Jürgen Elsässer: „Angriff der Heuschrecken“
Manifest für einen „linken Populismus“
von
Bernard Schmid

02/07

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Ein Manifest für einen linken Populismus möchte Jürgen Elsässer mit seinem neuen Buch vorlegen – dies festzustellen, dürfte der Wortwahl des Verfassers ebenso wie seinen Intentionen gerecht werden.  

Ausgangspunkt für ihn ist die Frage, wie in Zeiten, da das Massenelend auch in die Kernländer des Kapitalismus zurückkehrt, die Linke wieder an die „ganz normalen Leute“ oder jedenfalls an die Opfer der Verhältnisse herankommen kann. Ein im Kern nicht unberechtigtes Anliegen, sofern man es wirklich ernst mit dem Willen nach Veränderung meint – das aber nicht durch guten Willen und Beschwörung allein erfüllt werden kann. Die Frage wird nicht erst seit gestern aufgeworfen, sondern hat eine Vielzahl unterschiedlicher linker Strömungen seit 1968/69 mit wechselndem Erfolg umgetrieben. Manche traten mit vermeintlichen Patentrezepten an, andere in einem Prozess von Trial and error. Oft freilich endete der beschriebene Wunsch damit, dass die Linken aufhörten, wirklich links zu sein: Um den Leuten näher zu kommen, wollte man nicht länger mühselig versuchen, linken Ideen in Deutschland etwas Raum zu verschaffen – sondern die Linken wurden einfach ihrerseits „deutsch“, deutscher, am deutschesten. Daran, also am Risiko, selbst so zu enden, müssen linke Ansätze gemessen werden. 

Elsässer meint einige Ansatzpunkte für den Hebel des Veränderungswillens gefunden zu haben. Der zeitgenössische Kapitalismus verändert sich und produziert auch im reichen Deutschland Verwerfungen, an die etwa im Stuttgart der achtziger Jahre so nicht zu denken war. Die Beobachtung ist grundsätzlich richtig, ebenso wie Jürgen Elsässers Feststellung, dass sich die Bedeutung des Nationalstaats in den jüngsten Erscheinungsformen des Kapitalismus gewandelt habe und dass der historische Faschismus wohl nicht in ein- und derselben altbekannten Form wiederkehren werde. Höchst fragwürdig ist freilich die hemdsärmelige „Analyse“, die der Autor damit verknüpft – und als Grundlage seiner Strategie heranzieht.

Analyse des zeitgenössischen Kapitalismus: Setzen, fünf...

„Aliens“ hätten das Kommando über die Wirtschaft übernommen (S. 18 ff), schreibt Elsässer unter Bezug auf ein, nun ja, populärwissenschaftliches Buch von Christoph Spehr aus dem Jahr 1999 - weshalb „der Kapitalismus seine Produktionsgrundlagen vertilgt und die menschliche Arbeitskraft ausspuckt“. Dies schildert Elsässer, der eindrucksvolle Sprachbilder liebt und gern mit ihnen arbeit, als „die Ankunft des Todessterns“. Mit Hilfe dieser plakatativen Formulierungen beschreibt Elsässer die Verwandlungen, die seit den 1970er Jahren in den kapitalistischen Kernländern vor sich gehen. Akteure sind dabei „die multinationalen Finanzmärkte und die globalen Finanzmärkte“ (Elsässer zitiert ausführlich Spehr), oder auch „die Heuschrecken“, wie Jürgen Elsässer sie ansonsten gerne nennt. Sie entzögen dem „ordinären“ Kapital, das bis dahin im Ausbeutungsprozess zumindest die Grundlagen der Reproduktion der menschlichen Arbeitskraft gewahrt habe – was freilich auch damals nur in den Metropolen, und nur sehr bedingt in der Dritten Welt zutraf – zunehmend die materiellen Grundlagen. 

Elsässer entmaterialisiert dabei die Kapitalismuskritik, er löst den Gegenstand seiner Kritik aus jedem gesellschaftlichen Kontext heraus. Stärker dem konkreten sozialen Kräfteverhältnis entrückte Wesen als „Aliens“ sind, im buchstäblichen Sinne, kaum vorstellbar. Elsässer definiert sie keineswegs als „amerikanisch“, ausländisch oder gar „jüdisch“, vielmehr nennt er – dort, wo er einzelne Namen aufzählt – auch deutsche „Heuschrecken“. Sein Herangehen ist nicht völkisch-antisemitisch. Aber der Angriff der „Aliens“ erscheint wie ein von auben in einen vorherigen, besseren Zustand des Kapitalismus hereinplatzendes Eindringen von Dritten. Eine solche Kapitalismuskritik ohne Bezüge im konkreten gesellschaftlichen Kräfteverhältnis wäre Karl Marx, auf den der Autor sich beruft und positiv bezieht, sicherlich sehr fremd gewesen. Dabei lässt sich auch der Umbruch in den Erscheinungsformen des westlichen Kapitalismus, der - ermangels eines besseren Begriffs – unter dem Begriff des „Neoliberalismus“ zusammengefasst wird (auch bei Elsässer), durchaus als Resultat der inneren Widersprüche einer kapitalistischen Weltgesellschaft analysieren. Die finanziellen Mittel, die beispielsweise in spekulativen Anlagen auf den Finanzmärkten „geparkt“ werden, sind ja zuvor entweder dem Produktionsprozess entnommen worden, weil sich dort (wie quasi überall seit dem Ende der „fordistischen“ Phase ab circa 1975) die Ausbeutung verschärft und/oder die Produktivität deutlich erhöht hat. Oder aber sie stellen wirklich nur fiktives Kapitel dar – aber dieses  ist vor periodischen Entwertungen keineswegs sicher, wie das Beispiel des Platzens der New  Economy-Blase demonstrativ vor Augen geführt hat. In solchen Fällen setzt sich die Materialität der Produktionsverhältnisse gegenüber den virtuellen Spekulationsgeschäften tendenziell wieder durch.  

Hinzu kommt, dass die Akteure der Umbrüche hin zu einem neuen („neoliberalen“) Regulationsmodell – das teilweise die materiellen Grundlage des alten verjubelt - keineswegs so auberhalb der „normalen“ politischen und ökonomischen Sphäre stehen, wie Elsässer suggeriert. Nehmen wir das Beispiel der Veräuberung öffentlicher Dienste: Beim Börsenverkauf der deutschen Telekom erwarben Millionen deutscher Familienväter (und nicht allein irgendwelche anonymen „Heuschrecken“) Anteile, in der Hoffnung, dass auch für sie etwas dabei abfallen möge. Davon würde Elsässer bei seinem Versuch, dieselben Familienväter – die er schon fast direkt als neues revolutionäres Subjekt betrachtet, da „die dauermobilen Singles“ einen Lebensstil im Einklang mit den Flexibilitätserfordernissen des Neoliberalismus stünden, die wiederum die „Häuslebauer“ auf der Strecke lieben – gegen „die Heuschrecken“ zu agitieren, ganz gern abstrahieren. Und auf der Ebene der politischen und ökonomischen Weichenstellungen stoben wir ebenfalls auf ganz konkrete Akteure. Der „Neoliberalismus“ wurde bekanntlich ab 1973 zuerst in Chile nach dem Putsch Pinochets - der durch die USA tatkräftig unterstützt, und durch die westdeutsche Regierung unter Willy Brandt mindestens durch wirtschaftlichen Druck auf die Allende-Regierung vorbereitet sowie politisch begleitet wurde – eingeführt. Dieses südamerikanische Land diente den westlichen Mächten als „Laboratorium“ für die radikale Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen sowie die Umwandlung des Staats durch den Abbau sozialstaatlicher, den Aufbau rein repressiver Funktionen. In der Folgezeit inspirierten sich die USA und Grobbritannien in der Ära Reagan/Thatcher von den Ergebnissen. Aber die weitere Umsetzung der Strukturveränderungen am westlichen Kapitalismus in den Kernländern wurde auch von anderen Akteuren, denen Elsässer bewusst oder unbewusst sehr viel näher steht, betrieben und verwaltet. Beispielsweise wurde das Verscherbeln der französischen Telekom nicht durch schwer identifizierbare „Heuschrecken“ beschlossen, sondern durch eine sozialdemokratische Regierung (1997). In ihr sab damals jener Mann, der – neben dem Saarländer Oskar Lafontaine – Elsässers neuer politischer Held ist,  als loyaler Minister: der französische Linksnationalist und seinerzeitige Innenminister Jean-Pierre Chevènement. 

„Progressive Regierungen von Caracas bis Peking“ 

Als Gegenmodell zu den Umbrüchen des Kapitalismus, die den Arbeitskräften zunehmend die bisher noch vorhandenen Garantien entziehen, stellt Elsässer hin, „wie sich progressive Regierungen zwischen Peking, Brasilia und Caracas gegen den Neoliberalismus wehren“ (S. 16). Wo der Autor später auf dieses Thema zurückkommt, spricht er hingegen vor allem von China, Indien und Brasilien (S. 100: „Reformisten an der Macht“). Das Anziehungskräftige an diesen Ländern sei, so der Verfasser, dass Grundlage der kapitalistischen Reichtumsschöpfung hier immer noch die reale Produktion sei, und dadurch wenigstens noch etwas für die Reproduktion der Arbeitskräfte abgeworfen werde. Dadurch würden diese Nationalökonomien immer noch zu „ein(em) Störpotential für die Welteroberungsstrategie der Heuschrecken“ (S. 103).  

Aber de facto scheint Elsässer hier als einen Gegensatz oder Widerspruch heranzuziehen, was in Wirklichkeit nur zwei Kehrseiten ein und derselben Medaille darstellt: die Veränderung der internationalen Arbeitsteilung in der kapitalistischen Weltökonomie. In früheren Jahrzehnten waren viele, hohen Mehrwert schaffende Tätigkeiten in den Kernländern des Kapitalismus – Europa, Nordamerika – konzentriert, und die meisten anderen Ländern auf eine Rolle als Rohstofflieferanten reduziert. Heute dagegen stoben die höchst entwickelten Länder eine Reihe von Akvititäten ab, um nur noch Kernfunktionen auf ihrem Staatsgebiet zu behalten. Industrielle Fertigungstätigkeiten werden im Weltmabstab in der VR China, in geringerem Mabe auch in Indien konzentriert. Welche Auswirkungen dies auf die internationale kapitalistische Ökomie haben wird und inwiefern es – auch politische? – Kräfteverschiebungen bewirkt, bleibt abzuwarten und näher zu analysieren. In jedem Falle handelt es sich nicht um eine reale Gegenbeweung zur Abwanderung vieler arbeitskräfteintensiver Industrien aus den früheren Metropolen, sondern um denselben Prozess. Die multinationalen Konzerne, von Elsässer unter die „Heuschrecken“ gerechnet, tragen einen mabgeblichen Anteil daran. Als Grundlage einer Gegenstrategie, die sich, so Elsässer, auf „das Proletariat und die bedrohten Staaten“ stützen wird können, taugt die Entwicklung wohl nicht. 

Jürgen Elsässer und die Minderheiten(politik) 

Nicht völlig gerecht hingegen wird dem Verfasser der Vorwurf, den er sich aufgrund von Artikeln aus jüngerer Zeit –- deren Grundgedanken sich in dem Buch wiederfinden -– etwa seitens der PDS-Politikerin Petra Pau zuzog: Er wende sich gegen die Rechte von Minderheiten zugunsten der sozialen Belange der Mehrheit, und strebe deshalb eine Politik ähnlich jener der NPD an. Just diese Kritik der Berliner PDS-Realpolitikerin wird in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift KONKRET von Tjark Kunstreich apologetisch zitiert. Bei so viel Einigkeit zwischen der Ost-Sozialdemokratin und einem der irr(st)en Ideologen der „Antideutschen“ ist vielleicht von vornherein Vorsicht angebracht. Also gucken wir mal gründlicher hin! 

Tatsächlich kritisiert Elsässer die Politik grober Teile der „Neuen Linken“ nach`68 -- deren Geschichte er freilich sehr summarisch und einige bedeutende Brüche überspringend abhandelt –- dafür, dass sie sich nur noch für „Randgruppen“ (so die gleichnamige Theorie von Herbert Marcuse) oder Minderheiten interessiert habe. Dadurch habe sie eine Aufspaltung der Gesellschaft in ein „Patchwork von Minderheiten“ und/oder wechselnden „Identitäten“ begünstigt. Elsässer redet aber nicht einer Unterdrückung von Minderheiten oder ihrer Rechte das Wort. Der Kernsatz in einer Auseinandersetzung, die er darum jüngst mit Kritikern in der PDS führte, lautet: „Was nützt es dem arbeitslosen Schwulen, wenn Senatsgelder für die Veranstalter von Party-Events flieben? Hätte er ein vernünftiges Arbeitslosengeld statt Hartz IV, könnte er mit dieser ökonomischen Sicherheit sein Privatleben so gestalten, wie er will.“  

Tatsächlich ist man etwa im französischen Arbeits- und Sozialrecht (aus gutem Grund) dazu übergegangen, statt einer Vielzahl von Anti-Diskriminierungs-Regeln –- die zum Beispiel die Schlechterstellung von Homosexuellen, Frauen, Moslems oder Atheisten im Arbeitsleben verbietet -– nunmehr einer allgemeinen Regel „Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ den Vorrang zu geben. Natürlich fangen damit die Probleme erst an, denn noch will festgestellt sein, was gleichwertige Arbeit ausmacht, wenn die Tätigkeit von zwei Lohnabhängigen verglichen wird. Aber die prinzipielle Gleichheit hat einen immensen Vorzug gegenüber einem Dschungel spezifischer Diskriminierungsverbote: Im letzteren Falle muss, wer einen zu geringen Lohn empfängt, sich selbst als Teil einer diskriminierten Gruppe definieren. Er oder sie muss sich also als Schwuler, Gewerkschaftsaktivistin, Kleinwüchsiger oder mit sonst irgendeiner Eigenschaft als diskriminiertes Wesen „outen“ –- und dadurch dem Chef diese Eigenschaft womöglich erst bekannt machen! Wo aber ALLE im Prinzip ein gleiches Recht auf ein gutes Leben, und auf die Mittel zu seiner materiellen Absicherung, haben, dort entfällt diese Not.  

Grundsätzlich scheint es Elsässer um einen solchen Universalismus bestellt zu sein. Er entwickelt diesen Ansatz aber nicht hinreichend, sondern definiert ihn letzlich über den Universalität unter seinen Staatsbürgern herstellenden Staat: Da die politische und soziale Regulierung des Kapitalismus durch „die Republik“ – Elsässers Vorbild ist in vielfacher Hinsicht Frankreich – bedroht sei, weil die Staaten im globalisierten Kapitalismus immer weniger Souveränität hätten, gelte es Letztere wieder herzustellen. Gegenüber den entfesselten Märkten, aber auch gegenüber den USA („United States of Aliens“). Dabei sind gerade die Staaten, in ihren repressiven Funktionen – während die sozialstaatlichen Funktionen überall auf breiter Front zurückgebaut werden – doch regelmäbig Instrumente der Durchsetzung des sich verschärfenden Ausbeutungsverhältnisses. Ein Universalitätsanspruch lässt sich aber auch anders als über die Staatsbürgerschaft begründen.  

Zudem läuft Elsässer durch seine plakativen Formulierungen gegen linke Vorlieben für „Multikulti“ und „Gendermainstreaming“ Gefahr, Vorwürfen -– auch falschen –- der Minderheitenfeindlichkeit Nahrung zu liefern. Zudem ist sein Wortspiel, dass darin besteht, dem Vorwurf der „Ausländerfeindlichkeit“ (ein vielfach von Linken falsch verwendeter Begriff, da Rassismus sich oft nicht am Pass festmacht, wie das Begriffspaar Ausländer/Inländer suggeriert) entgegenzuschleudern, heute sei die „Inländerfeindlichkeit“ das zentrale Merkmal neoliberaler Politik, höchst bedenklich. Denn wenn der Verfasser der Auffassung ist, dass neben den im fordistischen Nachkriegskapitalismus der „Wohlstandsjahre“ im Westen besonders unterdrückten Minderheiten –- wie er tatsächlich ausdrücklich konstatiert -- nunmehr AUCH die Mehrheit der (arbeitenden) Bevölkerung ihre Lebensbedingungen unter Druck geraten sieht, nun, dann möge er dies so und bitte nicht anders formulieren. Also schreiben, dass AUCH jene Mehrheit der abhängig Arbeitenden, die nicht in besonderem Mabe diskriminiert sind, NEBEN den stärker bedrückten Gruppen zum Opfer einer Verschärfung der kapitalistischen Verhältnisse werden. AUCH, wenngleich nicht in demselben Ausmab. Würde er es so feststellen, dann könnte man das so stehen lessen. Aber Elsässer stellt die beiden (unexakten) Begriffe der „Ausländerfeindlichkeit“ und der „Inländerfeindlichkeit“ einander gegenüber. Er lässt also faktisch zu, dass die beiden Feststellungen von Leiden gegeneinander ausgespielt werden. Und lässt damit auch die Interpretation zu, dass er möchte, dass es den „Durschnitts-Inländern“ künftig AUF KOSTEN der Anderen (also gegen so genannte „Ausländer“ oder auch Menschen ausländischer Herkunft mit deutscher Staatsangehörigkeit, und andere Minderheiten) besser gehen solle. Darum geht es Elsässer in Wirklichkeit nicht. Wohl aber geht es Kräften von der bürgerlichen Rechten bis hin zur NPD ganz genau darum. Und Elsässer unterschätzt, auf der Suche nach einer neuen Massenbasis, die Dynamik solcher rechter Entwürfe und „Angebote“ zur Krisenbewältigung sträflich. 

Knackpunkt: Haltung zur Immigration 

Aber an diesem letzten Punkt liegt just auch der Hase im Pfeffer, und an diesem Punkt würde ich sehr bedeutende Differenzen zum Verfasser geltend machen wollen. Denn ein sehr wichtiger Gradmesser für Linke, und besonders für ihren Universalismus, war und ist auch ihre Haltung zur Einwanderung. Was Elsässer an diesem Punkt aufbietet, ist fragwürdig. Auch dies mag zu seiner oben konstatierten Blindheit für die Dynamik „rechter“ Angebote zur Krisenbewältigung mit beitragen. 

Selbstverständlich wolle er „für politisch Verfolgte“ das Asylrecht garantiert wissen, schreibt Elsässer (S. 52). Verschweigend, dass auch dieses ehemals vom Grundgesetz (GG) garantierte Menschenrecht seit dem Votum des damals noch in Bonn ansässigen Bundestags vom 26. Mai 1993 sehr stark eingeschränkt worden ist und nur noch eine Ruine darstellt. Und ebenso nicht erwähnend, dass der von ihm in zahllosen Passagen seines Buches favorisierte Oskar Lafontaine dabei, schon seit August 1990 eine Änderung von Artikel 16 GG fordernd, als einer der ersten Sozialdemokraten eine wichtige Vorreiter-Rolle gespielt hatte. Ansonsten aber plädiert Elsässer dafür, dass nun endlich Schluss sein müsse mit neuer Zuwanderung - ohne aber die Rechte der bereits hier lebenden Einwanderer antasten zu wollen -, da diese vom Kapital zur Lohndrückerei organisiert werde (S. 50: „Die Multikulti-Strategie des Kapitals“). Darüberhinaus hat Elsässer bestimmte, von ihm a.a.O. wiedergegebene Äuberungen von hohen Kapitalfunktionären zum Thema Einwanderungspolitik offenkundig bewusst falsch verstanden. So zitiert er den stellvertretenden BDI-Vorsitzenden Hans-Olaf Henkel, der sich (dortselbst) dafür ausspricht, „hoch qualifizierte“ Arbeitskräfte auf den deutschen Arbeitsmarkt einwandern zu lassen –- also, und nur das wird unter dem Label „moderne Einwanderungspolitik“ anvisiert, die Crème de la crème sowie die Inhaber seltener Qualifikationen für den nationalen Standort abzuschöpfen. Genau das ist der Prozess, der EU-weit abläuft, und den beispielsweise der französische Innenminister und Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy unter dem Stichwort „l’immigration choisie“ statt „l’immigration subie“ („ausgewählte Zuwanderung“, statt von Frankreich „erlittene Zuwanderung“) zu organisieren sucht. Elsässer missversteht dies aber (bewusst oder unbewusst) als grünes Licht für eine allgemeine neue Einwanderungswelle, welcher er lieber Einhalt gebieten möchte: „Während Zehntausende von einheimischen Jugendlichen keine Lehrstelle finden, fordert der DIHK (Deutsche Industrie- und Handelskammertag) Ausländer rein“ (S. 51). Und an diesem Punkt wird es wirklich gruselig. 

Der Streit darüber, ob Immigration nur eine Waffe des Kapitals sei, um die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt zu verschlechtern, oder aber notwendig aus der wachsenden eltweiten Ungleichheit resultiere – und mit der Forderung nach Rechts- und Lohngleichheit am besten zu beantworten sei, ist so alt wie die Arbeiterbewegung selbst. Hier bietet Elsässer, unter positiver Berufung auf Oskar Lafontaine, Altbekanntes und sehr wenig Progressives im Gewand der Originalität.

Jürgen Elsässer, Jürgen
Angriff der Heuschrecken.
Zerstörung der Nationen und globaler Krieg.

Pahl-Rugenstein, 2007
17.90 €

 

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Text vom Autor zur Veröffentlichung.