Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Nachtrag zu: Nicolas Sarkozy Angriff auf den französischen Laizismus
vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0108/trd200108.html

von Bernard Schmid

02/08

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onlinezeitung

„Gegen den Laizismus: DIE MISSIONARSSTELLUNG“ (Contre la laïcité: La position du missionnaire) titelte die linksliberale französische Tageszeitung am 16. Januar dieses Jahres auf ihrer Seite Eins – vor einem riesigen Foto des amtierenden Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy. Der Einfall war genial: Mitten in der (durch die Medien künstlich aufgewühlten) öffentlichen Debatte um Sarkozys Privatleben und seine Liaison mit dem früheren Model Carla Bruni, einer für ihre zahlreichen Liebschaften bekannten Sängerin, zog ‚Libération’ so sprachlich eine unerwartete Verbindung zum inhaltlich gravierendsten Thema desselben Augenblicks. Nämlich zu Präsident Sarkozys fortwährenden Angriffen auf den Laizismus, also die französische Konzeption der Trennung von Religion(en) und Staat. Ein Überblick über die Geländegewinne, die Sarkozy in den letzten Wochen für die Anhänger einer (teil- oder schrittweisen) Überwindung dieser Trennung davontrug

Hat der französische Präsident nun aufgehört, in Sünde zu leben? Das dürfte
Auffassungssache sein. Tatsache ist, dass die französische Nachrichtenagentur AFP an diesem Samstag (2. Februar) vermeldete, Nicolas Sarkozy habe die Sängerin
Carla Bruni am Vormittag im Rathaus des 8. Pariser Arrondissements geehelicht. Allerdings hatte bereits drei Woche zuvor die Klatschpresse an einem Dienstag vermeldet, die beiden hätten sich „heimlich" trauen lassen. Das Ex-Mannequin war zu dem Zeitpunkt seit fünf Wochen  offiziell Nicolas Sarkozys neue Freundin, nachdem dessen vorherige Ehe im Oktober - ebenso unter Ausschluss der Öffentlichkeit,  aber nicht ohne dieselbe kurz darauf sämtlichen Kanälen informiert zu halten – geschieden worden war. Kurz vor Präsident Sarkozys Indienreise Ende Januar hatte Carla Bruni dann aber die Meldungen nachträglich dementiert und angegeben, sie sei „noch nicht“ verheiratet. Aus strenggläubig katholischer Sicht dürfte dies das  Sündenregister Sarkozys zwar noch immer nicht aufbessern, denn es handelt sich um seine dritte Ehe, und Scheidung sowie Wiederheirat sind aus diese Perspektive bekanntlich nicht akzeptabel. Aus Sicht weniger vatikanisch verbohrter, und dennoch in moralischer Hinsicht eher konservativer, Zeitgenossen dürfte der neue Eheschluss freilich dazu beitragen, Sarkozy aus dem Sündenpfuhl heraus zu holen und seiner Lebenssituation einen legitimen Anstrich zu geben.

Damit wird Bruni den französischen Präsidenten wohl künftig auch auf Auslandsreisen begleiten dürften. Denn jüngst wurde ihr Aufenthalt, als persönliche Begleiterin Nicolas Sarkozys, sowohl in Saudi-Arabien als auch in Indien für unerwünscht erklärt: Elite und Bevölkerung würden es jeweils aus religiösen Gründen für unschicklich halten, die beiden unverheiratet in einem gemeinsamen Hotelzimmer übernachten zu lassen. Da etwa der Islam das Recht auf Scheidung anerkannt, würde es in Saudi-Arabien nun vielleicht weniger Probleme geben. Sarkozy jedenfalls wurde dort in der ersten Hälfte der vergangenen Woche positiv aufgenommen.  Er hielt eine Ansprache vor dem Konsultativrat in der Hauptstadt Ar-Ryad, einem „Parlament”, dessen Mitglieder nicht gewählt, sondern durch das Königshaus ernannt werden. (Während drei Tagen Aufenthalts in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten konnte Sarkozy Vorverträge über 40 Milliarden Euro abschließen, die aber noch nicht konkret bindende Abmachungen sind, sondern in Zukunft noch bestätigt werden müssen. Sie sehen u.a. die Errichtung von zwei Atomkraftwerken französischer Bauart in den Emiraten und einer französischen Militärbasis in der Golfmonarchie Abu Dhabi, mit 450 Soldaten, vor.)

Vor allem seine Rede in Ar-Ryad dürfte den wahhabitischen Sittenhütern gut gefallen haben, auch wenn Sarkozy - was der saudischen Staatsdoktrin widerspricht - Christen- und Judentum auf eine Stufe mit dem Islam stellte. Aber dass er 13 mal allein auf der ersten Manuskriptseite seiner Rede von „Gott“ sprach, dürfte Wohlwollen erweckt haben. Und mehr noch das, was Sarkozy inhaltlich zu sagen hatte: „Gott macht den Menschen nicht unfrei, sondern befreit ihn. Gott ist der Schutz gegen den unmäßigen Stolz und die Verrücktheit der Menschen. (…) Das religiöse Gefühl ist genauso wenig wegen des Fanatismus zu verurteilen, wie das Nationalgefühl es wegen des Nationalismus ist.“ Und er fügte hinzu: „Ich habe die Pflicht, das Erbe einer langen Geschichte, einer Kultur, und, ich wage das Wort zu benutzen, einer Zivilisation zu verteidigen. Und ich kenne kein Land, desen Erbe, dessen Kultur, dessen Zivilisation nicht religiöse Wurzeln hätten.“ Um mit folgendem Aufruf fortzufahren: „Es ist nicht an der Zeit, dass die Religionen sich untereinander bekämpfen, sondern Zeit dafür, dass sie gegen den Rückgang der moralischen und spirituellen Werte kämpfen, gegen den Materialismus, gegen die Exzesse des Individualismus.“ 

Schon zuvor, und auch als die außereheliche Liaison Sarkozys noch nicht durch` das „Sakrament der Ehe“ den nötigen Weihrauch erhalten hatte, hatte sich auch das Zentrum der katholischen Strenggläubigkeit nicht davon abhalten lassen, Sarkozy einen höchst wohlwollenden Empfang zu bereiten. (Vgl. dazu ausführlicher: http://www.trend.infopartisan.net/trd0108/trd200108.html )  

 „Die Laizität“, also die Trennung zwischen Kirche(n) und Staat, „im Weihwasserkessel der Lateransbasilika ertränkt" sah aus diesem Anlass der französische Lehrergewerkschaftsbund FSU. Dessen wichtigste Mitgliedsgewerkschaft - der Verband der Lehrer an Oberschulen SNES - wandte sich in der zweiten Januarwoche in einem Offenen Brief an Präsident Nicolas Sarkozy, um sich über dessen Angriffe auf den  laizistischen Charakter der französischen Republik zu beschweren.  Gleichzeitig kündigte die Gewerkschaft an, „alle nötigen Kontakte im Bereich von Gewerkschaften, Vereinen und Politik zu ergreifen, um ein breites Bündnis zur Verteidigung des Laizismus" zu bilden. Anlass dafür war die Rede, die Sarkozy am 20. Dezember in der Lateransbasilika in Rom  hielt und die in Frankreich von einer breiten Medieninszenierung  begleitet wurde. Die Aufmerksamkeit ist inzwischen abgeklungen, da die Medien sich inzwischen längst wieder für andere Ereignisse interessieren, etwa für Sarkozys Beziehungsklamotten und seine  Pressekonferenz - die bei ihm die traditionellen Neujahrswünsche  abgelöst hat. Die Befürchtungen der Kritiker sind es keineswegs.

Repräsentanten der Religionen im Wirtschafts- und Sozialrat?

Und inzwischen hat Nicolas Sarkozy schon wieder eine neue Trouvaille ausgeheckt. Seine allerletzte Idee lautet nun, dass Religionsvertreter der unterschiedlichen Richtungen – bzw. dann wohl ihres jeweiligen Klerus – zukünftig im französischen Conseil Economique et Social (CES, „Wirtschafts- und Sozialrat“) vertreten sein sollen. Dort sitzen bisher die Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und Berufsverbänden, und das Gremium berät die Regierenden in sozio-ökonomischen, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen und ähnlichen gesellschaftlichen Fragen. Bzw. beide Seiten, die dort vertreten sind, geben bei konfliktuellen Themen ihre jeweilige Position zu Protokoll. Man sieht zwar noch nicht richtig, was Repräsentanten „der Religion“ dort zu suchen bzw. mit den bisher dort beratenen Themen im näheren Sinne zu tun hätten. Aber Nicolas Sarkozy möchte ihnen in dem Rat Sitz und Stimme verschaffen.

Dieses Vorhaben, das er kurz zuvor erstmals angekündigt hatte, bestätigte Nicolas Sarkozy ausdrücklich am 17. Januar. An diesem Tag empfing er offiziell die Repräsentanten der Religionsgrupppen, von den Katholiken über die Protestanten bis hin zu den Buddhisten, im Elyséepalast (vgl. http://www.trend.infopartisan.net/trd0108/trd200108.html), um ihnen die Neujahrswünsche des Staatsoberhaupts zu übermitteln. In seinem Kommuniqué, das er im Anschluss an den Empfang veröffentlichte, versuchte Sarkozy sich unterdessen relativ vermittelnd zu geben, nachdem seine vorherigen Äußerungen in Rom vom Dezember 07 und von Ar-Ryad im Januar 08 das kirchenkritische Lager zum Teil in höchsten Alarm versetzt hatten: „Die Anerkennung des religiösen Gefühls als eines Ausdrucks der Gewissensfreiheit und als einer zivilisatorischen Tatsache/Gegebenheit gehören, GENAUSO WIE (auch) das Erbe der Aufklärung, zu unserem republikanischen Pakt und zu unserer Identität mit dazu.“ Dieses Nebeneinanderstellen von „religiösem Gefühl“ und „Erbe der Aufklärung“ wurde durch große Teile der Presse schnell als wichtiges Zugeständnis und Ausdruck der nunmehrigen Mäßigung Sarkozys gewertet, so am 18. Januar in den liberalen Zeitung ‚Libération’ und ‚Le Monde’.

Der Vorsitzende des Konsultativrats der französischen Muslime und Rektor der Pariser Moschee, Dalil Boubakeur (der insbesondere Altpräsident Jacques Chirac sowie der algerischen Regierung nahe steht), sprach sich unterdessen für ein „Moratorium“ – also eine Art „Denkpause“, oder kurz Pause – bei der Anwendung des Gesetzes von 1905 zur Trennung von Kirche und Staat aus. Während der Dauer eines „Moratoriums von 10 oder 20 Jahren“ solle das Verbot der Finanzierung von Kultstätten durch die öffentliche Hand ausgesetzt werden, „um den Rückstand des Islam aufzuholen“ (vgl. ‚Le Monde’ vom 28. Januar 08). Nicolas Sarkozy hat bislang auf diesen Vorschlag oder Vorstoß nicht reagiert

 Der französische Staatspräsident sprach sich jedoch am 30. Januar dafür aus, die „christlichen Wurzeln Europas“ künftig wesentlich stärker zu betonen. In Anwesenheit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte Nicolas Sarkozy an diesem Donnerstag, am Rande einer UMP-Konferenz zur Europapolitik in Paris, „die Europäische Union“ habe Unrecht gehabt darin, auf die Erwähnung der christlichen Wurzeln Europas im Entwurf für einen europäischen Verfassungsvertrag zu verzichten. Also in jenem „Verfassungs“text, der Ende Mai und Anfang Juni 2005 durch eine Mehrheit der französischen sowie niederländischen Wähler/innen per Referendum abgelehnt worden ist, aber nun an diesem Montag, 4. Februar 2008 in reduzierter Form durch die in Versailles versammelten beiden Kammern des französischen Parlaments (statt vom Wahlvolk) ratifiziert werden soll.

Eine entsprechende Passage war damals unter anderem auf Druck Frankreichs unter Jacques Chirac hinein gestrichen worden, während insbesondere Polen im Namen der Verteidigung der katholischen Werte und des „christlichen Erbes Europas“ eisern dagegen hielt. Nicolas Sarkozy dazu am 30. Januar dieses Jahres: „Es war ein Fehler, unserer Vergangenheit den Rücken zu kehren und auf eine bestimmte Weise Wurzeln, die offensichtlich sind, zu leugnen“. Das amtierende französische Staatsoberhaupt fügte hinzu: „Nun soll man nicht kommen und uns sagen, dass wir die Laizität/den Laizismus in Frage stellen. Es genügt, Frankreich zu überfliegen, um seinen langen Mantel aus Kirchen zu sehen.“ (Der „lange Mantel aus Kirchen, der Frankreich bedeckt“ – und den er nun angeblich vom Flugzeug aus wahrnimmt – zählt seit dem französischen Vorwahlkampf der ersten Jahresmonate 2007 zu den „Fetisch“formulierungen des Nicolas Sarkozy.) „Zu sagen, dass es in Europa christliche Wurzeln gibt, bedeutet schlicht und einfach, gesunden Menschenverstand zu beweisen. Darauf verzichten, es zu sagen, bedeutet, der historischen Realität den Rücken zuzudrehen“ schloss Sarkozy seine Predigt ab – für dieses Mal. (Zu Sarkozys Äußerungen vgl. http://www.lemonde.fr/web/depeches/0,14-0,39-34115197@7-37,0.html )

Post scriptum: Der Senator Jean-Luc Mélenchon vom linken Flügel der „Sozialistischen“ Partei hat der umstrittenen Rede Nicolas Sarkozy in der römischen Basilika eine ausführliche Analyse und Kritik gewidmet. Vgl. hier: http://www.jean-luc-melenchon.fr

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Text für diese Ausgabe zur Verfügung.