Betrieb & Gewerkschaft
Gegenwehr statt Kompromiss- ein Workshop über die Perspektive betrieblicher Kämpfe

Von
Peter Nowak

02/08

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"Du musst den Ast, auf den Du sitzt absägen, bevor Du daran aufgehängt wirst"
Chinesisches Zitat, das Bernd Röttger seinem Beitrag voran stellte

Am Samstag wurde auf einem Workshop im Berliner in einem Workshop im Berliner Haus der Demokratie über die betrieblichen Bewegungen und Perspektiven antikapitalistischer Intervention diskutiert. Die von der Stiftung Arbeitswelt und Menschenwürde geförderte Veranstaltung wurde von den Internationalen KommunstInnen und der Gruppe Soziale Kämpfe im Rahmen der vom Maydaybündnis organisierten Veranstaltungsreihe “Prekarität - Solidarität - Widerstand" vorbereitet.

Zu Beginn begründete der Jenaer Sozialwissenschaftler Bernd Röttger mit dem Rekurs auf Personen aus der Geschichte der linken ArbeiterInnenbewegung und auf solidarische Intellektuelle die Aktualität der Klassenkämpfe. Röttger hatte erstaunlich aktuelle Zitate von Peter Weiss, Karl Korsch, Rosa Luxemburg und Antonio Gramsci ausgegraben. Von Peter Weiss stammt auch das Zitat von der „Linie Luxemburg –Gramsci“. Das war der Titel eines frühen Buches von Bernd Röttger, der damit deutlich machte, dass die beiden TheoretikerInnen der internationalen ArbeiterInnenbewegung für eine theoretische Neufundierung einer klassenkämpferischen Betriebspolitik wichtige theoretische Impulse geben können. Aber Röttger gab auch gute Hinweise auf aktuelle Situation, in dem er am Beispiel eines Streiks in einer Kieler Druckerei Heidelberger die Wiederkehr einer kämpferischen Betriebspolitik deutlich machte. In einer Untersuchung, die Rottger gemeinsam mit dem Soziologen Mario Candeias verfasste, heißt es u.a.:

„Unter den Bedingungen der neuen »Landnahme« funktioniert diese Stellvertreterpolitik nicht länger. Verlagerungsdrohungen stehen die Gewerkschaften oft relativ ohnmächtig gegenüber, sie müssen sich auf Kompromisse einlassen, Zugeständnisse machen. Gewerkschaftlicher Erfolg bedeutet heute, »Schlimmeres verhindert zu haben«, doch Konzessionen lassen sich nicht dauerhaft als stolze Ergebnisse präsentieren. Man sei heute oft gezwungen, »Scheiße als Schokolade zu verkaufen«.

Dieser Situation wollten sich die Beschäftigten bei Heidelberger nicht beugen, sie wollten kämpfen. Verlagerungen oder Werkschließungen werden normalerweise über Sozialpläne abgewickelt: »Der Betriebsrat tritt auf den Plan und verhandelt den Interessenausgleich« . Doch »dann sind die Gewerkschaften außen vor«, beklagt ein Gewerkschaftssekretär. In Kiel wählte man einen anderen Weg: Man setzte auf die Beschäftigten, sie sollten unmittelbar an der Auseinandersetzung beteiligt werden, der Konflikt sollte auf das Firmengelände getragen werden. Die Betriebsräte nutzten ihre Rechte aus, sie hielten während der Arbeitszeit Versammlungen ab. Als das Betriebsratsbüro aus allen Nähten platzte, verlegten sie sie in die Kantine. Man diskutierte, entwickelte gemeinsam Strategien und Forderungen. Mit den Diskussionen wurde die Basis kampfeslustig, »die Leute empfanden, daß sie endlich mal gefragt wurden«. Selbst in Bereichen, »die sonst weiße Flecken der Gewerkschaftsarbeit sind«, z. B. bei gut bezahlten Angestellten in Forschung und Entwicklung, war die Mobilisierung erfolgreich, immer mehr Leute strömten in die IG Metall....“

Diese Entwicklung beschränkte sich nach Röttger nicht auf Kiel. So gäbe es zur Zeit auch in verschiedenen Gewerkschaftsvertretungen die Bereitschaft, marxistische WissenschaftlerInnen einzuladen und ihre Thesen zu diskutieren.

Der zweite Referent, der Hamburger Historiker Peter Birke, war nicht ganz so optimistisch. Er bezeichnete die Streiks der letzten Jahre vor allem als Abwehrkämpfe gegen Verschlechterung, seien es drohende Arbeitszeitverlängerungen, Lohnkürzungen oder Fabrikschließungen. Im Widerspruch zu Röttger bestritt Birke auch, dass es in den 60 und 70er Jahren eine restlose Eingliederung der westdeutschen ArbeiterInnenklasse in den gegeben habe. Als Beweis dienten ihm die sogenannten wilden Streiks, die es in den 50 und 60er Jahren gegeben hat. Birke hat dazu kürzlich im Campus Verlag ein Buch herausgegeben (Wilde Streiks im Wirtschaftswunder), das er am Freitagabend im BAIZ vorstellte.

Birke und Röttger waren sich einig, dass eine Erneuerung einer kämpferischen Betriebsbewegung nur aus dem Zentrum der Krise kommen könne. Das aber sei die Betriebs- und Tarifpolitik. Röttger problematisierte auch als Allheilmittel gepriesene stärkere Beteiligung der Gewerkschaftsbasis an der Politik der Gewerkschaften. Das könne sich durchaus als eine Politik mit vielen Unbekannten erweisen. Schließlich sei es durchaus möglich, dass die Basis Arbeitszeitverlängerungen und Lohnkürzungen zustimme, wenn dadurch nur die Arbeitsplätze erhalten blieben. Daher sei eine klassenkämpferische Kultur- und Bildungspolitik unter den Mitgliedern erforderlich.
Nur defensive Abwehrkämpfe?

Daran knüpfte im zweiten Block die Industriesoziologin Mag Wompel an. Die für die Internetplattform Labournet  verantwortliche Genossin belebte die Debatte mit ihrer kritischen These, dass die meisten Streiks der letzten Zeit wie auch die Bewegung gegen Hartz IV Defensivkämpfe waren und die ProtagonistInnen mit der Verzichtslogik nicht gebrochen hätten. So wird beispielsweise von den ArbeiterInnen bei Nokia immer wieder darauf verwiesen, dass man schon auf so viel verzichtet habe und so den Standort fit gemacht habe und es deshalb ungerecht findet, wenn das Werk jetzt geschlossen werden soll. Auch Erwerbslose hätten auf Demonstrationen oft darüber geklagt, dass sie jahrelang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe und deswegen Hartz IV ungerecht finde. Wompel sieht hier ein verletztes Gerechtigkeitsempfinden als Triebfeder des Protestes und damit lassen sich kaum Offensivkämpfe führen lassen, die eben nicht das Ziel haben, Verschlechterungen zurück zu nehmen, sondern die Verwertung und Lohnarbeit überhaupt zum Angriffsziel machen.

Darauf gab es sofort Einwände u.a. vom langjährigen Opel-Betriebsrat Wolfgang Schaumberg. Er berichtete, dass er mit der eigenen Parole „Nokia ist überall“ auf Protestaktionen der Belegschaft der von Schließung bedrohten Fabrik gehe. Damit mache er deutlich, dass er wenig von der standortverteidigenden Parole „Nokia muss in Bochum bleiben“ hält, aber den KollegInnen trotzdem seine Solidarität nicht versage. Ähnliche Einwände kamen auch von weiteren TeilnehmerInnen des Workshops.. Weil Mag Wompel zum Zug musste, konnte dieser Strang der interessanten Debatte nicht vertieft werden.

Zwischen Solidarität und Intervention

Doch auch die weiteren Beiträge fanden das uneingeschränkte Interesse der TeilnehmerInnen. Ein Genosse der Gruppe „Organisierte Autonomie“ (OA) aus Nürnberg berichtete unter dem Titel „Zwischen Solidaritätsarbeit und Intervention über die Unterstützung der OA während des AEG-Streiks im Jahre 2006. Die Gruppe propagierte einen Boykott von AEG-Produkten, sammelte dafür Unterschriften in der ganzen Stadt Nürnberg mit dem Schwerpunkt auf den linken Stadtteil Gostenhof. Höhepunkt der Aktion war eine kurzfristig anberaumte Demonstration von Gostenhof zum AEG-Werk. Entgegen des Versuchs der Polizei, die Streikenden gegen die linken UnterstützerInnen aufzuhetzen, konnte die Demonstration am AEG-Werk enden. VertreterInnen der OA übergaben der Streikleitung einen Scheck mit den Solidaritätsspenden. Der OA-Genosse betonte, dass es ihnen bei ihrer Mobilisierung immer um eine antikapitalistische Orientierung gegangen sei. So wurde auch in den Boykottaufrufen immer betont, dass der Kapitalismus das Problem ist und es wurde auch in Flugblätter, die in die Briefkästen der Stadt verteilt wurden, immer gegen das Verwertungs- und Ausbeutungsinteresse des Kapitalismus argumentiert. Der OA gelang es im Bündnis mit anderen Gruppen im Nürnberger Sozialforum eine linke Unterstützungsarbeit für die Streikenden aufzubauen. Damit gelang es ihnen, sich auch im Betrieb Anerkennung zu erwerben. Das zeigte sich auch daran, dass ein eindeutig antikapitalistische OA-Transparent bis zum Streikende vor dem Werktor hing. Allerdings hatten die linken UnterstützerInnen natürlich auf die sozialpartnerschaftlichen Lösung des Konflikts keinen Einfluss. Die während des Streiks geknüpften Strukturen konnten nicht aufrechterhalten werden. Allerdings wurden in diesem Konflikt Kontakte geknüpft und Vertrauen erworben, dass bei künftigen Arbeitskämpfen wichtige Rolle spielen könnte.

Wenn der Streikprofi DGB ratlos ist.....

Im Anschluss berichtete eine Genossin aus dem Ruhrgebiet über die linke Intervention beim Gate Gourmet-Streik im Jahr 2005. Sie skizzierte noch einmal die Ausgangslage des Konflikts. Lange Jahre haben die für das Catering am Düsseldorfer Flughafen verantwortlichen Beschäftigten alle Verschlechterungen ihrer Arbeitsverhältnisse ertragen. Sie haben also im Sinne von Mag Wompel verzichtet. Als aber nach einer Untersuchung durch Mac Kinsey weitere Zumutungen angekündigt wurden, schmiss die Belegschaft die Brocken hin und trat in den Streik. Von Anfang an waren sie mit zwei Problemen konfrontiert: Der Streik fand am Rande des Flughafens Düsseldorf, also weitab von jeder größeren Öffentlichkeit, statt und sofort wurden von der Cateringfirma LeiharbeiterInnen organisiert. Die Streikenden standen vor dem Tor und der Betrieb lief weiter. In dieser Situation wusste auch die Gewerkschaft NGG, die zunächst die Infrastruktur für den Streik stellte, nicht mehr weiter. Die Beschäftigten wiederum dachten, dass sind die Streikprofis. In dieser verfahrenen Situation knüpften linke GewerkschafterInnen Kontakte zu außerparlamentarischen Linken aus der Region, die sie schon von anderen gemeinsamen Aktionen kannten. Die GewerkschafterInnen wussten, dass die Linken . teilweise an Hausbesetzungen beteiligt waren und erhofften sich Unterstützung bei einer angedachten Betriebsbesetzung. Dazu ist es dann nicht gekommen. Dafür organisierten Linke aus dem Ruhrgebiet Blockadeaktionen. Das Essen für die Fluggäste musste von der Cateringfirma zum Terminal transportiert werden und dieser Weg wurde blockiert. Durch Mund zu Mund – Propaganda und Informationen in linken Medien sowie durch Veranstaltungen in der Region wuchs der Kreis der UnterstützerInnen. Durch die Blockaden bekam der fast vergessene Streik ein neues öffentliches Interesse. Zudem organisierten die Linken Kontakte zu ähnlichen Streiks beispielsweise am Flughafen Heathrow in London. „Die Gewerkschaft hat sich durch unsere Intervention nicht geändert wohl aber die Beschäftigten, die am Arbeitskampf beteiligt waren“, zog die Genossin ein positives Resümee der linken Intervention. Über den Streik bei Gate Gourmet und die linke Intervention kann mensch sich im sehr lesenswerten Buch „Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet“ genauer informieren.

DGB - zwischen Ordnungs- und Gegenmacht

Der Berliner BMW-Betriebsrat und IG-Metaller Hans Köbrich berichtete aus der Perspektive des Gewerkschaftslinken über einige Konflikte gegen Betriebsschließungen in den letzten Jahren. Da war der schon fast vergessene Streik der Belegschaft von Orenstein & Koppel im Frühjahr 2006 gegen ihre Schließung. In dem Betrieb existierte schon über Jahrzehnte die Tradition einer Fabriklinken. Das Werktor wurde effektiv blockiert. Kaum war der Konflikt beendet, begann der Streik beim nicht weit entfernten Bosch-Siemens-Hausmaschinenwerk (BSH). Er führte zu größerer öffentlicher Resonanz, unter Anderem weil die Belegschaft die Devise „Raus aus dem Betrieb“ ausgab. Höhepunkt war der Marsch der Solidarität, mit dem die Streikenden zu anderen von Schließung bedrohten Werken in der ganzen Republik zogen und sich für gemeinsame Gegenwehr einsetzen. Der Film „Es geht nicht nur um unsere Haut“ von Holger Wegemann zeigt auf, wie die Streikenden während es Konflikts immer mehr Selbstvertrauen gewannen. Sie hatten Mut gefasst und hatten gespürt, wenn wir zusammen halten, können wir unser Ziel erreichen. Doch der DGB, auf den die Beschäftigen vertrauten, hatte mittlerweile die Verhandlungen aufgenommen. Kurz vor dem geplanten Höhepunkt und Ende des Solidaritätsmarsches in München, brach der DGB die Aktion ab und unterschrieb einen schlechten Kompromiss. 120 KollegInnen sollten ihren Job verlieren. Im Film „Es geht nicht nur um unsere Haut“ ist zu sehen, wie aus der Zuversicht, Wut und Enttäuschung wurden. Gerade viele aktive KollegInnen fühlten sich vom DGB regelrecht verraten und warfen den DGB-Verantwortlichen Streikmützen- und –umhänge vor die Füße. Obwohl es auch zum BSH-Streik eine Solidaritätsgruppe gab, blieb ihr Einfluss im Gegensatz zu den Beispielen in Nürnberg und Düsseldorf marginal. Der Film „Es geht nicht nur um unsere Haut“ kann über die Videowerkstatt Autofocus in Berlin bezogen werden.

Linke Intervention in Betriebskämpfe

Es greift zu kurz, hier nur die Politik des DGB anzuklagen, erklärte ein Genosse der mitveranstaltenden Gruppe Internationale KommunistInnen in einen kurzen Beitrag, der einige weiterführende Gedanken formulierte, die sich aus den Beiträgen des Workshops ergeben. Die Gewerkschaften seien im Kapitalismus für die Regulierung der Arbeitsverhältnisse zuständig und haben insofern kein Interesse die kapitalistische Verwertung insgesamt anzugreifen. Deshalb seien für eine solche Perspektive neben den Gewerkschaften antikapitalistische Gruppierungen notwendig, die mehrere Aufgaben haben. Die unterschiedlichen Forderungen von Lohnabhängigen zu verallgemeinern, diese Kämpfe mit den Forderungen von Erwerbslosen und anderen Bewegungen zu verbinden, Bündnisse herzustellen . . zwischen linken GewerkschaftlerInnen, KollegInnen und .linken Gruppen. Die unterschiedlichen Beispiele des Workshop haben gezeigt, dass eine solche Zusammenarbeit in der Vergangenheit punktuell gelungen ist. Die VeranstalterInnen sehen den Workshop als Beitrag mit einen konkreten Praxisbezug. In der nächsten Zeit stehen Konflikte und wahrscheinlich auch Streiks im Öffentlichen Dienst und im Einzelhandel an. Wenn wir nicht wieder nur kommentierend bei Seite stehen wollen, sollten wir aus den auf dem Workshop vermittelten Erfahrungen einige Konsequenzen ziehen: möglichst schnell eine Bündnisstruktur schaffen, mit der wir in den Arbeitskampf intervenieren können (ist eine AG beim Sozialforum dafür die eigene Plattform oder kann es das Maydaybündnis sein)? Wir sollten schnell eine anschlussfähige und gut vermittelbare Forderung propagieren, wie sie die Nürnberger GenossInnen mit dem AEG-Boykott gefunden haben und sie mit emanzipatorischen antikapitalistischen Zielen kombinieren. Es ist eben ein Unterschied, ob etwa ein Boykott von Produkten aus dem Ausland propagiert wird, um den Standort Deutschland zu stärken oder ob eben der Boykott von Produkten eines „deutschen“ Konzerns wegen ihrer konkreten Verwertungspolitik propagiert und deutlich gemacht wird, dass diese Politik eine Folge der kapitalistischen Verwertung ist. Daneben sollten Linke auch handlungsfähig sein, wenn es um direkte Aktionen wie z.B. Blockaden, Demonstrationen etc. geht, wie sich gut am Beispiel des Gate Gourmet-Konflikts gezeigt hat. Wenn solche Interventionen regional erfolgreich sind, könnten wir uns auch einer Aufgabe nähern, die der Genosse von der OA angesprochen hat. den Aufbau einer bundesweiten Organisierung auf klassenkämpferischer Grundlage.
Peter Nowak
 

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns den Artikel am 10.2.08 zur Verfügung.