kommissariat für jüdische Fragen {Yevkom} und eine jüdische Sektion der K.P. (Yevsektsia) unter der Führung eines alten Bolschewiken, Simon Dimanstein. In den Reihen der Partei jedoch findet man kaum aktive Mitglieder, die in das jüdische Leben integriert sind (mehrere Monate werden vergehen, ehe man einen Chefredakteur für eine kommunistisch-jiddische Zeitung findet). Deswegen werden die Ausführenden dieser Politik aus den Kreisen der Bundi-sten, der Zionisten, aus Arbeiterkreisen oder aus Kreisen der Linksau-tonomisten, ja sogar der Anarchisten rekrutiert, die sich nach 1917 den Bolschewik! angeschlossen haben. [28] Diese traditionellen Kader der jüdischen Arbeiterbewegung waren oft noch völlig in ihren alten Vorurteilen und in ihrem Sektierertum verhaftet. [29] Die Mehrheit der jüdischen Arbeiterführer hat sich feindlich zur Sowjetmacht verhalten. Diese neu in das jüdische Leben eingetretenen Funktionäre zeichnen sich durch eine Reihe von unzeitgemäßen und ungeschickten Initiativen aus, die dazu bestimmt sein sollten, den erstickenden Einfluß der Rabbiner und der reaktionären Würdenträger auf die jüdischen Massen zu brechen: Schließung der Synagogen, antireligiöse Maßnahmen, Verfolgung der hebräischen Literatur und Kultur - die jiddische Sprache war traditionell das Kampfmedium der nicht-zionistischen jüdischen Parteien - und Verfolgung von allen Veröffentlichungen des Zionismus. In einer seiner letzten Schriften äußert sich Lenin mit Unruhe über das Fortbestehen des traditionellen russischen Chauvinismus im sowjetischen Staatsapparat und legt dar, daß diese Mentalität besonders verbreitet war unter den »russifizierten« Elementen, den fremden Minderheiten, die dazu neigen, das Russentum zu übertreiben. [30]

Auf dem Kongreß von Baku im Jahre 1920 rief der Delegierte Narbu-tabekow aus: »Weder Genösse Sinowjev, noch Genösse Lenin, noch der Genösse Trotzki, kennen die wahre Situation in Turkestan«, wobei er besonders die »Gründer von Kolonien, die bloß unter der Maske des Kommunismus arbeiteten«, brandmarkte. [31] Diese polizeistaatliche Politik ist glücklicherweise nur die Kehrseite der Anstrengungen, die durch die Sowjetmacht unternommen wurden, die Entwicklung einer weltlichen jüdischen Kultur zu ermutigen, was sich ausdrückt in intensiver literarischer und künstlerischer Aktivität und in der Schaffung eines bemerkenswerten jüdischen Schulsystems, in dem in Jiddisch unterrichtet wird. Während der ersten Jahre der russischen Revolution vollzog sich ein Aufblühen des jüdischen kulturellen Lebens, wie es vorher noch nie stattgefunden hat. Wenn auch die Auflösung der religiösen Gemeinden und das Verbot der hebräischen Literatur auf Veranlassung der neuen »eifrigen« jüdischen kommunistischen Führer ein dunkler Fleck auf dem Bilde ist, so ist doch die Ermutigung, die die jüdische Kultur und vor allem das Jiddisch erhalten hat, wert, gelobt zu werden. Im Jahre 1926/27 besuchen 51,1% der jüdischen Schulkinder Schulen, in denen der Unterricht in Jiddisch geführt wird. Dieser Anteil erreicht 1932 64%. Man zählt zu dieser Zeit 42 jiddische Zeitungen und 10 Staatstheater, in denen Vorstellungen in dieser Sprache gegeben werden. [32]

Die Unterdrückung des Kapitalismus wirft das Problem der wirtschaftlichen Tätigkeit der jüdischen Mittelklassen und des jüdischen Kleinbürgertums auf, die nicht mehr das Recht haben, als solche in der neuen Gesellschaft zu bestehen. Es handelt sich dabei um einen besonderen Aspekt des allgemeinen Problems der Eingliederung der Mittelklassen in die Übergangsgesellschaft, der jedoch im Fall der Juden, der »Volks-Klasse«, den Aspekt eines kollektiven Dramas annimmt. 45% der sowjetischen Juden sind im Jahre 1926 wirtschaftlich und sozial abgestiegen. Die Bolschewik! haben sich bemüht, die soziale Rehabilitierung des jüdischen Kleinbürgertums zu erleichtern, indem sie die Bildung von Handwerkskooperativen begünstigt haben, indem sie die Konstituierung von jüdischen Landwirtschafts-Kollektiven in der Ukraine und auf der Krim ermutigt haben und indem sie den Zusammenschluß der Juden gegen Ende der 20er Jahre in Gebieten mit starker jüdischer Bevölkerung, die dazu bestimmt waren, autonome Regionen zu werden, gefördert haben. Nach der »Großen Sowjet-Encyclopädie« von 1932 existierten in der Ukraine 1930 94 jüdische Landsowjets und 60 jüdische Stadtsowjets. In Weißrußland findet man 1931 nicht weniger als 27 nationale jüdische Sowjets, während die landwirtschaftlichen Kolonien von Kherson, von Dniepopetrowsk und auf der Krim autonome jüdische Regionen bilden. [33] Die jüdische Kolonisierung profitiert von der materiellen Hilfe ausländischer jüd. Organisationen (Agrojoint, Icor). Während der Periode des N. E. P. erhält das ruinierte jüdische Kleinbürgertum erneut Auftrieb auf Grund der Begünstigungen der Wiedereinführung des privatwirtschaftlichen Sektors. Die wiederaufgenommene Aktivität des jüdischen Handels und der jüdischen Unternehmen hat eine Erneuerung des'im Volke verhafteten Antisemitismus zur Folge und wird noch verschärft durch den hohen Anteil der Juden in der Verwaltung-3 7,2% der arbeitenden jüdischen Bevölkerung - und ebenfalls, so scheint es, durch die jüdischen landwirtschaftlichen Kolonisierungen. Die politische Führung antwortet jedoch in den Jahren 1928-31 mit einer heftigen Kampagne gegen den Antisemitismus. [34]

Die ersten Anzeichen einer Umwälzung dieser politischen Richtlinie zeichnen sich jedoch schon im Verlauf der 20er Jahre ab. Sie scheinen verbunden zu sein mit dem Ende des N. E. P., mit der Periode der zwangsweisen Kollektivierung, sowie mit der schweren internen Krise der Partei und der Niederschlagung der parteiinternen kommunistischen Opposition. [35] Das Kommissariat für jüdische Angelegenheiten war seit 1923 auf eine einzige Person reduziert worden. 1930 wird die Yevsektsia aufgelöst, während eine scharfe Kampagne gegen alle Erscheinungen des jüdischen Nationalismus und speziell gegen die hebräische Kultur geführt wird. [36] Seit dem Jahre 1928 schlägt die stalinistische Führung der UdSSR den Weg einer verwaltungstechnischen Lösung gegenüber den Schwierigkeiten ein, die sich im Verlaufe der Umwälzung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Juden ergeben: sie bildet durch Verordnung eine autonome jüdische Region im Gebiet von Birobidjan an den Grenzen der Mandschurei. Dieses durch und durch künstliche Experiment scheint das endgültige Resultat der Lösungsversuche für die Schwierigkeiten zu sein, die dem jüdischen Gemeinwesen auf Grund der Rückwirkungen der Übergangsphase zum Sozialismus entstanden sind. Es wurde wahrscheinlich vor allem durch den Wunsch beeinflußt, die zionistischen Strömungen zu bekämpfen, die sich noch innerhalb des sowjetischen Judentums - dank des Ausweges, den Palästina bot-, bemerkbar machten. (In Rußland lebten 1917 ungefähr 300000 Zionisten.) [37]

Die bürokratischen Bedingungen, unter denen dieser Versuch begonnen wurde, das jüdische Problem durch ein neues Territorium unter der Herrschaft der Arbeiter zu lösen, haben ihn von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die Auswahl dieses sibirischen Gebietes, mit einem sehr rauhen Klima, entspricht überhaupt keiner sozialen und historischen Realität. Es besteht in dieser Zeit dort nicht das kleinste jüdische Gemeinwesen. Dennoch haben sich dort im Laufe der 30er Jahre einige 10 000 Juden - wahrscheinlich fast 40 000 - niedergelassen. Es ist bezeichnend, daß die überwiegende Mehrheit der sowjetischen Juden es vorgezogen hat, sich an ihrem Arbeitsplatz zu integrieren.

Auf Grund der besonderen Bedingungen dieses Versuches, die Umschichtung der jüdischen Massen unter sozialistischer Herrschaft auf territorialer Grundlage zu lösen, muß man sich hüten, daraus allgemeine Schlüsse zu ziehen. Wir wollen jedenfalls festhalten, daß die Bildung einer jüdischen nationalen Einheit in Birobidjan keinen Konflikt mit einer einheimischen Bevölkerung hervorrufen konnte, da das Land beinahe unbevölkert war.

Es ist also ein offenbarer Mißerfolg. Der Hauptgrund dieses Mißerfolges liegt in der rein bürokratischen Konzeption des Planes, der durch eine kleine Gruppe von Experten und Verwaltungstechnikern durchgeführt wurde, ohne daß die jüdischen Massen befragt worden wären. So verbindet die sowjetischen Juden nichts mit Birobidjan, wo im Jahre 1933 nur 8200 Juden leben. [38] Im übrigen stellt man seit 1930 eine fallende Zahl von jüdischen Landarbeitern fest. Die jüdischen Distrikte entvölkern sich im Zuge der Industrialisierung. [39] In anderer Hinsicht hat die stalinistische Politik auf allen Ebenen die jüdischen Bewerber benachteiligt, indem sie in jeder Republik der einheimischen Bevölkerung gegenüber den übrigen Sowjetbürgern eine Priorität zuerkannt hat. [40] Der überspitzte Zentralismus und die großzügige Förderung eines großrussischen Chauvinismus durch die sowjetische Bürokratie seit Beginn der 30er Jahre bedeuten das Ende der liberalen Politik gegenüber der jüdischen Minderheit. Man muß heute vielleicht noch einen anderen Faktor hinzufügen: der große Anteil von Juden unter den Führern der kommunistischen Opposition (Trotzki, Kamenew, Sinowjev usw.). Der volkstümliche Antisemitismus, den die Partei mit allen Kräften bekämpft, kommt in dem Maße wieder, in dem die Arbeiterdemokratie zerfällt. Die Juden sind stark in der privilegierten Schicht der Partei vertreten, in der Verwaltung ebenso wie in den Schlüsselpositionen innerhalb des Handels. Aus dieser Tatsache konzentrieren sie eine starke Feindschaft auf sich, nicht nur als Repräsentanten einer Minderheit, deren Namen im Volksbewußtsein historisch verbunden ist mit Wucher und Ausbeutung, sondern gleichermaßen als Inkarnation einer privilegierten Bürokratenclique, und darüber hinaus oft als Symbol der Politik der »Russifizierung« von nationalen Minderheiten. [41]

Wie dem auch sei, gegen 1937 und besonders seit 1938 trifft die jüdische Bevölkerung eine repressive Politik. Der politische Druck zielt auf eine gewaltsame Assimilation. Schrittweise werden die jüdischen Schulen geschlossen, die jüdischen Sowjets und Gerichte, die in Jiddisch tagen, werden unterdrückt, die jüdische Siedlungsgesellschaft OZET wird aufgelöst, und die jiddischen Zeitungen zunächst in der Provinz und später die jiddische Tageszeitung der Hauptstadt (Emes = Die Wahrheit) werden 1938 eingestellt. Die GPU-NKWD verstärkt den Kampf gegen den jüdischen Nationalismus, gegen die israelitische Religion und gegen den Zionismus. Die Führer von Birobidjan, wo 1939 ungefähr 30000 Juden leben, ein Viertel der gesamten Bevölkerung, [42] werden unter der Anklage der Sabotage erschossen. Die Anführer des Bundes, die sich mit der KP verbunden hatten, werden umgebracht, unter anderem auch Dimanstein. In derselben Zeit bemerkt man das verstärkte Verschwinden einer gewissen Zahl von jüdischen sowjetischen Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben, darunter als bemerkenswertester Fall der von Litwinow. [43] Alle diese Ereignisse finden statt, während der stalinistische Terror seinen Höhepunkt erreicht.

Die nationalsozialistische Invasion zwingt das Regime, bei der jüdischen Bevölkerung dennoch Unterstützung zu suchen. Das Jüdische Antifaschistische Komitee entwickelt vielfältige Aktivitäten und gibt eine Tageszeitung (Einigkeit) heraus. Aber 1945 werden die jüdischen Schulen nicht wieder eröffnet. Im Gegenteil, eine stillschweigende Säuberung entfernt die Juden aus der Partei, aus der Armee und aus dem Diplomatischen Korps; dort läßt der Prozeß, daß sich die Juden auf Grund der Verfolgungen Hitlers als Juden bewußt werden, an ihrem Patriotismus zweifeln. Mit aller Schärfe beginnt eine lautlose Diskriminierung der Akademiker. [44] Während der Jahre 1948-1949 findet die endgültige Liquidierung der jüdischen Presse, der jüdischen Verlage und der jüdischen Kulturinstitute, ja selbst des jüdischen Museums in Wilna, statt. [45] Der Schauspieler Michoels, Präsident des Jüdischen Antifaschistischen Komitees, wird 1948 von der Geheimpolizei ermordet. Die berühmten jüdischen Schriftsteller und Dichter (Bergelson, Markisch, Fefer usw.) werden 1948-49 verhaftet, in die Konzentrationslager deportiert, und schließlich am 12. August 1952 hingerichtet. Seit 1948 führen die Staatsfunktionäre eine anhaltende antijüdische Kampagne unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den »Kosmopolitismus«. Die Säuberung und die Verhaftungen treffen Tausende von Intellektuellen und Parteimitgliedern. [46] Sie erreichen ihren Höhepunkt 1952/53 zur Zeit des Slanskyprozesses und der »Verschwörung der Weißhemden«. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Stalin den sowjetischen Juden dasselbe Schicksal zukommen lassen wollte wie den Tataren, den Kalmüken und den Wolgadeutschen, die während und nach dem 2. Weltkrieg in großer Anzahl deportiert wurden. Diese Verfolgungen setzen sich bis Stalins Tod fort, der der widerlichen Inszenierung der »Verschwörung der Weißhemden«, einer antisemitischen Polizeiprovokation, ein Ende bereitet. In der Tschechoslowakei bietet der Prozeß gegen Slansky und seine politischen Freunde eine Gelegenheit für ein erneutes Aufflammen einer Propaganda mit stark rassistischen Zügen. Die »Entstalinisierung« bereitet den Deportationen ein Ende, aber sie beendet nicht die Politik der Unterdrückung und Diskriminierung gegenüber den sowjetischen Juden. Sie besteht, wie selbst der kommunistische italienische Senator Umberto Terracini bemerkt [47] - der es dennoch nicht für notwendig erachtet, bis zu einer marxistischen Analyse des stalinistischen Zerfalls der UdSSR vorzudringen - in einer »Art offener Duldung der überkommenen antisemitischen Tradition durch den Sowjetstaat«. Das ist in der Tat das wenigste, was man sagen könnte. Seit 1959 wurden einige jiddische Werke veröffentlicht, die aber so nichtssagend waren, daß es ins Auge fällt, daß es sich nur um Publicity-Maßnahmen für die öffentliche Meinung im Westen handelt. Seit 1961 wird eine jiddische literarische Revue publiziert, und seit 1955 finden jüdische Künstlerveranstaltungen statt, aber in diesen Grenzen hält sich auch das »Bemühen«, eine jüdische Kultur wieder aufleben zu lassen. Immer noch gibt es keine jüdische Presse und aus gutem Grund keinen Unterricht in Jiddisch, der Muttersprache von 472000 Sowjetbürgern nach der Volkszählung von 1959. Der stillschweigende Ausschluß von Juden aus den öffentlichen Funktionen hält an, ebenso wie die Diskriminierungen beim Eintritt in die Hochschul- und Verwaltungslaufbahnen. Daß Jewgenij Jevtuschenko gebeten wurde, die Dichtung »Babi-Jar« umzuschreiben, die den sowjetischen Antisemitismus anprangerte, beweist zur Genüge, in welchem Maße dieses rassistische Vorurteil die sowjetische Gesellschaft vergiftet.

Von dem Sowjetstaat ist nicht nur nichts gegen den im Volke verhafteten Antisemitismus unternommen worden, sondern die politische Führung hat aus Überzeugung sogar einige der augenscheinlichsten antisemitistischen Äußerungen unter ihren Schutz genommen. So läßt die 1961 verkaufte Schallplatte mit aufgezeichneten Reden von Lenin bewußt diejenige aus, die gegen den Antisemitismus gerichtet war, was genau die Grenzen des »Zurück zum Leninismus« kennzeichnet. [48]

In der Ukraine, wo die nationalsozialistische Besetzung den traditionellen Antisemitismus neu entfacht hat, übernimmt die Akademie der Wissenschaften 1964 die Veröffentlichung eines schmutzigen antijüdischen Pamphlets von einem gewissen Trofim Kitchko, »Ungeschminktes Judentum.« Das ist ein charakteristischer Fall, den man der antijüdischen Pressekampagne hinzufügen muß, die in den westlichen Republiken der UdSSR geführt wurde. Diese Kampagne ging so weit, daß Betrüger in den Romanerzählungen wie zufällig jüdische Pseudonyme trugen und schließlich die Wiederaufnahme einer der ältesten Verleumdungen aus dem antisemitischen Arsenal nachzulesen war: die Anklage des rituellen Verbrechens. [49]

Die Wirtschaftsprozesse, die mit einem großen Aufwand an Publizität 1961 bis 1963 begonnen wurden, wobei mit großer Beharrlichkeit auf die jüdische Abstammung der Mehrheit der Angeklagten verwiesen wurde, legen dar, bis zu welchem Punkt die sowjetische Regierung bereit ist, sich der sowjetischen Juden als Sündenböcke zu bedienen, und sie enthüllen gleichzeitig die sozio-ökonomischen Wurzeln eines verkommenen Regimes, in dem die an der Macht befindliche Bürokratenclique sich vergeblich anstrengt, die allgemeine Zersetzung, deren Ursachen augenscheinlich struktureller Natur sind, mit terroristischen Mitteln zu lösen. Erinnern wir uns nebenbei, daß die Einschränkungen gegenüber der Meinungsfreiheit den marxistischen Prinzipien zuwiderlaufen. Wie Engels es in seiner Polemik gegen Dühring unterstrichen hat, besteht die sozialistische Position nicht darin, die religiösen Erscheinungen, sondern darin, das ökonomische Substrat, dessen vermittelter Ausdruck sie in letzter Analyse sind, zu bekämpfen. Der Marxismus setzt auf die allmähliche Auslöschung des religiösen Bewußtseins durch das Verschwinden seiner materiellen Grundlage in der Gesellschaft. Das ist ohne Zweifel genau richtig, denn die Wurzeln des jüdischen Problems berühren die Grundlagen selbst der sowjetischen Gesellschaft, wo die Juden bis heute noch keine Rehabilitierung erlangt haben, nicht einmal eine teilweise Rehabilitierung wie die Kalmüken, die Wolgadeutschen und die Krim-Tataren, die ihre Rechte wiedererhalten haben.

Schikaniert, unterdrückt, verleugnet und erniedrigt reagiert die sowjetische jüdische Jugend damit, daß sie mit Nachdruck ihre nationalen Gefühle an dem einzigen Ort bekräftigt, wo es ihnen möglich ist, sich als Juden zu zeigen: während der Festtage in den Synagogen. Aber das ist nicht die unbeschwerte und wohltuende Bewußtwerdung einer Gemeinde, die sich in höchster Entfaltung ihrer eignen Kreativität harmonisch in das sozialistische Kollektiv integriert. Es ist vielmehr ein Nationalismus, ungeduldig auf Grund der Entbehrungen, der erlittenen Ungerechtigkeit und auf Ressentiments gegründet. Mit anderen Worten, das Bewußtsein einer Gruppe, die künstlich am Rande des gesellschaftlichen Lebens gehalten wird. Man kann sich leicht vorstellen, daß eine solche Bilanz die Beschwörung einer sozialistischen Lösung des jüdischen Problems in den Augen der jüdischen Massen in einen makabren Scherz verwandelt hat. Deswegen ist es wichtig, die skandalöse Lage der sowjetischen Juden anzugeben und zu unterstreichen, daß sie nicht von irgendeiner Unzulänglichkeit des marxistischen Denkens notwendig herrührt, sondern sehr wohl von dem stalinistischen Verfall, dessen Ausdruck das Sowjetregime geworden ist. Ein offizieller Bericht einer Delegation der britischen KP, die über die Lage der Juden in der UdSSR Untersuchungen unternahm, hat das Bestehen von »gewissen Zerfallserscheinungen in diesem Bereich zugegeben«. (Nur in diesem Bereich?) [50] Wie kann man die Massaker gegenüber den jüdischen Schriftstellern -und die Liquidierung von zahlreichen russischen Intellektuellen aus der Ukraine, aus Georgien und aus Armenien - losgelöst sehen von der chauvinistischen Politik der Russifizierung und insbesondere von der Deportation der Wolgadeutschen und der Krimtartaren oder der Tscherkessen während des 2. Weltkrieges? Das Elend der sowjetischen Juden ist nur der Reflex der Tatsache, daß der Sozialismus noch nicht die Macht übernommen hat, der Reflex seines ständigen und erschreckenden Rückgangs seit dem roten Oktober. Eine geschickt demagogische Politik (Ablösung der alten Generation, und besonders der Juden, die in verantwortlichen Stellungen gestanden haben, durch neue Funktionäre aus den unteren Volksschichten) hat das jüdische Kleinbürgertum oft gezielt und hart getroffen. Die Konzessionen gegenüber dem Antisemitismus, die Duldung gewisser antijüdischer Erscheinungen und die Wiedereinführung der Prinzipien der »Verhältnismäßigkeit« und der »gerechten Zuteilung« im Ausbildungssektor und in der Verwaltung (in Polen und in der Tschechoslowakei), verraten, in wieweit diese Regime von ihrem Anspruch zurückgefallen sind. In diesem Zusammenhang steht auch der Fremdenhaß, dem in Polen und in der CSSR die deutschen Minderheiten und in der Slowakei die Ungarn zum Opfer fielen. Soll man sich darüber wundem, daß Regierungen, die eiskalt Hunderttausende von Deutschen vertrieben haben, weil diese als »Kollektivschuldige« für die nationalsozialistischen Verbrechen verantwortlich gemacht wurden, nicht zögern, von neuem dem chauvinistischen Vorurteil nachzugeben und die Juden als Sündenböcke zu gebrauchen? Ist es verwunderlich, daß sich die Bürokratie den Kopf darüber zerbrochen hat, wie sie die Unpopularität ihrer eigenen Herrschaft, die den sowjetischen Führungsanspruch anerkennt, bei den Massen auf die jüdischen Stalinisten ablenken kann? [51]

1968 konnte man von neuem in Polen und in der CSSR beobachten, daß der reaktionärste Flügel der Bürokratie sich bemüht, den volkstümlichen Antisemitismus wieder aufleben zu lassen, um die Massen von ihrer Forderung nach einem wahren Sozialismus abzulenken. Dieses kompromittierende Zusammenspielen der Staatsmacht mit den rassistischen Traditionen, wie sie in gewissen Schichten des Volkes verankert sind, steht im Gegensatz zu der unbeirrbar solidarischen Haltung der echten Marxisten. Fejtö unterstreicht mit Recht die ergreifende Solidarität der ungarischen Arbeiter mit den jüdischen Intellektuellen während des Budapester Aufstandes und die Revolte der polnischen kommunistischen Elite gegen den Antisemitismus der Stalinisten während des Polnischen Oktobers. [52] Wie 1789 oder 1917 drückt sich jedes Aufsteigen der revolutionären Bewegung ganz natürlich in einem unerbittlichen Kampf gegen Rassismus und Unterdrückung aus. Es sind die französischen und russischen Revolutionäre, die die Mauern des Ghetto niedergerissen haben! Es ist kein Zufall, daß der Autor von Babi-Jar sich darin mit aller Schärfe gegen die Erben Stalins ausgesprochen hat. Die Liquidation des Antisemitismus in der UdSSR wird das Werk der demokratischen Kräfte der Massen sein, die sich gegen die bürokratischen Auswüchse in der Gesellschaft erheben werden. Inzwischen zeigt die Emanzipation der Neger auf Kuba, wie eine authentisch sozialistische Revolution die rassistische Diskriminierung wegfegt.

Ohne näher darauf einzugehen, muß man die wirtschaftliche Veränderung festhalten, die in den Lebensbedingungen der Juden Westeuropas seit dem 2. Weltkrieg eingetreten ist. Die jüdische Arbeiterklasse ist als solche dort praktisch verschwunden. Die große Mehrheit der Juden gehört heute dem kleinen und mittleren Bürgertum an: Handwerker, Kaufleute, Intellektuelle in freien Berufen, Manager und kleinere Industrielle. So zeigt die gesellschaftliche Zusammensetzung der jüdischen Bevölkerung von neuem eine allgemeine Nivellierung an, die sich in einem ziemlich deutlichen sozialen Aufstieg bemerkbar macht.

Die Marxisten verteidigen das Recht der jüdischen Massen, frei ihr kulturelles Leben zu entwickeln, solange sie ihre Eigenständigkeit behalten möchten. Dabei handelt es sich nicht nur um eine humane und demokratische Politik, sondern das ist auch die einzige Möglichkeit, die es dieser so oft unterdrückten Minderheit erlauben wird, die internationalistischen und sozialistischen Strömungen voll zu entfalten, die ihre besten Köpfe grundlegend beeinflussen. Eine solche politische Bewußtwerdung ist selbst nur die Widerspiegelung des Verständnisses der sozio-ökonomischen Grundlagen des jüdischen Problems. Der Sozialismus - der radikalste Humanismus - zielt auf die Entwicklung aller Möglichkeiten der menschlichen Natur. Aber die Stellung der Juden und das daraus resultierende Gruppenbewußtsein lenken davon ab, welche besondere gesellschaftliche Funktion von der jüdischen Bevölkerung ausgeübt wird, und daß sie durch die kapitalistische Gesellschaft in diese Rolle gepreßt wird. Diese besondere Stellung wird erheblich verstärkt durch die antisemitischen Kräfte. Die Arbeiterbewegung muß mit aller Schärfe gegen die kleinste Äußerung von Unterdrückung oder Diskriminierung gegenüber nationalen oder religiösen Minderheiten vorgehen. So ist das jüdische Problem auf das engste mit der gesellschaftlichen Struktur des Kapitalismus verbunden und »die positive Entwicklung für das jüdische Volk untrennbar verknüpft mit dem Umsturz der kapitalistischen Herrschaft«. [53]

Nur ein Reaktionär im wahrsten Sinne des Wortes kann die künstliche Aufrechterhaltung der besonderen Stellung der Juden wünschen, die ebensosehr das Unglück des jüdischen Volkes wie die Phasen des wirtschaftlichen Aufstieges bewirkt haben. Sich der Assimilation zu widersetzen, die sich schon unter kapitalistischer Herrschaft ganz natürlich und unter freien Stücken durch die Zerstörung der nationalen Schranken und durch das Auslöschen der Unterschiede zwischen den Völkern vollzieht, das hieße, wie Lenin sagte [54] »ein Anhänger des Alten und des Kastenmäßigen im Judentum« zu sein; das hieße, den »vergangenen« Juden zu bewundern, das hieße letzten Endes, diejenigen Herrschaftsverhältnisse, die sowohl den Antisemitismus als auch das jüdische Nationalbewußtsein hervorbringen, dem Sozialismus, vorzuziehen, der das eine wie das andere beseitigt, indem er ihre Wurzeln ausrottet. Hat der Präsident der Zionistischen Weltorganisation, Nahum Goldmann, dies nicht offen in der folgenden Erklärung zugegeben: »Die Gefahr, die die Integration der jüdischen Gemeinden in die Völker, unter denen sie leben, für das Überleben des jüdischen Volkes bedeutet, ist viel größer als diejenige, die die äußeren Drohungen, Antisemitismus und Judenverfolgungen, darstellen.« [55] Die allmähliche Auflösung der jüdischen Gemeinwesen m die sie umgebende Bevölkerung wird wahrscheinlich gleichbedeutend sein mit der Aufhebung aller nationalen Schranken nach einer beispiellosen Entfaltung nationaler Kultur, die den Übergang ankündigt.


* Galizien wurde 1920 mit Polen verbunden.
* * Es handelt sich um russische Juden, die über Großbritannien ausgewandert sind.

Anmerkungen

1) A. Leon, Judenfrage und Kapitalismus, München 1971.

2) Ebd. S. 6.

3) A. Sjoberg, The Preindustrial City, New York 1965, S. 100-101.

4) cecil roth, Histoire du peuple juif, 2e ed., Paris 1956, S. 145.

5) Ebd. S. 12; kurt galling, Studien zur Geschichte Israels im Persischen Zeitalter, Tübingen 1964.

6) baron, Histoire d'Israel, Tome I, Paris 1956, S. 141-143.

7) causse, Les disperses d'Israel, Paris 1929, S. 131.

8) Ebd.S.54-55.

9) BARON,a.a.O.S.226H.

10) baron, a.a.O. S. 145.

11) Ebd. S. 146; W. O.E. oesterley, A History o/Israel, Vol. II, Oxford 1951, S. 45.

12) causse, a.a.O. S. 67.

13) baron, a.a.O. S. 238.

14) arthur ruppin, Soziologie der Juden, I, Berlin 1930, S. 66.

15) S. D. goitein, Jews andArabs, New York 1955, S. 105 und 115 ff.

16) jacob lestschinsky, Kapitel V »Ghetto« in: Encyclopedia of the Social Sdences, S.647.

17) lestschinsky, zitiert bei leon, a. a. 0. S. 75.

18) cahnmann, a.a.O. S. 212, der von ausgesprochenen Klassenkämpfen innerhalb der jüdischen Gemeinden berichtet.

19) ber borochow, Die wirtschaftliche Entwicklung des jüdischen Volkes, in: Sozialis­mus und Zionismus, Wien 1932, S. 35.

20) jacob lestschinsky, Aspects of the Polish Jewry, Jewish Social Studies, Vol. XXVIII, Nr. 4, Okt. 1966, S. 202.

21) leon, a. a. D.S. 78.

22) leon, a. a. 0. S. 138f. Anm. 14.

23) ruppin, a.a.O. S. 433.

24) Ebd. S. 213.

25) daniel guerin, Fascisme et grand capital, Paris 1945, S. 94.

26) leon, a.a.O. S. 98.

27) meir michaelis, On the Jewish Question in Fasdst Italy. The Attitüde of the Fascist Regime to the Jews in Italy, in: Yad Washem Studies on the European Jewish Catastrophe and Resistance, IV (Herausgegeben von Shaul Esh), Jerusalem 1960, S. 7 ff., besonders die Seiten 15 und 16.

28) alec nove, La populazione ebraica nell'URSS: consistenza, struttura professio­nale ed istruzione, in: Gliebreinell 'URSS, a cura di »Nuovi Argomenti«, Mailand 1966, S. 49; ferner: solomon M. schwartz, 'The Jews in the Soviet Union, Syracusel951,S.59f.

29) joseph berger barzilai, Gli ebrei dell'Unione Sovietica durante il periodo di Stalin, in: Gli ebrei..., S. 119ff., sowie chone shmeruk, La cultura ebraica dell' Unione Sovietica, Ebd. S. 15 3 ff.

30) lenin, Die Frage der Nationalitäten oder der »Autonomisierung« (3. Dez. 1922), in: ders.. Über die nationale und die koloniale Frage, Berlin 1960, S. 650f. Diese Aufzeichn. Lenins wurden erst zum XX. Parteitag der KPdSU 1956 veröffentlicht.

31) Zitiert nach Helene Carrere d' Encausse und Stuart Schräm, Le marxisme et l'Asie, Paris 1965,S. 234.

32) Siehe A. waterman. Marxism Today, April 1959, abgedruckt in: Jews in the Soviet Union, The New Leader, 14. 9,1959, S. 12.

33) 0. heller, Der Untergang des Judentums. Die Judenfrage, ihre Kritik, ihre Lösung durch den Sozialismus. Wien/Berlin 1931. [Seitenangaben nach der französischen Ausgabe.]

34) samuel ettinger, Eredita antisemita in Russia e sua influenza nei tempi, in: G/;

ebrei..., S. 89; schwartz, a. a.O. S. 258ff.

35) berger barzilai, a. a. 0. S. 122.

36) Ebd. S. 112 und shmeruk, a. a.O. S. 158.

37) leon lenemann, La tragedie des Juifs en U.R.S.S. Hrsg. bei Brouwer, 1959, S. 243.

38) schwartz, a. a. 0. S. 165 und 177.

39) Ebd.S.231.

40) nove, a. a.O. S. 67.

41) francois fejtö, Les Juifs et L'antisemitisme dans les pays communistes, Paris 1960,S.29f.und45f.

42) schwartz, a. a. 0. S. 183.

43) berger barzilai, a. a. 0. S. 115,119,122f., 126 und 129f.

44) Ebd.S. 138.

45) lenemann, a. a. 0. S. 201.

46) shmeruk, a.a.O. S. 161; berger barzilai, a.a.O. S. 139; und emanuel litwi-now, Gli ebrei sovietici in: Gli ebrei..., S. 177.

47) umberto terracini, Prefazione, in: Gli ebrei. . ., S. 9.

48) FRAENKEL,a.a.O.S.113.

49) litwinow, a. a. 0. S. 190.

50) Vgl. die in The New Leader am 14.9.1959, S. 9-11, abgedruckten Auszüge.

51) fejtö, a. a.O. S. 67,79f. und 8 9.

52) Ebd.S.82f.und94f.

53) Fragment aus dem Nachlaß von trotzki, redigiert 1940 und abgedruckt in der engl. Zeitschrift »Workers' International News«, Juni/Juli 1946, S. 222.

54) lenin, Kritische Bemerkungen zur Nationalen Frage, a.a.O. S. 143 (Hervorhebun­gen von Lenin).

55) In :Le Monde, 13.1.1966. 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde von der Red. trend gescannt. Als Vorlage diente "Das Ende Israels?" 1975 Berlin-West, S. 27-50. Bei diesem Buch handelte es sich um eine auszugsweise Übersetzung von „Le Sionism contre Israel" (Der Zionismus gegen Israel), dessen frz. Neuherausgabe vom Autor jetzt untersagt wurde.

"Das Ende Israels?" wurde übersetzt und bearbeitet von Eike Geisel und Mario Offenberg und in der Politikreihe (Nr. 61) bei Wagenbach 1975 in Westberlin herausgegeben. Es unterscheidet sich vom Originaltext, der 1969 erschienen, folgendermaßen:

"Zur editorischen Technik dieser Ausgabe sei noch folgendes vermerkt: es erwies sich aus mehreren Gründen als undurchführbar, die umfangreiche französische Originalausgabe ohne größere Kürzungen in deutscher Übersetzung herauszubringen. Der Mühe, sich komplizierte gesellschaftliche Prozesse begrifflich und historisch anzueignen, entsagt, wer einer um sich greifenden Tendenz sich unterwirft, die den Horizont der Aufklärung auf Umfang und Inhalt von Schulungsheften festschreibt. Der fortschreitende politische Analphabetismus, der auch für die hier untersuchten Fragen nur eine Handvoll erstarrter Formeln parat hat, ist Ausdruck dieser Entwicklung. Wichtige Bücher sind leider oft auch dicke Bücher. Weshalb die deutsche Fassung nun so drastisch ihres ursprünglichen Umfanges beschnitten ist, hat seinen Grund in der Logik des Marktes, gegen die ein progressives Verlagskonzept wenig ausrichtet. Vor der Alternative: Schublade oder Kürzung entschieden wir uns einmal für die vom Autor selbst mit erstellte Zusammenfassung von Teil II (die aus einer spanischen Ausgabe übernommen und mit geringfügigen Korrekturen versehen wurde) und eine kürzende Bearbeitung von Teil I. Die Kürzungen betreffen in der Hauptsache die Auseinandersetzung mit in der Tendenz gleichen, in der Nuancierung aber unterschiedlichen Interpretationen zionistischer Autoren, zum anderen eine ganze Reihe von aufgeführten Belegen. Wir hoffen, daß durch diese Beschränkung der wissenschaftliche Charakter und die Anschaulichkeit der Untersuchung von Weinstock keine entscheidende Einbuße erleiden. Eigennamen, politisch-organisatorische Termini, Institutions- und Ortsbezeichnungen wurden transkribiert aus dem Hebräischen bzw. Arabischen, und - soweit erforderlich - durch von den Herausgebern in Klammem eingefügte Erläuterungen erklärt. Nach Möglichkeit haben wir versucht, Zitate Weinstocks aus deutschen Quellen nach den Originalen zu zitieren, in anderen Fällen aber zugängliche deutsche Ausgaben zu benutzen. Der Anhang des französischen Originals (u.a. über marxistische Theoretiker zur Judenfrage, Grundsatzerklärungen von der I.S.O.-Matzpen) wurde nicht übernommen." (S.26)