Der Film über das Treiben der Leute bei Zanon in Argentinien,
den ich gerade gesehen habe, hat mich tief beeindruckt! Das
Betrifft sowohl ihre „Arbeiterkontrolle ohne Patron“ als auch –
und dies vor allem – die ins Auge gefasste Perspektive. Das
Zanon-Kollektiv verlangt nämlich Verstaatlichung der Firma und
weigert sich zu alternativen Kollektivbesitzern zu werden! Das
unterscheidet Zanon von vielen anderen Betrieben, die von den
Belegschaften im Verlauf der großen Krise in Argentinien besetzt
und in Selbstverwaltung weiter geführt wurden. Und
offensichtlich besteht gerade in dieser Perspektive der Konflikt
mit der Regierung, die aus Zanon gern einen „Alternativbetrieb“
machen würde.
Wie weit von
solchen Formen der Praxis und solchen Zielen entfernt ist die
Belegschaft bei Nokia in Bochum! Die Differenz in Praxis und
Zielen ist ähnlich groß, wie die Differenz zwischen den
Ausgangslagen für die Kämpfe. Der Anlass für die
Betriebsbesetzungen und Selbstverwaltungsversuche in Argentinien
war ein regelrechter Zusammenbruch der Ökonomie des Landes. Wo
Kapitalisten ihren Geldbesitz schnappen und fluchtartig das Land
verlassen erübrigen sich Verhandlungen über Rücknahme einer
Stilllegungsplanung oder die Suche nach einem anderen „Patron“
(Investor). Nokia ist moderner, kapitalistischer Alltag!
Argentinien war und Zanon ist Ausnahmezustand!
Bei Nokia
kämpfen Lohnabhängige verzweifelt um den Erhalt ihrer
beschissenen, fremdbestimmten Arbeitsplätze (z.B.
Fließbandarbeit, Nacht- und Schichtarbeit, Überstunden,
Wochenendarbeit). Sie wollen, dass alles bleibt, wie es ist. Auf
Veränderung drängt das Kapital. Bei Zanon sind die Menschen in
Gemeinschaft zu Subjekten geworden, die bereits verändert haben
und weiter verändern wollen. Der Unterschied könnte nicht größer
sein!
Kann, soll
man als Kommunist für die „Nokianer“ Verständnis haben, für
dieses Ringen um den Erhalt von Zuständen, die es abzuschaffen
gilt? Ja, man kann, auch wenn es mir schwer fällt.
Die Suche
nach den Schuldigen, Verantwortlichen für das beschränkte Niveau
der Formen wie der Ziele des Kampfes ist jedoch müßig. Auf
Gewerkschaft und Betriebsrat sollte jedenfalls nur der zeigen,
der auch bereit ist, auf die Lohnabhängigen selbst zu zeigen.
Auch die Lohnabhängigen bei Nokia sind mit einem Gehirn
ausgestattet, mit dem man sich seine Gedanken machen kann.
Niemand wird gezwungen täglich Bildzeitung zu lesen und sich
abends den größten Schwachsinn am Fernseher rein zu pfeifen. Es
ist heute auch für Lohnabhängige möglich, Bedürfnisse nach
anderen Dingen zu entwickeln. Lebewesen, die mit einem Gehirn
ausgestattet sind, sind lernfähig! Zu manchem Lernen ist jedoch
Wille die Voraussetzung. Den muss man schon aufbringen, aus
welchem Motiv auch immer. Solange aus der Belegschaft keine
spürbare Kritik an politischen Parteien und Gewerkschaft ertönt,
ist jedenfalls eine Kritik „im Namen der Belegschaft“ an den
politischen Aktivitäten ziemlich müßig.
Seit Jahren
rollt eine Welle von Pleiten, Betriebsverlagerung und
„Restrukturierungsmaßnahmen“ nicht nur über Deutschland.
Streichung von Lohnarbeitsplätzen hier, Streichung von
Lohnarbeitsplätzen da, das kann man fast täglich in den
Nachrichten hören und in Zeitungen lesen. Es trägt systematische
Züge. Die Züge der Freiheit des Kapitals (bürgerliche Freiheit
heißt vor allem: freier Verkehr von Kapital und Waren), um deren
Ausdehnung die Politik so bemüht ist, um nachher heuchlerisch
deren Folgen zu bejammern, wie auch die Züge der Grenzen
fortschreitender Kapitalverwertung. Weil es System hat, müsste
auch systematischer Widerstand im Sinne eines Flächenbrandes her
und die ökonomische Vernunft durchbrechen!
Während die
„Nokianer“ in aller Munde sind und die Öffentlichkeit sich für
sie interessiert, interessiert sich gerade mal wieder keine Sau
– auch nicht die Leute bei Nokia - für das Schicksal der
Beschäftigen von Dassow (Europas größtem Hersteller von CDs und
DVDs!) in Mecklenburg-Vorpommern. Die suchen wegen Insolvenz
gerade einen neuen Investor, aber kein Schwein interessiert sich
für sie, was beklagt wird. 'Ach, hätten wir nur die
Öffentlichkeit von Nokia!'
Klassenbewusstsein? Was ist das denn? Solange sich die
Lohnabhängigen nicht als Klasse verstehen, sondern als „Nokianer“,
„Opelaner“ und weiß der Kuckuck nicht was, gibt es keine
Perspektive, die aus existenzieller Unsicherheit und
beschissenen Arbeitsbedingungen herausführt. Als „Nokianer“ gibt
es keinen Ausweg aus der Misere! Als „Nokianer“ wollen die
Lohnabhängigen die Konflikte mit der Konzernleitung lösen, die
auch „Nokianer“ ist. „Nokianer“ sind kaum ohne „Patron“
vorstellbar. Sie gehören zusammen, bis dass der „Patron“ sie
scheidet und des Verhältnis beendet! Alle Belegschaften sterben
auf diese Weise für sich allein! Die ebenso beschränkte, wie
gefeierte Solidarität ist nur Begleitmusik und tut den
Herrschenden nicht wirklich weh. Sie schwimmen sogar kräftig
mit! Die Allgemeinheit der Misere wird standhaft ignoriert. Man
könnte ja gezwungen sein umzudenken, zu lernen!
Selbstverständlich ist es das Geschäft von Medien, politischen
Parteien und teils auch von Gewerkschaftsfunktionären, dafür zu
sorgen, das jede Pleite, jede Betriebsverlagerung, jede
Streichung von Lohnarbeitsplätzen als Einzelfall betrachtet
(„Missmanagement“, etc.) und behandelt wird. Sie tun beständig
so, als könne es für jeden einzelnen Fall im Kapitalismus eine
„sozial verträgliche“ Lösung geben. Sie verbreiten unausgesetzt
Märchen, die beständig durch die Wirklichkeit Lügen gestraft
werden. Für sie gibt es keine Alternative zum Kapitalismus,
darum müssen sie ihn auch da verklären, wo er offensichtlich
versagt und seine Versprechungen nicht halten kann, ob aus
Gründen der unverzichtbaren Freiheit des Einzelkapitals seinen
maximalen Profit zu erzielen, oder aus Gründen des Versagens der
Kapitalverwertung! Ich betone „offensichtlich“. Weil das nämlich
so offensichtlich ist, habe ich nur schwer Verständnis für
Leute, die all ihre Hoffnung eben auf politische Parteien und
Verantwortliche in den Gewerkschaften (Sozialreformer aller Art)
setzen.
Aber
schließlich können all diese Märchenonkel aus Politik und
Gewerkschaften immer wieder selbstzufrieden in ihre Sessel
zurücksinken, wenn sie erfolgreich dazu beigetragen haben, dass
keine größere soziale Bewegung mit bleibenden Schäden für das
System entsteht.
Zanon ist
sicher kein Modell, dass die Lohnabhängigen bei Nokia einfach
nach machen könnten. Es gibt sicherlich viele konkrete Gründe,
warum das nicht ohne weiteres machbar ist. (Eine Ziegelfabrik
ist zum Beispiel weit weniger abhängig von international
arbeitsteiliger Zulieferung, als ein High-Tech-Unternehmen wie
Nokia in Bochum, usw.)
Zanon gibt
aber eine Richtung vor, über die diskutiert werden müsste, weil
sie eine Perspektive bietet, die über den Erhalt der
Lohnarbeitsplätze in Bochum weit hinausgeht. Der Erhalt dieser
Arbeitsplätze in Bochum ist nämlich so oder so keine Perspektive
zu einer gesicherten Existenz! Die Perspektive einer solche
Existenzsicherheit lässt sich nur erschließen durch die ganze
Klasse der Lohnabhängigen und mit anderen Zielen. Es gibt
jedenfalls überhaupt keine guten Gründe, Zanon nicht zu
diskutieren, weil es konkret nichts brächte. Die soziale
Partnerschaft ist lange am Ende (Hartz IV grüßt schnell!) und es
gilt neue Wege sozialer Bewegung zu eröffnen.
II.
Und wie ist
es um diejenigen bestellt, die den Kapitalismus überwinden
wollen, von sozialer Emanzipation träumen?
Es klafft
ebenfalls eine riesige Lücke zwischen den Widerstandsaktionen
von Lohnabhängigen, ihren Zielen und dem, was die schwachen
antikapitalistischen Kräfte in diesem Land sich so alles
wünschen. Der Fall Nokia macht das erneut deutlich. Während die
einen auf eine Lösung ihrer sozialen Probleme im Kapitalismus
hoffen, verfolgen die anderen mehr oder weniger diffuse
sozialistische/kommunistische Ziele, sehnen sich entweder nach
einer Verbindung mit den sozialen Kämpfen von Lohnabhängigen
oder Verharren in bloßer Kritik des Denkens und der Praxis der
Lohnabhängigen.
Sozialistische/kommunistische Zielvorstellungen bleiben solange
diffus, solange sie keine konkrete, vorstellbare
Perspektive der Vergesellschaftung der Produktionsmittel
entwickeln und überzeugend darlegen können. (Menschen versuchen
nur das Neue zu realisieren, von dem sie eine Vorstellung
entwickelt haben!) Heute sind diese Zielvorstellungen meist in
einem schlechten Sinne utopisch, bleiben meist abstrakt („anders
leben und arbeiten“, etc.) und geben oft keine oder falsche
(praktikable) Schritte auf dem Weg zum Ziel an. Das, was ist,
und das, was sein soll steht unvermittelt neben einander.
Die
undifferenzierte Abwendung vom „Traditionsmarxismus“, von ganz
bestimmten theoretischen Positionen, treibt die üppigsten Blüten
hervor. Dabei hat sich die radikale Linke in ihrer Verarbeitung
des Realsozialismus selbst Denkverbote auferlegt, die jede
vorstellbare Perspektive ausschließen.
Das Problem
des Realsozialismus bestand nicht in dem öffentlichen,
staatlichen Eigentum an Produktionsmitteln, nicht in der
Planung, sondern darin, dass eine Partei sich anmaßte, den
Staat, wie die ihm gehörenden Betriebe, diktatorisch zu
beherrschen und zu verwalten, den Menschen einen Plan auf zu
herrschen. Die öffentliche Gewalt verlor nicht ihren politischen
Charakter (Marx) und daher konnte das „öffentliche Eigentum“
auch nicht wirklich gesellschaftliches Eigentum werden. Die
Verstaatlichung der Produktionsmittel bleibt meiner Meinung
nach jedoch ein notwendiges, unverzichtbares Mittel auf dem
Wege zur realen Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Greift
man diesen Gedanken auf, dann hört die Vergesellschaftung auf,
eine abstrakte, unvorstellbare Geschichte zu sein.
Verstaatlichung bleibt nur dann ohne sozialemanzipatorische
Perspektive, wenn sie nicht einhergeht mit der Entwicklung von
Selbstverwaltung. Aber ohne Verstaatlichung bleibt auch die
Selbstverwaltung perspektivlos und macht die genossenschaftlich
organisierte Produktion zu einer bloßen Variante der
„Privatproduktion“, der „Marktwirtschaft“.
Verstaatlichung mit sozialemanzipatorischer Perspektive bedeutet
öffentliches, gesellschaftliches Eigentum, dessen Nutzung frei
assoziierten Kollektiven übertragen wird. Verstaatlichung heißt
perspektivisch auch, dass sich die Genossenschaften vernetzen,
um die gesellschaftliche Produktion zu planen, den Markt zurück
zu drängen und zu überwinden. (Überwindung der Warenproduktion)
Heute
beherrscht der Neoliberlismus das Feld. Danach gilt jede
staatliche Einrichtung perse als fragwürdig (ähnlich wie beim
Anarchismus) und möglichst alle gesellschaftliche Aktivitäten
sollen privatisiert werden. Das Loblied auf das Private ist
zugleich die Kritik an jeder gesellschaftlichen Einrichtung.
(Thatcher: Es gibt keine Gesellschaft, nur die Individuen und
ihre Familien).
Manche sich
radikal gebärdenden antikapitalistischen Kräfte haben gerade
deshalb dem nichts entgegen zu setzen, weil auch bei ihnen jede
Staatlichkeit in Frage gestellt ist und ihre Nutzung zur
Entwicklung wirklicher Vergesellschaftung ausgeschlossen wird.
Wer aber heute Abschaffung des Privateigentums durch
Vergesellschaftung auch nur in Ansätzen konkret und
vorstellbar denken will, der kann dies nur in staatlichen
Formen! Andere als staatliche Formen großräumiger
Vergesellschaftung existieren defacto nicht und können nur in
der gesellschaftlichen Praxis von Aneignung und Veränderung
gefunden werden. Hierbei handelt es sich um einen
langwierigen Prozess, der nicht ohne Fehlversuche abgehen
kann.(Der bürgerliche Staat ist zwar seinem Wesen nach „ideeller
Gesamtkapitalist“, er besteht aber nicht nur aus Militär,
Polizei und Gefängnissen, worauf ihn manch Neoliberale all zu
gerne reduzieren würden. Noch sind auch Schulen, Kliniken etc.
staatliche Einrichtungen, die in ihrer konkreten Ausgestaltung
soziale Kompromisse zwischen Lohnarbeit und Kapital verkörpern.
Diese Einrichtungen befriedigen Bedürfnisse, die letztlich nur
in der Form eben solcher gesellschaftlichen Einrichtungen in
angemessener Weise für die Allgemeinheit befriedigt werden
können. Das Kapital strebt dahin, die Befriedigung jedes
Bedürfnisses zur Privatsache zu erklären, was für die Masse der
Lohnabhängigen nichts anderes bedeutet als Verzicht bis hin zu
sozialem Elend.
Aktuell kann
man nur in der konkreten Auseinandersetzung mit dem
Neoliberlismus praktikable sozialistische und kommunistische
Zielvorstellungen, als Vergesellschaftungsvorstellungen
entwickeln.
Das beginnt mit dem Kampf gegen den Privatisierungswahn
bestehender staatlicher, gesellschaftlicher
Versorgungseinrichtungen und muss enden bei der Forderung nach
Verstaatlichung der Produktionsmittel bei selbstverwalteter
Nutzung. Wer nicht gewillt ist, die bestehenden staatlichen
Einrichtungen als gesellschaftliche Einrichtungen zur
Befriedigung bestimmter Bedürfnisse zu verteidigen, der wird
auch keine darüber hinausgehende Vergesellschaftungsperspektive
entwickeln können. Man kann diese Einrichtungen nur verteidigen,
indem man zugleich für ihre Umwandlung im Sinne der
Selbstverwaltung eintritt.
Wirkliche
Vergesellschaftung entsteht nicht neben Kapital und Staat,
sondern durch Enteignung und Aneignung!
Aneignung der Produktions- und Reproduktionsmittel (Fabriken,
Schulen, Krankenhäuser etc.) verlangt politische Macht. Solange
die Masse der Lohnabhängigen sich nicht für ihre soziale
Emanzipation organisiert hat, kann sie die politische Macht
nicht erobern, um auf gesellschaftlicher Stufenleiter den Ent-
und Aneignungprozess durchzusetzen. Und solange das so ist,
müssen die kämpfenden Lohnabhängigen Forderungen an den
bürgerlichen Staat stellen, damit elementaren Interessen
wenigstens partiell Rechnung getragen wird. Sie kommen gar nicht
darum herum, diese Forderungen an den Staat zu stellen, wenn sie
denn für bestimmte Interessen kämpfen. Wenn sie nämlich kämpfen,
verletzen sie auf die eine oder andere Weise die bestehende
Rechtsordnung und ihr Kampf wird durch Repression bedroht. Sie
sind gezwungen, wenigstens die Anerkennung und Legitimierung
ihres Kampfes durch den Staat zu verlangen (etwa eines „wilden“
Streiks, einer Betriebsbesetzung, der Blockade einer Autobahn
oder was auch immer)!
Jede
Forderung an den bestehenden bürgerlichen Staat abzulehnen, das
halte ich für eine wirklichkeitsfremde Position, die nur solange
durchgehalten werden kann, wie eben kaum oder gar nicht gekämpft
wird.
Forderungen
an den bürgerlichen Staat müssen aber nicht nur gestellt werden,
um den faktischen Rechtsbruch von kämpfenden Lohnabhängigen
gesellschaftlich zu legitimieren, Repression abzuwenden, sie
müssen auch gestellt werden, wenn man bereits auf dem Boden der
bürgerlichen Gesellschaft für Ziele kämpfen will, die mit dem
Bewegungsgesetz der Verwertung von Wert grundsätzlich nicht
kompatibel sind und als gesicherter Bestand sozialen
Lebens nur jenseits kapitalistischer Produktionsverhältnisse zu
realisieren sind. Dazu gehört etwa die materielle Grundsicherung
aller Menschen (mit bedingungslosem Grundeinkommen hat das
nichts zu tun!). Für eine Änderung der Produktionsverhältnisse
werden Menschen nur in dem Maße kämpfen, wie die bestehende
Ordnung bestimmten Grundbedürfnissen nicht gerecht wird und
werden kann.
Anders, als
es in manch linksradikaler Publikation erscheint, ist die
Veränderung der Produktionsverhältnisse nicht Selbstzweck,
sondern Mittel zum Zweck. Sie dient einzig dazu menschliche
Bedürfnisse (teils elementare Grundbedürnisse, teils durch die
gesellschaftliche Entwicklung geschaffene Bedürfnisse) besser
befriedigen zu können, etwa dem Bedürfnis nach existenzieller
Sicherheit, dem Bedürfnis nach vielseitigem Genuss, dem
Bedürfnis nach Muße etc. Wo diese Bedürfnisse nicht oder nur
sehr eingeschränkt befriedigt werden, entsteht das Verlangen
nach Änderung, was zu der Erkenntnis führen kann, dass die
bestehenden Produktionsverhältnisse die entscheidende Schranke
für die Befriedigung dieser Bedürfnisse sind und daher verändert
werden müssen. Das Verlangen nach Befriedigung dieser
Bedürfnisse entsteht aber auf dem Boden der bestehenden
Gesellschaft, unabhängig davon, ob jemand die
Produktionsverhältnisse als Barriere erkennt oder nicht.
III.
Das
Bedürfnis nach existenzieller Sicherheit war und ist
beispielsweise bei den Beschäftigten von Nokia vorhanden. Sie
begehren auf und verlangen den Erhalt ihrer sehr bescheidenen –
um nicht zu sagen beschissenen - Existenz, weil der Konzern
ihnen aus ökonomischem Interesse (Profit) diese Existenz nehmen
will. Von einer Infragestellung kapitalistischer
Produktionsverhältnisse ist bei ihnen (noch?) nichts zu spüren.
Sie haben ihr Berufsleben lang erfahren, dass das ökonomische
Interesse ihnen die Befriedigung ihrer eingeschränkten
Bedürfnisse auf eingeschränkte Weise erlaubt. Jetzt stellt das
ökonomische Interesse des Kapitals diese bescheidene Existenz in
Frage. Was sie tun, ist nahe liegend und ergibt sich sowohl aus
der Beschränktheit ihrer Bedürfnisse, ihrer Erfahrung, wie dem
Zustand überwiegend erfolgreicher Kapitalverwertung in
Deutschland. Sie verlangen den Erhalt des Status quo, indem sie
auf die ökonomische Effizienz ihrer bisherigen Arbeit, wie ihres
ganzen Verhaltens pochen. (Das wird Nokia wenig interessieren,
hat man sich doch errechnet, dass anderen Orts ökonomisch
effizienter produziert werden kann!) Dass die Ökonomie
bestimmten Gesetzmäßigkeiten unterliegt, dass das Streben nach
Maximalprofit nur durch Klassenkampf unter ganz bestimmten
Bedingungen überhaupt in Schranken gehalten werden kann, davon
wissen sie nichts. Zumindest hat es sie nicht weiter
interessiert, solange sie von ihrer beschissenen Lohnarbeit
einigermaßen Leben, d.h. ihre beschränkten Bedürfnisse
befriedigen konnten.
Das
grundlegende Verlangen nach existenzieller Sicherheit ist ebenso
berechtigt, wie unterstützenswert. Es findet aber seinen
Ausdruck in konkreten Forderungen, die eben die Beschränktheit
der Bedürfnisse ausdrücken und die Selbstverständlichkeit der
Existenz des Kapitalverhältnisses. Die Menschen werden so oder
so erleben, dass beides zusammen nicht zu haben ist,
existenzielle Sicherheit und kapitalistische
Produktionsverhältnisse.
Der Kampf um
den Erhalt jedes Lohnarbeitsplatzes ist eine Farce und bietet
keinerlei Perspektive, um das Grundbedürfnis nach existenzieller
Sicherheit befriedigen zu können. Wer immer ihn propagiert und
organisiert, verarscht die Lohnabhängigen. Hätte er Aussicht auf
Erfolg, dann würde das bedeuten, dass das Kapital nicht
gesetzmäßig Lohnarbeitslosigkeit produziert, man sich schon im
Kapitalismus über die Gesetzmäßigkeiten der Verwertung von Wert
hinwegsetzen könnte. Selbst Bismarck war klüger, und gestand der
sozialistischen Arbeiterbewegung die Arbeitslosenversicherung
zu. Die Arbeitslosenversicherung wurde durch den „ideellen
Gesamtkapitalisten“ zugestanden, ist also eine durch den
bürgerlichen Staat geschaffene Einrichtung. Sie beruht auf der
durch sozialistische Bedrohung erzeugten staatlichen
Anerkennung, dass Lohnarbeitslosigkeit keine „Privatsache“ ist,
sondern gesellschaftlich erzeugt wird.
Die
Arbeitslosenversicherung im Kapitalismus kann nur die gröbste
Not lindern. Sie bietet ein gewisses Maß an Schutz vor rascher
und rigoroser Verelendung, kommt also dem Bedürfnis nach
existenzieller Sicherheit der Lohnabhängigen entgegen. Sie ist
kein Produkt ökonomischer Notwendigkeit, sondern des
Klassenkampfes! Sie wurde zugestanden, um dem in der
Arbeiterbewegung erstarkenden Sozialismus das Wasser abzugraben.
Die ökonomische Notwendigkeit des Kapitals stellt Einrichtungen
wie die bestehende Arbeitslosenversicherung viel mehr
tendenziell in Frage, nämlich in dem Maße, wie die
Kapitalverwertung sich krisenhaft entwickelt. In dem Maße, in
dem das geschieht, werden die Leistungen der
Arbeitslosenversicherung zusammengestrichen, wo nicht erneuter
Klassenkampf und Bedrohung durch sozialistische/kommunistische
Kräfte das verhindert.
Arbeitslosenversicherung, gesetzliche Unfallversicherung,
Krankenversicherung und Rentenversicherung sind Leistungen des
ideellen Gesamtkapitalisten (bestritten teils aus Beiträgen des
Kapitals allein, teils aus Beiträgen von Kapitalisten und
LohnarbeiterInnen), die die für Lohnabhängige bedrohlichen
Folgen der kapitalistischen Privatproduktion in Grenzen halten.
Sie abzulehnen oder auch nur preiszugeben, etwa weil sie
tatsächlich erfolgreich dazu beitrugen dem
Sozialismus/Kommunismus unter den Lohnabhängig das Wasser
abzugraben, das wäre nicht nur töricht, sondern käme einem
Verzicht gleich, sich auf den Weg zur sozialen Emanzipation zu
machen. Alle diese Einrichtungen weisen darauf hin, das die
sozialen Probleme der Lohnabhängigkeit nur durch
gesellschaftliche Maßnahmen zu lösen sind, jenseits der
Privatproduktion, jenseits des durch Angebot und Nachfrage
bewegten Warentausches. Sie lehren durch Erfahrung, dass die
kapitalistische Privatproduktion nicht soziales Elend abschafft
sondern produziert und dass dieses Elend nur durch
gesellschaftliche Maßnahmen und Organisation gelindert und
letztlich abgeschafft werden kann und muss.
Manchem
jetzt noch bei Nokia beschäftigtem droht jetzt Hartz IV, also
der Absturz, ja Ausschluss aus der bürgerlichen Gesellschaft!
Wenn daraus gelernt würde, dass mensch zukünftig nicht
widerstandlos zuschaut, wenn die neoliberalen Schmutzfinken sich
an der Arbeitslosenversicherung zu schaffen machen, dann wäre
schon viel gewonnen!
IV.
Was hier
über die Linderung der Probleme gesagt ist, nämlich, dass dem
systematischen sozialen „Versagen“ des Kapitals nur mit
bewussten gesellschaftlichen Maßnahmen jenseits der
Privatproduktion zu begegnen ist, das gilt auch und mehr noch
für deren Lösung. Die Lösung kann nur in der Überwindung
kapitalistischer Privatproduktion liegen, durch
gesellschaftliche Maßnahmen und Einrichtungen.
Herr
Rüttgers und andere Politiker haben – wie üblich - versprochen,
dass sie alles tun werden, was in ihrer Macht liegt, um die
Lohnarbeitslosigkeit der „Nokianer“ zur verhindern. Das werden
sie – wie üblich – nicht tun. Ihr Wollen wird sie davon
abhalten! Sie werden nämlich nichts tun, was die
kapitalistischen Produktionsverhältnisse in Frage stellen
könnte. Sie werden sogar alles aktiv verhindern wollen, was über
die Privatproduktion hinausginge!
Was läge z.
B. in ihrer Macht, um das Problem „Nokia“ zu lösen? Dazu
folgendes Szanario in Anlehnung an Zanon:
Nokia will
den Laden im Juni dicht machen. Gut so! In Absprache mit der
Belegschaft entwickelt die Landesregierung folgenden Plan:
-
Nach
Rückzug von Nokia wird die Firma mit allem Inventar Eigentum
des Landes NRW. Entschädigungslos!
-
In der
Zeit bis dahin erhält die Belegschaft die Möglichkeit eine
Selbstverwaltung zu entwickeln und zu erproben.
(Erfahrungsaustausch mit Zanon) Das Geld dafür stellt Nokia
bereit. (Förderung durch Fort- und Weiterbildung nennt man
sowas.)
-
In der
Zeit bis dahin erhält die Belegschaft mit Unterstützung durch
Land und andere Einrichtungen die Möglichkeit eine alternative
Produktion zu entwickeln. Weg von den Handys, falls eine
solche Produktion nicht weiter geführt werden kann.
-
Nach dem
Rückzug von Nokia bleibt das Unternehmen zwar Landeseigentum,
aber die Produktion wird in Selbstverwaltung der Belegschaft
organisiert.
-
Das Land
übernimmt eine Bestandsgarantie für die nächsten Jahre, auch
bei roten Zahlen! Zu diesem Zweck wird ein
„Solidaritätsbeitrag-Aufbau West“ von allen privaten
Unternehmen im Lande NRW erhoben!
-
Die
Landesregierung erklärt, dass sie künftig mit allen
Unternehmen so verfahren wird, die „ihren sozialen
Verpflichtungen nicht nachkommen“. Sie erklärt ferner das
künftig Schluss ist mit allen Privatisierungsmaßnamen, und
dass die bereits vollzogenen rückgängig gemacht werden.
Ich denke
dies alles läge in der Macht von Politik und Gewerkschaften. Man
müsste das alles nur wollen und als erstrebenswert ansehen. Das
gilt natürlich vor allem für die Belegschaft.
Das wären
die Umrisse einer konkreten Utopie zur Lösung des konkreten
Problems „Nokia“ mit weitreichender gesellschaftlicher
Bedeutung. Wer sich allerdings vor vornherein sträubt – und hier
meine ich zunächst einmal nur die Belegschaft – sich auf das
Wagnis eines solchen Abenteuers ein zulassen, die damit
verbundene Unsicherheit scheut, lieber auf die „Sicherheit“ von
Lohnarbeit hofft und darauf pocht, dem ist schlicht gesagt nicht
zu helfen.
Selbstverständlich ist das mit Herrn Rüttgers und KollegInnen
nicht ernst gemeint. Es geht in der Tat nur darum, ob die
Belegschaft sich für eine solche Vorstellung erwärmen könnte, ob
sie bereit und Willens ist, sich auf ein Wagnis einzulassen,
dass den Weg zu sozialer Emanzipation eröffnet, oder ob sie sich
weiter auf Gedeih und Verderb der Lohnarbeit ausliefern will.
Die existenzielle Verunsicherung durch das Kapital birgt wie
jede Krise eben auch die Chance der Veränderung in sich!
Existenzielle Sicherheit können sich die Lohnabhängigen nur
selbst erkämpfen und schaffen. In der Agenda des Kapitals ist
sie nicht vorgesehen!
Editorische
Anmerkungen
Der Autor verfasste den
Artikel am 8.2.08 und stellte ihn uns dann zur Verfügung.