Betrieb & Gewerkschaft
Stuttgarter Kongress der Gewerkschaftslinken
Der schwere Weg zum Klassenkampf
02/05

trend

onlinezeitung

Am 7. Kongress der Gewerkschaftslinken am 14./15. Januar in Stuttgart nahmen 350 KollegInnen teil – immerhin doppelt so viel wie auf den letzten beiden Tagungen in Köln und Berlin.

Diese große Teilnehmerzahl drückt ein wachsendes Bedürfnis nach oppositioneller Organisierung in den Gewerkschaften und Betrieben gegen die Politik der Gewerkschaftsbürokratie, die Ausverkäufe und Verrätereien des letzten Jahres aus. Im Vergleich zum letzten Kongress in Berlin waren auch mehr AktivistInnen der Protestbewegung gegen Agenda 2010 und Hartz-Gesetze, der Montagsdemos oder von Anti-Hartz-Bündnissen anwesend. Das ist zweifellos ein Fortschritt, weil dadurch auch ein Brückenschlag zwischen gewerkschaftlicher und sozialer Protestbewegung möglich ist.

Gleichzeitig brachte die Konferenz aber auch alle Schwächen der Gewerkschaftslinken zum Ausdruck und die Notwendigkeit einer qualitativen Veränderung ihrer Struktur und Ausrichtung.

Am Kongress manifestierten sich drei politische Strömungen.

1) reformistischer Flügel

Die reformistische Führung um den Stuttgarter ver.di-Vorsitzenden Bernd Riexinger, der, gestützt auf seine Adlaten im Sekretariat der Gewerkschaftslinken den Kongress weitgehend kontrollierte. Riexinger und Co. wollen die Gewerkschaftslinke als eine Art pressure group für den Druck auf den bürokratischen Apparat zur Wiederbelebung eines "kämpferischen" Reformismus nutzen.

Zwar setzt sich Riexinger mit seiner Analyse des Generalangriffs des Kapitals und der Kritik an der "Unterwerfungsstrategie" der Gewerkschaftsspitzen deutlich von der Masse der mittleren und höheren Funktionäre ab, die beim Rechtsdrift des Apparats mitmachen, mitschwimmen oder Kritik nur unter vier Augen äußern. Andererseits will er die Gewerkschaftslinke für genau diese Leute offen halten.

Praktisch bedeutet das, dass die Gewerkschaftslinke auf einen unverbindlichen Austausch beschränkt werden soll, der möglichst wenig Kontur gegen die Bürokratie gewinnt.

Typisch ist, dass er heute das "Arbeitnehmerbegehren" von IGM und ver.di nach dem 3.4. als den Abgesang auf diesen bezeichnet; zugleich hatte er aber nach dem 3.4. selbst für eine Unterschriftensammlung unter "konkreten" Forderungen geworben und die einzige wirkliche Perspektive für die Steigerung und Politisierung des Konfliktes - die Vorbereitung des Generalstreiks - abgelehnt.

Auch im Vorfeld des Kongresses wurden Vorschläge, die in Richtung einer Politisierung, stärkerem koordinierten Eingreifen und der Formierung der Gewerkschaftslinken in eine effektive Opposition gegen die Bürokratie liefen, daher schon im Vorfeld bekämpft und madig gemacht. Vorschläge, wie sie von Berliner KollegInnen, darunter auch GenossInnen der Gruppe Arbeitermacht gemacht worden waren, wurden als "Schritte in Richtung kommunistische Kaderpartei" bezeichnet und angegriffen.

Dabei wird darin lediglich ein praktischer Vorschlag gemacht, wie sich die Gewerkschaftslinke in den nächsten Monaten organisieren muss, um eine wirkliche Opposition und klassenkämpferische Bewegung werden zu können:

"Die Gewerkschaftslinke braucht deshalb:

ein eigenes Aktionsprogramm gegen den Generalangriff;

eigene Stellungnahmen, Flugblätter zu betrieblichen und gesellschaftlichen Kämpfen;

eine eigene politische Ausrichtung auf nicht-sozialpartnerschaftlicher Grundlage.

Zu diesem Zweck braucht die Gewerkschaftslinke eigene, handlungsfähige und demokratisch legitimierte Strukturen und Einscheidungsfindungsprozesse.

Dazu soll, ausgehend von dieser Konferenz, ein Ausschuss gebildet werden, der sich monatlich trifft, Stellungnahmen und Infos erarbeitet. Der Ausschuss soll für VertreterInnen örtlicher und betrieblicher gewerkschaftsoppositioneller Gruppen, von sozialen Bündnissen, Zeitungen und politischen Organisationen offen sein, die am Aufbau einer solchen Opposition teilnehmen wollen.

Als eine zentrale Aktivität sollen eine Kampagne gegen Arbeitszeitverlängerung und für Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie für einen Mindestlohn von 10 Euro durchgeführt werden. Außerdem soll die Mobilisierung für Brüssel einen Schwerpunkt bilden.

Vor allem soll dieser Ausschuss einen bundesweiten Kongress im Mai 2005 vorbereiten, der über Programm, Struktur, Charakter, Verhältnis zu politischen Parteien und Kampagnenschwerpunkte diskutiert und über bisherige Diskussionsergebnisse informiert."

2) syndikalistischer Flügel

Der zweite politische Flügel kann am ehesten als links-syndikalistisch bezeichnet werden. Er gruppiert sich um VertreterInnen der Strömung Express oder der GOG-Bochum. Als Zielvorstellungen vertreten sie durchaus anti-kapitalistische Positionen. So kritisierte W. Schaumberg aus Bochum in seinem Referat zurecht die Beschränkung von Riexinger, Sauerborn und anderer linker Bürokraten auf eine, radikalere, "globale Tarifpolitik", die Beschränkung auf die Forderung nach "gerechter Verteilung" und warf seinerseits die Eigentumsfrage und die Perspektive einer zukünftigen planwirtschaftlichen Produktion auf.

Diese korrekte, linke Kritik an den Riexinger und Co. bleibt jedoch folgenlos, da überhaupt keine positiven Vorschläge für die Organisierung der Gewerkschaftslinken jenseits reformistischer Tagespolitik gemacht werden.

Der Kritik an der Bürokratie stellte dieser Flügel keine klassenkämpferische Organisierung der Opposition entgegen. Im Gegenteil, er lehnt das ab, vor allem, weil eine solche Perspektive untrennbar mit der Frage einer kommunistischen, revolutionären Zielsetzung und dem Aufbau einer neuen Arbeiterpartei verbunden ist.

3) klassenkämpferischer Flügel

Der dritte Flügel, der am Kongress stärker in Erscheinung trat, kann am ehesten klassenkämpferisch genannt werden. Er setzt sich aus Organisationen wie RSB und SAV, VertreterInnen des Rhein-Main-Bündnisses, von linken MetallerInnen aus Stuttgart/Mettingen, der Berliner Gewerkschaftslinken sowie der Gruppe Arbeitermacht zusammen.

Bei allen unterschiedlichen Auffassungen sind diesen Kräften folgende Positionen gemeinsam: die Einschätzung, dass alle Flügel der Bürokratie bekämpft werden müssen; die Notwendigkeit einer organisierten Opposition; die Entwicklung handlungsfähiger Strukturen mit für die KollegInnen in den Betrieben und auf der Straße sichtbarer Aktivität und Kritik an der Bürokratie; Entwicklung eines eigenen Aktionsprogramms gegen den Generalangriff.

Verlauf des Kongresses

Der größte Teil des Kongresses verlief gemäß der Regie der Riexinger-Fraktion. Der Sonnabend begann mit vier Vorträgen, die den gesamten Vormittag ausfüllten. Diskussion gab es keine!

Zuerst führte R. Sauerborn aus, welche Linie linke Reformisten heute verfolgen. Ausgehend von den veränderten Handlungsbedingungen in Zeitalter der Globalisierung gipfelte seine Ausführung darin, dass die Gewerkschaften international koordiniert agieren und internationale Tarifverträge aushandeln müssten. Dann könnten verloren gegangene Positionen wieder hergestellt werden.

Die Antwort auf die Krise tradierter, auf der Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft beschränkter Gewerkschaftspolitik bestehe einfach darin, diese im Weltmaßstab neu aufzurollen.

So richtig es auch ist, die nationale Beschränktheit der heutigen Gewerkschaften zu kritisieren, so wenig ausreichend ist Sauerborns Antwort. Dieses "Programm" ist vollkommen illusionär, wenn nicht zugleich die politische Bindung der Gewerkschaften an das nationale Kapital zerbrochen wird.

Es verkennt überhaupt den Charakter der gegenwärtigen Krise wie auch der imperialistischen Arbeitsteilung. Es negiert die Notwendigkeit, auf einen politischen Generalangriff politisch zu antworten. Wo in Wirklichkeit die Frage der Enteignung aufgeworfen werden muss, bleibt Sauerborn in der Forderung nach "gerechtem Arbeitslohn im Weltmaßstab" stecken.

Dieser utopische Reformismus geht einher mit einem praktischen Fatalismus. Solange es keine globalen Gewerkschaften gibt, kann man nur "Möglichkeitsspielräume" ausloten. Haben wir das nicht auch von IG Metall und ver.di-Vorständen in den letzten Tarifrunden, beim Daimler- und beim Opel-Deal gehört?

Dass Riexinger hier keine grundsätzlich anderen Wege als der ver.di-Vorstand gehen will, zeigte er nicht zuletzt in der Arbeitsgruppe zur laufenden Tarifrunde im Öffentlichen Dienst. Der Zug in Richtung Ausverkauf - pardon: Abschluss - wäre eben schon abgefahren, da könne man eben nichts machen ... gegen den Lauf der Welt.

Nach Sauerborn sprachen ein Vertreter der internationalen Hafenarbeitstreiks, Tom Adler, linker Betriebrat und Vertrauensmann bei Daimler Mettingen sowie Wolfgang Schaumberg von der GOG-Bochum.

Das Referat zum Hafenarbeiterstreik verdeutlichte die Möglichkeit von Teilerfolgen gegen die Angriffe von Regierungen, Kapital und EU-Kommission, trug aber wenig zur späteren Debatte bei.

Adler und Schaumberg hielten mit ihrer Kritik an der Bürokratie und deren Ausverkauf wenig hinter dem Berg. Tom Adler forderte ein stärkeres Sichtbarwerden der Linken und koordinierteres Vorgehen. Schaumberg brachte Elemente einer Kapitalismuskritik ein, enthielt sich aber jeder politisch-organisatorischen Schlussfolgerung.

Nach der Mittagspause trug der Wiesbadener Betriebsrat Jakob Schäfer seine Thesen zu einer grundlegenden Änderung der Arbeitsweise der Gewerkschaftslinken vor. In der folgenden mehrstündigen Debatte - die einzige am ganzen Tag! - trafen die verschiedenen Positionen in der Gewerkschaftslinken aufeinander.

Die Strömung um Riexinger geriet in die Defensive. Eine bessere Koordinierung und gemeinsame politische Akzente wären seiner Auffassung nach verfrüht, weil die Gewerkschaftslinke noch nicht gut genug verankert wäre. Dieser These schlossen sich auch die Links-SyndikalistInnen an (sofern sie überhaupt an der Debatte teilnahmen).

Dem hielten Vertreter des kämpferischen Flügels entgegen, dass die Gewerkschaftslinke gerade im letzten Jahr versagt habe, öffentlich und für die KollegInnen sichtbar eine Alternative zur Bürokratie darzustellen, dass ihre Stagnation auf mangelnde Aktivität und eigenes Profil zurückzuführen sei und dass dieser Zustand nur überwunden werden könne, wenn sie sich an den Erfordernissen des Abwehrkampfes orientiere. Erst dann würde sie für Viele zu einer realen Alternative.

Die Debatte endete mit einem "zeitlichen Abbruch" durch die Diskussionsleitung, die Jakob Schäfer ein Schlusswort verbot und trotz Protesten auch die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zu seinen Thesen unterband. Ein weiteres Beispiel für den Mangel an Demokratie auf diesen Treffen, der fast genauso eklatant wie bei der "wirklichen Gewerkschaft" ausfällt.

Der Druck aus dieser Diskussion führte aber immerhin dazu, dass der Kongress am Ende beschloss, die Forderungen des linken Flügels in die Abschlusserklärung aufzunehmen.

So heißt es dort:

"Die Gewerkschaftslinke ist heute wichtiger denn je! Wir rufen auf, in allen Orten Gruppen und Foren zu bilden und zu stärken, Veranstaltungen durchzuführen und für eine Wende der Gewerkschaftsbewegung zu kämpfen. Wir haben beschlossen, in den nächsten Monaten einen weiteren Kongress abzuhalten.

Wir werden eine Plattform entwickeln und Strukturen aufbauen, um

kämpfende Belegschaften solidarisch zu unterstützen;

aktive Gruppen vor Ort zu vernetzen und zu stärken;

öffentlich Position zu ergreifen;

in Aktionsbündnissen für breite Mobilisierungen gegen die Angriffe der Regierung und der Unternehmer zu wirken und eine politische Alternative zur Unterwerfung und Anpassung an dieses System, eine Alternative zum Kapitalismus, seiner Ausbeutung und seinen Krisen zu entwickeln."

Dass diesen Worten auch Taten folgen, liegt freilich am weiteren Eingreifen all jener, die aus der Gewerkschaftslinken eine wirkliche, klassenkämpferische Opposition machen wollen.

 

Editorische Anmerkungen

Der vorliegende Text erschien als Infomail 198, am 22. Januar 2005 und ist eine Spiegelung von
http://www.arbeitermacht.de/infomail/infomail198/gewerkschaftslinke.htm