Generalstreik in der Republik Guinea
Massenausstand vorläufig beendet. Gewerkschaften erreichten erhebliche Zugeständnisse, deren konkrete Auswirkung abzuwarten bleibt

von Bernard Schmid

02/07

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Am vorigen Wochenende (27./28. Januar) wurde auf den Straben von Conakry, und anderer Städe der westafrikanischen Republik Guinea, ausgiebig gefeiert. Freudenschreie, Singen und Tanzen waren angesagt. Nach 17 Tagen Generalstreik scheinen die wesentlichen Forderungen der Streikfront erfüllt worden zu sein, und der alternde Präsident Lansanca Conté sich auf dem Weg des politischen Rückzugs zu befinden. Noch gilt es den weiteren Fortgang der Ereignisse konkret abzuwarten. Die Fortführung des Generalstreiks wurde vorerst ausgesetzt, wobei einer der beiden wichtigsten Gewerkschaftsführer, Ibrahimina Fofana, am selben Wochenende betonte, er sei nur „unterbrochen“. 

Schon jetzt gilt es festzuhalten, dass der  Streik und die Massenbewegung einen durchschlagenden Erfolg hatten. Dabei wurden die Gewerkschaftsführer selbst durch die Bewegung überrollt und unter massiven Druck ihrer Basis gesetzt, für den Fall, dass sie bei den Verhandlungen zu früh nachgegeben hätten. Am Freitag fand im Gewerkschaftshaus der Hauptstadt Conakry, das einige Tage vorher durch eine militärische Sondereinheit (die ‚Bérets Rouges’) mit dem Präsidentensohn Ousmane Conté an der Spitze verwüstet worden war, eine Versammlung statt. Ibrahima Conté und die anderen Gewerkschaftssprecher, die am Montag der vergangenen Woche kurzfristig durch die Bérets Rouge verhaftet und geschlagen worden waren – deren Freilassung aber alsbald erzielt werden konnte -, wirkten angespannt, müde und mit den Nerven fertig. Einen Moment lang zeigte Fofana sich geneigt, dem Verhandlungsergebnis, wie es von Seiten der Emissäre des Präsidenten formuliert worden war, zuzustimmen, ohne noch auf zusätzliche Garantien zu drängen. Daraufhin erhob sich der ganze Saal laut schreiend. „Kollegen/Genossen, ich grübe Euch. Ich habe verstanden, wir bleiben hart“ rief Ibrahim Fofana daraufhin aus.  

Die Sonntags- und Montags-Ausgabe der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ vom 28./29. Januar fasst dazu zusammen: „Diese einstündige Versammlung (...) verdient ihren Platz in der Geschichte der afrikanischen Gewerkschaftsbewegung. Während der Staat mit den Gewerkschaften nur über die unmittelbar materiellen Forderungen der Arbeitenden verhandeln wollte (Lohnerhöhungen, Senkung des Preises für Reis), haben diese politische Forderungen formuliert, wie die Verdrängung des Präsidenten von der Macht und die Rückkehr seines Schützlings, des Oligarchen Mamadou Sylla, ins Gefängnis. (...) Alles sieht danach aus, als hätten die Guineer - denen man nachsagte, sie seien definitiv vom stalinistischen Terror unter der Präsidentschaft Sékou Touré (1958-1984) eingeschüchtert - aufgehört, Angst zu haben.“ 

Aber der Reihe nach...  

Diplomatisches Auftreten ist nicht unbedingt die Sache des 72jährigen Präsidenten der Republik Guinea. Noch am vorletzten Freitag (19. Januar) nutzte Lansana Conté ein Treffen mit den Gewerkschaftsführern, deren Organisationen am 2. Januar einen unbefristeten Generalstreik gegen sein Regime angekündigt und ihn am 10. Januar begonnen hatten, um ihnen zu erklären: „Ich werde Euch töten, so wie Ihr seid. Ich bin Militär. Ich habe bereits Leute getötet.“ Dies war der ultimative Beitrag von Lansana Conté zumThema: Sind Soldaten Mörder? (Oder, wie es Wiglaf Droste einmal angesichts einer Strafbedrohung der Soldaten-Mörder-Äuberung durch deutsche Gerichte so schön formulierte: „Sind Soldaten Faxgeräte? Sackgesichter, zeugungsfähiges Gelichter? ... ...“)  

Am folgenden Tag (dem 20. Januar), anlässlich seines ersten Fernsehauftritts seit Ausbruch der Krise, verhüllte der guineeische Präsident  seine Drohungen etwas besser. „Die Guineer müssen geeint bleiben, vor allem die Soldaten“ erklärte der Präsident, über dessen Gesundheitszustand wilde Gerüchte zirkulieren, vor einer Kulisse bis an die Zähne bewaffneter Offiziere. Das Publikum, bestehend aus Ehefrauen von Berufsmilitärs, gab sich enthusiastisch. Derzeit ist es tatsächlich vor allem die Armee, die den Präsidenten im Amt hält. Er leidet mutmablich an einer Diabetes (aufgrund derer er bei den letzten Präsidentschaftswahlen seine Stimme sitzend aus dem Auto heraus abgab) und an Leukämie, hat sich aber durch eine Verfassungsänderung im Jahr 2001 eine Präsidentschaft auf Lebenszeit garantieren lassen.  

Bis dahin hatte guineeische Regierungskreise auf den Generalstreik eher in einer Weise reagiert, wie man sie auch hierzulande kennt. Der Arbeitsminister hatte beispielsweise erklärt, er „respektiere das Streikrecht“; aber es gelte „auch das Recht auf Arbeit von denjenigen, die arbeiten wollen, zu respektieren“, das durch den allgemeinen Ausstand bedroht sei. 

Dutzende Tote bei Demonstration 

Als am Montag vergangener Woche (20. Januar 2007) rund 30.000 Leute in der Hauptstadt Conakry und weitere Zehntausende im ganzen Land demonstrierten, eröffnete die Truppe das Feuer. Dadurch hinderten sie die Teilnehmer am Protestmarsch in Conakry daran, bis zum Präsidentenpalast vorzustoben, der am äubersten Ende der Halbinsel liegt, auf der die Stadt erbaut ist. Unterwegs hatten die Demonstranten mehrere Schranken und Tore überwinden müssen, aber an der letzten Barriere wurden sie zum Stehen gebracht: an der Brücke des 8. November, im Volksmund auch „Brücke der Gehängten“ genannt, weil dort unter dem Amtsvorgänger Ahmed Sékou Touré öffentliche Hinrichtungen stattfanden. Beim Stoppen der Demonstration kamen schwere Artillerie und die Sondereinheit der „Rangers“, die durch chinesische Offiziere trainiert wird, zum Einsatz. Allein dabei starben rund 30 Personen. Insgesamt sind bisher, laut amtlichen Angaben und Informationen aus den Krankenhäusern 59 Menschen seit dem Ausbruch des Generalstreiks getötet worden (Angaben laut der Sonntags- und Monats-Ausgabe der Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’, 28./29. Januar.) 

Zwei Präsidenten seit der Unabhängigkeit 

„Jene, die die Macht wollen, müssen darauf warten, dass sie an der Reihe sind. Es ist Gott, der die Macht gibt“ fügte Conté bei seinem Fernsehauftritt vor 10 Tagen hinzu. Er selbst übt die Macht im Staate seit 1984 aus. Bis dahin galt er vor allem als exzentrischer Militär, der schnelle Autos und Zigarren liebt. Seine Stunde hatte geschlagen, als der erste Staatspräsident der Republik Guinea seit ihrer Unabhängigkeit von Frankreich 1958, Sékou Touré, starb. Kaum eine Woche hielt sich die Übergangsregierung im Amt, die demokratische Verhältnisse herstellen sollte. Dann putschte Conté am 3. April 1984, der daraufhin zum zweiten Staatsoberhaupt in der Geschichte der Republik wurde.  

Aber es gibt wichtige Unterschiede zwischen seinem Regime und dem seines Vorgängers. Sékou Touré, hochintelligent, war ein überzeugter Kämpfer gegen die Kolonialherrschaft und Vorsitzender der Gewerkschaft CNTG gewesen, bevor er an die Macht kam. Als der französische Präsident Charles de Gaulle 1958 zu Besuch kam, um der Kolonie einen kontrollierten Übertritt in die Unabhängigkeit unter Beibehaltung institutionalisierter privilegierter Beziehungen zu Paris schmackhaft zu machen, lieb Sékou Touré -– seit 1956 Bürgermeister der Hauptstadt –- ihn durch die Menge auspfeifen. Im selben Jahr lehnte Guinea, als einziges afrikanisches Land, bei einer Abstimmung den Vorschlag eines Eintritts in eine postkoloniale „Französische Gemeinschaft“ mehrheitlich ab. Daraufhin erfolgte der Abbruch aller Beziehungen zur bisherigen Kolonialmacht, die Sékou Touré wiederholt zu ermorden versuchte. Der Präsident, der zwischen der – damals noch nicht „turbokapitalistischen“ – VR China und dem sowjetischen Block zu navigieren versuchte, verfiel daraufhin in eine zunehmende Paranoia. Da der Präsident auch nicht durch starke Gegenmächte kontrolliert wurde, begann sein Regime wild um sich zu schlagen, und lieb mehrere zehntausend Menschen im tropischen Konzentrationslager Camp Boiro inhaftieren und foltern. Damals stand Guinea aber bei westlichen Marxisten, die diese hässliche Seite der damaligen Periode nicht kannten oder nicht sehen wollten, noch hoch im Kurs: Man verglich Sékou Touré mit Che Guevara und lieb sich gern mit ihm fotographieren. Die Schattenseiten des tropischen Stalinismus wurden dafür auch gern mal übersehen. 

Unter Lansana Conté haben sich die Verhältnisse gewandelt. Intellektuelle im Ausland interessieren sich nicht mehr für Guinea, das im Gegenzug in der Gunst der Europäischen Union und anderer Mächte (vor allem der USA, die dort stark im Bauxit-Abbau involviert sind) spürbar gestiegen ist. Conté lieb zunächst in den neunziger Jahren erstmals wieder mehrere Parteien und formal auch Gewerkschaften –- die unter Sékou Touré nach den ersten Jahren seiner Präsidentschaft verboten worden waren –- legal zu, bevor er spätestens zu Anfang dieses Jahrzehnts eine harte autoritäre Wendung einlegte. Aber aufgrund einer rabiaten Privatisierungspolitik und von Abkommen mit dem Internationalen Währungsfond (IWF), die eine Abwertung der Währung – des guineeischen Franc – zur Folge hatten und die Importe stark verteuerten, haben sich die Lebensbedingungen drastisch  verschlechtert. Die durchschnittliche Lebenserwartung fiel von 58 auf 48 Jahre. Damit gehört Guinea heute zu den 34 Ländern des Planeten, in denen die Lebenserwartung am niedrigsten ist (und unter 49 liegt). 

In Wirklichkeit ist das Land reich. Es zählt neun Millionen Einwohner auf einer Fläche annähernd so grob wie die Bundesrepublik, wobei aber das Klima unvergleichlich günstiger ist und mit natürlich wachsenden Nahrungsmitteln nicht spart. („Man muss nur in den Busch sch... und ein Jahr später wiederkommen, um zu sehen, was an der Stelle gewachsen ist“, meint dazu ein guineeischer Oppositioneller in Paris.) Aber auch unter dem Boden der Republik liegen erhebliche Reichtümer. Es ist der gröbte Exporteur von Bauxit für die Aluminiumindustrie, wovon zwei Drittel der weltweiten Vorräte in Guinea lagern sollen. US-Amerikaner und der frühere französische Marktführer in der Aluminiumindustrie Péchiney stritten sich seit langem um diese Rohstoffvorkommen. Auf dem Staatsgebiet dr westafrikanischen Republik werden aber auch Eisen, Uran, Diamanten und andere mineralische Rohstoffe gefördert. Zudem gilt das Bergland von Guinea als der Wasserspeicher Westafrikas, Wasser und Elektrizität werden in Nachbarstaaten ausgeführt. Aber in Conakry haben viele Menschen kein Trinkwasser und nur zwei Stunden Strom an jedem zweiten Tag. Unter diesen Umständen dienen etwa Kühlschränke zu nichts.  

Die Lebensbedingungen sind deshalb so kastrastophal, weil ausländische Konzerne sich den Löwenanteil an den Exporterlösen unter den Nagel reiben, aufgrund der astronomische Staatsverschuldung (die Auslandsschuld beträgt nominal 62 Millionen Dollar, obwohl sie in den vergangenen Jahrzehnten faktisch mehrfach zurückbezahlt worden ist), aber auch aufgrund der grassierenden Korruption. Inländische Selbstbereicherung einiger Individuen und international organisierte Ausplünderung des Landes gehen dabei oftmals Hand in Hand miteinander einher. So sind viele besonders krasse Figuren des Korruptionssystems deshalb so reich, weil sie Importlizenzen für westliche Exporteure besitzen, die den einheimischen Markt monopolisieren, um dort ihren Überschuss an Produkten abzusetzen. „Einer der reichsten Männer in der Volksgruppe der Peul ist ‚Bobo’, der als Strohmann für belgische Kapitalinteressen firmiert. Ihm ist zu verdanken, dass eine belgische Supermarktkette riesige Niederlassungen im Land errichten konnte. Die Produkte trugen früher (vor dem Euro) oft noch Etiketten, die die Preise in belgischen Francs auswiesen. Man hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, die Waren umzuetikettieren.“ (C., ein guineeischer Oppositioneller, der in Paris im Exil lebt) 

Mamadou Sylla, Symbol der Selbstbereicherung 

Raub und Korruption werden im Land zur Zeit in der guineeischen Öffentlichkeit vor allem mit einem Namen verbunden: Mamadou Sylla, Multimillionär, Chef des Unternehmens Futurelec und persönlicher Freund des Präsidenten. Bis vor kurzem war er auch der Chef des lokalen Unternehmerverbands, aber aufgrund der jüngsten Ereignisse wurde er von diesem Posten abgesetzt, „was ihn in rasenden Zorn versetzt“ (laut dem Sonderberichterstatter von ‚Le Monde’ in Conakry, Ausgabe vom 30. Januar). 

Sylla gehört zu jenen privaten Geschäftsmännern, denen Präsident Conté 1986 ein Guthaben in die Hand gedrückt hat, um eine private Unternehmerklasse zu schaffen – er hat es aber als einziger nie zurückgezahlt. Später wurde Sylla zum offizieller Importateur von Waffen für die guineeische Armee, und er hält zahlreiche Einfuhrmonopole. Er schuldet dem Staat einen ziemlichen Berg Kohle, die Rede ist von circa 24 Millionen Dollar -- aber jedes Mal, wenn ein konkreter Schuldtitel gegen ihn geltend gemacht werden soll, zieht er ein Papier aus der Tasche, das beweisen soll, dass die öffentliche Hand ihm seinerseits angeblich noch Millionen schulde. Zum Dank hat er dem Staatschef Conté im Jahr 2001 seine Kampagne zur Verfassungsänderung, die ihm (mittels eines offenkundig manipulierten Referendums) ein weiteres Amtieren ermöglichte, in Höhe von vier Millionen Dollar finanziert.  

Sylla, der auch Ehrenbürger der Stadt New York ist, wurde im Westen oftmals als Beispiel erfolgreicher Privatinitiative gehandelt. Mit den Franzosen hat er es sich allerdings möglicherweise verscherzt, jedenfalls soll deren Botschaft in Conakry angeblich seinen Diplomatenpass einkassiert und nicht wieder herausgerückt haben, als der Mann dort Ende vorigen Jahres ein Visum beantragte. Gut möglich ist aber, dass Mamadou Sylla in jüngerer Zeit schlicht französischen Geschäftsinteressen im Lande in die Quere gekommen ist oder aus ihrer Sicht zu eng mit den US-Amerikanern verbunden war. Sylla selbst sieht angeblich in dem jüngsten Generalstreik „ein Komplott, bei dem die Weiben ihre Finger im Spiel haben“. Pure Demagogie, was ihn betrifft!  

Ansonsten hatte er in jüngerer Vergangenheit auch öffentlich Ambitionen auf die Nachfolge des Präsidenten geltend gemacht. Aber im vorigen Jahr wurde der Druck aus der Bevölkerung und aus Teilen der politischen Klasse zu grob: Mamadou Sylla landete am 16. Dezember 2006 hinter Gittern. Aber nicht für lange. Denn dann befreite ihn der Präsident persönlich aus seiner Gefängniszelle und führte ihn zu einem drauben wartenden Fahrzeugkonvoi. Seiner Umgebung, die sich konsterniert zeigte, lieferte der Präsident eine Erklärung: „Die Justiz bin ich“. 

Bei der Bevölkerung kam das nicht so gut an. Diese Freilassung bildete den zündenden Funken, der die Lunte des jüngsten Massenausstands in Brand setzte. Und die Gewerkschaften lehnten Syllas grobzügiges „Angebot“, persönlich als Verhandlungsführer zwischen dem Präsidenten und ihnen zu firmieren, strikt ab: Alles, was sie von ihm möchten, ist, ihn hinter Gittern schmoren zu sehen. 

Gewerkschaften in Guinea 

In Guinea gibt es heute nicht nur eine operettenreife politische Klasse, sondern auch real verankerte politische und soziale Gegenkräfte. Die wichtigsten unter ihnen sind die beiden Gewerkschaftsbünde CNTG (Nationale Konföderation der guineeischen Arbeiter) und USTG (Gewerkschaftliche Union der guineeischen Arbeiter). Seit 2004 konnten sie wieder aktiv werden, nachdem sie zuvor unter der Präsidentschaft Lansana Contés nur formal zugelassen worden waren. Ihre Reputation ist weitaus besser als jene der Oppositionsparteien, deren wichtigste sich nun allerdings seit Beginn des Generalstreiks Anfang Januar 2007 an die beiden Gewerkschaftszentralen angehängt haben.  

90 Prozent der abhängig Beschäftigten im Land, abgesehen einmal vom informellen Sektor, sollen gewerkschaftlich organisiert sein. Guinea ist das einzige Land des afrikanischen Kontinents, in dem eine Frau einem Gewerkschaftsverband von Gewicht vorsteht, die CNTG-Vorsitzende Rabiatou Sera Diallo. Ferner ist wichtig, dass interethnische Konflikte – anders als in westafrikanischen Nachbarländern – trotz verknappter Ressourcen und elender Lebensbedingungen nicht dieselbe Rolle spielen wie in Nachbländern wie der Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste). Auch wenn es 1977 (damals mit über 1.000 Toten) und in geringerem Mabe im vorigen Jahr Gewalt bei Zusammenstöben zwischen Bevölkerungsgruppen gegeben hat. Die Mehrheit der Bevölkerung des Landes aber will „Guinea den Vorrang“ vor den Interessen der einzelnen Ethnien geben. Es existiert real ein kollektives politisches Selbstbewusstsein, das mit den Pfiffen gegen den französischen Präsidenten de Gaulle bei seinem Besuch von 1958 zusammenhängt: Guinea ist das einzige Land der Region, das dem Kolonisator die Stirn gezeigt hat. Dies hat sich tief ins Massenbewusstsein eingeprägt.  

Mehrere Generalstreiks seit 2003 

Der Ausstand ist nicht der erste der jüngeren Zeit in Guinea. Im November 2005 fand bereits eine breitere Mobilisierung statt, die auch auf Schüler und Studenten übergriff. Letztere klagten Zustände an, in denen ganz Klassen ohne Lehrer bleiben, weil diese aufgrund der gestiegenen Treibstoffpreise nicht einmal den Transport bis zur Schule bezahlen können. Angesichts der Teuerung durch eine Jahresinflation von 30 Prozent sowie durch die Abwertung der Landeswährung forderten die Streikenden eine Anhebung aller Löhne, Gehälter und Renten auf das Vierfache. Im März und im Juni 2006 kam es zu erneuten Massenstreiks, bei denen die Repression jeweils etwa zehn Tote forderte. Allerdings brachten sie auch greifbare Ergebnisse: Beim ersten Mal wurde allen Staatsangestellten eine 30prozentige Lohnerhöhung als Inflationsausgleich zugestanden. Vor allem konnte die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns erzwungen werden. Der Monatslohn für einen Staatsangestellten beträgt rund 20 Euro. Die beiden Gewerkschaftsvorsitzenden Rabiatou Sera Diallo (CNTG) und Ibrahima Fofana (USTG) wurden daraufhin vor das Parlament zitiert, wo man ihnen vorwarf, „Feuer im Land legen“ zu wollen. Doch die Anklage wurde sich gegen ihre Urheber gekehrt. Sera Diallo schilderte in für alle im Land verständlichen Worten, welche Auswirkungen die verfolgte Wirtschaftspolitik für sie und ihre sechs Kinder haben. Dabei griff sie die Anklage des Feuerlegens auf: „Wenn ich ein Feuer entzünde, dann im allgemeinen unter einem Topf, um etwas zu essen zuzubereiten. Aber heute zünde ich kein Feuer an, weil der Topf leer ist. Und warum ist er leer?“ Ihr Kollege Fofana, ein ehemaliger Wirtschaftsprofessor an der Universität, schalt seine ehemaligen Studenten auf der Regierungsbank, sie hätten von dem empfangenen Unterricht nichts im Kopf behalten. Die Minister saben da wie gescholtene Jungen.  

Beim zweiten Arbeitskampf im Juni 2006, aufgrund dessen fast alle Geschäfte schloss und die Hauptstadt Conakry wie ausgestorben blieb, konnte wiederum eine Anhebung der Löhne um 25 Prozent erreicht werden. Auch ein staatlicher Zuschuss zu den Transportkosten und die Übernahme von 12.000 Lehreren, die bis dahin von höchst prekären Zeitverträgen abhängen, in ein Festanstellungsverhältnis wurden erreicht.  

Aber beim dritten Mal waren es in erster Linie politische Forderungen, die Anfang Januar den Stein ins Rollen brachten. Als erstes wurde durch die Streikenden verlangt, dass der korrupte Geschäftsmann Mamadou Sylla wieder in seiner Gefängniszelle landen müsse. Hinzu kamen die Forderungen nach der Entlassung des Transportministers, und nach einer Absenkung der staatlich festgesetzten Preise für das Grundnahrungsmittel Reis und für die Transportmittel. Aber inzwischen hat sich die Bewegung radikalisiert, und es steht hauptsächlich noch eine Forderung im Mittelpunkt, die in den Anfangstagen noch nicht explizit erhoben worden war: Weg mit dem Präsidenten!  

„Quitte le pouvoir!“ = Hau ab! 

Im Oktober 2006 hätte ein Konzert mit dem im ganzen französischsprachigen Afrika extrem populären Reaggaestar Tiken Jah Fakoly (vgl.http://www.labournet.de; http://www.tikenjah.net) in der guineeischen Hauptstadt Conakry stattfinden sollen. Alle Eintrittskarten waren ausverkauft. Aber in letzter Minute wurde der Auftritt auf persönliche Intervention des Präsidenten hin abgesagt.  

Tiken Jah Fakoly stammt aus der Côte d’Ivoire, aber lebt in Malis Hauptstadt Bamako. Einer der beliebtesten Hits des Reaggeasängers, der auch aktiv gegen die Zahlung der Auslands„schulden“ und den Neokolonialismus eintritt, heibt „Quitte le pouvoir!“ (Tritt von der Macht ab!) Und sie richtet sich, im unverschämten Duz-Tonfall, an alle mehr oder minder diktatorisch regierenden afrikanischen Präsidenten, von denen viele unter anderem von Frankreichs Gnaden abhängen. Auf den Leib geschrieben war es wohl dem ivoirischen Präsidenten Laurent Gbagbo, aber angesprochen dürfen sich auch eine Stange anderer afrikanischer Staatsoberhäupter. Lansanca Conté hatte deshalb den Braten gerochen, dass sich das etwas für ihn Unangenehmes zusammenbrauen könnte. Seine Vorahnung trog ihn nicht: Im Januar 2007 wurde  „Quitte le pouvoir“ auf allen Straben von Conakry gesungen.  

Ausgewählte Zeilen dieses Songs lauten: „Eine Sekunde mehr, ist eine Sekunde zu viel! Eine Minute mehr, ist eine Minute zu viel! Das neue Mandat, ist das Mandat zu viel. (...) Da ist die Tür, geh’ in Ruhe raus. (...) Hé, bist Du taub, oder was?“ 

Vorläufige Ergebnisse 

Noch ist unklar, ob der Präsident doch noch freiwillig abtreten wird, ob sein Geisteszustand dies zulässt und es ob es dafür nicht zu spät ist. Am Dienstag voriger Woche (23. Januar) kam es zur ersten Unterredung zwischen den Gewerkschaftsführern und der First Lady, Henriette Conté, die die diplomatischen Aspekte lieber selbst in die Hand genommen hat. Als Erstfrau des Präsident -- der neben dieser christlichen Gattin auch noch eine muslimische Zweit- und Drittfrau hat, man will doch undogmatisch sein -- plädierte sie mit einiger politischer Intelligenz für die Aushandlung einer politischen Übergangslösung. Die anderen Ehefrauen von Lansance Conté hingegen drängten ihn dazu, hart zu bleiben. Hätte Conté jedoch jedes Nachgeben verweigert, dann hätte es letzlich nur zwei Auswege gegeben: Eine direkte Machtübernahme durch die Armee, deren 8.000 Mann Berufsmilitärs erhebliche Angst um ihre Privilegien haben und deshalb Gewehr bei Fub bleiben. Oder einen Sturz seines Regimes durch die Strabe, wobei der politische Ausgang dann noch hätte definiert werden müssen, angesichts der eher geringen Glaubwürdigkeit der Oppositionsparteien. Für den Montag dieser Woche, 29. Januar war bereits eine erneute Massendemonstration angesetzt worden. Conakry bereitete sich schon auf ein neues Blutbad vor, ohne dass dies die Teilnehmer der Massenbewegung zum Kapitulieren bewogen hätte. 

Drei Tage dauerten daraufhin die Gespräche, die am Freitag zu Ende gingen. Dabei einigte man sich auf die Einsetzung eines Premierministers, der „im Konsens“ ernannt werden soll. Bis dahin gab es diesen Posten laut der guineeischen Verfassung nicht, sondern nur einen „Minister für Präsidentschaftsangelegenheiten“, der auf Gedeih und Verderb vom Staatsoberhaupt unmittelbar abhing. Die Person, die dieses Amt ausüben soll, ist bisher noch nicht bekannt. Aber die Verhandlungsparteien einigten sich am Freitag auf einen Gesetzentwurf, der durch die Gewerkschaften formuliert wurde und dem neuen Regierungschef umfassende Vollmachten geben soll. Der amtierende Präsident soll dadurch politisch marginalisiert und auf die Rolle einer Art „moralischer Autorität“ (so die, nun ja, zweifelhafte Formulierung von ‚Le Monde’) reduziert bzw. weggelobt werden. Ob dies so wie geplant und erhofft funktionieren wird, bleibt unterdessen noch abzuwarten. Ferner einigten sich die Verhandlungsparteien aber auch auf eine Senkung der Preise für das Grundnahrungsmittel Reis und für Treibstoff. 

 „Jetzt gilt es nur noch einen glaubwürdigen Kandidaten (für den Posten des Premierministers) zu finden“ erklärte der Pastor Etienne Leno, der zu jenen Kirchen- und Moscheenvertretern gehört, die eine Vermittlerfunktion für den Präsidenten übernommen haben. Alle Probleme dürften damit nicht gelöst werden, zumal die „Reformer“ der politischen Klasse – wie der im letzten April geschasste „Minister für Präsidentschaftsangelegenheiten“ Cellou Dallein Diallo – oft „moderne“ Lieblinge des IWF und der Weltbank sind. Von ihnen erwarten die internationalen Finanzinstitutionen und westlichen Gläubiger, dass sie die Korruption reduzieren, aber nicht die wirtschaftlichen Abhängigkeiten in Frage stellen. Da der aktuelle Ausgang des Generalstreiks jedoch allgemein als Erfolg der Massenproteste wahrgenommen wird, dürfte es eine künftige Regierung dennoch äuberst schwer haben, dem Druck zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen zu widerstehen. 

Post scriptum 

Übrigens fanden während der „heiben Phase“ des Generalstreiks auch in Paris und in Washington (und vielleicht noch an anderen Orten) Solidaritätsdemonstrationen, vor den örtlichen Botschaften der Republik Guinea, statt. In der französischen Hauptstadt demonstrierten so am Samstag, 20. Januar rund 500 Menschen in Solidarität mit dem Massenausstand, es dürfte sich allerdings überwiegend um guineeische Staatsbürger gehandelt haben. Ein verstärktes Ausmab an Solidarität in den früher so genannten „Metropolen“ wäre durchaus wünschenswert.

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Text am 3.2.2007 vom Autor.