Die Palästinenser haben gewählt

von Red.
GegenStandpunkt
02/05

trend

onlinezeitung
Genau genommen haben ihnen ihre Aufsichtsmächte Israel, die USA und die EU das Wählen erlaubt um die Amtsnachfolge Arafats zu regeln. Diesen Auftrag hat die politische Elite aus den Ghettos angenommen und mit dem von ihr mobilisierten Wahlvolk erfüllt. Die Aufsichtsmächte sind mit dem Wahlergebnis zufrieden, mit Abbas hat der richtige Mann gewonnen. Dessen zukünftiges politisches Programm steht auch schon fest, er muss es nur noch erfüllen. Die Fakten dafür sind längst geschaffen: Bedingungslose Kapitulation und Unterwerfung unter Israels Gewaltmonopol über das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan - oder Zerschlagung allen Widerstands und Zerstörung auch noch der letzten Symbolismen einer palästinensischen Eigenstaatlichkeit: Das ist der Endpunkt, auf den alle imperialistischen Mächte die "palästinensische Volksbefreiungsbewegung" von Jassir Arafat am Ende reduziert haben.

Vorneweg ihr souveräner Ableger im Nahen Osten, dessen Projekt, 'Großisrael', wie es im Buche steht, zu erobern, mit jedem Zwischenerfolg immer anspruchsvoller wird und als das Maximum von Zugeständnissen an die Palästinenser vorsieht, diese auf Inseln im eigenen Hoheitsgebiet wegzusperren.

Die USA, die in ihrem militanten Vorposten erst ihren Verbündeten im Kampf gegen den realsozialistischen Machtbereich, dann ihren Partner im 'Krieg gegen den Terror' gefunden haben und ihm alle nötigen Freiheiten der effektiven Kriegsführung gewähren.

Die Staaten der EU, die mit ihrer Diplomatie im Kielwasser ihrer Führungsmacht einerseits immer ganz viel für eine 'palästinensische Eigenstaatlichkeit' übrig hatten, andererseits bei ihren kühnsten diplomatischen Vorstößen nie einen Zweifel daran ließen, dass sich die selbstverständlich mit Israels Sicherheit zu vertragen habe.

In Händen dieser Mächte lag, was in 40 Jahren jeweils aus der "Palästina-Frage" wurde, und liegt, was sie heute ist. Mit ihren machtvollen Entscheidungen beschieden sie den Palästinensern, wann und mit wie viel Terror sie hinlänglich Eindruck machten, um die Anerkennung ihrer Sache und deren Aufnahme in den Umkreis der Themen von weltpolitischer Bedeutung zu erzwingen. Was aus dieser 'Frage' als Stoff der Weltdiplomatie dann jeweils wurde, entschieden anschließend dann schon wieder sie. Sie haben jeder politischen Perspektive einer palästinensischen Gegengewalt gegen Israel eine grundsätzliche Abfuhr erteilt, und damit den Kampf der Palästinenser um ihren 'eigenen Staat' auf die Formen reduziert, in denen er heute bloß noch geführt wird: Weil sie ihm jede Anerkennung als 'politisches Druckmittel' gegen Israel verwehren, ist der Terror der palästinensischen Intifada einfach nur noch ohnmächtige Gegengewalt, bloß noch Symbol des Willens, im Protest und Widerstand gegen die Übermacht durchzuhalten. Und in dem Maße, in dem sie die Palästinenser entmachtet haben, entziehen sie deren aufständischen Umtrieben jede Legitimität - sie sind nur noch illegitime Gewalt, Terrorismus, wie er heute international geächtet ist. Daher kommt ihnen der Tod der Symbolfigur allen palästinensischen Widerstands wie gelegen. Denn daran, dass mit dem Mann für sie auch die politische Sache mitbeerdigt worden ist, an der er auf seine Weise noch im Hausarrest in Ramallah festgehalten hat, lassen sie keinen Zweifel.

Die für den nahen Osten maßgebliche Aufsichtsmacht genauso wie die europäischen Mächte, die gegen diese um Einfluss in der Region konkurrieren, gehen mit allergrößter Selbstverständlichkeit davon aus, dass mit Arafat auch jeder Rechtstitel auf eine "palästinensische Eigenstaatlichkeit" untergegangen ist, der auch nur in irgendeiner Weise von den Palästinensern selbst geltend gemacht werden könnte. Pietätvoll, wie sie sind, warten sie genau einen Tag ab, bis Arafat unter der Erde ist und sich eine Nachfolgeregelung abzeichnet - dann lassen sie die neuen palästinensischen Führer unmissverständlich wissen, wie ihr autonomer Nachlass zu verwalten ist: Was der Erblasser Arafat beständig schuldig geblieben ist, sollen sie endlich in Angriff nehmen und erledigen, also ihre Herrschaftsräson an allererster Stelle in dem Auftrag erkennen, für "Sicherheit" in den Schuttbergen zu sorgen, die Israel ihnen hinterlassen hat. Sie sollen endlich entschlossen gegen die "radikalen Kräfte" in den eigenen Reihen vorgehen und so gewährleisten, dass die Zivilisten in Israel, die Siedler auf ihren vorgeschobenen Posten in den Besatzungsgebieten und die offiziell uniformierten Repräsentanten der Besatzungsmacht vor palästinensischen Steinewerfern und Sprengstoffgürteln sicher sind. Dieses im Hinblick auf die Sache der Palästinenser rein negative Programm ist der ganze Inhalt der Eigenstaatlichkeit, die die Aufsichtsmächte den Palästinensern zugestehen: Sie enthält nicht das leiseste Versprechen auf eine irgendwie geartete Perspektive - eine Art selbstverwaltetes Völkergefängnis soll es werden. Dafür kriegen sie die nötigen "Hilfen", aber eben genau dafür. Damit die garantiert diesem und keinem anderen Zweck mehr dienen, haben sie für "Transparenz" in ihrer Kontoführung zu sorgen, Kontrolleuren der 'Geberländer' gegenüber also wirksam und auf Dauer den Verdacht zu entkräften, die geschenkten Gelder würden in den dunklen Kanälen einer "Korruption" versickern. Eine charismatische Persönlichkeit, die ihr Volk im Griff hat, soll die palästinensische Selbstverwaltung übernehmen und als Erstes dafür sorgen, dass palästinensische Führer ihre Subsidien nicht mehr für ihre Sache verwenden. Ab sofort fließen Dollar und Euro nur, wenn sie dafür bürgen, dass mit ihnen nicht "Terror finanziert" wird, und im selben Sinn sind sie auch über die Verwendung der Gelder grundsätzlich rechenschaftspflichtig, die ihnen über das arabische Spendenwesen zukommen. Und wenn sie sich dann als diese palästinensischen Funktionäre in Diensten des westlichen Anti-Terror-Kriegs nachträglich auch noch erfolgreich von ihrem eigenen Volk per Wahl ermächtigen lassen, dann wäre sie schon halbwegs beisammen, die "palästinensische Demokratie". Denn wenn das klappt, hätten ja nicht nur sie, sondern auch ihr ganzes palästinensisches Volk dem Terror die Absage erteilt, die in der Staatenwelt von heute die allererste staatliche Existenzbedingung ist. Der dann eventuell noch nötige Kampf gegen ihn könnte dann garantiert selbstbestimmt im Namen des Volkes stattfinden, das seine Führung ermächtigt und damit auch jeden Bürgerkrieg gegen uneinsichtige Fatah-, Hamas- und sonstige Milizen ins Recht gesetzt hat. Das mag Opfer kosten. Aber erstens kennt dieses Volk das ja, und zweitens käme es über die Säuberung seiner Reihen von den eigenen terroristischen Elementen dann endlich zu einer politischen Identität, an der im Westen keiner mehr Anstoß nimmt und in Israel keiner mehr Anstoß zu nehmen braucht. Vorausgesetzt natürlich erstens, dass die richtige Partei den Bürgerkrieg gewinnt, wenn er denn kommt. Und zweitens dass die sich nach ihrem Sieg, was den Raum ihrer demokratischen Entfaltung betrifft, auf die ihr zugewiesenen Aufenthaltszonen beschränkt und die für die geltende Hausordnung respektiert. Daran darf sich das palästinensische Volk unter seiner neuen Führung abarbeiten - und sich so die unendliche Gnade verdienen, dass die imperialistischen Mächte ihre befriedeten Ghettos dann eventuell sogar einen 'palästinensischen Staat' nennen

Editorische Anmerkungen

Der vorliegende Text wurde uns von den AutorInnen am 29.1.2005 zur Veröffentlichung überlassen.

Gegenstandpunkt Marburg
http://www.gs-marburg.de

Herausgeber: MSZ - Mailversand für sozialistische Zeitkritik
c/o Vic Dorn, Marburg, msz-werderhof@gmx.net