Queremos statt Venceremos?
Die Historikerin Friederike Habermann setzt ihrem Buch an eine notwendige Debatte über das Verhältnis zwischen Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat fort

von Peter Nowak

02/09

trend
onlinezeitung

Dass Frauen, die sich einen Doppelnamen zulegen, „eine endgültige Manifestation offenen Umgangs mit der unrückführbaren Schizophrenie“ seien, erfahren wir jetzt nicht nur vom Männerstammtisch in der Eckkneipe sondern auch in der linken Wochenzeitung Jungle World, die in ihrem Dschungel, der popkulturellen Beilage, in regelmäßigen Abständen antifeministische Satire und lange Texte mit Sexualphantasien pubertierender Jungmänner abdruckt. Damit unterscheidet sich die Zeitung nicht vom linken Mainstream, vom dem man sich immer abgrenzen will. Feminismus ist Megaout und eine der Frauen in der Redaktion legt sich lieber einen Doppel-Vornamen zu, um nicht Gefahr zu laufen, als Feministin der alten Schule zu gelten. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, dass die Historikerin Friederike Habermann mit ihrer im Nomos-Verlag erschienenen Dissertation an die Debatten um das Verhältnis zwischen Rassismus, Sexismus und Kapitalismus anknüpft.
Gehören in einer Zeit, in der eine Frau deutsche Bundeskanzlerin und ein Schwarzer US-Präsiden werden konnte, patriarchale und rassistische Unterdrückung nicht der Vergangenheit an? Habermann verneint diese Frage, betont aber, dass die Unterdrückungsformen verändert haben.

Homo Oeconomicus als Grundlage

Dabei grenzt sie sich von traditionskommunistischen Vorstellungen von Haupt- und Nebenwidersprüchen ebenso ab, wie von Erklärungsansätzen, bei denen die drei Unterdrückungsverhältnisse unvermittelt nebeneinander stehen. Habermann geht dagegen von einer Verwobenheit von Kapitalismus, Rassismus und Sexismus aus, die im Homo Oeconomicus die Grundlage hat. Damit rekurriert sie auf ein zentrales Kernelement des liberalen Gedankenguts, das den Menschen als eigennütziges und nutzenmaximierendes Wesen begreift. Habermann zeigt mit Verweis aus den Schriften von Adam Smith und Jeremy Bentham auf, wie dieses Rollenbild im 18 Jahrhundert geschaffen wurde. Der Homo Oeconomicus war weiß und männlich und Angehöriger de Bürgertums.
In ihren umfangreichen theoretischen Teil beschreibt Habermann den Ausschluss von Farbigen und Frauen aus diesem Rollenmodell. Diese Ausgrenzung verfestigte sich nach der Französischen Revolution. Vorher wurden Frauen und BewohnerInnen außereuropäischer Länder als unvollkommene Teile der von Gott geschaffenen Menschen gesehen. Nach 1789 aber wurden sie aus der Menschheit ausgegrenzt. Das hatte ganz handfeste Konsequenzen. Kaum war unter der Losung Freiheit. Gleichheit, Brüderlichkeit die Menschenrechte verkündet worden, wurde ein großer Teil der Menschen gleich wieder davon ausgeschlossen: die Frauen und die außereuropäische Bevölkerung. Habermann wendet sich allerdings gegen die Vorstellung, dass die Unterdrückungsverhältnisse unverändert fortbestehen.
Mit Verweis auf die französischen Philosophen Michel Foucault, Jacques Derrida und die US-Soziologin Judith Butler widmet sie sich den Veränderungen. „Im Neoliberalismus ist der Homo Oeconomicus kein Tauschpartner, sondern ein Unternehmer, und zwar ein Unternehmer seiner selbst, der für sich selbst sei eigenes Kapital, sein eigener Produzent und seine eigene Einkommensquelle darstellt“. Frauen und Farbige haben nur Chancen auf einem Aufstieg, wenn sie sich dem Leitbild des Homo Oeconomicus weitgehend anpassen. Dabei dürfen sie als Soft Skills allerdings eine Prise sogenannter weiblicher oder ethnischer Identität mitbringen. Dafür sind Merkel und Obama nur die bekanntesten Beispiele.

Putzfrau mit Diplom

Am Beispiel der zunehmenden Beschäftigung von Putzfrauen und Haushaltshilfen zeigt Habermann auf, wie sich die Unterdrückungsverhältnisse verändern und neu verfestigen. Da beschäftigt die viel beschäftigte Karrierefrau eine polnische Putzfrau mit Universitätsdiplom. Leider hat Habermann hier nicht auf ähnliche Diskussionen in den USA verwiesen, wie sie Angela Davis 1981 in ihrem Buch Women, Race & Class beschrieb.
Im letzten Kapitel stellt Habermann einige Thesen für eine Auflösung der Unterdrückungsverhältnisse als Voraussetzung für eine emanzipatorischen Theorie und Politik zur Diskussion. Dabei bezieht sie sich auf die politische Praxis des Neozapatismus in Südmexiko und die vor allem in den USA starke Querbewegung, die sich gegen sexuelle und ethnische Rollenzuschreibungen wandte. Dabei geht sie durchaus auf die Sprecherposition des neozapatistischen Subcommandante Marcos ein. Es sei kein Zufall, dass er und nicht die indigene Subcommandante Ana Maria Sprecherin der Bewegung wurde. „Doch hat der zur Symbolfigur des Widerstands gewordene `Sub’ als Mann, Weißer und Abkömmling der Mittelklasse eigentlich etwas zu sagen?“ fragt die Autorin. Dabei vermisst man aber eine stärkere Kritik, dass in einer Bewegung, die sich doch gerade die Sichtbarmachung von Frauen und Indigenen auf die Fahnen geschrieben hat, doch ein Weißer Mann als Sprecher fungiert. Ist das wirklich nur ein Beispiel für das Queren von Identitäten oder nicht doch ein Kokettieren mit einer Machtposition? Da bleibt die Autorin eine klare Antwort schuldig.

Ökonomie nicht doch letzte Instanz?

In dem theoretischen Teil wendet sich Habermann gegen das Konzept des französischen kommunistischen Philosophen Louis Althusser, der von einer relativen Eigenständigkeit von rassistischen und patriarchalen Unterdrückungsformen ausging, aber betonte, dass die Ökonomie in letzter Instanz dominiert. Hier sieht die Autorin Reste einer ökonomistischen Vorstellung. Allerdings ist die Frage, ob bei dem Rollenmodell des Homo Oeconomicus nicht auch die Politik in letzter Instanz dominiert. Es ist schließlich die Zuschreibung einer Identität für das Leben und Überleben in der kapitalistischen Warengesellschaft. Habermann beschreibt, wie Frauen und People of Couleur dort nur Zugang haben, wenn sie dieses Rollenmodell übernehmen? Ist das ein gutes Beispiel, wie Ökonomie in letzter Instanz funktioniert? Diese und viele andere Fragen stellen sich bei der Lektüre von Habermanns Buch. Es ist zu hoffen, dass Linke mit weiblicher, männlicher oder queerer Identität das Diskussionsangebot, das Habermann vorgelegt hat, annimmt. Es wäre die Fortsetzung einer Debatte in der autonomen und radikalen Linken der frühen 90er Jahre. Ausgelöst wurde sie durch Schriften von Ingrid Strobl, Klaus Viehmann und die Broschürengruppe, die unter dem Stichwort Triple Oppression alle drei Unterdrückungsformen in den Blick genommen haben. Leider hat die Autorin auf diese Debatten kaum zurückgegriffen und die in der damaligen Zeit in der Linken viel beachtete Broschüre „Triple Oppression und bewaffneter Kampf nicht einmal in das Literaturverzeichnis aufgenommen.

Leider schmälern der hohe Preis und manche nicht übersetzten englischen Zitate den Nutzen des Buches. Vielleicht gibt es bald eine günstigere Taschenbuchausgabe?

 

Friederike Habermann
Der homo oeconomicus und das Andere, Hegemonie, Identität und Emanzipation,

Nomos Verlag,
2008,  320 S.
Broschiert, 44,- €
ISBN 978-3-8329-3716-4