Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe

von
Max Beer
02/06

trend
onlinezeitung
IV. KOMMUNISTISCHE THEORIEN IN ATHEN Zur Kapitelübersicht

1. Solons Mittelstandsreformen.

Zur Zeit, als Sparta sich einen kommunistischen Staat schuf, herrschte in Attika der Adel, der die Bauern nach und nach entrechtete, enteignete und sie durch Wuchergeschäfte in Schuldknechtschaft warf. Aus den Reihen der adeligen Herrscher kamen die Priester und die Richter. Der Nährstand wurde deshalb unzufrieden; die wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Mißstände führten zu Verschwörungen, die blutig niedergeschlagen wurden. Auf die Forderung des Volkes nach einem Gesetzbuche beauftragte der Adel den Rechtsgelehrten Drakon, ein Gesetzbuch abzufassen, das durch seine Strenge sprichwörtlich geworden ist: ein drakonisches Gesetz bedeutet seit jener Zeit ein hartes, volksfeindliches Gesetz. Es ist selbstverständlich, daß hierdurch der innere Friede nicht hergestellt werden konnte. Das Volk verlangte immer stürmischer Befreiung von den Schuldlasten und Neuverteilung des Grund und Bodens. Da Attika zu Anfang des 6. Jahrhunderts unmittelbar vor einer Volkserhebung stand, beauftragte der Adel im Jahre 594 den als Volksfreund bekannten Solon „zwischen Adel und Volk Frieden zu stiften, und die hierzu erforderlichen gesetzlichen Maßnahmen zu ergreifen". Solon führte hierauf eine wirtschaftliche und eine politische Reform durch: Alle auf Grundstücken lastenden Schulden (Hypotheken) wurden aufgehoben und die Schuldknechtschaft verboten. Diese Reform ist unter dem Namen „Seisachteia" (Lastenabschüttelung) bekannt. Die politische Verfassung war eine Timokratie: sie war begründet auf einem Zensus, indem sie die Bürgerschaft nach dem Ertrage ihres Grundbesitzes in vier Klassen einteilte: i. Großgrundbesitzer; 2. Ritter; 3. Gespannbauern; 4. Tagelöhner. Die Mitglieder der ersten Klasse konnten zu den höchsten Ämtern zugelassen werden; die der zweiten und dritten Klasse zu allen übrigen Staatsämtem, während die der vierten Klasse nur an den Volksversammlungen und Geschworenengerichten teilnehmen durften, dafür aber von den Staatslasten frei waren.

Die Solonsche Verfassung befriedigte jedoch weder den Adel noch das Volk. Jenem schien sie als zu revolutionär, diesem als unzulänglich. Nach langen inneren und äußeren Wirren wurde zu Ende des 6. Jahrhunderts (509) die politische Volksgleichheit — die Demokratie — von Kleisthenes begründet, aber auch sie beruhte auf der Sklaverei, so daß von einer wirklichen Demokratie, in der sämtliche Einwohner gleichberechtigt sind, noch keine Rede sein konnte. Athen trat bald hierauf in das Zeitalter der Perserkriege (500 bis 431) ein, in denen es sich zur siegreichen Seemacht und zur großen Wirtschaftsblüte entwickelte. In Gemeinschaft mit der Landmacht Spartas schlug es die Perser und wurde aus einem kleinen Staat ein Staatenbund, in dem Industrie, Handel, Schiffahrt, Geistesbildung, Dichtung und Kunst erblühten. Dem Kapitalismus folgten jedoch bald der Imperialismus (das Ringen um die Vorherrschaft in der hellenischen Welt), die Klassenkämpfe und die Individualisierung der attischen Gesellschaft: die Auflösung in auseinanderstrebende Einzelpersonen.

2. Kapitalismus und Zersetzung.

Das Attische Reich mit seiner Seemacht, seinem Außenhandel und seinen gewerblichen Betrieben war ein ganz anderes als der kleine attische Staat, für den Solon Reformgesetze erlassen hatte. Die Landwirtschaft, die schon zu Anfang des 6. Jahrhunderts nicht genügt hatte, die Bevölkerung zu ernähren, wurde nach kaufmännischen Gesichtspunkten umgestaltet. Weite Flächen wurden der Olivenkultur preisgegeben, denn Öl wurde zu einem gewinnreichen Ausfuhrartikel. Die Bevölkerung wurde vorn ausländischen Korn abhängig, das die Schiffe aus den nördlichen Gebieten des Schwarzen Meeres nach den attischen Häfen, insbesondere nach dem Piräus, brachten. Von dort wurden auch Vieh, Fische, Holz, Flachs, Hanf und Salz eingeführt. Die Handwerker gingen zum Fabrikbetrieb über und arbeiteten für die Ausfuhr. Hierdurch gerieten sie in Abhängigkeit vom Handelskapital. Und in dem Maße, wie die Waren ihren lokalen Ursprung verloren und nur durch den Großhandel und die Reeder zu beziehen waren, büßten auch der Krämer und die kleinen Geschäftsleute ihre Selbständigkeit ein. Selbstredend fiel der Löwenanteil des Gewinns an das Kapital. „Vornehme Leute wurden deshalb zu Großkaufleuten und Reedern; die Grundherren zu Kapitalisten und lebten von ihren Renten, indem sie ihre landwirtschaftlichen Betriebe an Verwalter übergaben, die mit Sklaven wirtschafteten" (Ed. Mayer, Geschichte des Altertums, 2. Auflage, 3. Band). Die freien Arbeiter hatten nunmehr sowohl gegen die Übermacht des Kapitals wie gegen die lohndrückende Tendenz der Sklavenarbeit zu kämpfen. Und der kleine Mittelstand geriet immer mehr in Abhängigkeit. Der Demos führte deshalb einen bittern und zähen Kampf gegen die Reichen. Das innere Leben Attikas war tief erschüttert, und die Staatsmänner blickten mit wachsender Sorge auf die Zersetzung ihres Vaterlandes. Die soziale und sittliche Krisis wurde verschlimmert durch den Peloponnesischen Krieg, der teils infolge der Seehandelskonkurrenz zwischen Korinth und Athen, teils infolge des Kampfes zwischen Attika und Sparta um die Hegemonie (Oberherrschaft) in Hellas im Jahre 431 ausbrach und mit dem Zusammenbruch und der Kapitulation Athens im Jahre 404 endete, wie Deutschland 1918.

3. Plato.

Diese Zustände hatte Plato vor Augen, als er daran ging, die theoretischen Grundlagen für einen gerechten Staat aufzurichten. Er war drei Jahre nach Ausbruch des Peloponnesischen Krieges geboren und entstammte einem der vornehmsten Geschlechter Athens; einer seiner Ahnen mütterlicherseits war der Gesetzgeber Solon. Nachdem er bei Sokrates gelernt hatte, reiste er nach Ägypten und Italien, um seine Studien fortzusetzen. Seiner Absicht und Veranlagung nach sollte er sich dem öffentlichen Leben widmen, die Zeiten waren jedoch für Staatsmänner von der Geistesrichtung Platos nichts weniger als günstig. Er wandte sich der Philosophie zu und wurde zum berühmtesten Lehrer der hellenischen Welt und zu einem der größten Denker aller Zeiten.

Plato war kein Anhänger der Demokratie. Durch und durch Geistesaristokrat, war ihm die gedankenlose, den Demagogen preisgegebene Menge ebenso zuwider wie die Plutokratie (Geldsackherrschaft).

Plato liebt es, die Herrscher als „Wächter" und die Volksmassen als „Herde" zu betrachten. Seine für die Gesellschaftswissenschaft wichtigsten Werke sind: „Politeia" (Der Staat, auch Republik genannt) und „Die Gesetze". Das erstere Werk ist in seinen Vorschlägen idealer als „Die Gesetze". N eben zahlreichen sozialwissenschaftlichen Betrachtungen enthält die „Politeia" scharfsinnige und tiefe Gedanken über die Kunst des Denkens, insbesondere über Dialektik, sowie über die menschliche Psyche im allgemeinen. Sie besteht aus 10 Büchern (Teilen), von denen das 5., 6., 7. und 8. ungemein wertvoll sind. Beide Werke sind in Gesprächsform abgefaßt: das Wort führen Sokrates und seine Schüler Glaukon, Adeimantos usw. Die Gespräche sind keineswegs „geistreich", sondern schulgerecht, belehrend und manchmal pedantisch, i. Die „Politeia" ist keine utopische Schilderung; sie enthält keine Bilder eines Zukunftsstaates, auch nicht einmal die wirtschaftlichen Grundzüge einer sozialistischen Ordnung. Sie ist vielmehr eine Untersuchung über die Gerechtigkeit, über die Übel der geschichtlich bekannten Verfassungsformen und über die wichtigsten Heilmittel für erkrankte Staatsgebilde. Platos Gerechtigkeit hat jedoch fast nichts mit der der jüdischen Prophetie gemein. Der Hellene ist vor allem Staatsmann und Philosoph: maßvoll, besonnen, — ein abgeklärter Patriot, dem es sich also nicht darum handeln kann, die Armen und Enterbten zu führen und ihnen Gerechtigkeit zu verschaffen, oder die Armen zu erhöhen und die Reichen zu stürzen; bei ihm ist nichts von prophetischem Weltsturme zu verspüren, auch nichts von Intemationalität; er ist vielmehr damit beschäftigt, sein katastrophal zusammengebrochenes Vaterland zu heilen und es zu einem Staate zu machen, in dem Eintracht und sozialer Friede herrschen. Die Ursache des Zusammenbruchs Athens erblickte Plato erstens in der Untüchtigkeit der Herrscher — oder „Wächter", wie er sie nennt — zweitens im Privateigentum, das die Gesellschaft in zwei feindliche Klassen teilt, die in Zeiten der Notlage des Staates kein einheitliches Handeln gestatten. Es galt also die Erziehung der künftigen Wächter sorgfältig zu bewachen und sie wie den ganzen Staat mit den Gedanken und den Einrichtungen des Gemeineigentums vertraut zu machen.

Plato geht davon aus, daß ursprünglich ein guter Staat, der Idealstaat, existiert habe; er schildert ihn jedoch nicht in der Politeia, sondern bezieht sich auf Hesiod, und in etwas mystischer Form setzt er auseinander, daß die Menschen von Geschlecht zu Geschlecht minderwertiger wurden und in Zwietracht gerieten, da sich manche zum Gelderwerb, zum Besitz von Ländereien, Häusern, Gold und Silber drängten; ein Krieg aller gegen alle entstand und man einigte sich schließlich, die Ländereien und Häuser zu verteilen, das Privateigentum einzuführen, und die Bevölkerung in Herren und Knechte einzuteilen (8. Buch, 3. Kapitel). An einer anderen Stelle geht Plato jedoch psychologisch vor und versucht die Entstehung und Entwicklung des Staates aus dem menschlichen Geisteszustände und aus den menschlichen Bedürfnissen zu erklären (2. Buch, 10.—u. Kapitel). Als Einzelperson ist der Mensch hilfsbedürftig; er kann seine leiblichen Bedürfnisse nur im Zusammenleben mit anderen befriedigen. Deshalb tun sich die Menschen zusammen und bilden einen Staat. Jeder Mitbürger hat seine Beschäftigung: manche sind Ackerbauer, andere — Handwerker, und sie tauschen ihre Erzeugnisse gegeneinander aus. So entsteht auch Handel und Geld. Bald begnügen die Menschen sich nicht mit der Befriedigung der notwendigen Bedürfnisse, sondern verlangen Luxusgegenstände; es stellen sich Üppigkeit und Schwelgerei ein, und diese führen zur Habsucht, zu Eroberungskriegen, die die Aufstellung einer Heeresmacht erheischen. Der Staat kompliziert sich. Reichtum und Armut treten in die Erscheinung, die innere Eintracht schwindet, der Staat spaltet sich in zwei feindliche Gruppen, „Auch die kleinste Stadt ist tatsächlich in zwei geteilt; eine ist die Stadt der Armen, die andere der Reichen, die Krieg gegeneinander führen" (4. Buch, 2. Kapitel). Wo Reichtum und Armut auftreten, wird der Staat untüchtig. Der Reiche vernachlässigt sein Gewerbe, der Arme liefert schlechtere Arbeit. Und wo der Reichtum geehrt wird, dort vergessen die Bürger alle Tugend und streben nach Reichtum. Der Reiche wird zügellos, der Arme knechtisch und rebellisch, und alle vernachlässigen sie das Staatsinteresse; der Staat geht zugrunde. Denn es kommt schließlich so weit, daß eine Hälfte der Bevölkerung jubelt über Ereignisse, die die andere Hälfte in Trauer versetzen. Alle Staatsformen, die auf Privatbesitz beruhen, sind unverbesserlich. „Gar zu lächerlich sind diejenigen Leute, welche gesetzliche Bestimmungen, wie wir soeben durchgingen, immer aufstellen und wieder verbessern, in dem Wahne, sie könnten dem Vorgehen im Staatsleben und den soeben erwähnten Dingen eine Schranke setzen, dabei aber nicht wissen, daß sie in Wahrheit gleichsam nur einer Hydra die Köpfe abschneiden" (4. Buch). Also reformieren läßt sich der Staat nicht, solange er nicht eine neue Richtung einschlägt, andere Herrscher und eine andere Verfassung erhält, das heißt: ganz erneuert wird.

Wodurch ist der Staat zu erneuern? Wodurch ist die Politik auf eine Grundlage der Gerechtigkeit zu stellen? Hierauf gibt Plato die berühmte Antwort:

„Wenn nicht entweder die Philosophen Könige werden in den Staaten, oder die jetzt sogenannten Könige und Gewalthaber sich aufrichtig und gründlich mit Philosophie befassen und dies beides in eins zusammenfällt, politische Macht und Philosophie, unter denen aber, die jetzt getrennt voneinander je eines der beiden Ziele verfolgen, diejenigen, die ihrer Natur nach bloße Politiker sind, zu völligem Verzicht gezwungen werden, gibt es kein Ende des Unheils für die Staaten, ja, wenn ich recht sehe, auch nicht für das Menschengeschlecht überhaupt... Aber das ist es, was auszusprechen ich mich schon lange scheue, weil ich sehe, wie sehr es wider die allgemeine Meinung verstößt" (5. Buch).

Die Philosophenkönige sollen das Volk lenken; sie sind die „Wächter" des Staates. Ihre „Helfer" sind die Beamten und die Krieger, die ebenfalls intellektuell und sittlich — also auch in der Rangordnung — höher stehen als die Menge.

Ebenso wichtig ist der vollendete Kommunismus, oder wie Plato sagt: „Dies also nun ist zugestanden, daß für einen Staat, welcher in hervorragender Weise bestehen soll, die Frauen und die Kinder und die gesamte Erziehung gemeinsam sein müssen, und ebenso auch alle Tätigkeit im Kriege und im Frieden; Könige aber über diese müssen diejenigen sein, welche in der Weisheitsliebe und bezüglich des Krieges die besten geworden sind" (8. Buch, Anfang).

Der Kommunismus wird der Zerrissenheit des Staates ein Ende machen. „Gemeinschaftlichkeit von Vergnügen und Schmerz wirkt zusammenbindend, wenn nämlich in möglichst hohem Grade sämtliche Bürger beim Eintreten und Verschwinden derselben Dinge in derselben Weise Freude und Schmerz empfinden. Die Vereinzelung aber in dieser Beziehung wirkt auflösend... und entsteht ein derartiger Zustand etwa nicht daraus, daß im Staate die Worte „Mein" und „Nicht mein" oder „Freund" und „Feind" nicht wie aus einem Munde ertönen?"

Sehr wichtig ist dabei die Erziehung. Allgemeine Schulpflicht soll die Auslese schaffen; das weibliche Geschlecht soll dem männlichen rechtlich gleichgestellt werden; die künftigen Herrschenden (Wächter), Beamten und Helfer sollen gymnisch und musisch: durch turnerische, künstlerische und wissenschaftliche Erziehung aufs sorgfältigste ausgebildet werden. Vornehmlich aber die obersten Wächter — die Philosophenkönige. Die auserlesensten Schüler, die durch ihre Tätigkeit und Leistungen dieser erhabenen Stellungen würdig sein sollen, müssen bis zum 50. Lebensjahre lernen und sich in jedem Wissenszweig und in allen politischen Aktionen auszeichnen. Erst dann werden sie imstande sein, ihre Augen zu erheben und die Idee des Guten zu erblicken. Im Sinne Platos ist die Idee nicht ein gedanklicher, logischer Begriff, sondern etwas erhaben Wirkliches: ein ewiges, reales Urbild, das nur das vergeistigte Sehen erblicken und zum Muster nehmen kann. Die Idee des Guten ist das Muster, nach dem die Philosophenkönige den Staat zu formen haben: „Unser Staat wird erst vollständig geordnet sein, wenn ein derartiger Wächter, der das Wissen vom Guten besitzt, der Aufseher ist" (6. Buch, 17. Kap.). Diese Stufe der Vergeistigung zu erreichen, sind die Kinder der Handwerker, Arbeiter usw. nicht imstande, denn die große Menge sieht das Gute in Vergnügungen, aber nicht im Geiste; durch ihre aufreibende Handwerks- und Gewerbetätigkeit und niedrige Beschäftigung ist die Menge ebenso sehr körperlich verkümmert wie seelisch gebrochen (6. Buch, 9. Kapitel). Plato ist offenbar der Ansicht, daß nur die angesehensten Geschlechter mit politischer, wissenschaftlicher und ästhetischer Kultur imstande sein werden, Begabungen zu liefern, die sich nach sorgfältiger Ausbildung für die höchsten Ämter eignen werden. — Die für uns wichtigsten Stellen aus der „Politeia" sind im 5. Buch zu finden und lauten wie folgt:

„Sokrates. Für Menschen nämlich, die von Natur so geartet und so erzogen worden sind, wie wir es beschrieben haben, gibt es meiner Ansicht nach keine andere richtige Art zu Kindern und Weibern zu gelangen und mit ihnen etwas auszurichten als dann, wenn sie in der Richtung fortschreiten, die wir sie von Anfang an haben einschlagen lassen. Wir versuchten aber doch in unserer Darstellung, die Männer gleichsam zu Hütern einer Herde zu machen.

Glaukon. Ja.

Sokrates. Laß uns denn auch den Weibern eine dementsprechende Entwicklung und Erziehung geben und zusehen, ob sie sich uns als angemessen erweist oder nicht.

Glaukon. Wieso?

Sokrates. Folgendermaßen. Sollen unserer Ansicht nach die weiblichen Schäferhunde den nämlichen Wachdienst mit übernehmen, den die männlichen verrichten und mit auf die Jagd gehen und gemeinsam mit ihnen auch die übrigen Obliegenheiten verrichten, oder sollen sie nur drinnen das Haus hüten als unabkömmlich wegen des Gebarens und Ernährens der Jungen, die Männer aber allein den mühseligen Dienst tun und alle Fürsorge für die Herde auf sich nehmen?

Glaukon. Alles gemeinsam; nur daß wir bei ihrer Verwendung berücksichtigen, daß sie schwächer sind, die anderen dagegen stärker.

Sokrates. Ist es nun möglich, irgendein Geschöpf

zu den nämlichen Diensten zu verwenden, wenn man ihnen nicht die gleiche Erziehung und Unterweisung zuteil werden läßt?

Glaukon. Nein.

Sokrates. Wenn wir also die Weiber zu den nämlichen Diensten verwenden wollen wie die Männer, so müssen sie auch den gleichen Unterricht erhalten.

Glaukon. Ja.

Sokrates. Die Männer wurden aber in Musik und Gymnastik unterrichtet.

Glaukon. Ja.

Sokrates. Auch die Weiber also müssen in diesen beiden Künsten sowie auch im Kriegsdienst unterwiesen und in der gleichen Weise verwendet werden.

Glaukon. Das scheint sich ganz von selbst aus dem zu ergeben, was du sagst.

Sokrates. Es dürfte also wohl vieles in unseren jetzigen Aufstellungen lächerlich erscheinen als wider die Gewohnheit verstoßend, wenn es dem Vorgetragenen entsprechend zur Wirklichkeit werden soll.

Glaukon. Ohne Zweifel.

Sokrates. Und was fällt dir wohl als das Lächerlichste darunter auf? Doch wohl offenbar dies, daß die Frauen in den Ringschulen unbekleidet sich neben den Männern üben, und zwar nicht nur die jungen, sondern sogar auch die schon älteren, wie man es ja auch bei bejahrten Männern sieht, die ungeachtet ihrer Runzeln und ihres wenig erfreulichen Aussehens dennoch mit Eifer den Turnübungen obliegen?

Glaukon. Ja wahrlich, beim Zeus, das würde allerdings lächerlich erscheinen, wenigstens nach den jetzigen Anschauungen.

Sokrates. Wir dürfen uns also, nachdem wir einmal die Erörterung in Gang gebracht haben, nicht fürchten vor dem Spott der Witzbolde, vor all ihren mannigfachen Sticheleien auf eine solche Veränderung, wie sie damit vor sich gehen soll in bezug auf die Turnplätze und die Musik und nicht am wenigsten in bezug auf Waffenführen und Reiten... Es gibt also, mein Freund, keine die Staatsverwaltung betreffende Beschäftigung, die der Frau als Frau oder dem Manne als Mann zukäme; vielmehr sind die natürlichen Anlagen auf ähnliche Weise unter beiden Geschlechtern verteilt, und naturgemäß hat die Frau ebenso wie der Mann Anspruch auf alle Beschäftigungen, bei allen aber ist das Weib schwächer als der Mann... Es ist also auch unter Frauen die eine zum Wachtdienst geeignet, die andere nicht. Oder haben wir bei der Auswahl der zum Wachtdienst tauglichen Männer ihre natürliche Anlage nicht ebenso beurteilt?

Glaukon. Ebenso.

Sokrates. Es ist also auch die natürliche Anlage zum staatlichen Wächterdienst die nämliche bei Frauen und Männern, nur daß sie schwächer oder stärker ist... Um nun eine Frau zum Wächterdienst tüchtig zu machen, wird doch keine andere Erziehung für die Frau am Platze sein als für den Mann, zumal sie (die Erziehung) es ja mit der gleichen Natur zu tun hat?

Glaukon. Keine andere..."

Plato läßt sodann den Sokrates einen weiteren Schritt tun und erklären, „unsere Wächter und Wächterinnen müßten alles gemeinsam verrichten", ferner, „daß diese Frauen alle diesen Männern allen gemeinsam angehören und keine mit keinem für sich zusammenwohne, und daß auch die Kinder gemeinsam seien, und weder der Vater sein Kind kenne noch das Kind seinen Vater".

Sokrates setzt dann seine Unterhaltung mit seinem Schüler Glaukon fort und sagt: „Du also als Gesetzgeber wirst, wie du die Männer auswähltest, so auch die Frauen auswählen und jenen möglichst gleichartige zuführen. Sie aber, Wohnung und Mahlzeit miteinander teilend, werden demnach in Gemeinschaft leben; und da sie auch auf den Turnplätzen sowie bei den sonstigen Veranstaltungen für die Erziehung sich beisammen befinden, so werden sie, denke ich, durch die eingeborene Notwendigkeit zur geschlechtlichen Gemeinschaft miteinander geführt werden. Oder glaubst du, daß es sich hier nicht um Notwendigkeiten handelt?

Glaukon. Nicht um geometrische, sondern um erotische Notwendigkeiten, welche letzteren noch viel eindringlichere Überredungs- und Anziehungskraft für die große Menge haben als die ersteren.

Sokrates. Sicherlich. Aber nun weiter, mein Glaukon: ungeregelt sich zu vermischen oder irgend etwas anderes zu tun, verträgt sich weder mit der Frömmigkeit in einer Stadt der Gesegneten noch werden es die Herrscher zulassen.

Glaukon. Nein, es wäre ja auch Unrecht.

Sokrates. Also werden wir demnächst Hochzeiten zu veranstalten haben, und zwar so heilig wie nur möglich. Als heilig aber müssen wohl die heilsamsten gelten.

Glaukon. Ohne Zweifel.

Sokrates. Wie werden sie also wohl am heilsamsten sein? Zu dem Ende gib mir Auskunft über folgendes, mein Glaukon. Du hast ja doch, wie ich durch Augenschein weiß, in deinem Hause sowohl Jagdhunde als auch von prächtigen Vögeln eine beträchtliche Menge. Da hast du nun doch wohl, beim Zeus, auf deren Hochzeiten und Zeugungen nach einer gewissen Seite hin acht gegeben?

Glaukon. Nach welcher denn?

Sokrates. Erstens: obschon sie alle von edler Art sind, so sind doch wohl einige von ihnen die besten und bewähren sich als solche?

Glaukon. Das ist der Fall.

Sokrates. Erzielst du nun die Nachkommenschaft glücklicherweise aus allen, oder suchst du sie nicht nach Möglichkeit aus den besten zu gewinnen?

Glaukon. Aus den besten.

Sokrates. Und weiter, aus den jüngsten oder aus den ältesten oder aus denen, die im kräftigsten Alter stehen?

Glaukon. Aus diesen.

Sokrates. Und wenn die Zeugung nicht so vor sich geht, so wird deiner Meinung nach der Schlag der Vögel und Hunde sich doch erheblich verschlechtern?

Glaukon. Ja.

Sokrates. Und wie steht es deiner Meinung nach mit den Pferden und den anderen Tieren? Wird es sich da irgendwie anders verhalten?

Glaukon. Das müßte doch sonderbar zugehen...

Sokrates. Es müssen doch zufolge des Eingeräumten die besten Männer so häufig wie möglich den besten Frauen beiwohnen, die schlechtesten dagegen den schlechtesten so selten wie möglich. Und die Kinder der ersteren müssen aufgezogen werden, die der anderen nicht, sofern die Herde auf voller Höhe bleiben soll. Und von allen diesen Maßnahmen darf niemand etwas wissen außer die Herrscher selbst, wenn die Herde der Wächter ihrerseits soviel als möglich vor Zwietracht bewahrt werden soll.

Glaukon. Sehr richtig.

Sokrates. Es müssen also gewisse Feste gesetzlich eingeführt werden, an denen wir die Bräute mit den Bräutigamen zusammenführen, wobei auch Opfer nicht fehlen dürfen; auch müssen unsere Dichter für Gesänge sorgen, die sich der Feier der Hochzeiten würdig anpassen. Die Zahl der Hochzeiten aber werden wir in das Ermessen der Herrscher stellen, damit diese bei gehöriger Rücksicht auf Kriege und Krankheiten und alles dergleichen die Anzahl der Bürger möglichst auf gleicher Höhe erhalten, so daß unser Staat hinsichtlich seiner Größe nach Möglichkeit weder das rechte Maß überschreite noch dahinter zurückbleibe.

Glaukon. Recht so.

Sokrates. Man muß also, glaube ich, eine gewisse Art schlau erdachter Lose einführen, damit jener minder Würdige bei jeder Zusammenpaarung die Schuld auf den Zufall schiebe, nicht aber auf die Herrscher.

Glaukon. Gewiß.

Sokrates. Und denjenigen jungen Männern, die sich im Krieg oder bei anderen Anlässen hervortun, muß man neben anderen Ehrengaben und Kampfpreisen auch die Erlaubnis erteilen, häufiger bei ihren Frauen zu schlafen, damit zugleich auch unter schicklichem Vorwand von ihnen mehr Kinder als von den anderen erzeugt werden.

Glaukon. Recht so.

Sokrates. Und alle Kinder, die geboren werden, nehmen die dazu bestellten Behörden an sich, bestehen sie nun aus Männern oder Frauen oder beiden — denn auch die Ämter sind Frauen und Männern gemeinsam.

Glaukon. Ja.

Sokrates. Die ihnen so übergebenen Kinder der Tüchtigen nun werden sie, denke ich, in ein Sammelhaus bringen zu bestimmten Wärterinnen, die abgesondert wohnen in einem bestimmten Teile der Stadt, die der Schlechteren aber, und was von den anderen etwa mißgestaltet zur Welt kommt, werden sie in einem unzugänglichen und unbekannten Ort verbergen, wie es sich gehört.

Glaukon. Nur so allerdings kann das Geschlecht der Wächter rein erhalten werden.

Sokrates. Diese werden auch für die Nahrung sorgen, indem sie die Mütter in den Hegeraum bringen, wenn sie volle Brüste haben, wobei sie auf jede Weise darauf bedacht sind, daß keine ihr Kind erkennt; und wenn die Mütter selbst nicht zureichen, so werden sie andere Frauen, die Milch haben, zur Stelle schaffen; und bei den Müttern selbst werden sie Sorge tragen, daß die Zeit des Stillens das rechte Maß einhalte, die Nachtwachen aber und den sonstigen beschwerlichen Dienst werden sie den Ammen und Wärterinnen zuweisen.

Glaukon. Du machst den Frauen der Wächter das Kinderbekommen sehr leicht...

Sokrates. So also, mein Glaukon, steht es mit Wesen und Beschaffenheit der Weiber- und Kinder-gemeinschaft bei den Wächtern der Stadt. Daß sie sich aber der übrigen Staatsverfassung richtig anpasse und bei weitem die beste sei, das müssen wir uns nunmehr durch die Kraft der Gründe bestätigen lassen. Oder wie sollen wir's halten?

Glaukon. So, beim Zeus.

Sokrates. Ist nun der Anfang zur Verständigung nicht der, daß wir uns fragen, was wir für die Gestaltung eines staatlichen Gemeinwesens ais das größte Gut anzusehen haben, auf das der Gesetzgeber als auf sein Ziel hinblicken muß bei Abfassung seiner Gesetze, und was als das größte Übel, und daß wir dann erwägen, ob das eben Durchgesprochene sich der Spur des Guten anpaßt, mit der des Schlechten aber nicht zusammenstimmt?

Glaukon. Ganz gewiß.

Sokrates. Kennen wir nun ein größeres Übel für den Staat als dasjenige, welches ihn zerreißt und ihn zur Vielheit macht anstatt zur Einheit? Oder ein größeres Gut als das, welches ihn eng verbindet und zu einem macht?

Glaukon. Keines.

Sokrates. Nun verbindet doch wohl die Gemeinschaft von Lust und Leid, wenn alle Bürger soviel als möglich bei den nämlichen Vorgängen, sei es des Entstehens oder des Vergehens, sich in der gleichen Weise freuen oder Leid tragen?

Glaukon. Sicherlich.

Sokrates. Die Sonderung dagegen bei dergleichen wirkt auflösend, wenn bei den nämlichen Erlebnissen der Stadt oder ihrer Bürger die einen tief betrübt, die ändern hoch erfreut sind?

Glaukon. Ohne Zweifel.

Sokrates. Ist das nicht eine Folge davon, daß die Bürger nicht alle zugleich Worte anwenden wie „Mein" und „Nicht mein"? Und ebenso bei dem Worte „Fremd"?

Glaukon. Offenbar.

Sokrates. Der Staat nun, in dem die große Mehrzahl übereinstimmt in der Anwendung dieser Ausdrücke Mein und Nichtmein auf die nämliche Sache, ist der nicht am besten verwaltet?

Glaukon. Weitaus.

Sokrates. Und derjenige also, welcher die nächste Verwandtschaft mit einem einzelnen Menschen zeigt? Wenn z. B. einer von uns am Finger verwundet worden ist, so teilt sich die Wahrnehmung dessen der ganzen Gemeinschaft mit, die sich vom Leibe zur Seele erstreckt und von dem herrschenden Teil in ihr zur Einheit zusammengeordnet wird, so daß der gesamte Organismus mitleidet, wenn ein Teil von Schmerz heimgesucht ist; und so kommt es denn, daß wir sagen: „Der Mensch hat Schmerz am Finger." Und das Nämliche gilt von jedem Gliede des Menschen, hinsichtlich des Schmerzes, wenn ein Teil leidet, und hinsichtlich der Lust, wenn eine Besserung eintritt." — So weit die „Politeia".

2. „Die Gesetze" sind weniger ideal als die „Politeia". Sie sind später als die letztere geschrieben. Die Kritik der Besitzverhältnisse ist zwar ebenso scharf wie früher, aber die positiven kommunistischen Vorschläge sind weniger absolut. Man darf sagen: die Politeia ist revolutionär, die Gesetze sind reformistisch. Plato sagt (Gesetze, 5. Buch, 10. Kapitel): „Der vornehmste Staat, die vornehmste Verfassung und die besten Gesetze sind da, wo im ganzen Staat das bekannte Sprichwort lautet: ,Unter Freunden ist wirklich alles gemeinschaftlich'. Ob nun dies jetzt irgendwo stattfindet oder je einmal stattfinden wird: daß nämlich Weiber und Kinder gemeinschaftlich sind, Hab und Gut ohne Ausnahme gemeinschaftlich sind, und mit allen erdenklichen Mitteln das sogenannte Eigentum allenthalben und vollständig aus dem Leben ausgemerzt ist, dagegen nach Möglichkeit auch das von Natur Eigentümliche irgendwie gemeinschaftlich geworden ist (zum Beispiel, daß sogar Augen, Ohren und Hände gemeinschaftlich zu sehen, zu hören, ihre Arbeit gemeinschaftlich zu verrichten scheinen)... jedenfalls ist es bei einem fortgesetzten Leben dieser Art eine hoch beglückte Niederlassung. Deswegen soll man sich um ein Musterbild von Verfassung nirgends anderswo umsehen, sondern an der genannten festhalten und mit aller Kraft nach einer möglichst ähnlichen trachten... oder ihm am nächsten kommen und die einzige sein, die auf zweiter Stufe steht. Wie kann eine derartige Verfassung zustande kommen? Das erste muß sein, daß man Land und Häuser verteilt, also die Bodenbearbeitung nicht gemeinschaftlich betreibt; denn letzteres muß als zu hoch bezeichnet werden für das gegenwärtige Geschlecht und dessen Erziehung und Bildung. Doch soll die Verteilung etwa mit dem Gedanken vorgenommen werden, daß jeder, der einen Landanteil erhält, diesen Anteil als ein Gemeingut des ganzen Staates betrachtet." Die Verteilung des Bodens soll möglichst gleich sein. Die Anzahl der ursprünglichen Landanteile soll nicht vermindert werden, das heißt, es ist darauf zu achten, daß weder Großgrundbesitzer noch Besitzlose entstehen. Überhaupt: die Fehler der alten Verfassung können nur vermieden werden „durch Beseitigung der Besitzwut in Verbindung mit der Gerechtigkeit" (5. Buch, 8. Kapitel). Der Besitz von Gold oder auch nur von Silber ist untersagt; man soll nur so viel gemünztes Geld haben, als der tägliche Verkehr erfordert. Bei einer Verheiratung darf Mitgift weder gegeben noch genommen werden. Der vernünftige Staatsmann soll sich um die Staatsideen des Pöbels nicht kümmern. Der Pöbel fordert einen Staat, der möglichst groß und reich ist, Gold und Silber in Fülle hat und zu Land und Wasser eine möglichst ausgedehnte Herrschaft besitzt. Vielleicht würde er noch verlangen, daß der Staat auch recht tugendhaft und recht glücklich sein soll. Aber beide Forderungen sind miteinander nicht vereinbar. Man kann nur entweder Reichtum und Macht oder Tugend und Glückseligkeit besitzen. Reichtum und Tugendhaftigkeit sind nie beisammen zu finden. „Es ist einfach unmöglich für einen hervorragend guten Mann, auch hervorragend reich zu sein... Ein Mensch, der für edle Zwecke Geld ausgibt und nur auf rechtliche Weise etwas erwirbt, kann niemals in hervorragendem Grade reich werden, noch auch in hohem Maße arm. Somit bleibt unsere Behauptung aufrecht, daß überreiche Leute nicht gut sein können" (5. Buch, 12. Kapitel). Wird die Verfassung gut sein, so wird es keine überreichen Leute im Staate geben, und wo es keinen krassen Reichtum gibt, da gibt es auch keine krasse Armut, denn jenes erzeugt diese (5. Buch, 13. Kapitel. Ebenso „Politeia", 8. Buch).

Platos Gesetzgebung und Reformversuche beziehen sich auf die Hellenen im allgemeinen und — soweit die Heranbildung einer Führerschicht in Betracht kommt — auf die vornehmen Geschlechter von Hellas. Man kann bei Plato tatsächlich von einer hellenischen Nation sprechen. Diese Nation soll in bezug auf Besitzverhältnisse möglichst einheitlich und solidarisch gestaltet sein. Hingegen soll sie hinsichtlich der intellektuellen und sittlichen Fähigkeiten klassifiziert sein. Der geistige und kulturelle Adel soll herrschen, führen und Gesetze machen; die Landwirte und Handwerker sollen ihren Geschäften pflichtgemäß nachgehen, alle Vielgeschäftigkeit vermeiden, so daß jeder von ihnen sich auf sein eigentliches Fach beschränken und hierin tüchtig werden kann. Jedoch sollen die Hellenen keine schweren hand-

werksmäßigen Arbeiten noch niedrige Dienstleistungen übernehmen, sondern diese den eingewanderten Fremden und den Sklaven überlassen. Die Hellenen sollen sich ihren Bürgerpflichten und den edleren Gewerben widmen.

In den „Gesetzen" legt Plato das Hauptgewicht auf die Beseitigung der schroffen wirtschaftlichen Gegensätze; im „Staate" beschäftigte er sich vornehmlich mit der Ausbildung und der Lebensweise der Philosophenkönige, der Beamten und der Krieger. Bei einer nicht sehr gründlichen Lektüre des Staates könnte man annehmen — und viele Schriftsteller nahmen tatsächlich an —, daß Plato den Kommunismus einzig und allein für diese obersten Schichten empfohlen, und die übrigen Klassen des Volkes im alten Zustande gelassen hätte. Diese Annahme ist jedoch durchaus irrig. Aus unseren oben gebrachten Zitaten geht mit aller Klarheit hervor, daß Plato den Kommunismus für alle Hellenen erstrebte. Die ganze soziale Kritik, die er in seinen beiden Werken an den wirtschaftlichen, politischen und moralischen Zuständen seines Vaterlandes übte, hätte sonst keinen Sinn.

Plato war ein vergeistigter Lykurgus; nur war dieser lokalstaatlich (spartanisch), während jener national-hellenisch war. Für Lykurgus waren die übrigen hellenischen Staaten ebenso fremd, wie irgendein Gemeinwesen in Asien oder Afrika. Für Plato waren sämtliche hellenischen Staaten nur Bestandteile der hellenischen Nation; der Peloponnesische Krieg war in seinen Augen ein Bruderkrieg. Beide Gesetzgeber konnten sich jedoch einen krieglosen Zustand der Menschheit, eine internationale Verbrüderung nicht denken. Für Plato war der Nichthellene ein Barbar, ein minderwertiger Mensch, dem es zur Ehre und zum Vorteil gereichen müßte, von Hellenen beherrscht zu werden. Erst die Stoiker schufen bei den Hellenen den Begriff der Gleichheit des Menschengeschlechts.

4. Aristoteles gegen Plato und Phaleas.

Aristoteles war antikommunistisch; seine „Politik" ist das Werk eines ungewöhnlich klugen und erfahrenen staatsmännischen Denkers, eines allen Revolutionen, allen extremen Reformen, sogar allen heftigen Parteikämpfen abgeneigten Mannes. Als die vornehmste Aufgabe des Staatsmannes betrachtet er die Herstellung und Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts der Kräfte im Staate: es soll weder allzu reiche und mächtige, noch allzu arme und machtlose Bürger im Staate geben, denn jede unverhältnismäßige Zunahme von Reichtum und Armut, von Einfluß und Einflußlosigkeit gefährdet den Staat („Politik", Buch V, wo die Revolutionen und deren Ursachen behandelt werden). Die große Ungleichheit veranlaßt die Leidenden, eine Änderung der Verfassung anzustreben und bald finden sich Demagogen (Volksverführer), die den unzufriedenen Massen die Parole zum Aufstand geben; ebenso veranlaßt sie volksfeindliche Oligarchien (Inhaber der Herrschaft einer bevorzugten Minderheit), die ganze Macht an sich zu reißen und demgemäß die Verfassung zu ändern. Die Gesetzgeber sollen deshalb darauf bedacht sein, die Ansammlung von übermäßigem Reichtum in einzelnen Händen sowie die Übermacht einzelner Personen zu verhindern.

Aristoteles bekämpfte die Ansicht, daß Privateigentum, Sklaverei und Staatsgewalt gegen das Naturrecht verstießen. Er wurde später deshalb zur großen Autorität aller auf Begründung der bürgerlichen Gesellschaft hinarbeitenden Richtungen.

Nach dieser Charakteristik des zweitgrößten Philosophen Griechenlands wird man leicht begreifen, daß er ein Gegner Platos war, dessen Staat und Gesetze zwar nicht „klug" sind, aber viel Weisheit und Idealismus enthalten. Aristoteles („Politik", 2. Buch) bekämpft in längeren Ausführungen die kommunistischen Ideen seines Lehrers mit viel Scharfsinn, aber zuweilen auch mit Methoden, die man später in verächtlichem Sinne scholastisch genannt haben würde: viel Wortklauberei und Haarspaltereien. Bemerkenswert jedoch ist es, daß Aristoteles bereits alle Einwürfe anführt, die zu allen Zeiten gegen den Sozialismus erhoben wurden. Er meint, der Kommunismus sei gegen die menschliche Natur; er würde die Reichtumserzeugung schädigen, denn jedermann wolle

nur für sich sorgen und seine eigenen Interessen fördern; die Aussicht auf Erwerb von Eigentum sei deshalb ein Ansporn zum Schaffen und Arbeiten. Ebenso rechne der Kommunismus nicht mit der Vermehrung der Menschen. Ferner: Kompagniegeschäfte führen nicht zur Eintracht, sondern zum Zank. Schließlich: Die wirkliche Quelle des Übels sei nicht das Privateigentum, sondern die Schlechtigkeit der menschlichen Natur. „Wir sehen in der Tat, daß es mehr Zank gibt unter denen, die alles gemeinschaftlich haben, obwohl es deren nur wenige gibt im Vergleich mit der großen Zahl von Menschen, die Privateigentum besitzen." Aristoteles läßt sich schließlich doch herbei, zu erklären: „Die gegenwärtigen Einrichtungen (der auf Privateigentum beruhenden Gesellschaft), wenn durch Gewohnheit oder Gesetz verbessert, würden weit besser sein und könnten die Vorzüge beider Systeme besitzen. Das Eigentum sollte im gewissen Sinne gemeinschaftlich sein, aber als allgemeine Regel sollte es privat sein; denn, wenn jedermann ein besonderes Interesse daran hat, so werden die Menschen nicht übereinander klagen und sie werden größere Fortschritte machen, wenn jeder sich um sein eigenes Geschäft kümmert. Und doch unter den Guten und hinsichtlich des Gebrauchs der Dinge, „wird bei Freunden — wie das Sprichwort sagt — alles gemeinschaftlich sein". Sogar jetzt gibt es noch Spuren eines derartigen Prinzips, die zeigen, daß es nicht undurchführbar ist; und in einem wohlgeordneten Staate existiert es bis zu einem gewissen Grade und kann noch ausgedehnt werden. Denn, obwohl jeder sein Eigentum besitzt, so gibt es doch Dinge, die er zur Verfügung seiner Freunde stellen wird, oder die seiner Freunde er benutzen wird. Die Lakedämonier zum Beispiel bedienen sich gegenseitig der Sklaven, Pferde und Hunde anderer, als ob sie ihre eigenen wären; und wenn sie zufällig auf dem Lande sind, eignen sie sich in den Feldern die nötigen Nahrungsmittel an. Es ist offenbar besser, daß das Eigentum privat sein soll, aber deren Gebrauch gemeinschaftlich; und der Gesetzgeber hat die besondere Aufgabe, in den Bürgern diese wohlwollende Neigung zu erzeugen" (II, 5). Dieses Zugeständnis an den Kommunismus hat bei Aristoteles jedoch keine grundsätzliche Bedeutung. Es bedeutet nur eine der Maßregeln zur Niederhaltung der Auswüchse der Eigenliebe. Das Beispiel, das er aus Sparta anführt, besagt wenig, denn dort waren die Bürger durch die Lykurgische Gesetzgebung an das kommunistische Gefühlsleben einigermaßen gewöhnt, während Aristoteles das Prinzip dieser Gesetzgebung verwirft.

Von den Angriffen auf Plato geht Aristoteles über zu einer Kritik der sozialistischen Vorschläge des sonst unbekannten Phaleas von Chalzedon, von dem er sagt: „Manche sind der Ansicht, daß die Regulierung des Eigentums der wichtigste aller Punkte sei, denn um diese Frage drehen sich alle Revolutionen. Diese Gefahr wurde von Phaleas von Chalzedon erkannt, der der erste war in der Aufstellung der Behauptung, daß die Bürger eines Staates gleiche Besitzungen haben müßten. Er meinte, in einer neuen Kolonie ließe sich die Besitzgleichheit ohne Schwierigkeiten herstellen, aber nicht so leicht in einem bereits bestehenden Staate; und daß der kürzeste Weg zur Erreichung dieses Zieles wäre, daß die Reichen Mitgift geben, aber nicht nehmen sollen, und umgekehrt die Armen Mitgift nehmen, aber nicht geben sollen" (II, 7). Aristoteles wendet ein: „Nicht die Besitzenden müssen gleichgemacht werden; es sind die Wünsche der Menschen, die eine Ausgleichung heischen; und dies ist unmöglich, außer durch eine hinreichende, auf Staatskosten unternommene Erziehung der Bürger. Aber Phaleas wird wahrscheinlich antworten, daß er eine derartige Erziehung wünsche, daß also die Bürger nicht nur gleichen Besitz, sondern auch gleiche Erziehung haben sollten... Phaleas nimmt an, daß die Besitzgleichheit die Verbrechen beseitigen würde, da sie den Menschen vor Hunger und Kälte schützen und ihm die Versuchung nehmen würde, Räuber zu werden. Aber die Not ist nicht der einzige Beweggrund zu Verbrechen; die Menschen wollen irgendeine Leidenschaft befriedigen, die sie erfaßte, oder sie wollen Vergnügungen genießen, ohne sich die Mühe zu nehmen, sie zu erlangen und begehen deshalb Verbrechen. Was sind

jedoch die wirklichen Heilmittel gegen diese Krankheiten? Gegen Not: mäßiger Eigentumsbesitz, gegen Leidenschaften: Erziehung zur Mäßigung; gegen Vergnügungslust: philosophisches Nachdenken. Es ist eine Tatsache, daß die größten Verbrechen begangen werden durch Übermaß und Ausschweifung und nicht durch Mangel und Not. Menschen werden nicht Tyrannen, weil sie in Not sind; deshalb wird große Ehre zuteil — nicht demjenigen, der einen Dieb tötet, sondern der einen Tyrannen tötet. Phaleas1 Reformen können also nur kleine Verbrechen verhüten... Der Anfang aller Reformen — erklärt Aristoteles weiter — Hegt eher in der Erziehung der Menschen zur Beherrschung ihrer Begierden als im Gleichmachen von Besitzungen. Die Gutgestellten sollen nicht noch höher hinaus wollen und die Armen sollen nicht immer mehr fordern, das heißt: sie sollen niedergehalten, aber nicht mißhandelt werden. Außerdem ist die von Phaleas vorgeschlagene Besitzgleichmachung unvollständig, denn er will zwar den Grundbesitz gleichmachen, während man doch reich sein kann an Sklaven, Rindern und Geld und in allem, was man beweglichen Besitz nennt. Entweder muß die Gleichmachung alles umfassen, oder man muß den Besitz aller dieser Dinge beschränken oder aber sie gänzlich freigeben. Es scheint, daß Phaleas nur für einen kleinen Staat Gesetze machen will, denn er nimmt an, daß alle Handwerker zu staatlichen Sklaven gemacht werden und keinen Teil der Staatsbevölkerung bilden sollen" (II, 7). Aus dieser Kritik geht nur so viel hervor, daß Phaleas' Besitzgleichheit des Grund und Bodens, allgemeine staatliche Erziehung und Verstaatlichung der Handwerker anstrebte. Da auch gesagt wird, daß er der erste war, der über Besitzgleichheit geschrieben, so muß er noch vor Plato gelebt haben.

5. Soziale Komödiendichtungen.

Witz, Ironie und Satire gehörten zu den stärksten Gaben der geistig so reich ausgestatteten Jonier. Und sie fanden sich vereinigt in Aristophanes, einem dramatischen Dichter von bezaubernder Gestaltungskraft. Er erlebte den Peloponnesischen Krieg und dessen tragisches Ende. Er sah die kommunistische Gärung, die während dieses Krieges und noch mehr nach dem Kriege die besitzlosen Schichten Athens erfaßte. Die athenische Katastrophe erschütterte alle Autorität, allen staatlichen Zusammenhalt. Das ohnehin nach allem Neuen fieberhaft greifende athenische Volk sehnte sich leidenschaftlich nach einer kommunistischen Umgestaltung der Gesellschaft. Vorbereitet wurde dieser Seelenzustand durch die alten Überlieferungen vom goldenen Zeitalter und von den sozialen Kämpfen seit dem 8. Jahrhundert. Es liegen zwar hierüber keine direkten Zeugnisse aus den Schichten der Besitzlosen vor, aber der indirekten Zeugnisse gibt es viele, und sie wurden uns überliefert in den sozialen Komödien des Pherekrates, Telekleides, Eupolis und insbesondere des Aristo-phanes. Von den Werken der drei ersteren liegen nur Bruchstücke vor (1), hingegen haben sich die besten Komödien des Aristophanes, des berühmtesten unter allen, vollständig erhalten und stehen unvergleichlich höher als jene. Aber es sind eben Komödien: ihr Zweck ist, die kommunistischen Bestrebungen durch Übertreibungen und Karikaturzeichnungen mit Spott zu begießen, aber auch die plutokratischen und imperialistischen Gelüste zu züchtigen. Ihre Dichter waren konservativ und belächelten oder betrauerten die Umsturzbewegungen. Hinzu kommt noch, daß der Kommunismus des Altertums die produktive Arbeit als Fluch betrachtete. Sein Ziel war nicht die Errichtung eines schaffenden Arbeitsreiches: Arbeit fiel damals mit Sklaverei zusammen. Die Werkzeuge waren äußerst primitiv; mechanische Kräfte waren noch nicht bekannt; die harte Arbeit wurde von Unfreien geleistet, sie wurde deshalb für unwürdig gehalten.

Krieg und Politik wurden als die eigentlichen Funktionen des freien Bürgers betrachtet. Das bedeutet, daß die freien Bürger keine Demokratie, sondern eine herrschende Klasse bildeten. Wir sahen

dies bei unserer Betrachtung des Platonischen Staates. Freie und verarmte Bürger erblickten ihre Erlösung in einer von körperlicher Arbeit befreiten Gesellschaft. Ihr Kommunismus artete deshalb oft in Wünsche nach einem Schlaraffenlande aus. Je tiefer ich mich in das Leben des Altertums versenke, desto klarer wird mir, daß der moralische und politische Untergang der alten Welt hauptsächlich der Sklaverei, der Hörigkeit, — kurz, der unfreien Arbeit, der Mißachtung des produktiven Schaffens und dem hieraus resultierenden Stillstände der Arbeitstechnik geschuldet war. Die sozialen Komödien, die wir hier besprechen wollen, richten sich gegen die Schlaraffenträume, gegen die Wünsche nach einem mühelosen Wohlleben, die die Athener erfaßten, und durch die Erschlaffung, die auf die katastrophale Niederlage Athens im Jahre 404 folgte, noch sehnsüchtiger wurden.

Nehmen wir vorerst Pherekrates, Telekleides und Eupolis, da sie dem Aristophanes zeitlich vorausgingen und, wie gesagt, auch minder bedeutend sind. Sie richten sich gegen die Schlaraffenträume der unzufriedenen und neuerungssüchtigen Athener, sowie gegen die Übertreibungen der Schilderungen des goldenen Zeitalters. Unter den Komödien des Pherekrates sind die „Perser" am meisten charakteristisch. Die Griechen hielten Persien für ein Land mit goldenen Bergen, deren Besitz die Verwirklichung ihres Schlaraffenideals herbeiführen würde. Zwei Gestalten treten auf: der Reichtum und die Armut. Letztere mahnt die Menschen zur Arbeit und Selbstbeherrschung als die Quellen alles Segens. Ihr erwidert der Fürsprecher des Reichtums:

„Was brauchen wir all deine Wissenschaft von Stierausspannen und Pflügen, von Sichelbereitung und Schmiedehandwerk, von Saat und Mahd und Umzäunung! Von selber werden, du hast's ja gehört, durch die Gassen sich rauschende Ströme von dampfender Brühe ergießen, und Speck und feine Klößchen uns führen von den Quellen des Reichtums her; wer mag, schöpft voll sich die Schüssel... Und all die Bäume da draußen im Gebirg werden nicht Blätter tragen, sondern Würste und zarte, gebratene Drosseln..."

Eupolis schildert im „Goldenen Zeitalter" die Wiederherstellung der alten verschwundenen Glückseligkeit. Das Thema ist ähnlich dem der „Perser" des Pherekrates: Zwei Redner treten auf: der eine verteidigt den Nutzen der Armut und der Enthaltsamkeit als Ansporn und Mittel zur Erreichung des Glücks, der andere aber verteidigt die Schönheit des mühelosen Reichtums:

„Hör  nun auch mich an. Ich will grad' im Gegenteil zum warmen Bad das Wasser meinen Freunden hier vom Meer auf säulengestützter Wasserleitung herführen, wie man es in der Päanshalle sieht. So wird es jedem in die Wanne fließen; ist sie voll, so sagt es ,Haltet ein!' Dann kommt sofort von selbst der Schwamm, das Fläschchen nebst den Sandel-schuh'n..."

In ähnlicher Weise verspottet Telekleides in seiner Komödie „Amphiktyonen" die Schlaraffenträume der hellenischen Besitzlosen und Sklaven. Amphiktyon, ein uralter, legendärer König von Athen, kommt auf die Oberwelt zurück und bringt seinen Mitbürgern Frieden und Glück:

„Da war vor allem der Frieden im Land alltäglich, wie Luft und Wasser. Nicht Furcht entsproßte der Erde, noch Weh; sie brachte des Guten in Fülle. In den Bächen, da schäumte der purpurne Wein; um die Köpfe der Menschen, da zankten sich schimmernde Semmeln mit Bretzeln herum und beschworen, sie rasch zu verspeisen. Die Fische, die folgten den Menschen ins Haus und brieten sich selbst auf der Pfanne, und legten sich lang auf die Teller hin, und bestiegen die prangende Tafel. Ein Strom von Suppe durchströmte die Stadt und wälzte gebratene Keulen; von den Traufen träufelte Brühe herab; die Hungrigen hielten den Bissen ein Weilchen darinnen, und schluckten ihn dann recht warm und saftig herunter... Speckkuchen drängten sich hinterher mit Stoßen, Balgen und Schimpfen; Fleischstückchen hatten und Hühnerklein zum Steinchenspielen die Kinder. Und die Menschen waren ein starkes Geschlecht, wie die erdentsprossenen Giganten."

6. Aristophanes.

Ganz anderen Kalibers ist Aristophanes. Mit fester Hand greift er ins volle Leben Athens hinein, zeigt uns Versammlungen, politische Kämpfe, wirtschaftliche Bestrebungen, plutokratische Machtgier, utopienschaffende Frauenparlamente. Die ganze Größe des fast einzigartigen jonischen Genies, aber auch das Fehlerhafte der antiken Zivilisation treten uns vor Augen, — gezeichnet allerdings von einem reaktionären Geistesaristokraten, der gar keine Sympathie hatte für die aufwühlende ökonomische und weltpolitische Tätigkeit der Plutokratie noch für die extremen, schwärmerischen Gleichheitsbestrebungen der Besitzlosen. Das Ideal des Aristophanes scheint dem des Aristoteles ähnlich gewesen zu sein. Dieser Opposition gegen seine Zeit entsprang die überlegene Ironie, der ausgelassene, zynische Spott, die bittere, zügellose Satire, die seine Komödien auszeichnen. Von sämtlichen Komödien des Aristophanes — sie behandeln satirisch die kapitalistischen Weltpolitiker, die Sophisten, die Prozeßsüchtigen, die Denunzianten, die Wolkenkuckucksheimer und die Kommunisten — kommen für uns in Betracht: die Ekklesiazusen (Frauenparlament, aufgeführt 393) und Plutos (aufgeführt 388).

Die Politik der Männer hat zum Zusammenbruch der blühenden athenischen Republik geführt: der Peloponnesische Krieg endete (404) mit der vollständigen Kapitulation Athens. Die Frauen hatten im langen Kriege viel gelitten, und die traurigen Folgen des Zusammenbruchs verschlimmerten ihr Los. Sie beschlossen deshalb, die Männer als das herrschende Geschlecht abzusetzen und selber die Regierung zu übernehmen.

Die Frauen stehlen sich des Nachts von ihren Männern weg, verkleiden sich als Männer und berufen ein Parlament ein, wo Rednerinnen auftreten und Vorschläge zur radikalen Reform des Landes machen. Die Frauen, sagen sie, sind wirtschaftlich tüchtiger und umsichtiger als die Männer und werden auch imstande sein, den Staat in richtige Bahnen zu lenken und aufrechtzuerhalten. Die Führerin dieser Revolution heißt Praxagora, ihres Mannes Name ist Blepyros.

Die fünfte Szene enthält den Kern der Pläne der Frauen. Im Gespräch mit Blepyros und einigen Nebenpersonen entwickelt Praxagora ihre kommunistischen Ideen. Sie wird vorerst vom Chor begrüßt, der ihr nahelegt, daß dem Staate ein neues Gestalten nottue und daß das Volk etwas ganz Neues wünsche, da es haßt, „alte Geschichte wiederholt zu sehen".

Chorführerin(2): Doch zaudere nicht, geh an das Werk mit der Schärfe der Einsicht; denn je rascher ein Stück fortspielt, um so eher gewinnt es des Publikums Beifall.

Praxagora: Wohl bin ich gewiß, daß heilsam ist, was ich darlegen will; indessen ob das Publikum auch für den Fortschritt ist und nicht in dem alten, gewohnten Herkommen und Brauch viel lieber verweilt, das ist's, was mich ernstlich besorgt macht.

Blepyros: Um den Fortschritt sei nicht besorgt; denn es herrscht Fortschreiten und Neuern, aber Verachten des Altertümlichen hier als wahrer und einziger Herrscher.

Praxagora: So spreche denn niemand gegen mich eher und störe unterbrechend den Vortrag, bis er ganz einsieht, wie der Plan ist und den Redner bis zu Ende gehört hat: Wie mir scheint, muß alles Gemeingut sein, teilnehmend jeder an allem, vom Gemeingut jeglicher leben und nicht der eine reich sein und der andere ein Bettler, nicht einer viel Felder besitzen, indes für ein Grab jenem der Platz fehlt... Jeglichem werde ich dasselbe Geschick, und Gemeinschaft allen bereiten ... So wandle ich denn erstens den Acker zu Gemeingut um und das sämtliche Geld und was sonst noch jeder Besitz hat. Aus diesem Gemeinschatz werden wir Frauen euch Männer ernähren und kleiden, ihn verwaltend mit Fleiß und mit Sparsamkeit, und 'Rechnung legend von allem.

Blepyros: Wie aber mit dem, der Land zwar nicht, doch Silber und Gold und daneben unregistriertes Vermögen besitzt?

Praxagora: Auch der zahlt's ein zum Gemeinschatz; wer es nicht einzahlt, schwört falsch.

Blepyros: Meineid hat's eben ja auch erworben!

Praxagora: Doch wird's gar nicht und in keinerlei Art ihm zu Nutzen gereichen. Aus Armut tut kein Mensch mehr was, denn alle haben ja alles, — Brot, Kuchen, Gemüs', Fleisch, Fische, Gewand, Wein, Kränze, Rosinen und Mandeln. Was gewinnt er dann, wenn er nicht einzahlt? Zu kaufen gibt es doch nichts, da doch alles gemeinschaftlich ist!

Blepyros: Nimm an, ein junger Mann freit ein Mädchen oder will zur Dirne gehen, so muß er doch Geschenke mitbringen.

Praxagora: Keineswegs! Alle Frauen und Männer werden gemeinschaftlich und frei sein; Ehe oder sonstigen Zwang wird es nicht geben.

Blepyros: Wie aber, wenn mehrere sich um ein schönes Mädchen bewerben, was soll dann geschehen?

Praxagora: Sicherlich werden sich um eine Schönheit mehrere Männer bewerben, manche stattlich, andere häßlich; aber ehe einer berechtigt ist, sich um eine Schönheit zu bewerben, muß er ein häßliches Mädchen beschlafen.

Blepyros: Gut. Die Mädchen brauchen also nicht mehr zu befürchten, daß sie ihr Leben lang Jungfern bleiben. Wie wird's aber den Männern ergehen? Man darf doch annehmen, daß die Mädchen nur den schönen Männern ihre Gunst erweisen werden. Was soll mit den häßlichen Männern geschehen?

Praxagora: Das Liebesleben der Mädchen wird ebenfalls staatlich reguliert werden. An die Seite der jungen, schönen und stattlichen Männer werden die kleinen, mißgestalteten und untersetzten Männer gestellt werden. Und ehe die Mädchen die Erlaubnis erhalten, sich mit ihren Geliebten zu paaren, müssen sie den von Natur stiefmütterlich behandelten Männern ihre Liebe gewähren ... Alle Prostitution wird abgeschafft, die niedrigen Dirnen überlassen wir den Sklaven, so daß für die Bürgerinnen die besten Kräfte aufbewahrt werden...

Blepyros: Und wie sollen wir dann unsere Kinder erkennen?

Praxagora: Sie werden nie erkannt werden; alle Kinder werden allen Erwachsenen gehören...

Das Zwiegespräch wird fortgesetzt und Praxagora schildert den Zukunftsstaat, in dem alles gemeinschaftlich, alles frei und gleich und unabhängig sein wird, in dem alle privaten Unternehmungen zu einem einzigen großen Besitz zusammengefaßt werden, in dem alle Klassenunterschiede, alle Schranken und Zwangsmittel für immer abgeschafft sein werden. Gerichtshöfe und Wahlräume wird es ebenfalls nicht geben. Diese werden in Speisehallen verwandelt werden, wo es die feinsten Leckerbissen geben wird. Die Bürger werden nach dem Alphabet ihre Speisemarken und ihre Speisehallen zugewiesen erhalten. Die gemeinsamen Mahlzeiten werden zu Festlichkeiten; in gehobener Stimmung wird jeder sie verlassen, mit einer Fackel in der Hand und einem Blumenkranz in den Haaren, und wenn sie dann durch die Straßen wandern, werden Mädchen und Frauen sie zu sich einladen und sie bitten, sich an ihrer Schönheit zu erfreuen.

Die Auseinandersetzung zwischen Praxagora und Blepyros über die neue sexuelle Ordnung ist bei Aristophanes viel deutlicher als hier wiedergegeben ist. Die Unterhaltungen über diese Frage im zweiten Akt und insbesondere die im vierten Akt dargestellten Konflikte und Verwicklungen zwischen den alten und jungen Frauen um den Fang der hübschen Jünglinge gehören zur pornographischen (unzüchtigen, zotenhaften) Literatur, wie sie nur noch in manchen italienischen Schriften der Renaissancezeit vorkommen. Droysen gibt eine wörtliche Übersetzung.

Selbstredend läßt Aristophanes diesen schlaraffen-artigen Zukunftsstaat lächerlich scheitern. Die komischen Verwicklungen, die die Regulierung des Liebeslebens mit sich bringen, und die Vernachlässigung des öffentlichen Lebens machen die Existenz im Zukunftsstaat unmöglich. Die jungen Leute können an ihre geliebten Mädchen gar nicht herankommen, denn der Geschlechtstribut, den sie vorher an die alten Damen und welken Jungfern zollen müssen, macht sie dann unfähig. Und die Bürger, die, von den Schilderungen der festlichen Speisehallen angelockt, sich mit hochgespannten Erwartungen zu ihren Mahlzeiten begeben, können sich nur sattessen, wenn sie sich etwas von zu Hause mitbringen.

In den „Ekklesiazusen" spottet Aristophanes, wie wir sehen, über die kommunistischen Schwarmgeister; in „Plutos", seiner letzten Komödie, geißelt er die unersättlichen Reichen, das zügellose, aller Moral bare Jagen nach Reichtum. Das Problem, das hierin behandelt wird, ist ein altes und doch immer neues: Warum sind die Spitzbuben reich und die Tugendhaften arm? Die Zwiegespräche sind außerordentlich reichhaltig. Ihr Grundgedanke ist: Plutos, der Gott des Reichtums, ist blind und weiß selber nicht, was er tut. Auf die Frage des tugendhaften, aber armen Chremylos, warum er seine Gaben so ungerecht verteilt, antwortet Plutos: Zeus hat mich blind gemacht. Der oberste Gott ist neidisch auf die Menschen. Als ich ein kleiner Junge war, pflegte ich zu prahlen, daß ich nur die Weisen und Guten besuchen werde. Deshalb machte er mich blind, damit ich nicht weiß, wen ich aufsuchen soll. Chremylos: Würdest du die Bösen meiden, wenn du sehen könntest? Plutos: Ja. Das täte ich. Ich würde nur die Guten besuchen. Alle sagen mir doch, daß sie gut seien, aber wenn ich zu ihnen komme und sie reich mache, so nimmt ihre Schlechtigkeit gar kein Ende. Chremylos: So ist's. Der Mensch kann alles genug haben: Brot, Süßigkeiten, Feigen, Mut, Literatur, nur nicht genug Reichtum. Gib einem Menschen dreizehn Talente, so wird er sechzehn verlangen; gib ihm sechzehn und er wird vierzig verlangen, sonst, sagt er, ist das Leben miserabel. Reichtum ist das feigste Ding...

Chremylos rät dem Plutos, sich in den Tempel des Äsculapius (des heilenden Gottes) zu begeben und dort eine Nacht zuzubringen; dort würde er von der Blindheit geheilt. Plutos befolgt diesen Rat und wird sehend. Nun soll die Armut aus Hellas vertrieben werden. Die personifizierte Armut tritt nunmehr auf und will beweisen, daß ihre Gegenwart nötig sei. Sie zankt mit Chremylos und ruft ihm zu: Du willst mich aus Hellas vertreiben? Du glaubst, du wirst hierdurch der Menschheit den größten Segen bringen. In Wahrheit wirst du der Menschheit großen Schaden zufügen, wenn du die Guten reich machen willst. Chremylos bestreitet in längerer Rede diese Behauptung und zeigt, wie gerecht es sein würde, wenn die Bösen arm und die Guten reich wären. Hierauf erwidert die Armut: Würden alle reich sein, wer wollte sich dann die Mühe nehmen, Wissenschaft und Künste zu erwerben? Und wenn diese verschwänden, wer würde dann unsere Schiffe bauen, Ackerbau treiben, Gewerbe ausüben? Chremylos: Unsinn! Unsere Diener würden dies schon schaffen. Armut: Diener? Wo würdest du diese nehmen, wenn alle reich wären? Chremylos: Es gäbe schon Leute genug, die uns vom Auslande Sklaven bringen würden, wenn wir ihnen hierfür gut bezahlten. Armut: Wer würde sich denn der Gefahr aussetzen, Menschenraub zu treiben, wenn er ohnehin reich sein könnte? Laßt euch nur sagen: wenn alle viel Geld haben, werden alle selber arbeiten müssen, um sich die Annehmlichkeiten des Lebens verschaffen zu können; euer Gold und Silber wird auch nichts helfen; heute können sich die Reichen alles beschaffen, weil es Arme gibt, die die verschiedensten Warenartikel herstellen, die euch das Leben möglich machen und verschönern. Ihr müßt nur nicht Armut mit Elend verwechseln: Die Menschen sollen nicht elend sein; sie sollen nur nicht im Überfluß leben und den Ansporn zu rüstigem Schaffen verlieren. Ihr sagt doch selber, daß die Armen bessere Menschen seien als die Reichen.

Chremylos und seine Freunde sind durch diese Argumente verblüfft. Sodann erscheint Plutos, geheilt und sehend: Er begrüßt die Sonne, das schöne attische Land und ruft: Ich schäme mich meiner Vergangenheit, ich erröte über die Gesellschaft, in welcher ich mich so lange befand, während ich die Menschen mied, die meine Freundschaft verdienten. Ich will nunmehr den entgegengesetzten Weg wandeln und der Menschheit zeigen, daß es gegen meinen Wunsch war, als ich mit Lumpen und Spitzbuben verweilte.

Das Ergebnis dieser Wandlung ist höchst merkwürdig. Die Bösen verlieren ihren Reichtum. Alle beginnen jetzt, Plutos aufzusuchen, aber der Weg zu ihm geht durch Ehrlichkeit und Weisheit. Und der schönste Witz kommt am Ende der Komödie: Auch die Priester beklagen sich, daß sie nunmehr hungern müssen. Ein Priester klagt: „Seitdem Plutos sehend wurde, bin ich dem Hungern preisgegeben, obwohl ich der Priester des Zeus bin. Ehe alle Menschen reich waren, da pflegten sie zum Tempel zu kommen und zu opfern. Wurde ein Kaufmann von irgendeiner Gefahr errettet, von Reisegefahren oder vom Strafgesetz, so begab er sich in den Tempel und brachte Geschenke; oder wenn Leute Gelübde machten, da riefen sie den Priester. Jetzt kommt niemand. Ich denke daran, den Zeusdienst zu verlassen." Alle wurden gut, weise und reich. —

Der Sinn dieser Komödie kann nur im Worte Goethes zu finden sein: „Laßt uns nur besser werden, bald wird's besser sein." Und dies ist auch der Grundgedanke des Aristoteles.

7. Zeno. — Kommunistische Schilderungen: Das hellenische Ägypten.

Der kommunistische Gedanke oder wenigstens der Gleichheitsgedanke muß in Hellas sehr stark gewesen sein, wenn ein so individualistisch und „bürgerlich" veranlagter Geist wie Aristoteles ihm Zugeständnisse machen mußte. Dann kam die stoische Schule, die, wie bereits in unserer Einleitung auseinandergesetzt wurde, die Grundsätze des anarchischen Kommunismus und der internationalen Brüderlichkeit verbreitete. Über ihren Begründer Zeno ist wenig bekannt; seine Schriften sind bis auf wenige Bruchstücke verlorengegangen, aus denen nur hervorgeht, daß er das Naturrecht als den einzig gültigen Leitfaden des Lebens betrachtete. Also: keinen Staat, keine Gerichtshöfe, keine Menschengesetz«, sondern Gütergemeinschaft, Gleichheit der Geschlechter, Verbrüderung der ganzen Menschheit. Zur Ausbreitung der Platonischen Gedanken durch die Stoa trugen noch zwei politisch-geographische Ereignisse bei: i. der Zug Alexanders des Großen nach Vorderasien und Indien (334—323), der zwar zu keiner dauernden Weltreichgründung führte, aber die weiten Ländereien von der Adria bis zum Indus und von der Donau bis zum Nil der hellenischen Sprache und Bildung zugänglich machte; 2. die nachherige Entstehung des römischen Weltreiches, das diesem Länderraum noch weitere Gebiete im Westen und Norden hinzufügte, und in welchem eine einheitliche Gedankenwelt sich bilden konnte. Im Römischen Reiche war der Hellenismus die geistige Weltmacht und in ihr herrschten philosophisch und sozialethisch Plato und Stoa vor. Das Leben in Gütergemeinschaft wurde für die höchste soziale Tugend gehalten, und man fand ein Vergnügen daran, sozialreformerische Gesetzgeber und Könige, sowie kommunistische Denker und Menschenvereinigungen besonders auszuzeichnen. Diese Tendenz fanden wir bei Philo und Josephus hinsichtlich der Essäer, bei Plutarch hinsichtlich der spartanischen Gesetzgeberund Reformer. Ebenso gern schilderte man unbekannte kommunistische Gemeinwesen. Diodor (um die Mitte des i. Jahrhunderts v. Chr.) sammelte in seiner „Ge-schichtsbibliothek" (2. Buch, 55.—60. Kapitel; 5. Buch, 41.—46. Kapitel) einige dieser Schilderungen. Wir lesen da von sonderbaren Menschen, die ein gewisser Jambulos und sein Freund auf einer Geschäftsreise nach den Gewürzgegenden auf einer Insel (im Indischen Ozean) entdeckte: „Die Einwohner (von wundersamer körperlicher Beschaffenheit) leben noch nach der Verwandtschaft in Familien und Stämme gegliedert, jedoch nie mehr als 400 in einer Gesellschaft. Sie leben auf Auen und Wiesen, da das Land ihnen die Nahrung reichlich bietet; der Boden der Insel ist vortrefflich, die Luft von bester Beschaffenheit, so daß die Nährpflanzen von selbst in größerer Fülle wachsen, als man ihrer bedarf... Auch reichliche Wasserquellen sind vorhanden, teils warme zu

Bädern, welche jede Ermüdung rasch heben, teils kalte von großer Süßigkeit und Heilkraft. Auf Wissenschaften wird bei ihnen alle Sorge verwendet, besonders aber auf die Sternkunde... Die Ehe ist dort nicht bekannt, sondern es herrscht Weibergemeinschaft, und die geborenen Kinder werden als allen gemeinschaftlich auferzogen und von allen gleich geliebt. Solange sie noch klein sind, geschieht es oft, daß die Ammen die Säuglinge vertauschen, so daß nicht einmal die Mütter ihre eigenen Kinder kennen. Deshalb gibt es bei ihnen auch keinen Ehrgeiz, und so leben sie ohne innere Unruhen und Aufstände und setzen die Eintracht über alles... Alle beobachten eine mäßige Lebensweise und genießen nur so viel Speise, als das Bedürfnis erfordert. Die Küche ist einfach; besondere Kochkünste und Tunken und mannigfache Würze sind ihnen unbekannt ..." Das Staatsideal Platos ist hier verwirklicht. Eine andere Schilderung Diodors betrifft den Staatssozialismus. Sie ist dem griechischen Schriftsteller Euhemeros, einem Zeitgenossen Zenos, entnommen, der in seiner „Heiligen Urkunde" den Nachweis zu führen versucht, daß die Götter keine übersinnlichen Wesen seien, sondern heldenhafte Männer waren, die von den Menschen vergöttert wurden. Euhemeros will diese Erkenntnis in den Inschriften auf der Insel Hiera (an der südarabischen Küste oder an der südägyptischen Küste) entdeckt haben. Nebenbei beschreibt er die Einrichtungen dieser Insel, die dem Ideal des ägyptischen Staatssozialismus entsprechen. Der Boden des Landes ist unter die Einwohner verteilt, und das beste Ackerlos ist der Anteil des Königs. Das Volk, das die Insel bewohnt, heißt Panchäer... Die gesamte Bürgerschaft ist in drei Klassen geteilt: die erste Klasse ist die der Priester, zu denen auch die Handwerker gehören; die zweite die der Ackerbauer; die dritte die der Krieger und Hirten. Die Priester haben die Oberleitung aller Dinge; die Ackerbauer bebauen den Boden und liefern den Ertrag als Gemeingut ein; in gleicher Weise liefern auch die Hirten die Opfertiere und den sonstigen Herdenertrag an das Gemeinwesen ab, und zwar alles aufs genaueste, nach Zahl und Gewicht.

Denn es ist Gesetz, daß für sich niemand etwas besitzen darf als ein Haus und einen Garten; alle Erzeugnisse und Erträge nehmen die Priester in Empfang und teilen nach Gerechtigkeit einem jeden seinen Anteil zu; sie selbst aber erhalten einen zwiefachen Anteil" (5. Buch, 41.—46. Kapitel).

Diese Schilderung der Panchäer scheint eine Idealisierung der Zustände Ägyptens zu sein, wie sie unter hellenischer Verwaltung (seit 300) bekannt wurden. Alexander der Große eroberte auch Ägypten, legte die Hafenstadt Alexandria an, die zu einem Hauptsitze hellenischer Kultur wurde. Nach seinem Tode (323) zerfiel das mazedonische Weltreich in zahlreiche Kleinstaaten und in drei Großstaaten: Mazedonien (mit Griechenland), Syrien (Vorderasien) und Ägypten, wo Alexanders Heerführer Herrscherhäuser (Dynastien) gründeten. In Ägypten herrschten die Ptolemäer an Stelle der alten Pharaonen. Die Besitzverhältnisse zeigten in der ptolemäischen Zeit folgende Grundzüge auf: Der König oder der Staat war der alleinige Eigentümer des Grund und Bodens. Privateigentum gab es nur an Häusern, Haus-, Wein-und Gartenland, während das ganze Kornland königlich oder staatlich war und an die Bauern verpachtet wurde; die Pacht war erblich oder befristet, jedenfalls war sie an bestimmte Bedingungen geknüpft. Die Ptolemäer zogen die priesterlichen und Lehensbesitzungen, die aus früherer Zeit bestanden hatten, ein, und die Priester und Lehensherren wurden sodann zu einem Teil des Beamtentums, das das Steuerpachtsystem verwaltete. Die rechtliche Lage der Bauern war eine gute. Je stärker aber die fiskalischen Momente hervortraten, desto willkürlicher wurde das Verhalten des Staates gegenüber der landwirtschaftlichen Bevölkerung, bis sie schließlich zur Hörigkeit herabgedrückt wurde. (Rostowzew, Studien zur Geschichte des römischen Kolonats, S. 11, 15, 58, 61.)

8. Untergang Griechenlands.

Der Peloponnesische Krieg und die hierauf folgenden Kämpfe der einzelnen Staaten (Sparta, Athen und Theben) um die Vorherrschaft (404—362) endigten mit der Vernichtung aller staatlichen Selbständigkeit dieser dichtenden, philosophierenden und experimentierenden Gemeinwesen. Es war ihr Unglück, daß sie kein einheitliches hellenisches Reich gründen konnten. Sie gerieten unter die Herrschaft der Mazedonier, und um die Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. zusammen mit diesen unter die Herrschaft der Römer. Während all dieser äußeren Kriege tobten im Innern heftige Kämpfe zwischen den Besitzlosen und Besitzenden, zwischen sozialen Demokraten und plutokratischen Oligarchen; partielle Neuverteilungen des Bodens, Schuldenkassierungen, Verbannungen und Metzeleien kamen in Zeiten hochgespannter Krisen öfters vor. Der Haß zwischen den beiden Klassen war unauslöschlich. Einen Begriff hiervon erhält man aus Aristoteles' Angabe, daß es in Hellas Oligarchien (Herrschaft eines bevorzugten Standes) gab, in welchen die obersten Behörden bei ihrem Amtsantritt folgenden Eid leisteten: „Ich werde ein Feind des Volkes sein und ich werde alle möglichen Pläne machen, um ihm Schaden zuzufügen" („Politik", V, 9, n). Isokrates berichtet, die Stimmung der Reichen sei so bitter, daß sie ihr Vermögen eher ins Meer werfen würden, als den Armen etwas davon zu geben. Wie der Demos darüber dachte, haben wir aus Plato, Aristophanes und den übrigen sozialen Dichtern gesehen. Denn all diese Denker und Dichter haben ihre Wurzeln nicht nur in den wirtschaftlichen und politischen Zuständen ihrer Zeit, sondern auch in deren geistigem Reflex: im Seelenzustande und in den Klagen der kämpfenden, besitzlosen Volksschichten.

Fußnoten:

1) Übersetzt von Zielinski, „Märchenkomödie in Athen", Petersburg 1885.

2) Die Übersetzung stammt zum Teile von Professor Johann Gustav Droyoen (1808—1884), der sie 1838 veröffentlichte und im Vorwort sich über die Pläne der Frauen folgendermaßen lustig macht und meint, „Weibergemeinschaft, Emanzipation der Weiber oder dergleichen Unsinn" bildeten damals in Athen ein beliebtes Thema. Droysen bemerkt sodann: „Wie lebhaft dergleichen Ideen die Gegenwart bewegen, ... davon gibt ja unsere Zeit die reichlichsten Beispiele: fast jedes Jahr bringt eine neue derartige Idee zum Vorschein, — Emanzipation der Weiber, Eisenbahnen, das junge Deutschland usw. verdrängen einander nach kurzer Alleinherrschaft." Aristuphanes' Werke, übersetzt von Droysen, 1838; Bd. 3, Seite 313. Also um das Jahr 1838 hielt Droysen die Eisenbahnen, die Befreiung der Frau, die liberalen Ideen Jungdeutschlands für vorübergehende und utopische Einfälle.l
 

Editorische Anmerkungen

Max Beer, Allgemeine Geschichte des Sozialismus und der sozialen Kämpfe, mit Ergänzungen von Dr. Hermann Duncker, S. 54 - 89

Der Text ist ein OCR-Scan by red. trend vom Erlanger REPRINT (1971) des 1931 erschienenen Buches in der UNIVERSUM-BÜCHEREI FÜR ALLE, Berlin.

Von Hermann Duncker gibt es eine Rezension dieses Buches im Internet bei:
http://www.marxistische-bibliothek.de/duncker43.html