Schüsse vor dem Start

von Bernard Schmid

02/08

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Aufgrund djihadistischer Aktivitäten in der Region musste die diesjährige Ausgabe der Rallye ‚Paris-Dakar’, die überwiegend über mauritanisches Territorium führen sollte, annulliert werden (worin an und für sich kein Verlust liegt). Unterdessen setzen bewaffnete Djihadistengrüppchen in Algerien, aber auch in den Nachbarländern der Sahara ihre terroristischen Aktivitäten fort, zuletzt am 29. Januar in Algerien und am 1. Februar in Nouakchott (Mauretanien)

Im vergangenen Jahr hat der Doping-Skandal die Tour de France verhagelt, und zu Beginn dieses Jahres wird das Auto- und Motorradrennen „Le Dakar 2008“ annulliert: Französische Sportereignisse scheinen vom Unglück verfolgt. Die Ursachen dafür sind freilich nicht dieselben, und der wesentlichste Zusammenhang besteht darin, dass in beiden Fällen derselbe Veranstalter getroffen wurde: Amaury Sport Organisation (ASO), der zum Pressekonzern Amaury gehört, dem Eigentümer der Sportzeitung L’Equipe sowie der Boulevardzeitung Le Parisien. 

Rund ein Drittel des Umsatzes von ASO, jährlich rund 135 Millionen Euro, werden mit dem 1978 gegründeten Rennsportereignis zwischen Europa und Westafrika erzielt. Dieses wurde früher unter dem Namen „Paris-Dakar“ bekannt, aber die Fahrer starten inzwischen von der portugiesischen Hauptstadt Lissabon aus. Das Rennen ist äußerst umstritten, unter anderem aufgrund der mangelnden Sicherheitsvorkehrungen für die afrikanischen Bevölkerungen, die entlang der Rennstrecke wohnen. So wurden bei der vorletzten Ausgabe, 2006, ein senegalesisches und ein guineeisches Kind bei der Vorbeifahrt der Rallye getötet. Nach Angaben der Pariser Abendzeitung Le Monde hat das Rennen sogar - seit Bestehen des „Paris-Dakar“ - insgesamt „rund 50 Personen das Leben gekostet, darunter 17 Zuschauern und unter ihnen acht Kinder“. Aber auch der Gründer des Rennsportereignisses, Thierry Sabine, kam 1986 selbst während des Rennens ums Leben, als ein Hubschrauber abstürzte. 

Nicht wenige Beobachter/innen in Frankreich waren deshalb gar nicht unfroh, als am vorletzten Freitag – dem Vorabend des geplanten Starts – die Nachricht von der Absage des diesjährigen Rennens eintraf. Allerdings zählten die Gründe, aus denen die Annullierung des Starts erfolgte, „leider nicht zu denen, die man begrüßten könnte“, wie die französische Bewegung gegen Rassismus und für Völkerfreundschaft (MRAP) in einer Presseerklärung hinzu fügte. 

Die französische Regierung, bei deren Kabinettssitzung Anfang Januar die „Sicherheitsbestimmungen für die Rallye Dakar 2008“ als Thema auf die Tagesordnung gesetzt worden waren, hatte zuvor erheblichen Druck auf ASO zugunsten einer Absage ausgeübt. Im Hintergrund standen die Ermordung vier französischer Touristen am 24. Dezember 2007 in der Nähe von Aleg, im Südosten Mauretaniens, sowie drei Tage später mehrerer mauretanischer Soldaten im nordöstlichen Landesteil. (Bei letzterem Attentat waren drei Soldaten in einem Hinterhalt getötet worden, als sie sich einem unidentifiziert gebliebenen Fahrzeug näherten, das auf ihre Basis in El-Ghallawiya zugefahren war.) Daraufhin war am 29. Dezember eine Botschaft von „Al-Qaïda im Land des islamischen Maghreb“ – französischen AQMI abgekürzt – im Internet aufgetaucht, welche die Regierung in Nouakchott dafür kritisierte, „mit den Kreuzrittern, den Apostaten und den Ungläubigen“ bei der Organisierung des Autorennens zusammenzuarbeiten.  

Acht von 15 Stationen des Rennens „Dakar 2008“ sollten in Mauretanien stattfinden. Die Behörden in Nouakchott taten alles, um den Eindruck zu erwecken, dass die Sicherheit des Großereignisses gewährleistet sei – und versprachen, 4.000 Soldaten dafür abzustellen, davon die Hälfte in Uniform und in Zivil. Einem Bericht der Wochenzeitschrift Jeune Afrique zufolge sind die mauretanischen Regierungsvertreter im Nachhinein heftig erzürnt darüber, dass die französische Seite ihre Angebote aus dem Wind geschlagen habe und sich gleich für die radikalste Maßnahme; die Annullierung, entschieden habe. Aus ihrer Sicht überwiegen die wirtschaftlichen Ausfälle, da mit den geplanten Stationen des Autorennens in dem Wüstenstaat auch Deviseneinnahmen erwartet wurden. Hingegen ging die französische Führung davon aus, dass für eine Auto- und Motorradkarawane von rund 300 Kilometern Länge – mit 900 teilnehmenden Fahrzeugen und 2.500 Personen – die Sicherheit nicht ausreichend gewährleistet werden könne. 

Das Attentat auf die Franzosen vom „Heiligabend“ 

Die Befürchtungen gingen vor allem auf den Mord an vier Franzosen am 24. Dezember in der Nähe der Wüstenstadt Aleg zurück. Zwei erwachsene Brüder, ihr 73jähriger Vater, dessen Bruder sowie ein Jugendfreund der beiden Brüder waren zusammen mit dem Auto auf der Durchfahrt in Richtung Mali und Burkina-Faso gewesen. Am Anschlagsort wurden sie am Wegesrand angehalten, mit einer Maschinenpistole beschossen und vier Personen starben an Ort und Stelle. Allein der 73jähriger Vater der beiden getöteten Brüder, der 73jährige François Tollet, überlebte und wurde mit Schussverletzungen am Bein nach Lyon ausgeflogen. Die Leichname der übrigen Anschlagsopfer wurden nach Paris überführt. - Die mauretanischen Behörden gaben zunächst an, es handele sich um die Tat von Kriminellen, die bereits früher der Polizei aufgefallen seien und mutmaßlich Geld erpressen wollten, bis die Generalstaatsanwaltschaft der Hauptstadt Nouakchott nach drei Tagen von sich aus die These eines terroristischen Anschlags in den Vordergrund rückte: Zwei der drei mutmaßlichen Täter seien in der Vergangenheit als Sympathisanten der „Salafistischen Gruppe für Predigt und Kampf“ (oder, nach der französischen Abkürzung, des GSPC) aufgefallen.

Tatsächlich mussten beide Thesen sich nicht einmal zwingend ausschließen. Denn wie sich nun herausstellte, handelte sich bei allen dreien um ehemalige „gewöhnliche“ Straftäter, die sich in jüngerer Zeit dem GSPC bsw. „Al Qaïda im islamischen Land des Maghreb“ als dessen Nachfolgeorganisation angeschlossen hatten. Die drei mutmaßlichen Urheber des tödlichen Attentats auf die Franzosen waren alle drei wegen krimineller oder kleinkrimineller Delikte vorbestraft.  

Der 20jährige Ould Sidna und Ould Sidi Chabarnou, 26, wurden in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag, den 11. Januar 08 in einem Hotel in der Hauptstadt von Guinea-Bissau verhaftet, nachdem sie über den Senegal und Gambia in das westafrikanische Land geflohen waren. Die beiden hatten sich in einem Fünf-Sterne-Hotel in Bissau eingemietet und sich als Geschäftsmänner ausgegeben, jedoch ihren Luxusschuppen seit ihrer Ankunft nicht verlassen. Den verfügbaren Angaben zufolge sollen beträchtliche Geldmittel bei sich geführt haben. An ihrer Verhaftung in Guinea-Bissau waren Angehörige des französischen Auslandsgeheimdiensts DGSE beteiligt. Sie sollen dort inzwischen ein Geständnis abgelegt haben, bevor sie an ihr Herkunftsland Mauretanien ausgeliefert wurden, wobei sie angaben, „keinerlei Reue über den Tod von Ungläubigen und Verbündeten der Amerikaner“ zu empfinden. Ould Sidna war im November 2006 in Mauretanien aufgrund der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ festgenommen, im darauffolgenden Juli jedoch freigesprochen worden. Er wurde unter anderem verdächtigt, djihadistische Kämpfer für das Bürgerkriegsland Somalia rekrutiert zu haben. Dem zweiten Festgenommenen waren ebenfalls Kontakte zum damaligen GSPC nachgesagt worden, er soll sogar in Algerien an einem militärischen Trainingscamp teilgenommen haben. 

Ein dritter Tatverdächtiger, Maarouf Ould Haiba, befindet sich zur Zeit wohl noch auf der Flucht. Er wurde bislang in Mauretanien aufgrund eines Autodiebstahls gesucht und hatte sich erst in allerjüngster Zeit – anscheinend – den Djihadisten angeschlossen. Unterdessen wurden auch drei Mauretanier, denen die Beihilfe für die Flüchtigen zum Vorwurf gemacht wird, am vorigen Wochenende festgenommen. 

Motor (Ex-)GSPC 

Den verfügbaren Angaben zufolge bereiteten sich die beiden mauretanischen Djihadisten, die in Bissau verhaftet worden sind, darauf vor, per Flugzeug nach Algerien auszureisen. Dort wollten sie sich wohl dem Untergrund des früheren GSPC – und jetzigen Al-Qaïda-Ablegers im Maghreb – anschließen. Der ehemalige GSPC entpuppt sich als der zentrale Motor des djihadistischen Aktivismus in Nordafrika, der jedoch über die Kontakte mit nomadischen Schmugglergruppen auf die in der Sahara an Algerien angrenzenden Nachbarländer „auszustrahlen“ begonnen hat. So schätzt der französische Auslandsgeheimdienst die Anzahl aktuell im Einsatz befindlicher Djihadkämpfer in der Region auf 500 - darunter 400 in den Reihen der Kerngruppe in Algerien sowie rund einhundert, die zwischen Mauretanien, Mali, Südalgerien und Niger hin- und herpendelten.  

Unterdessen gibt Jeune Afrique die Zahl der bewaffneten Djihadisten in Mauretanien mit „circa 30“ an. Offenkundig handelt es sich dabei zum Teil um ehemalige „gewöhnliche“ Gesetzesbrecher, die ohnehin im Konflikt mit den Staatsorganen standen und durch die djihadistische Ideologie eine „Veredelung“ für ihr Tun fanden. Nicht untypisch für die Karriere junger Radikalislamisten, so rekrutierten etwa auch die „Bewaffneten islamischen Gruppen“ (GIA) in Algerien in den frühen neunziger Jahren bevorzugt ehemalige Kleinkriminelle. Diese standen ohnehin am Rande der Gesellschaft, hatten nicht viel zu verlieren und verfügten zwar über kein ideologisches „Gerüst“, waren dafür aber leicht form- und manipulierbar. Die „göttliche“ Legitimation für ihren Kampf lieferte die Legitimation für die Fortsetzung ihres Banditentums, die freilich längerfristig den bewaffneten Islamismus in Algerien auch in den Augen der meisten Sympathisanten der ursprünglich durch die Kader verbreiteten Ideen delegitimiert hat. 

Zur wirklichen Bürgerkriegstruppe taugt eine solche Anzahl auf Leben und Tod entschlossener Aktivisten nicht. Zudem verhindert ihre geographische Situation in ihren Rückzugsgebieten, dass diese Gruppen jemals real die Machtfrage in ihren Ländern stellen können. Darauf kommt es jedoch nicht an, denn der Aufbau einer djihadistischen Front in den Rückzugszonen der Sahara gehorcht einer anderen Logik. Das Aussuchen möglichst spektakulärer Ziele mit internationaler Tragweite, die im Optimalfalle für weltweites Aufsehen sorgen, ersetzt die Perspektive einer Machtergreifung im nationalen Rahmen. Auch in geringer Anzahl können die Aktivisten einer messianischen Ideologie so davon träumen, Teil eines planetaren, umfassenden Kampfes zwischen „Gut“ und „Böse“ zu sein. Al-Qaïda im Maghreb verbreitete unterdessen Anfang Januar dieses Jahres im Internet Nachrichten, wonach Frankreich ins Visier zu nehmen sei, und lässt Gerüchte in Umlauf kommen, wonach sie es auf den Eiffelturm abgesehen habe. Eine reale Aktion auf französischem Boden durchzuführen, müsste die Organisation erst noch schaffen: Zwar konnten Djihadisten mit nordafrikanischem Hintergrund zwar hin und wieder kleine Zellen in Frankreich aufbauen, doch letztere werden seit der Attentatswelle von 1995/96 regelmäßig durch die Staatsorgane zerschlagen. Zuletzt traf es Ende Dezember eine logistische Unterstützerzelle im Paris Raum. Aber Hauptsache, maximale Aufmerksamkeit ist bereits heute garantiert.

Die letzten Anschläge von Djihadisten der GSPC/Al Qaïda-nahen Strömung liegen derzeit nicht lange zurück. Am Dienstag, 29. Januar am frühen Morgen rammte ein Suizidattentäter ein Polizeikommissariat in der Ortschaft Thénia, rund 55 Kilometer östlich der Hauptstadt Algier. Er saß am Steuer eines Fahrzeugs, das mit 650 Kilogramm Sprengstoff vollgestopft war. (Alles in allem ein typischer Operationsmodus von Al Qaïda-nahen Strömungen, dagegen praktizierten die algerischen Islamisten in den Bürgerkriegsjahren der 1990er so gut wie keine Selbstmordattentate.) Die Explosion tötete zwei Menschen, und mindestens zwanzig weitere wurden verletzt, da neben der Polizeistation auch noch ein Restaurant und Geschäfte in der Nähe in Mitleidenschaft gezogen wurden. Am darauffolgenden Tag, dem 30. Januar, bekannte sich „Al-Qaïda im islamischen Maghreb“ mittels einer im Internet veröffentlichten Botschaft zu dem Attentat. (Vgl. http://www.lemonde.fr/web/depeches/0,14-0,39-34114567@7-37,0.html)

Und zuletzt erfolgte um 2.20 Uhr früh in der Nacht zu diesem Freitag (1. Februar 08) ein Attentat mittels Maschinengewehrfeuer auf die israelische Botschaft in Mauretaniens Hauptstadt Nouakchott. Die Angreifer, die die Schüsse abfeuerten, riefen dabei ‚Allah akbar’ (Gott ist am größten). Es handelte sich, je nach Angaben, um drei bzw. sechs Männer. Die Botschaft und ihr Personal blieben unversehrt, das Wachpersonal erwiderte das Feuer. Ansonsten wurden drei Personen durch Schüsse verletzt, darunter die beiden Besitzer oder Betreiber einer nahe gelegenen Diskothek; auch dieses in 50 Metern Entfernung von der israelischen Botschaft liegende Gebäude war durch die Angreifer attackiert worden. Die dritte verletzte Person ist eine Französin, die sich zum fraglichen Zeitpunkt in einem Auto befand; sie konnte von ihrem Lebensgefährtin noch rechtzeitig ins Krankenhaus gefahren werden.

Inzwischen hat ‚Al-Qaïda im islamischen Maghreb’ die Verantwortung für diese Attacken übernommen und sich (mittels eines Schreibens arabischsprachigen Fernsehsender Al-Jazeera mit Sitz im Golfstaat Qatar) zur Urheberschaft bekannt. Dies wurde am Sonntag, 03. Februar bekannt. In einem Video vom 13. Februar 2007 hatte der Vizechef des transnationalen Netzwerks Al-Qaida, Ayman al-Zawahiri, bereits zum Angriff auf dieselbe Botschaft aufgefordert und darüber hinaus die mauretanische Regierung als „Verräterin“ bezeichnet, da sie diplomatische Beziehungen zum Staat Israel unterhalte. Unter allen arabischen Staaten unterhält Israel bis nur in Ägypten, Jordanien und Mauretanien eine Botschaft. 

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text für diese Ausgabe zur Verfügung.