Ganz moderne Kreuzzüge
 
von Julian Bierwirth

02/09

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Religion und Kapitalismus hängen auf recht widersprüchliche Weise miteinander zusammen. Für Max Weber war die „protestantische Ethik“ eng mit der Herausbildung des Kapitalismus verbunden. Und auch für Karl Marx war das „Christentum mit seinem Kultus des abstrakten Menschen“ die der kapitalistischen Produktionsweise am Besten entsprechende Religion. Seit Marx und Weber sind nun einige Jahre vergangen. Mittlerweile war viel die Rede von einer Säkularisierung, der Zurückdrängung aller Religion in die Bedeutungslosigkeit.

Doch seit einigen Jahren macht Religion wieder vermehrt auf sich aufmerksam. Dabei ist jedoch weniger eine einfache Wiederaufnahme altbackener religiöser Praktiken zu beobachten als vielmehr ein Wandel des Glaubens selber. Zwar hängen viele Menschen noch immer dem Christentum, dem Islam, dem Judentum oder dem Buddhismus an, nur hat sich in diese Glaubensausübung ein neuer Ton eingeschlichen. Was vordergründig als Rückkehr zu orthodox-traditionalistischen Glaubensformen daherkommt, ist bei näherer Betrachtung oftmals eher eine ganz überaus moderne Variante der jeweiligen Religion. Der Fundamentalismus der Religion ist einer, der zwar gegen bestimmte Aspekte der Moderne anpredigt, ihr aber gleichsam gefangen bleibt. Nicht Religion ist das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben, sondern etwas, das sich in Anlehnung an Ernst Lohoff als Religionismus bezeichnen ließe.

Beim Islamismus ist dies nur allzu deutlich. Die oft im Iran gebranntmarkte Schwulenfeindlichkeit beispielsweise ist keine traditionell-orthodoxe Überlieferung, sondern schlicht und ergreifend ein modernes Phänomen. Der Koran kennt keine Homosexualität als Sünde, lediglich Analverkehr taucht als potentielles Vergehen auf. Das allerdings ist im Rahmen der Schari'a nur schwer zu bestrafen, da es einem umfangreichen Beweisführungsverfahren unterliegt. Und so ist die Geschichte des Islam auch voll von Überlieferungen gleichgeschlechtlicher Liebe und Sexualität – nur, das diese eben nicht in der Weise identitätsbildend sein musste, wie das im aufgeklärten Westen der Fall war.

Historisch lässt sich so ebenfalls zeigen, das die Homophobie islamistischer Prägung eine Reaktion auf die Konfrontation der traditionellen Kultur mit der Moderne ist. Auch das der Islamismus oftmals mit vormoderner Kollektivierung gleichgesetzt wird, weil er die Gläubigen in der Umma als einer Art islamischer Ur-Gemeinschaft vereinigen will, verliert wesentliche Aspekte aus dem Blick. Denn die vielbeschworene Individualisierung ist ja nur die eine Seite der kapitalistischen Modernisierung: mit ihr einher ging immer die Unterordnung des Individuums unter die nationale Gemeinschaft von Standort und Schützengraben. In vielen traditionellen Varianten des oftmals sog. Volksislams spielte die Vorstellung kollektiver Identität nie eine herausragende Rolle. Mit dem Islamismus tritt jedoch eine Neuerung in die religiösen Debatten ein: er will die traditionellen, oft voneinander abweichenden Riten zugunsten der einen, richtigen Religionsausübung ersetzen. Hier herrscht eine Vorstellung von gesellschaftlicher Allgemeinheit, wie sie gerade für die Moderne spezifisch ist.

Auch im Christentum lassen sich Fragmente dieses Religionismus finden. Sowohl evangelikale Strömungen als auch der unlängst in die Schlagzeilen geratenen Piusorden erheben Anspruch auf eine gesellschaftliche Verallgemeinerung ihrer Ideen. Für Bischoff Williams gilt die katholische Kirche die „einzige Kirche“, der sich alle Menschen (!) unterzuordnen haben. Der Staat, so die Vorstellung der Pius-Brüder, solle im „öffentlichen Bereich die Anhänger falscher Religionen daran zu hindern, ihre religiösen Überzeugungen durch öffentliche Kundgebungen, Missionierungsarbeit und Errichtung von Gebäuden für ihren falschen Kult in die Tat umzusetzen.“ Darüber hinaus fordern sie, „dass Pornographie, Abtreibung, ja jedes öffentliche Laster gesetzlich verboten und die Übertretung dieser Gesetze entsprechend geahndet wird.“ Das ferne Ziel, auf das die Bruderschaft hinarbeitet, ist „das soziale Reich Christi.“ Da kann einem schon mal schlecht werden.

Ganz ähnlich sieht es auf dem Internetportal Kreuz.Net aus. Hier können wir von einer „Homo-Perversion“ lesen, die es aufgrund ihrer „großen Lobby“ bereits soweit gebracht habe, das „normale Paare“ in der Öffentlichkeit „süffisant belächelt“ würden, wie der Fuldaer Bischoff Heinz Josef Algermissen rezitiert wird. Unterschiede zu Äußerungen islamistischer Gruppierungen müssen hier schon mit der Lupe gesucht werden - Verschwörungstheorien inklusive. Schuld an den gegenwärtigen Debatten zur Katholischen Kirche übrigens ist laut Kreuz.Net weniger berechtigte Kritik als vielmehr „einfach ein tiefsitzender Haß gegen jede Art von Frömmigkeit.“ Dagegen gilt es sich, so der Wahn will, zu positionieren: „Noch lange wird sich die Frage stellen: Was hast Du gemacht, als die Bestien nach Benedikt XVI. schnappten.“

Diese Kritik richtet sich zwar gegen moderne Vorstellungen von Menschenrechten und negiert damit die eine Seite der Moderne, die ihr nicht in den Kram passt. Die andere Seite aber, die der kollektiven Unterordnung unter eine „imaginäre Gemeinschaft“ (Benedict Anderson), wird hier umstandslos übernommen. Die Anerkennung des Papstes soll mittels öffentlichen Bekenntnisses vor sich gehen, mithin also durch ein Agieren im öffentlichen Raum. Eine solche Vorstellung von politischer Öffentlichkeit, die über den kirchlichen Rahmen hinausging, aber war mittelalterlichen Varianten des Katholizismus eher Fremd. Es ist egal, ob der Katholizismus oder der Islam als Grundlage dient: hier werden inmitten einer Welt, die mehr und mehr auseinanderzufallen scheint, Identitätskonstrukte aufgebaut, denen sich zu überantworten die Menschen aufgefordert werden.

Diese Konstallation kriegt gerade in Zeiten der Krise eine besondere Bedeutung. Denn das die lange Zeit ideologisch hochgehaltene Individualisierung alleine keine Lösung sein kann, wird immer deutlicher. Zu unübersehbar sind die Folgen dieses Jeder-gegen-Jeden mittlerweile geworden. Zur Abwechslung versuchen es einige nun mit dem strikten Gegenteil. Die Unterordnung unter die Nation bildet in den Industriestaaten derzeit noch ein starkes Angebot, aber auch andere kulturalistische Ideologien wie der Religionismus werden zunehmend stärker. Auch davon werden wir gerade AugenzeugInnen.
 

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung in dieser Ausgabe.